Entwicklung der Unternehmenskredite in Deutschland seit Beginn der geldpolitischen Straffung

Monatsberichtsaufsatz

Das Wachstum der Buchkredite deutscher Banken an nichtfinanzielle Unternehmen in Deutschland war in den letzten Jahren geprägt durch ein ungewöhnlich starkes Auf und Ab. Obwohl die Geldpolitik auf den 2021 einsetzenden Inflationsschub mit einer kräftigen Straffung reagierte, beschleunigte sich das Kreditwachstum bis Oktober 2022 zunächst weiter auf knapp 14 %. Ab dem vierten Quartal 2022 war die Nettokreditvergabe dann aber stark rückläufig; zuletzt bewegte sich das Kreditwachstum um Werte nahe null. Diese Entwicklung zog sich durch alle Bankengruppen, Laufzeiten und Wirtschaftszweige. 

Dieser Aufsatz präsentiert modellbasierte Analysen zur Beantwortung der Fragen, ob diese Kreditentwicklung gemessen an der Konjunktur- und Zinsentwicklung außergewöhnlich war und welche Rolle dabei Kreditangebots- und Kreditnachfragefaktoren spielten.

Dabei zeigt sich, dass die im Jahr 2022 vergebenen staatlichen Stützungskredite an ausgewählte Energieversorger ein wesentlicher Faktor für den zunächst beobachteten Anstieg des Kreditwachstums waren. Zudem erhöhten die 2022 stark gestiegenen Vorleistungs- und Lagerhaltungskosten den Bedarf an kurzfristigen Finanzierungsmitteln im gesamten Unternehmenssektor. 

Der Abschwung der Nettokreditvergabe setzte Ende 2022 ein. Unsere Modelle deuten darauf hin, dass der Rückgang des Kreditwachstums und die derzeitige Stagnation vor allem auf das widrige Makroumfeld zurückzuführen sind. Dieses war insbesondere von einer konjunkturellen Abschwächung, hohen Inflationsraten und steigenden Zinsen geprägt. Die Banken reagierten auf den schnellen und kräftigen Anstieg der Zinssätze an den Finanzmärkten mit einer entsprechenden Erhöhung der Kreditzinssätze. Zudem strafften sie angesichts des gestiegenen Kreditrisikos auf der Unternehmensseite ihre Kreditvergabepolitik. Unsere Modelle liefern aber keine Hinweise für eine nennenswerte Einschränkung des Kreditangebots aufgrund rein bankseitiger Faktoren. Dieses Ergebnis deckt sich mit der weiterhin stabilen Lage des deutschen Bankensystems.

Das widrige Makroumfeld und die erhöhte Unsicherheit über die wirtschaftlichen und geopolitischen Aussichten dämpften ihrerseits die private Investitionstätigkeit. Dies reduzierte den Finanzierungsbedarf der nichtfinanziellen Unternehmen für Ausrüstungen und Bauten. Hinzu kam, dass viele Unternehmen nicht zuletzt infolge der in den letzten Jahren hohen Gewinne über ausreichende interne Finanzierungsmittel verfügten. Der durch diese Einflussfaktoren bedingte Rückgang der Kreditnachfrage war zwar relativ stark, bewegte sich insgesamt aber weitgehend gemäß historischer Muster.

Unsere aktuelle Prognose für die Kredite an nichtfinanzielle Unternehmen erwartet im Laufe des Jahres 2024 eine allmählich einsetzende Belebung. Die laut der Deutschland-Prognose von Juni langsam wieder Tritt fassende deutsche Wirtschaft sowie die aktuell an den Finanzmärkten erwartete graduelle Rücknahme der Zinserhöhungen durch die Geldpolitik sollten das Kreditwachstum stützen. Größere bankseitige Beschränkungen der Kreditvergabe sind aktuell nicht zu erwarten. Allerdings nimmt die prognostizierte Kreditwachstumsrate nur langsam zu: Typischerweise greifen Unternehmen im Konjunkturaufschwung erst auf noch vorhandene Innenfinanzierungsmittel zurück. Zudem dämpft das zunächst noch schwierige Investitionsumfeld die Kreditnachfrage. 

1 Bestandsaufnahme

Der 2021 einsetzende rasche und kräftige Anstieg der Inflation im Euroraum erforderte eine entschiedene Reaktion der Geldpolitik. Den Euroraum trafen in den letzten Jahren diverse Angebots- und Nachfrageschocks. Die Mehrnachfrage nach Waren, die auch durch umfangreiche wirtschaftspolitische Maßnahmen gestützt wurde, traf auf pandemiebedingte Produktions- und Lieferengpässe. Dies trieb Rohstoffpreise, Transportkosten, Erzeuger- und Verbraucherpreise stark nach oben. Der weitere Anstieg der Rohstoffpreise infolge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine verstärkte den bereits hohen Preisdruck. Schließlich trug die Normalisierung der Dienstleitungsnachfrage nach Aufhebung der Mobilitäts- und Kontaktbeschränkungen zum Preisanstieg bei. 1 Die Inflationsrate im Euroraum erreichte im Oktober 2022 ihren neuen Höchststand von 10,6 %. Um Preisstabilität mittelfristig zu gewährleisten, beschloss der EZB-Rat Ende 2021, das Niedrigzinsumfeld der Vorjahre zu verlassen und die Geldpolitik zu straffen. Er beendete die Ankaufprogramme und erhöhte von Juli 2022 bis September 2023 in raschen Schritten die Leitzinssätze um insgesamt 450 Basispunkte. Nachdem der EZB-Rat die Leitzinssätze im Anschluss an diese Phase neun Monate konstant gehalten hatte, senkte er sie im Juni 2024 um 25 Basispunkte. Zugleich betonte er die Datenabhängigkeit des zukünftigen geldpolitischen Pfades. 

Die schwächere Konjunktur und die höheren Zinsen bremsten zunehmend die Nettokreditvergabe 2 in Deutschland. Aus geldpolitischer Sicht war eine Dämpfung der Kreditdynamik intendiert: 3 Typischerweise verläuft ein wichtiger Teil der Transmission geldpolitischer Impulse über das Bankensystem. Die Banken geben die eigenen erhöhten Finanzierungskosten in Form höherer Kreditzinssätze an ihre Kunden weiter. Infolgedessen fragen nichtfinanzielle Unternehmen 4 und private Haushalte in geringerem Umfang Kredite nach. Sie investieren weniger und das Wirtschaftswachstum schwächt sich ab. Mit gewisser zeitlicher Verzögerung führt dies zu einer Abschwächung des Inflationsdrucks. 

Zu Beginn der geldpolitischen Straffung nahm das Wachstum der Unternehmenskredite aber noch deutlich an Fahrt auf und ging erst ab Ende 2022 kräftig zurück. Die Jahreswachstumsrate der Buchkredite 5 der Banken in Deutschland an heimische nichtfinanzielle Unternehmen hatte sich in den Jahren 2014 bis 2019 deutlich beschleunigt und erreichte Ende 2019 5 %. 6 Nach einer kurzen, durch die Coronavirus-Pandemie bedingten Abschwächung zog das Kreditwachstum erneut an und erreichte im Oktober 2022 mit knapp 14 % seinen höchsten Wert seit 1992 (siehe Schaubild 3.1). Erst dann schlug sich das veränderte Makroumfeld auf die Unternehmenskredite nieder: Ihre Jahreswachstumsrate ging zügig zurück und bewegt sich seit dem vierten Quartal 2023 auf einem Niveau um 0 %. Ein vergleichbar starkes Auf und Ab der Kreditwachstumsrate war zuvor nur während der deutschen Wiedervereinigung und der globalen Finanzkrise im Jahr 2008 zu beobachten.  

Buchkredite deutscher Banken an inländische nichtfinanzielle Unternehmen nach Bankengruppen
Buchkredite deutscher Banken an inländische nichtfinanzielle Unternehmen nach Bankengruppen

2 Kreditentwicklung und makroökonomisches Umfeld

Die Frage, inwieweit das Auf und Ab des Kreditwachstums im Einklang mit der Konjunktur- und Zinsentwicklung steht, lässt sich mithilfe empirischer Modelle analysieren. Die kräftige Auf- und Abwärtsbewegung des Kreditwachstums und die aktuell schwache Kreditdynamik werfen die Frage auf, ob die Kreditvergabe an nichtfinanzielle Unternehmen stärker auf das veränderte Makroumfeld reagierte als es aufgrund der in der Vergangenheit gültigen Zusammenhänge zu erwarten gewesen wäre. Zur Beantwortung dieser Frage kann das tatsächliche Kreditwachstum seit dem Beginn der Zinsstraffung mit einer hypothetischen, aus Modellzusammenhängen abgeleiteten Entwicklung verglichen werden. Das Schaubild 3.2 zeigt das Ergebnis einer solchen Ãœbung auf Basis eines Prognosemodells, das die Kreditentwicklung mithilfe der Investitionsquote, des Renditeabstands zwischen langfristigen Unternehmens- und Staatsanleihen, des Kreditzinses sowie der Entwicklung der von den Banken gesetzten Kreditrichtlinien beschreibt. Wie im Exkurs zu den Kreditprognosen  am Ende des Aufsatzes dargelegt, wird das Modell zunächst für den Zeitraum bis Ende 2021 geschätzt. Im Anschluss daran wird die Kreditentwicklung für den Zeitraum von Anfang 2022 bis zum aktuellen Datenrand mithilfe der geschätzten Modellzusammenhänge und der tatsächlichen Entwicklung des Makroumfelds prognostiziert.

Im Ergebnis war die Kreditentwicklung ab Mitte 2023 zwar relativ schwach, bewegte sich insgesamt aber weitgehend gemäß dem geschätzten historischen Muster. Das Schaubild 3.2 vergleicht das tatsächliche Wachstum der Unternehmenskredite (schwarze Linie) mit einer hypothetischen, auf Basis der beschriebenen Prognosesimulation ermittelten Entwicklung (blaue Linie) seit dem Beginn der Zinsstraffung. Die Ergebnisse der Prognosesimulation sind naturgemäß mit großer Unsicherheit verbunden; diese wird durch ein Prognoseband ausgedrückt. Grundsätzlich ist die tatsächliche Kreditentwicklung weitgehend mit dem Verlauf dieses Unsicherheitsbandes vereinbar. Gleichwohl sind die einzelnen Ausschläge in der tatsächlichen Entwicklung stärker als vom Modell prognostiziert: So steigt das tatsächliche Kreditwachstum im Jahr 2022 zunächst stärker an und liegt im zweiten Quartal 2022 leicht oberhalb des Unsicherheitsbandes. Auch der Rückgang des Wachstums ab Herbst 2022 fällt steiler aus als prognostiziert; im dritten und vierten Quartal 2023 liegt das tatsächliche Wachstum unterhalb des Unsicherheitsbandes. Allerdings wurde das Auf und Ab des Kreditwachstums wesentlich durch Hilfskredite der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) an ausgewählte Energieversorger verstärkt (siehe nachfolgendes Kapitel). Bereinigt man die Kreditreihe um diesen Sonderfaktor, bleibt das tatsächliche Kreditwachstum insgesamt innerhalb des Unsicherheitsbandes (graue Linie).

