Die Höhe der Abgabenlast auf Arbeitseinkommen wird häufig diskutiert. Deutschland weist dabei im OECD-Vergleich eine relativ hohe Belastung auf. Eine hohe Abgabenlast dämpft die Erwerbsanreize. Sie verstärkt so potenziell die wirtschaftlichen Schwierigkeiten infolge von Fachkräftemangel und demografischer Alterung.
Hinter der OECD-Abgabenlast verbergen sich allerdings recht unterschiedliche Sachverhalte. Soweit etwa eine höhere Rentenbeitragszahlung zu einem höheren Rentenanspruch führt (Beitragsäquivalenz), entspricht diese Zahlung eher einem Beitrag zu einer obligatorischen Altersvorsorge: Sie senkt zwar ebenso wie eine Steuer den Nettolohn, erhöht aber auch die Rentenansprüche der versicherten Person. Wenn sie dies einkalkuliert, dämpft der Rentenbeitrag die Erwerbsanreize weniger. Wichtig ist dafür, dass der Zusammenhang zwischen Beiträgen und Leistungen klar und verlässlich ist.
Dieser Aufsatz zerlegt die Abgabenquote in einen vorsorgenahen und einen steuernahen Teil. Dazu wird der Teil der Abgabenquote ermittelt, der auf äquivalenzorientierte Rentenbeiträge entfällt - dies ist der vorsorgenahe Teil. Der verbleibende Teil der Abgabenquote wird als steuernah ausgewiesen.
Die steuernahe Abgabenquote liegt in vielen Ländern und in Deutschland spürbar niedriger als die Gesamtabgabenquote. Dies liegt daran, dass der vorsorgenahe Teil der Abgabenquote zumeist bedeutsam ist, weil äquivalenzorientierte Rentenbeiträge ein erhebliches Gewicht haben. Sie werden hier im Durchschnitt der betrachteten Länder auf 15 Prozentpunkte geschätzt. Deutschland liegt diesbezüglich im Schnitt. Die steuernahe Abgabenquote ist damit - wie die Gesamtabgabenquote - im Ländervergleich relativ hoch.
Äquivalenzorientierte Rentenbeiträge werden hier schematisch und stark vereinfachend auf Basis von OECD-Informationen ermittelt. Die quantitativen Ergebnisse dürfen daher nicht überinterpretiert werden, und künftig könnte die Methode verfeinert werden. Der Aufsatz verdeutlicht gleichwohl, dass der vorsorgenahe Teil der Abgabenlast in vielen Ländern gewichtig ist. Der alleinige Bezug auf die Gesamtabgabenquote greift daher zu kurz. Ein genauerer Blick auf diesen Aspekt wäre bei wirtschaftspolitischen Analysen wertvoll.
1 Überblick über den Aufsatz
Die OECD weist Abgabenlasten auf Arbeitseinkommen aus, die viel beachtet werden. Deutschland liegt dabei relativ hoch (vgl.Kapitel2).Die Abgabenlast besteht zu einem gewichtigen Teil aus äquivalenzorientierten Rentenbeiträgen. Diese haben häufig eher den Charakter einer Anlage in eine obligatorische Altersvorsorge als den einer Lohnsteuerzahlung. Äquivalenzorientierte Rentenbeiträge sollten die Erwerbsanreize weniger stark dämpfen als Steuern