Bedingte Prognose der Jahreswachstumsrate der Buchkredite an nichtfinanzielle Unternehmen in Deutschland
Bedingte Prognose der Jahreswachstumsrate der Buchkredite an nichtfinanzielle Unternehmen in Deutschland

Auch ein zweites empirisches Modell stützt die Einschätzung, dass sich die Unternehmenskredite in den vergangenen beiden Jahren insgesamt gemäß dem historischen Muster entwickelten. Das oben verwendete Prognosemodell ist Basis der regelmäßig in der Bundesbank erstellten Kreditprognosen. Es stellt die Prognosegüte in den Vordergrund und ist daher sparsam spezifiziert. Im Vergleich dazu umfasst das im zweiten Exkurs am Ende des Aufsatzes beschriebene makrofinanzielle Bayesianische VAR-Modell eine größere Anzahl monetärer, finanzieller und realwirtschaftlicher Daten. Damit kann es für Analysen einer größeren Anzahl von Fragen genutzt werden, darunter auch die Identifikation unterschiedlicher ökonomischer Schocks und ihrer Auswirkungen. Bei der oben beschriebenen Simulation kommt dieses größere Modell zu vergleichbaren Ergebnissen. Dies stärkt das Vertrauen in die Schlussfolgerung, dass sich die Unternehmenskredite in den vergangenen beiden Jahren insgesamt weitgehend gemäß historischer Muster entwickelten und dass die Kreditdynamik am aktuellen Rand nicht ungewöhnlich schwach ist.

3 Sonderfaktoren ließen Kreditdynamik bis Oktober 2022 steigen

Stark gestiegene Rohstoffpreise sowie Vorleistungs- und Lagerhaltungskosten erhöhten den Kreditbedarf des deutschen Unternehmenssektors. Eine überraschend starke Erholung der Warennachfrage verschärfte pandemiebedingte Liefer- und Produktionsengpässe. Infolgedessen stiegen Rohstoffpreise, Transport- und Materialkosten stark an. Deutsche Unternehmen waren von diesen Entwicklungen besonders betroffen. Außerdem führte die Nichtverfügbarkeit wichtiger Vorprodukte und Materialien zu Störungen in der Produktion und dem Verkauf. Dementsprechend stiegen die Lagerhaltungskosten für unfertige Produkte. Im Ergebnis nahm die Nachfrage nach kurzfristigen Krediten zur Finanzierung von Lagerhaltung und Betriebsmitteln kräftig zu. 7 Den Zusammenhang von Lieferengpässen und Krediten veranschaulicht auch eine Auswertung der Einzelunternehmensdaten aus der repräsentativen Umfrage der Bundesbank unter deutschen Unternehmen (Bundesbank-Online-Panel-Firmen, BOP-F) 8 : Der Anteil der Unternehmen, die für das folgende Jahr sowohl einen verschlechterten Zugang zu benötigten Vorleistungen und Vorprodukten als auch einen steigenden Bedarf an Kreditfinanzierung erwarteten, stieg bis Mitte 2022 deutlich an (siehe Schaubild 3.3).

Einflussfaktoren für die Entwicklung kurzfristiger Kredite
Einflussfaktoren für die Entwicklung kurzfristiger Kredite

Ein weiterer wesentlicher Grund für den steilen Anstieg des Kreditwachstums im Sommerhalbjahr 2022 waren umfangreiche staatliche Hilfskredite an Energieversorger. Stark gestiegene Preise von Gas und Strom in Verbindung mit Absicherungsgeschäften und weiteren Verpflichtungen brachten einige Energieversorger in erhebliche Finanzierungsschwierigkeiten. Um die Energieversorgung in Deutschland sicherzustellen, vergab die KfW im Auftrag der Bundesregierung außerordentlich hohe Kredite an einige ausgewählte Unternehmen des Energiesektors. 9 Im Aggregat aller Unternehmenskredite wird dies an dem steilen Anstieg des Beitrags der Bankengruppe "Banken mit Sonder-, Förder- und sonstigen zentralen Unterstützungsaufgaben", zu der die KfW zählt, zur Jahreswachstumsrate der Unternehmenskredite deutlich: Ihr Wachstumsbeitrag stieg im Jahr 2022 um 4½ Prozentpunkte (siehe Schaubild 3.1). Im November 2022 machte er rund ein Drittel der Wachstumsrate aller Unternehmenskredite aus. 

Die Kreditvergabe wurde 2022 auch durch die Nachwirkungen der umfangreichen fiskalpolitischen Stützungsmaßnahmen aus der Anfangsphase der Coronavirus-Pandemie und einer sehr expansiven Geldpolitik gestärkt. 10  Das im Exkurs zum makrofinanziellen Bayesianischen VAR-Modell am Ende des Aufsatzes erläuterte empirische Makromodell zerlegt die Schwankungen des Kreditwachstums um ein langfristiges Gleichgewicht in die Beiträge, die ökonomisch interpretierbaren exogenen Impulsen, das heißt strukturellen Schocks, zugeordnet werden können. Die Analyse führt die Beschleunigung des Kreditwachstums ab Ende 2021 auf eine, aus der Perspektive des Modells, unerwartet starke Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage (positive gesamtwirtschaftliche Nachfrageschocks) und eine nach den ersten Quartalen der Coronavirus-Pandemie ungewöhnlich lockere Geldpolitik (expansive geldpolitische Schocks) zurück (Schaubild 3.17 in diesem Exkurs). Andere strukturelle ökonomische Schocks spielten dagegen für die Kreditentwicklung keine größere Rolle. Die gesamtwirtschaftlichen Nachfrageschocks dürften zumindest zum Teil die umfangreichen fiskalpolitischen Stützungsmaßnahmen in der Pandemie und später die expansive Wirkung der in der Pandemie zurückgestauten Nachfrage widerspiegeln. Der Rückgang des Kreditwachstums ab Mitte 2022 ist den Modellergebnissen zufolge teilweise auf das Auslaufen der stützenden Wirkung der Nachfrageschocks und die im Verlauf des Jahres 2022 restriktiver werdende Geldpolitik zurückzuführen.

Kurzfristig verstärkte auch die Ende 2021 eingeleitete geldpolitische Straffung die Nachfrage nach Bankkrediten. Im Dezember 2021 kündigte der EZB-Rat als Reaktion auf den raschen und kräftigen Anstieg der Inflation im Euroraum das Ende der Nettoankäufe von Wertpapieren an. Dieser geldpolitische Kurswechsel ließ die Zinssätze am Kapitalmarkt deutlich steigen. Auf den Kreditzins der Banken wirkte der geldpolitische Impuls, wie es die historischen Muster erwarten ließen, dagegen erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung. 11 Die unterschiedlich schnelle Zinsreaktion war ein Anreiz für Unternehmen mit Kapitalmarktzugang, sich anstelle von Schuldverschreibungen verstärkt über Buchkredite zu finanzieren. Zudem wurde die Kreditnachfrage dadurch gestärkt, dass manche Unternehmen zur Zinssicherung die Aufnahme von noch relativ günstigen mittel- und langfristigen Bankkrediten in Erwartung steigender Kreditzinsen vorzogen.

4 Anschließende Phase fallender Kreditdynamik

Die ab Herbst 2022 zu beobachtende Abschwächung der Kreditdynamik im Unternehmenssektor ergab sich aus dem Zusammenspiel einer strafferen Kreditangebotspolitik und einer rückläufigen Kreditnachfrage. Die Banken reagierten auf die konjunkturelle Abschwächung und die aufgrund des beschleunigten Preisanstiegs erfolgte geldpolitische Zinswende, indem sie ihre Kreditangebotspolitik sukzessive strafften. Die Unternehmen fragten ihrerseits weniger Kredite nach. Angesichts des steilen Rückgangs des Kreditwachstums und der im Vergleich zur Modellprognose relativ schwachen Kreditdynamik stellt sich allerdings die Frage, ob die Gründe hierfür eher auf der Kreditangebots- oder auf der Kreditnachfrageseite liegen. Eine starke Verknappung des Kreditangebots bringt nämlich das Risiko mit sich, dass sich schwache Kreditvergabe und konjunktureller Abschwung gegenseitig ungewollt verstärken. Auch eine zu schwache Kreditnachfrage könnte sich selbst verstärkende Effekte haben, wenn sie auf einer übermäßigen Verschuldung der Unternehmen basiert und somit eigentlich rentable Investitionen unterbleiben. Dieses Kapitel geht der Frage auf der Basis verschiedener Statistiken und Modellergebnisse nach.

4.1 Erhöhung der Kreditzinsen und Straffung der Kreditangebotspolitik

Dass die Banken ihre Kreditzinsen erhöhen und ihre Kreditangebotspolitik straffen, war angesichts des kräftigen Anstiegs der geldpolitischen Leitzinsen zu erwarten – und von der Geldpolitik intendiert. Fraglich ist aber, ob die Reaktion der Banken vor allem aufgrund des widrigeren Makroumfelds erfolgte oder ob sie in nennenswertem Umfang durch rein bankseitige Faktoren, wie Eigenkapital- oder Liquiditätsbeschränkungen, verstärkt wurde. Letzteres könnte größere Rückkopplungseffekte zwischen dem Finanzsystem und der realwirtschaftlichen Entwicklung auslösen, die die konjunkturelle Abschwächung zusätzlich dämpfen würden. Eine solche Entwicklung würde über das übliche Maß der geldpolitisch intendierten Wirkung hinausgehen und wäre daher unerwünscht. 

Der Anstieg der Zinssätze an den Finanzmärkten veranlasste die Banken, die Zinssätze für Unternehmenskredite deutlich – aber im erwartbaren Rahmen â€“ anzuheben. Seit Beginn der Leitzinserhöhungen im Juli 2022 setzte sich mit jeder Aufwärtsrevision der Zinserhöhungserwartungen auch der Anstieg der Geld- und Kapitalmarktzinsen fort, mit entsprechenden Rückwirkungen auf die Finanzierungkosten der Banken. Diese reagierten ihrerseits mit einer Straffung der Kreditzinsen (Schaubild 3.4). Empirische Modelle auf Basis historischer Zusammenhänge zeigen, dass Änderungen von Marktzinssätzen üblicherweise nahezu vollständig von den Zinssätzen für Unternehmenskredite nachvollzogen werden, wenn auch mit einer gewissen Verzögerung. 12 Zwar begannen die Zinssätze an den Finanzmärkten im November 2023 teilweise wieder etwas zu sinken; der aggregierte Kreditzinssatz hielt sich jedoch bis Mai 2024 weitgehend auf seinem hohen Niveau und wirkte somit weiterhin dämpfend auf die Kreditvergabe. 

Zinssatz für Bankkredite an nichtfinanzielle Unternehmen in Deutschland
Zinssatz für Bankkredite an nichtfinanzielle Unternehmen in Deutschland

Die im BLS erhobenen Angaben deuten darauf hin, dass die Banken auch ihre Kreditvergabepolitik restriktiver gestalteten. Die in der Umfrage zum Kreditgeschäft (BLS) befragten Banken haben die Richtlinien für die Vergabe von Unternehmenskrediten, das heißt ihre internen Kriterien zur Gewährung von Krediten, seit dem ersten Quartal 2022 ununterbrochen gestrafft (Schaubild 3.5). Dabei ließ die Intensität der Straffungen seit der zweiten Jahreshälfte 2023 etwas nach. Der Umfang der insgesamt erfolgten Straffungen war zwar beträchtlich; er blieb aber deutlich hinter den restriktiven Anpassungen während der globalen Finanzkrise zurück. Außerdem legten die Banken auch strengere Maßstäbe bei der Gestaltung ihrer Kreditbedingungen an. Diese äußerten sich etwa in einer Ausweitung der Margen oder erhöhten Sicherheitenerfordernissen. 

Deutschland: Veränderung der Kreditrichtlinien für Unternehmenskredite und ausschlaggebende Faktoren
Deutschland: Veränderung der Kreditrichtlinien für Unternehmenskredite und ausschlaggebende Faktoren

Hauptgrund für die Straffung der Kreditrichtlinien war laut BLS-Angaben der Anstieg der Kreditrisiken auf der Unternehmensseite. So gaben die Umfrageteilnehmer vor allem an, dass sich ihrer Einschätzung nach die Wirtschaftslage und die Konjunkturaussichten eingetrübt hätten. Außerdem hätten branchen- und firmenspezifische Faktoren sowie eine verschlechterte Kreditwürdigkeit der Kreditnehmer zu den Straffungen beigetragen (Exkurs "Zusammenspiel von Kreditrisiken, Bankangebotspolitik und Kreditverhandlungen"). Darüber hinaus berichteten die befragten Banken, dass ihre Risikotoleranz abgenommen habe. Bankseitige Faktoren, die die Refinanzierung und bilanzielle Restriktionen auf Bankseite betreffen, trugen dagegen nach Angaben der befragten Bankmanager insgesamt nur marginal zu den Straffungen der Richtlinien für Unternehmenskredite bei.

Exkurs

Zusammenspiel von Kreditrisiken, Bankangebotspolitik und Kreditverhandlungen

Disaggregierte Daten illustrieren, dass das verschlechterte Makroumfeld zu einem besonders deutlichen Anstieg des Kreditrisikos für Bau- und Immobilienunternehmen sowie für kleinere Unternehmen führte. Daten aus der Kreditdatenstatistik AnaCredit, dem BLS und der BOP-F-Umfrage der Bundesbank deuten darauf hin, dass Banken ihre Kreditvergabepolitik während der geldpolitischen Straffung nach dem Wirtschaftszweig und der Unternehmensgröße der Kreditnehmer differenzierten. Mit Blick auf das Kreditrisiko zeigt die Kreditdatenstatistik AnaCredit, dass das über die jeweiligen Kreditbestände gewichtete durchschnittliche Ausfallrisiko der Unternehmen im Bau- und im Immobiliengewerbe sowie der kleinen Unternehmen in 2023 stärker anstieg als für den Durchschnitt aller Unternehmen (siehe Schaubild 3.6). Gegenüber dem Durchschnitt aller Unternehmen erscheint es bislang aber nicht außergewöhnlich hoch. Im Bau- und im Immobiliengewerbe erklärt sich das erhöhte Kreditrisiko vor dem Hintergrund der Wende am Immobilienmarkt. Sie führte in beiden Wirtschaftszweigen zu einer überdurchschnittlich deutlichen Verschlechterung der Bruttowertschöpfung und einer erhöhten Anzahl von Unternehmensinsolvenzen. Kleine Unternehmen dürften dem aktuell widrigen Geschäftsumfeld aufgrund der geringeren Diversifizierung ihrer Ertragsquellen und eines schlechteren Zugangs zu Kapitalmärkten weniger gut ausweichen können. 

Kreditrisiko bei Buchkrediten deutscher Banken an inländische nichtfinanzielle Unternehmen
Kreditrisiko bei Buchkrediten deutscher Banken an inländische nichtfinanzielle Unternehmen

Die höheren Kreditrisiken schlugen sich zum Teil in einer restriktiveren Kreditangebotspolitik der Banken nieder. Zum einen zeigen empirische Modelle auf Basis historischer Zusammenhänge, dass die Banken die Kreditzinssätze ab Juni 2023 etwas stärker anhoben, als auf Basis der Modelle zu erwarten gewesen wäre. Dies dürfte darauf zurückzuführen sein, dass die Banken in einem Umfeld schwacher wirtschaftlicher Entwicklung und unsicherer Aussichten für die Unternehmen ihre Risikoprämien erhöhten. Zum anderen gaben die im BLS befragten Banken an, die Kreditrichtlinien auch aufgrund von branchen- und firmenspezifischen Faktoren gestrafft zu haben. Insbesondere für Unternehmen der Bauwirtschaft und des Immobiliensektors wurden die Kreditrichtlinien laut Angaben der interviewten Banken seit Mitte 2022 stärker gestrafft als für andere Wirtschaftssektoren (siehe Schaubild 3.7). Für kleine und mittlere Unternehmen berichteten die BLS-Banken dagegen nicht von überdurchschnittlich restriktiven Anpassungen der Richtlinien.

Deutschland: Veränderung der Kreditrichtlinien in den wichtigsten Wirtschaftssektoren
Deutschland: Veränderung der Kreditrichtlinien in den wichtigsten Wirtschaftssektoren

Spiegelbildlich zum BLS berichten auch die in der BOP-F-Umfrage der Bundesbank befragten Unternehmen von verschlechterten Kreditverhandlungen seit Beginn der geldpolitischen Straffung. Die BOP-F-Umfrage zeigt für den gesamten Unternehmenssektor, dass der Anteil der Unternehmen, die einen beantragten Kredit nicht in voller Höhe oder zu schlechteren Konditionen erhalten haben oder deren Kreditverhandlungen ohne Abschluss beendet wurden, seit Beginn der geldpolitischen Straffung gestiegen ist (siehe Schaubild 3.8). 1 Zur besseren Vergleichbarkeit bietet es sich an, die sechs Antwortmöglichkeiten, zwischen denen die Unternehmen bei der Einschätzung ihrer Kreditverhandlungen wählen können, in einem einzigen Indikator zusammenzufassen. In diesen Indikator fließt pro Kreditsegment die Anzahl der gewichteten Antworten „Kredit erhalten, Konditionen wie beantragt“ mit dem Faktor + 1 ein, die Anzahl der gewichteten Antworten „Kredit erhalten, aber in geringerer Höhe und/oder zu schlechteren Konditionen“ mit dem Faktor - 0,5 und die Anzahl der gewichteten Antworten „Kreditverhandlung ohne Abschluss beendet“ mit dem Faktor - 1 ein. 2

Ergebnis der Kreditverhandlungen
Ergebnis der Kreditverhandlungen

Unternehmen aus dem Baugewerbe 3 bewerteten in der BOP-F-Umfrage die Ergebnisse der von ihnen geführten Kreditverhandlungen als zunehmend schlechter, auch im Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen. Während der Kreditverhandlungsindikator Ende 2021 auf eine überdurchschnittlich gute Verhandlungsposition der Baubranche hindeutete, schwächte er sich seitdem zunehmend ab (siehe Schaubild 3.9). Zuletzt lag der Indikatorwert unter dem Durchschnitt aller Wirtschaftszweige.

Die Daten aus der BOP-F-Umfrage deuten dagegen nicht darauf hin, dass die Straffungen des Kreditangebots die Kleinst- und Kleinunternehmen überproportional stark trafen. Seit Beginn der geldpolitischen Straffung zeigt der Kreditverhandlungsindikator für Unternehmen der einzelnen Größenklassen einen grundsätzlich ähnlichen Verlauf, allerdings auf unterschiedlichen Niveaus (siehe Schaubild 3.9). Dies deutet darauf hin, dass die Kreditverhandlungen bei Kleinst- und Kleinunternehmen aus strukturellen Gründen zu aus ihrer Sicht ungünstigeren Ergebnissen führen als bei mittleren oder großen Unternehmen. Während der geldpolitischen Straffung verschoben sich die Niveaus der nach Unternehmensgrößen ermittelten Kreditverhandlungsindikatoren spürbar nach unten. In der Summe lässt sich aus dem Indikator aber keine überproportional starke Straffung im Kreditvergabeverhalten der Banken gegenüber Kleinst- und Kleinunternehmen ableiten.

Kreditverhandlungsindikator
Kreditverhandlungsindikator

Fußnoten
  1. Dabei lag der Anteil der Unternehmen, die sich im Quartal der Befragung in Kreditverhandlungen befanden, seit Beginn der geldpolitischen Straffung relativ stabil bei knapp 15 %.
  2. Die gewichteten Antworten der Unternehmen, deren Kreditverhandlungen zum Zeitpunkt der Befragung noch nicht beendet sind, fließen mit dem Faktor 0 ein. Für die Ermittlung des Indikatorwerts wird pro Quartal und Kreditsegment die mit den entsprechenden Faktoren multiplizierte Summe der einzelnen gewichteten Antworten als Prozentsatz der gewichteten Antworten aller Unternehmen angegeben, die sich während des Quartals in Kreditverhandlungen befanden. 
  3. Gesonderte Angaben zu Unternehmen, die Dienstleistungen aus dem Bereich Wohn- und sonstiges Grundstückswesen anbieten, werden in der BOP-F-Umfrage nicht erhoben.

Von der Unternehmensseite wurden diese Straffungen des Kreditangebots nicht als außergewöhnlich stark wahrgenommen. In den entsprechenden Umfragen des ifo Instituts und der Bundesbank (BOP-F) konstatieren die Unternehmen zwar eine deutliche Verschlechterung des Finanzierungsumfelds. Allerdings wird das Finanzierungsumfeld im Vergleich zu früheren Perioden und zu sonstigen Hindernissen für die Unternehmenstätigkeit (wie Fachkräftemangel oder unzureichende Nachfrage) nicht als auffallend schwierig bewertet.

Die Einschätzung der im BLS befragten Banken, dass bilanzielle Restriktionen aufseiten der Banken derzeit keine größere Rolle für die Unternehmenskreditvergabe spielen, passt zur insgesamt soliden Situation des deutschen Bankensektors. Vor Beginn des geldpolitischen Straffungszyklus gab es kaum Anzeichen dafür, dass bilanzielle Restriktionen auf der Bankseite eine relevante Rolle für die Kreditvergabe gespielt hätten. 13 Die Entwicklungen seit Beginn der Straffungen deuten bislang nicht darauf hin, dass sich an dieser Einschätzung etwas geändert hat. So ist die Liquiditätslage des deutschen Bankensystems nach wie vor gut, und die harte Kernkapitalquote des Sektors stieg tendenziell weiter an. 14 Insgesamt gesehen nahmen auch die von Banken vereinnahmten Zinsüberschüsse bislang zu. Demgegenüber standen allerdings Wertminderungen der gehaltenen Wertpapiere, die sich im Zuge des Zinsanstiegs ergaben und die Ertragslage im Jahr 2022 belasteten. 15 Gleichzeitig materialisierten sich Kreditrisiken bislang nur in moderatem Umfang: Der Anteil notleidender Unternehmenskredite in den Büchern deutscher Banken stieg zwar seit Mitte 2022, liegt aber weiterhin auf einem sehr niedrigen Niveau. 16 Insgesamt ist die derzeitige Lage des Bankensystems in Deutschland als stabil zu bewerten und liefert keine Hinweise auf nennenswerte Einschränkungen des Kreditangebots durch bankseitige Faktoren. 

Empirische Modelle liefern ebenfalls keine Anzeichen für nennenswerte über den Einfluss des geschwächten Makroumfelds hinausgehende restriktive Kreditangebotsschocks. In den letzten beiden Exkursen am Ende des Aufsatzes werden zwei empirische Makro-Modelle vorgestellt, die die Identifikation von Kreditangebotsschocks erlauben. Bei dem ersten Ansatz handelt es sich um das bereits in Kapitel 2 verwendete mittelgroße Makromodell, das auf der Basis monetärer, finanzieller und realwirtschaftlicher Daten die Identifikationen verschiedener für die Kreditvergabe relevanter ökonomischer Schocks ermöglicht (Exkurs zum makrofinanziellen Bayesianischen VAR-Modell). In dem zweiten Modell wird die Kreditvergabe in einem kleineren Modellrahmen untersucht. Dieser verwendet zur Identifikation der Schocks die Einschätzung der BLS-Banken zu Kreditangebot und -nachfrage (Exkurs zur quantitativen Bedeutung von Kreditangebot und -nachfrage). Die Modelle nutzen damit unterschiedliche Informationen. Sie kommen aber beide zu dem Schluss, dass rein bankseitige Faktoren keine größere Relevanz für die starke Abschwächung des Kreditwachstums ab Herbst 2022 und die anschließende Phase sehr niedrigen Wachstums hatten. 

Vielmehr legt die modellbasierte Zerlegung des Kreditwachstums nahe, dass der starke Rückgang von Kreditangebot und Kreditnachfrage ab Herbst 2022 vor allem auf das geschwächte Makroumfeld zurückzuführen ist. Das im Exkurs zur quantitativen Bedeutung von Kreditangebot und -nachfrage vorgestellte Modell zerlegt das Kreditwachstum mithilfe von Beobachtungen aus dem BLS und anderer relevanter Variablen in den Einfluss des Makroumfelds sowie darüber hinaus gehende Kreditangebots- oder Kreditnachfrageeffekte. Die Modellergebnisse deuten darauf hin, dass der steile Rückgang des Kreditwachstums ab dem vierten Quartal 2022 vor allem durch die Verschlechterung des makroökonomischen Umfelds erklärt werden kann (siehe Schaubild 3.18 in diesem Exkurs). Das Modell identifiziert zudem ab Ende 2020 durchgängig negative Kreditnachfrageschocks; ihr Umfang und damit ihre quantitative Bedeutung für das Kreditwachstum sind jedoch relativ gering. 

4.2 Abschwächung der Kreditnachfrage vor allem aufgrund des verschlechterten Makroumfelds

Die Schwäche der Kreditnachfrage ergab sich durch das Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Die Hinweise des im Exkurs zur quantitativen Bedeutung von Kreditangebot und -nachfrage vorgestellten Modells auf die Existenz negativer Kreditnachfrageschocks passen zu den in Kapitel 2 dargestellten Prognosesimulationen, nach denen die Kreditdynamik ab Mitte 2023 relativ schwach war. Im Folgenden werden die einzelnen Faktoren dargestellt, die die Kreditnachfrage der Unternehmen gedämpft haben. Dabei wird zum einen die Bedeutung der makroökonomischen Entwicklung für den Unternehmenssektor als Ganzen aufgezeigt. Zum anderen wird die Rolle der alternativen Finanzierungsmöglichkeiten im Unternehmenssektor betrachtet und ein disaggregierter Blick auf die Unternehmen und ihre wirtschaftlichen Rahmenbedingungen geworfen. Insgesamt gesehen zeigt sich, dass auch der Rückgang der Kreditnachfrage weitgehend vom geschwächten Makroumfeld bestimmt wurde. 

Einen guten Ãœberblick zu den Bestimmungsfaktoren der Kreditnachfrage liefert der BLS: Die befragten Banken führen den Rückgang der Kreditnachfrage ab Herbst 2022 vor allem auf die abnehmende Investitionsbereitschaft und den Anstieg des Zinsniveaus zurück. Des Weiteren gab es Hinweise einiger im BLS befragter Banken, dass auch die Unsicherheit über die wirtschaftlichen Aussichten in Deutschland und die Geopolitik im Allgemeinen die Kreditnachfrage der Unternehmen bremste. 17 Die Abschwächung der Kreditnachfrage ist im aktuellen Straffungszyklus nach Ansicht der BLS-Banken weitaus deutlicher als während der globalen Finanzkrise und als in den Jahren 2012 und 2013, in denen sich die Kreditdynamik im Gefolge der Staatsschuldenkrise abkühlte (Schaubild 3.10). 

Deutschland: Veränderung der Nachfrage nach Unternehmenskrediten und ausschlaggebende Faktoren
Deutschland: Veränderung der Nachfrage nach Unternehmenskrediten und ausschlaggebende Faktoren

Die abnehmende Investitionsbereitschaft ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Auswirkungen des verschlechterten Makroumfelds den Unternehmenssektor in Deutschland vergleichsweise hart trafen. 18 Zwar belasteten die stark gestiegenen Energiekosten und die schwache Auslandsnachfrage die Industrieproduktion im gesamten Euroraum. In Deutschland traf der Energiepreisschock die industriebasierte Wirtschaft mit ihrer hohen Abhängigkeit von importierten Energierohstoffen aber besonders heftig. Auch die Schwäche des Welthandels war in Deutschland aufgrund der ausgeprägten Exportorientierung der Unternehmen stärker spürbar. Mit der Zunahme der geopolitischen Spannungen stieg außerdem die Unsicherheit der Unternehmen im Hinblick auf die künftige Energieversorgung und ihre Kosten sowie auf Störungen internationaler Handelsverflechtungen. Unsicherheit bestand zudem über die Herausforderungen, die die grüne und digitale Transformation sowie der demografische Wandel an die Unternehmen und die Politik stellen. 

Zudem führte auch der kräftige Anstieg des Zinsniveaus zu einem Aufschub von Investitionen im Aggregat. Im Dezember 2023 gaben die vom ifo Institut befragten Unternehmen an, ihre ursprünglich geplanten Investitionen in den vergangenen eineinhalb Jahren aufgrund des erhöhten Zinsniveaus um 8,4 % im Durchschnitt reduziert zu haben. 19 Diese Anpassungen waren aber nicht gleichmäßig über den Unternehmenssektor verteilt: Es zeigte sich vielmehr, dass 80 % der befragten Unternehmen ihre Investitionspläne überhaupt nicht anpassten. Dagegen haben Unternehmen, die sich für eine Anpassung ihrer Investitionspläne entschieden, diese typischerweise in größerem Umfang reduziert. Hierzu passen die Ergebnisse der BOP-F-Umfrage der Bundesbank. Gemäß dieser Umfrage haben etwa 15 % der befragten Unternehmen ihre Ausgaben für Innovationen in 2022 und 2023 aufgrund der Zinserhöhungen der EZB um 50 % oder mehr reduziert. Darüber hinaus deuten die Antworten darauf hin, dass der Effekt mit steigender Verschuldung der Unternehmen zunahm (Schaubild 3.11). Auch auf Investitionen verzichteten höher verschuldete Unternehmen überproportional stark. 20 Dies erklärt sich durch den höheren Schuldendienst und die damit zunehmende Relevanz von Zinsänderungen im Falle von Kreditneuaufnahmen oder Zinsanpassungen.

Aufschub von Investitionen und Innovationen nach Höhe der Unternehmensverschuldung
Aufschub von Investitionen und Innovationen nach Höhe der Unternehmensverschuldung

Die Nachfrage nach Bankkrediten wurde auch dadurch geschwächt, dass die Unternehmen im Aggregat auf nennenswerte Liquiditätspuffer als alternative Finanzierungsmittel zurückgreifen konnten. Der Sektor der nichtfinanziellen Unternehmen ging mit ausreichenden Liquiditätspuffern in die Zinsstraffungsphase hinein, nicht zuletzt infolge der umfangreichen staatlichen Coronahilfen. Ein nennenswerter Teil dieser Puffer ist auch aktuell noch vorhanden. Darüber hinaus konnten die nichtfinanziellen Unternehmen im Aggregat 2022 und wohl auch 2023 hohe Gewinne erzielen: In einem Umfeld einer auch aufgrund von Nachholeffekten nach der Pandemie kräftigen Nachfrage und angebotsseitigen Einschränkungen, etwa aufgrund von Lieferengpässen, gelang es den Unternehmen, ihre Gewinnmargen auszuweiten. Teile des Unternehmenssektors erwirtschafteten ein Umsatzplus, das deutlich über den zeitlich verzögerten Anstieg der Arbeitnehmerentgelte hinausging. 21 Die Gewinne stärkten für sich genommen die Innenfinanzierungsspielräume der betroffenen Unternehmen. In der Summe reichten diese seit Anfang 2022 weitestgehend aus, um die in den letzten Jahren eher schwachen Investitionen zu finanzieren (Schaubild 3.12). 

Schuldenverwendung und Innenfinanzierung nichtfinanzieller Unternehmen in Deutschland
Schuldenverwendung und Innenfinanzierung nichtfinanzieller Unternehmen in Deutschland

Ferner dämpfte auch die Rückzahlung der während der Energiekrise 2022 in großem Umfang gewährten kurzfristigen Kredite die Kreditvergabe. 22 Mit dem Abklingen der Spannungen an den Energiemärkten war die staatliche Unterstützung ausgewählter Energieversorger zunehmend weniger erforderlich. Ein Großteil der gewährten Kredite wurde zeitnah zurückgezahlt; bis Ende des ersten Quartals 2024 wurden die letzten dieser staatlichen Energiehilfen getilgt. 23 Außerdem ließen die globalen Lieferkettenprobleme seit Mitte 2022 nach, und die Vorleistungs- und Lagerhaltungskosten gingen wieder zurück. Infolgedessen normalisierte sich der Bedarf an kurzfristigen Finanzmitteln im gesamten Unternehmenssektor, sodass die Tilgungen kurzfristiger Kredite 2023 überdurchschnittlich hoch waren. 

Die Identifizierung des verschlechterten Makroumfelds als dem wesentlichen Treiber der Kreditschwäche passt zum breit angelegten Rückgang der Kreditvergabe. Die Nettokreditvergabe der Banken schwächte sich seit Ende 2022 über alle Bankengruppen, Kreditlaufzeiten und Wirtschaftszweige ab (Schaubilder 3.1, 3.3 und 3.13). Auch wenn es einzelne Kreditsegmente gab, in denen der Rückgang weniger stark ausfiel, betraf der allgemeine Abwärtstrend alle Segmente. Ein ähnliches Bild ergibt sich für die gesamte Außenfinanzierung der Unternehmen: Ab Ende 2022 nahmen deutsche Unternehmen nicht nur weniger Kredite bei deutschen Banken auf, sondern schränkten auch ihre Mittelaufnahme über Kredite von anderen Sektoren sowie über Schuldverschreibungen, Aktien und sonstige Anteilsrechte deutlich ein.

Außenfinanzierung der nichtfinanziellen Unternehmen in Deutschland
Außenfinanzierung der nichtfinanziellen Unternehmen in Deutschland

Obwohl sich die Kreditnachfrage in der Breite abschwächte, zeigt ein disaggregierter Blick auf die Kreditdaten, dass einzelne Wirtschaftszweige durchaus unterschiedlich betroffen waren. Besonders stark ging die Kreditvergabe an das Verarbeitende Gewerbe zurück, insbesondere an den Maschinen- und Fahrzeugbau und an die Chemische Industrie. Dies passt zur Abschwächung der Industriekonjunktur in Deutschland.

Dagegen traf das veränderte Zinsumfeld die nominale Kreditnachfrage im Bau- und Immobiliensektor 24 weniger kräftig als erwartet. Die stark gestiegenen Bau- und Finanzierungskosten leiteten nach einem langjährigen Aufschwung eine zyklische Wende am Immobilienmarkt ein; die Jahreswachstumsrate der realen privaten Bauinvestitionen fiel 2021 in den negativen Bereich und blieb dort bis Jahresende 2023. Im Einklang damit beobachteten die BLS-Banken seit Mitte 2022 einen überdurchschnittlich deutlichen Rückgang der Kreditnachfrage bei Unternehmen der Bauwirtschaft und des Immobiliensektors. Dem negativen Einfluss der Zinswende auf die Kreditnachfrage des Bau- und Immobiliensektors stand aber ein kräftiger Anstieg der Baukosten gegenüber. So fiel der Anstieg der Material- und Lohnkosten im Baugewerbe in diesem Zeitraum besonders stark aus, auch im Vergleich zu den für die übrigen Bruttoanlageinvestitionen relevanten Kosten. Sichtbar wird dies an der Schere zwischen dem Wachstum der realen und der nominalen Bauinvestitionen (Schaubild 3.14). Der starke Preisanstieg hielt die nominalen Bauinvestitionen bis ins Jahr 2023 auf einem relativ hohen Niveau; dies übertrug sich auf die von dem Sektor nachgefragten nominalen Kreditvolumina. Im Ergebnis brachen die an den Bau- und Immobiliensektor gewährten Kreditvolumina weniger stark ein als in anderen Wirtschaftszweigen. 25  

Bruttoanlageinvestitionen des Privatsektors in Deutschland
Bruttoanlageinvestitionen des Privatsektors in Deutschland

5 Fazit und Ausblick

Trotz der Zinswende beschleunigte sich im Jahr 2022 das Kreditwachstum wegen staatlicher Hilfskredite an Energieversorger und anderer Sonderfaktoren. Obwohl die Geldpolitik auf den Inflationsschub mit einer kräftigen Straffung reagierte, zog die Kreditvergabe an nichtfinanzielle Unternehmen bis Oktober 2022 zunächst weiter kräftig an. Ein wesentlicher Faktor hierfür waren die im Jahr 2022 vergebenen staatlichen Stützungskredite an ausgewählte Energieversorger infolge des Krieges Russlands gegen die Ukraine. Zudem erhöhten die 2022 stark gestiegenen Vorleistungs- und Lagerhaltungskosten den Bedarf an kurzfristigen Finanzmitteln im gesamten Unternehmenssektor. Weitere positive Impulse kamen von den Nachwirkungen der fiskal- und geldpolitischen Stützungsmaßnahmen aus der Coronavirus-Pandemie. 

Im Einklang mit dem verschlechterten konjunkturellen Umfeld und dem geldpolitisch induzierten Zinsanstieg setzte der Abschwung der Nettokreditvergabe Ende 2022 ein. Modellbasierte Analysen weisen darauf hin, dass der Rückgang von Kreditangebot und -nachfrage vor allem auf das widrige Makroumfeld zurückzuführen war und grundsätzlich im Einklang mit historischen Mustern stand. So waren vor allem die anhaltend schwache private Investitionstätigkeit und die hohen Finanzierungskosten ausschlaggebend für die Abschwächung der Kreditnachfrage. Hinzu kamen die im Unternehmenssektor im Aggregat ausreichend vorhandenen internen Finanzierungsmittel sowie eine erhöhte Unsicherheit über mögliche geopolitische Konflikte und den Umgang mit Strukturproblemen in Deutschland, die die Investitionsbereitschaft der Unternehmen dämpfte. Die deutliche Straffung der Kreditangebotspolitik kann mit dem schnellen und kräftigen Zinsanstieg sowie dem konjunkturell bedingt gestiegenen Kreditrisiko auf der Unternehmensseite erklärt werden. Die Lage des deutschen Bankensystems ist weiterhin als stabil zu bewerten. Auch Modellergebnisse liefern keine Hinweise für eine nennenswerte über den Einfluss des widrigen Makroumfelds hinausgehende Einschränkung des Kreditangebots durch bankseitige Faktoren, die die Refinanzierung und bilanzielle Restriktionen auf Bankseite betreffen. 

Ein allmählicher Wiederanstieg der Kreditvergabe wird im Laufe dieses Jahres erwartet. In den letzten Monaten stagnierte die Nettokreditvergabe der Banken an die Unternehmen weitgehend. Im Kreditneugeschäft, das heißt bei den neu getroffenen Kreditvereinbarungen, ohne Berücksichtigung von Tilgungen, war zuletzt eine leichte Stärkung der Kreditvergabe zu beobachten. Die im BLS befragten Banken beobachteten im zweiten Quartal 2024 erstmals seit 2022 wieder einen Anstieg der Nachfrage nach Unternehmenskrediten, der sich ihrer Erwartung nach im dritten Quartal fortsetzen wird. Unsere aktuelle Prognose für die Unternehmenskredite erwartet ab der zweiten Jahreshälfte 2024 ebenfalls eine Belebung; der prognostizierte Anstieg der Jahreswachstumsrate verläuft allerdings langsam (siehe Exkurs zu den Kreditprognosen). 

Der prognostizierte allmähliche Anstieg der Kreditvergabe basiert auf der Annahme einer schrittweisen Verbesserung des Makroumfelds. Nach rund zweijähriger konjunktureller Schwächephase fasst die deutsche Wirtschaft langsam wieder Tritt: 26 Der erwartete Anstieg der Auslandsnachfrage sollte die Exportwirtschaft stimulieren. Der private Konsum dürfte sich erholen. Zudem beruht die aktuelle Deutschland-Prognose auf der Annahme, dass eine graduelle Rücknahme der Zinserhöhungen sich positiv auf das Finanzierungsumfeld der Unternehmen auswirkt. Dennoch werden spürbare Wachstumsimpulse durch die privaten Investitionen erst im Jahr 2026 erwartet. Daher ist davon auszugehen, dass die Nettokreditvergabe nur langsam wieder ansteigt. Hinzu kommt, dass die derzeit erhöhte Unsicherheit, die für die Unternehmen mit Blick auf die zukünftigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und den Strukturwandel besteht, zunächst weiter andauern dürfte. 

Empirische Analysen legen nahe, dass die Kreditnachfrage bei anziehender Konjunktur nicht sofort steigen wird. In der Vergangenheit wies das Kreditwachstum meist einen Nachlauf gegenüber dem BIP-Wachstum und den Investitionen auf, der zwischen zwei und sechs Quartale betrug. 27 Dieser Nachlauf kann mit der Rolle der Innenfinanzierung erklärt werden: Im Konjunkturaufschwung können Unternehmen ihren Finanzierungsbedarf zunächst aus selbst erwirtschafteten Mitteln decken. Daher fragen sie Kredite oft erst mit Verzögerung nach. Da die deutschen Unternehmen im Aggregat aktuell noch über nennenswerte interne Finanzierungsmittel verfügen, dürfte das Kreditwachstum auch im konjunkturellen Aufschwung nur schrittweise anziehen.

Die robuste finanzielle Lage des deutschen Bankensektors lässt aktuell nicht erwarten, dass größere bankseitige Beschränkungen die Erholung der Kreditvergabe dämpfen werden. Sollte sich das konjunkturelle Umfeld aufhellen, hätte dies auch einen positiven Einfluss auf die weitere Entwicklung der Kreditrisiken. Diese erscheinen zurzeit nur punktuell in Teilbereichen der Gewerbeimmobilienfinanzierungen bedeutsam. Zudem kann die Verschuldungslage des deutschen Unternehmenssektors laut den Daten der Finanzierungsrechnung weiterhin als solide beurteilt werden. Ein sinkendes Zinsniveau würde gerade auch bei den Kreditrisiken im Bereich der Gewerbeimmobilien graduell zu Entlastungen führen. 

Exkurs

Kreditprognosen

Prognosen der künftigen Kreditentwicklung

Für eine breitere Einschätzung der Kreditdynamik werden in der Bundesbank regelmäßig auch Kreditprognosen für die kommenden Quartale erstellt. Diese  Prognosen erfolgen auf Basis zweier Varianten eines sparsam spezifizierten Bayesianischen vektorautoregressives Modells (BVAR) in Niveaus, das auf Giannone et al. (2015) 1 zurückgeht und die Prognosegüte in den Vordergrund stellt. Die erste Variante enthält neben den Buchkrediten an nichtfinanzielle Unternehmen die Investitionsquote (definiert als Quotient aus privaten Anlageinvestitionen und dem BIP), den Renditeabstand zwischen den langfristigen Unternehmens- und Staatsanleihen und den langfristigen Zinssatz für Unternehmenskredite. In der zweiten Variante werden zusätzlich noch die kumulierten BLS-Richtlinien in das Modell einbezogen. 2 Das BVAR wird mit vier Lags spezifiziert. Sowohl die Auswahl der Modellvariablen als auch die Bestimmung der Lag-Struktur erfolgte durch eine Prognoseevaluierung. 

Die Schätzung der Modellparameter erfolgt bis zum jeweiligen Datenrand, aktuell das erste Quartal 2024. Für die darauffolgenden Quartale werden anschließend zu jedem Zeitpunkt Prognosen erstellt. Diese erfolgen bedingt auf die Konjunkturprognose der Bundesbank für die deutsche Wirtschaft, die jeweils im Juni und im Dezember veröffentlicht wird. 3 Allen Projektionen in diesem Aufsatz liegen Daten zugrunde, die am 21. Mai 2024 verfügbar waren. Das Schaubild 3.15 zeigt die auf diesen Daten basierenden Kreditprognosen. Die grauen und die blauen Pfade repräsentieren die hier verwendeten zwei Modellvarianten mit und ohne die Berücksichtigung der BLS-Richtlinien. Demnach lassen beide Schätzvarianten eine langsame Erholung der Kreditdynamik ab der zweiten Jahreshälfte 2024 erwarten. Der prognostizierte Anstieg des Kreditwachstums erfolgt aber graduell; die Jahreswachstumsraten liegen bei mittleren Prognosehorizonten (im Jahr 2025) in einem Bereich zwischen 2 % und 3 %. Gleichzeitig spiegeln die teilweise sehr breiten Bänder die beträchtliche Unsicherheit wider, die mit den Prognosen verbunden ist. Insgesamt stehen diese aber im Einklang mit den aktuell herrschenden Erwartungen bezüglich des Wirtschaftsausblicks. 4

Bedingte Prognose der Jahreswachstumsrate der Buchkredite an nichtfinanzielle Unternehmen in Deutschland
Bedingte Prognose der Jahreswachstumsrate der Buchkredite an nichtfinanzielle Unternehmen in Deutschland

Prognose einer hypothetischen Kreditentwicklung

Das Prognosemodell kann auch für hypothetische Simulationen verwendet werden, das heißt für Simulationen einer aus Modellzusammenhängen abgeleiteten Kreditentwicklung. In Kapitel 2 des Aufsatzes wird das seit Anfang 2022 beobachtete Kreditwachstum mit einer hypothetischen Kreditentwicklung verglichen, die auf Basis der Variante des Prognosemodells, die auch die BLS-Richtlinien enthält, berechnet wurde. Zu diesem Zweck wird das oben beschriebene Modell für den Zeitraum von Anfang 1991 bis Ende 2021 geschätzt. Für den Zeitraum ab Anfang 2022 wird dann die Kreditentwicklung beruhend auf historischen Zusammenhängen zwischen den Modellvariablen und der tatsächlichen Entwicklung der erklärenden Variablen bis zum aktuellen Datenrand prognostiziert. Die Prognosen erfolgen also bedingt auf die Realisierungen der Investitionsquote, der Renditedifferenz, des Kreditzinses sowie der BLS-Richtlinien. Um die mit der Prognose verbundene Unsicherheit aufzuzeigen, wird zusätzlich zum Median das Unsicherheitsband (2,5 %- bis 97,5 %-Perzentil) dargestellt.

Demnach stand das tatsächliche Kreditwachstum im betrachteten Zeitraum weitgehend im Einklang mit der Modellprognose, obgleich es in einzelnen Quartalen durchaus zu Abweichungen kam. Im Schaubild 3.2 in Kapitel 2 repräsentiert die schwarze Linie das tatsächliche Kreditwachstum. Die blaue Linie zeigt den Median der Verteilung der bedingten Prognosen. 5 Der schattierte Bereich zeigt die Streuung der simulierten Prognoseverteilung und gibt die mit den Prognosen verbundene Unsicherheit wieder. Die graue Linie repräsentiert die um die KfW-Hilfskredite bereinigte Kreditwachstumsrate. 6 Da diese Kredite sehr großvolumig waren und überwiegend kürzere Laufzeiten hatten, führten sie temporär zu den größeren Auf- und Abschlägen in der tatsächlichen Kreditvergabe. Als kurzfristig eingeführte staatliche Stützungsmaßnahme hatten sie einen exogenen Charakter und stellten insofern einen Sondereinfluss auf die Kreditvergabe dar. Das um diesen Sondereinfluss bereinigte Kreditwachstum verlief im ganzen Simulationszeitraum innerhalb des Unsicherheitsbandes und war somit mit den vor dem Jahr 2022 geltenden Modellzusammenhängen vereinbar. 

Fußnoten
  1. Für die Beschreibung des Ansatzes vgl.: Giannone et al. (2015).
  2. Die Daten für die BLS-Kreditrichtlinien sind erst ab dem vierten Quartal 2002 verfügbar. Um eine Schätzung für den längeren Zeitraum ab 1991 zu ermöglichen, werden die BLS-Richtlinien auf Basis von Unternehmensinsolvenzen zurückgeschrieben, vgl. hierzu: Deutsche Bundesbank (2022b). 
  3. Vgl.: Deutsche Bundesbank (2024b). Zur Berechnung der bedingten Prognosen vgl.: Bańbura et al. (2015).
  4. Vgl.: Deutsche Bundesbank (2024b).
  5. Zur besseren Veranschaulichung werden die Prognosen für die Niveaus der Buchkredite anschließend in Jahreswachstumsraten umgerechnet.
  6. Siehe Erläuterungen in Kapitel 3.

 

Exkurs

Analyse der Buchkredite an nichtfinanzielle Unternehmen in Deutschland anhand eines makrofinanziellen Bayesianischen VAR-Modells

Die Entwicklung der Buchkredite an nichtfinanzielle Unternehmen in Deutschland wird mithilfe eines vektorautoregressiven (VAR) Modells untersucht, das die Interaktion einer Reihe realwirtschaftlicher und finanzieller Variablen beschreibt. Das Modell enthält vierteljährliche Beobachtungen von zehn Variablen: Es umfasst das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland und im Rest des Euroraums, den harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) in Deutschland und im Rest des Euroraums, die Buchkredite an nichtfinanzielle Unternehmen in Deutschland, den Kreditzins (Neugeschäft), den deutschen Beitrag zur Geldmenge M3 und die Rendite deutscher Staatsanleihen mit fünfjähriger Restlaufzeit. Um sowohl konventionelle als auch unkonventionelle geldpolitische Maßnahmen zu erfassen, wird der Schattenzins von Geiger und Schupp (2018) als geldpolitischer Indikator verwendet und in die Vergangenheit beziehungsweise Gegenwart mit dem Zinssatz für Übernachtkredite auf dem Interbankenmarkt (EONIA beziehungsweise €STR) verlängert. Zur Kontrolle für mögliche Spillover-Effekte der US-Geldpolitik enthält das Modell außerdem die Rendite von US-Staatsanleihen mit fünfjähriger Restlaufzeit. 1 Alle Variablen gehen mit fünf Verzögerungen in das Modell ein, die Zinssätze als Dezimalzahlen, die anderen Variablen in logarithmierten Niveaus. 2

Aus dem Vergleich der Verteilung bedingter Simulation mit dem tatsächlichen Kreditwachstum kann man Anhaltspunkte dafür gewinnen, ob das Kreditwachstum im Simulationszeitraum auffällig von den in der Modellschätzung erfassten Zusammenhängen abgewichen ist. Schaubild 3.16 zeigt neben der tatsächlichen Jahreswachstumsrate der Unternehmenskredite ausgewählte Perzentile der Wahrscheinlichkeitsverteilung von bedingten Simulationen der Kreditwachstumsrate beginnend im ersten Quartal 2022. Diese Simulationen beruhen auf den für den Zeitraum von Anfang 1999 bis Ende 2021 geschätzten Modellparametern und sind bedingt auf die tatsächlich eingetretene Entwicklung des realen BIP und des HVPI in Deutschland und im Rest des Euroraums, der Staatsanleiherenditen und des geldpolitischen Indikators bis zum Ende des ersten Quartals 2024. 3

Ende 2023 und Anfang 2024 weicht das Kreditwachstum nicht stark von den Simulationen ab, nachdem es 2022 deutlich darüber gelegen hatte. Das tatsächliche Kreditwachstum übertrifft die Simulation vom zweiten bis zum vierten Quartal 2022 deutlich und sinkt danach in den unteren Rand der simulierten Verteilung ab. 4 In den letzten beiden Quartalen liegt es in der Nähe des 25. Perzentils der simulierten Verteilung. Sowohl die Abweichung nach oben, als auch nach unten kann zum Teil auf die Sonderkredite der KfW und deren spätere Tilgung zurückgeführt werden. Der Analyse zufolge erscheint die Dynamik der Unternehmenskredite in Deutschland bedingt auf das makroökonomische Umfeld insgesamt nicht ungewöhnlich. 5

Die Identifikation struktureller ökonomischer Schocks erlaubt eine Zerlegung der Schwankungen des Kreditwachstums in ihre ökonomischen interpretierbaren Bestimmungsfaktoren. Der Vergleich der tatsächlichen Kreditwachstumsrate mit den bedingten Simulationen erlaubt keine direkten Aussagen darüber, welche ökonomischen Bestimmungsfaktoren hinter beobachteten Abweichungen stehen, da die Simulationen auf der reduzierten Form des VAR-Modells beruhen. Schwankungen der Unternehmenskredite um ihren langfristigen Trend sind das Ergebnis struktureller, ökonomisch interpretierbarer Schocks. Diese sind als Linearkombinationen in den Residuen des VAR-Modells enthalten und können mithilfe zusätzlicher Annahmen identifiziert werden. In der vorliegenden Analyse beruht die Identifikation auf Vorzeichenrestriktionen, das heißt auf theoretisch fundierten Annahmen darüber, mit welchem Vorzeichen bestimmte Variablen auf strukturelle Schocks reagieren. 6 Es werden fünf strukturelle Schocks identifiziert, ein gesamtwirtschaftlicher Nachfrageschock, ein gesamtwirtschaftlicher Angebotsschock, ein Kreditangebotsschock, ein geldpolitischer Schock und ein Geldnachfrageschock. Die Identifikationsannahmen orientieren sich an jenen in Deutsche Bundesbank (2023b) und sind in Tabelle 3.1 zusammengefasst. Die Analyse berücksichtigt, dass die Geldpolitik des Eurosystems auf die wirtschaftliche Entwicklung im gesamten Euroraum und nicht nur in Deutschland reagiert. Um die geldpolitische Reaktionsfunktion des Eurosystems hinreichend gut zu erfassen, enthält das Modell das reale BIP und den HVPI nicht nur von Deutschland, sondern auch vom Rest des Euroraums. 7 Bei der Identifikation des geldpolitischen Schocks wird angenommen, dass nach einer Erhöhung des geldpolitischen Zinses reales BIP und HVPI nicht nur in Deutschland, sondern auch im Rest des Euroraums sinken. 8 Für die anderen Schocks werden den Variablen für den Rest des Euroraums keine Restriktionen auferlegt. Damit lässt die Analyse offen, ob es sich bei den anderen Schocks um für Deutschland spezifische oder den Euroraum insgesamt betreffende Schocks handelt. Für diese Analyse wird die Schätzperiode bis zum ersten Quartal 2024 verlängert.

Die Beschleunigung des Kreditwachstums ab Ende 2021 und sein anschließender Rückgang werden vom Modell auf die Wirkung gesamtwirtschaftlicher Nachfrageschocks und geldpolitischer Schocks zurückgeführt. Schaubild 3.17 zeigt die Zerlegung der Abweichungen der Kreditwachstumsrate von einem hypothetischen Szenario, in dem von 2019 an Schocks eingetreten wären, in die Beiträge der identifizierten strukturellen Schocks. "Andere" fasst die Beiträge der verbleibenden fünf nicht identifizierten und damit nicht interpretierbaren Schocks zusammen. 9 In der Aufschwungphase ab Mitte 2021 wird das Kreditwachstum positiv beeinflusst von gesamtwirtschaftlichen Nachfrageschocks und expansiven Geldpolitikschocks. 10 Der Rückgang des Kreditwachstums ab Mitte 2022 ist der Analyse zufolge teilweise auf das Auslaufen der stützenden Wirkung dieser Schocks zurückzuführen. Die Ergebnisse liefern keine Anhaltspunkte für eine bedeutende Rolle von Kreditangebotsschocks für das Kreditwachstum in dem betrachteten Zeitraum. Im Unterschied zu den Ergebnissen für den Euroraum in Deutsche Bundesbank (2023a) spielten Geldnachfrageschocks während der Coronavirus-Pandemie in Deutschland auch keine bedeutende Rolle. 11

Tabelle 3.1: Vorzeichenrestriktionen für Schockidentifikation1)

Variable

Schock
gesamt­wirtschaft­liche Nachfragegesamt­wirtschaft­liches AngebotKreditangebotGeldpolitikGeldnachfrage
Deutschland
reales BIP

+

–

+

–

–

HVPI

+

+

.

–

–

Kredite

+

.

+

–

.

Kreditzins

+

.

–

+

.

Staats­anleihe­rendite

.

.

.

.

+

Geldmenge

+

.

+

–

+

Euroraum
Schatten­zins/Geld­markt­zins

+

+

+

+

–

reales BIP (ohne Deutschland)

.

.

.

–

.

HVPI (ohne Deutschland)

.

.

.

–

.

Sonstige

 

US-Staats­anleihe­rendite

.

.

.

.

.

1 Die Restriktionen gelten für die Periode, in der der Schock eintritt. Ein Punkt bedeutet, dass für die betreffende Variable keine Annahme über die Richtung des Effekts des in der Spalte angegebenen Schocks getroffen wird.

Bedingte Prognose der Jahreswachstumsrate der Buchkredite an nichtfinanzielle Unternehmen
Bedingte Prognose der Jahreswachstumsrate der Buchkredite an nichtfinanzielle Unternehmen

Schockzerlegung der Jahreswachstumsrate der Buchkredite an nichtfinanzielle Unternehmen
Schockzerlegung der Jahreswachstumsrate der Buchkredite an nichtfinanzielle Unternehmen

Fußnoten
  1. Das Modell entspricht weitgehend jenem in Deutsche Bundesbank (2020), enthält jedoch zusätzlich den deutschen Beitrag zu M3, um einen Vergleich der Rolle von Geldnachfrageschocks in der Coronavirus-Pandemie mit den Ergebnissen für den Euroraum in Deutsche Bundesbank (2023a) zu ermöglichen.
  2. Die Schätzung erfolgt mit dem Bayesianischen Ansatz von: Giannone et al. (2015). Die Modellierung der erhöhten Varianz während der Coronavirus-Pandemie folgt: Lenza und Primiceri (2022).
  3. Der Simulationsansatz folgt: Bańbura et al. (2015).
  4. Verglichen mit der Simulation in Schaubild 3.2 ist die Verteilung der Simulationen insbesondere zum Ende des Simulationszeitraums hin breiter. Dies liegt unter anderem an der mit der deutlich größeren Zahl an Variablen verbundenen erhöhten Schätzunsicherheit.
  5. Allerdings spielen Episoden mit relativ hohen Inflationsraten, wie im Simulationszeitraum, im Schätzzeitraum nur eine vergleichsweise geringe Rolle. Dies könnte dazu führen, dass das Modell die Zusammenhänge zwischen den Variablen in einem Regime mit erhöhten Inflationsraten und einer bedeutenden Rolle angebotsseitiger Schocks nicht korrekt widerspiegelt.
  6. Siehe: Arias et al. (2018).
  7. Siehe: Mandler und Scharnagl (2020).
  8. Außerdem wird angenommen, dass die Koeffizienten von BIP und HVPI in der Gleichung des geldpolitischen Indikators positiv sind, das heißt, dass das Eurosystem auf einen Anstieg des BIP oder des Preisniveaus mit einer restriktiveren Geldpolitik reagiert. Siehe: Arias et al. (2019).
  9. Die Analyse liefert statistische Verteilungen der Beiträge der Schocks und der Abweichung der tatsächlichen Kreditwachstumsrate von der hypothetischen Modellsimulation ohne Schocks (unbedingte Prognose). Das Schaubild stellt von allen diesen Verteilungen jeweils den Median dar. Eine Differenz zwischen der schwarzen Linie, dem Median der Differenz der unbedingten Prognose und der Summe der Median-Beiträge der Schocks ist darauf zurückzuführen, dass der Median einer Summe nicht notwendigerweise gleich der Summe der Mediane der Summanden ist.
  10. Die geschätzte Modellgleichung für den geldpolitischen Indikator hätte eine noch viel expansivere Geldpolitik als Reaktion auf den heftigen BIP-Rückgang während der Coronavirus-Pandemie im ersten Quartal 2020 verlangt, als dies tatsächlich der Fall war. Eine wie vom Modell vorhergesagte Lockerung der Geldpolitik wäre aufgrund der effektiven Zinsuntergrenze und Grenzen für mögliche geldpolitische Ankaufprogramme vermutlich gar nicht möglich gewesen. Das Modell diagnostiziert deshalb einen restriktiven geldpolitischen Schock zu diesem Zeitpunkt, gefolgt von einem etwas weniger ausgeprägten expansiven geldpolitischen Schock im zweiten Quartal, als sich das BIP wieder teilweise erholte. In der Schockzerlegung überwiegt über das Jahr 2020 der Effekt des ersten, restriktiven geldpolitischen Schocks. Vgl.: Fußnote 35 in Deutsche Bundesbank (2023a).
  11. Dies gilt auch für die Zerlegung der anderen Variablen, insbesondere für die Geldmenge M3. Die Ergebnisse hinsichtlich der Rolle gesamtwirtschaftlicher Nachfrageschocks und geldpolitischer Schocks sind dagegen ähnlich jenen für den Euroraum in: Deutsche Bundesbank (2023a).

 

Exkurs

Die quantitative Bedeutung von Kreditangebot und Kreditnachfrage für das Kreditwachstum

Zur Identifikation von Kreditangebot und Kreditnachfrage als Triebfedern des Kreditwachstums ist eine modellbasierte Analyse nötig. Der im Folgenden beschriebene Ansatz verbindet die Informationen zur Entwicklung der Kreditvolumina aus der Bilanzstatistik der Monetären Finanzinstitute (MFIs) mit Angaben zur durchschnittlichen Verzinsung der (neu vergebenen) Kredite aus der MFI-Zinsstatistik sowie mit Angaben aus dem BLS. 1 Auch das makroökonomische Umfeld (einschließlich der Geldpolitik), das die Entwicklung auf dem Kreditmarkt mit beeinflusst, wird in der Analyse berücksichtigt. Mithilfe dieses Modells lässt sich die beobachtete jährliche Wachstumsrate der Buchkredite an nichtfinanzielle Unternehmen als Summe aller in der Vergangenheit aufgetretenen unerwarteten Änderungen des Kreditangebots und der Kreditnachfrage – also der Schocks â€“ sowie der Entwicklung der exogenen Variablen und einer nicht identifizierten Restkomponente darstellen. Anders als im Exkurs zum makrofinanziellen Bayesianischen VAR-Modell zielt dieser Ansatz speziell darauf ab, die unerwarteten Änderungen im Kreditwachstum einer der beiden Marktseiten zuzuordnen. 

Das hier vorgestellte VAR-Modell legt den Fokus auf die Beziehungen zwischen dem Kreditwachstum, dem Kreditzins, der Veränderung der Kreditrichtlinien laut BLS (BLS-Richtlinien) und der Veränderung der Kreditnachfrage laut BLS (BLS-Nachfrage). Darüber hinaus werden die Effekte verschiedener exogener Variablen berücksichtigt, nämlich der Veränderungsraten des Bruttoinlandsprodukts und des Konsumentenpreisindexes sowie eines kurzfristigen Geldmarktzinssatzes (Dreimonats-EURIBOR). Sie dienen dazu, die Wirkungen des gesamtwirtschaftlichen Umfelds auf den Kreditmarkt zu erfassen. Diese können die Identifikation der unerwarteten Veränderungen von Kreditangebot und Kreditnachfrage beeinflussen, sodass sie hier soweit wie möglich – in einem dennoch sparsam parametrisierten Modell â€“ herausgerechnet werden sollen. Die Schätzung der Koeffizienten und Residuen erfolgt mittels Kleinster-Quadrate-Methode über den Zeitraum vom ersten Quartal 2003 bis zum ersten Quartal 2024. 2

Die Residuen der Gleichung für das Kreditwachstum werden in Angebots- und Nachfrageeffekte sowie in eine nicht identifizierte Restkomponente zerlegt. Dies geschieht, indem eine Kombination aus Null- und Vorzeichenrestriktionen definiert wird, die Teile der Residuen erfüllen müssen, um dem jeweiligen Schock zugerechnet zu werden, siehe Tabelle 3.2. Die Restriktionen spiegeln die Definition von Kreditangebot und Kreditnachfrage wider, ergänzt um die unterstellte Reaktion der Variablen aus dem BLS. So wird etwa eine Straffung der BLS-Richtlinien nur dann als Kreditangebotsschock identifiziert, wenn sie über das gemäß Modell erwartete Maß hinausgeht und mit einem gleichzeitigen unerwarteten Rückgang des Kreditwachstums und Anstieg des Kreditzinses einhergeht. Die vier endogenen Variablen des Modells lassen sich nun als Linearkombination aller bis zum jeweiligen Zeitpunkt eingetretenen Schocks sowie der exogenen Einflüsse darstellen, siehe Schaubild 3.18. "Makroökonomisches Umfeld" bezeichnet dabei die Gesamtheit der exogenen Effekte. Zu diesen zählt auch der Beitrag der 2022 vergebenen staatlichen Hilfskredite für Energieversorger, der das aggregierte Kreditwachstum zunächst nach oben, Ende 2023/Anfang 2024 hingegen nach unten verzerrte. Der im Schaubild dargestellte Beitrag der nicht identifizierten Schocks spiegelt die Effekte der Residuenkomponenten wider, die nicht dem beschriebenen Schema entsprechen. 

Laut Modellzerlegung waren nach dem Höhepunkt der wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie sowohl der Anstieg des Kreditwachstums bis Mitte 2022 als auch der anschließende Rückgang vorwiegend durch das gesamtwirtschaftliche Umfeld bestimmt, zu dem in der gewählten Spezifikation auch die Geldp0litik gehört. Darüber hinaus gehende unerwartete Veränderungen im Kreditwachstum spiegeln vor allem eine besonders schwache Kreditnachfrage wider. Zu dieser Schwäche dürften Faktoren beigetragen haben, die im Rahmen dieses kleinen Modells nur unzureichend berücksichtigt werden können. Dazu zählt unter anderem die Tilgung von Krediten, die von Unternehmen während der Pandemie zur Ãœberbrückung von Verzögerungen bei Zahlungseingängen oder aus Vorsichtsgründen aufgenommen worden waren. Aber auch die Unsicherheit der Unternehmen über die längerfristigen Folgen des Krieges in der Ukraine insbesondere für die Energiepreise dürfte mit zu dem relativ anhaltenden dämpfenden Effekt seitens der Kreditnachfrage geführt haben. 

Unerwartete kreditangebotsseitige Einschränkungen bei den Ausleihungen an Unternehmen lassen sich für Deutschland nicht feststellen. Nach den Modellergebnissen stützten Kreditangebotsschocks das Kreditwachstum insbesondere während der ersten Phase der Coronavirus-Pandemie. Auch für die nachfolgende Phase zunächst steigender und anschließend fallender Inflationsraten ist der Beitrag der Kreditangebotsschocks eher positiv als negativ, auch wenn die im Schaubild dargestellten positiven Beiträge statistisch nicht durchgehend signifikant sind. Hinweise auf signifikante dämpfende Kreditangebotseffekte, die etwa durch bankseitige Faktoren bewirkt worden wären, liefert die Zerlegung für den hier betrachteten Zeitraum nicht.

Tabelle 3.2: Identifizierende Null- und Vorzeichenrestriktionen
VariableSchock
KreditangebotKreditnachfrage
Kreditwachstum

–

+

Kreditzins

+

+

BLS-Richtlinien

+

0

BLS-Nachfrage

0

+

Die Restriktionen gelten für die Periode, in der der Schock eintritt. Ein positiver Wert der Variablen "BLS-Richtlinien" spiegelt eine Nettostraffung der Kreditrichtlinien wider. 

BLS-basierte historische Zerlegung des Wachstums der Buchkredite an nichtfinanzielle Unternehmen in Deutschland
BLS-basierte historische Zerlegung des Wachstums der Buchkredite an nichtfinanzielle Unternehmen in Deutschland

Fußnoten
  1. Die Modellierung folgt dem Vorgehen, das in Deutsche Bundesbank (2023h) dargestellt wurde.
  2. Für die Schätzung wurde das Kreditwachstum um den Beitrag der Kredite der KfW an nichtfinanzielle Unternehmen in Deutschland bereinigt, da diese ab der zweiten Hälfte des Jahres 2022, im Zuge der Energiekrise, einen verzerrenden Sondereffekt darstellen. Außerdem wurde der Höhepunkt der wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie im Jahr 2020 ausgenommen, indem die fünf Beobachtungen vom ersten Quartal 2020 bis zum ersten Quartal 2021 bei der Berechnung der Koeffizientenschätzer und der Kovarianzmatrix nicht berücksichtigt wurden, vgl.: Schorfheide und Song (2021).

Literaturverzeichnis

Arias, J., D. Caldara und J. Rubio-Ramírez (2019), The systematic component of monetary policy in SVARs: An agnostic identification procedure, Journal of Monetary Economics, Vol. 101, S. 1 â€“ 13.

Arias, J., J. Rubio-Ramírez und D. Waggoner (2018), Inference based on structural vector autoregressions with sign and zero restrictions: Theory and applications, Econometrica, Vol. 86(2), S. 685 â€“ 720.

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Fußnoten
  1. Vgl.: Deutsche Bundesbank (2024a).
  2. Der Begriff "Kreditvergabe" wird in diesem Aufsatz als Synonym für "Nettokreditvergabe" verwendet.
  3. Für eine detailliertere Darstellung vgl.: Deutsche Bundesbank (2023a).
  4. Der Begriff "nichtfinanzielle Unternehmen" umfasst nichtfinanzielle Kapital- und Quasi-Kapitalgesellschaften; in diesem Aufsatz wird der Begriff "Unternehmen" als Synonym verwendet.
  5. Der Begriff "Kredite" wird in diesem Aufsatz als Synonym für "Buchkredite" verwendet.
  6. Vgl.: Deutsche Bundesbank (2020).
  7. So auch die Angaben der Banken in der Umfrage zum Kreditgeschäft (Bank Lending Survey, BLS), siehe Schaubild 3.10. 
  8. Zum Aufbau der BOP-F-Umfrage siehe: Boddin et al. (2023).
  9. Diese Mittel wurden vor allem für Gasersatzbeschaffungen und kurzfristige Liquiditätsanforderungen von im Energiehandel verpflichtenden Sicherheitsleistungen benötigt. Auch dienten die Kredite der Finanzierung der Gasbeschaffung zur Erreichung bestimmter Füllstände der Gasspeicheranlagen. Vgl.: Kreditanstalt für Wiederaufbau (2023).
  10. Vgl. auch: Deutsche Bundesbank (2023b).
  11. Vgl. im Detail: Deutsche Bundesbank (2023c).
  12. Vgl.: Deutsche Bundesbank (2023c).
  13. Vgl.: Deutsche Bundesbank (2022a).
  14. Vgl.: Deutsche Bundesbank (2023d).
  15. Dabei schlugen sich diese Wertminderungen nur zum Teil in der Ertragslage sowie der Eigenkapitalausstattung der Banken nieder. Ein bedeutender Teil der Wertminderungen wurde von den Banken durch die Verringerung stiller Reserven oder die Bildung stiller Lasten absorbiert und wurde so nicht ergebnis- und eigenkapitalwirksam. Vgl.: Deutsche Bundesbank (2023d, 2023e).
  16. Vgl.: Deutsche Bundesbank (2023d).
  17. Vgl.: Europäische Zentralbank (2024).
  18. Vgl.: Deutsche Bundesbank (2023f).
  19. Vgl.: Best et al. (2024). 
  20. Die Anzahl höher verschuldeter Unternehmen ist allerdings nicht hoch: Nur gut 3 % der in der BOP-F-Umfrage befragten Unternehmen gaben im vierten Quartal 2023 an, dass die Restschuld aller zurzeit der Befragung ausstehenden Bankkredite 70 % oder mehr ihrer Bilanzsumme betragen habe. Gut 50 % der in der Umfrage befragten Unternehmen gaben an, aktuell keine Bankkredite auf der Bilanz zu haben.
  21. Vgl.: Deutsche Bundesbank (2023g).
  22. Die in diesem Aufsatz betrachtete Nettokreditvergabe bildet den Saldo von neu vergebenen Krediten und Kredittilgungen ab.
  23. Vgl.: Kreditanstalt für Wiederaufbau (2024).
  24. Als Bau- und Immobiliensektor werden in diesem Aufsatz die Wirtschaftszweige Baugewerbe, Wohnungsunternehmen und das sonstige Grundstückswesen bezeichnet.
  25. Der langsamere Rückgang der Kreditvergabe an den Bau- und Immobiliensektor stützte auch Entwicklungen in anderen Kreditunterkategorien. So profitierte das Kreditgeschäft der Sparkassen und Kreditgenossenschaften davon, dass sie in diesem Geschäftssegment traditionell stark vertreten sind. Zugleich finanziert sich der Bau- und Immobiliensektor aufgrund seiner Geschäftsstruktur überwiegend langfristig. Dies trug dazu bei, dass die Vergabe langfristiger Kredite im Zeitraum der Zinsstraffung weniger stark einbrach als in den kürzeren Segmenten.
  26. Vgl.: Deutsche Bundesbank (2024b).
  27. Vgl.: Deutsche Bundesbank (2015, 2011).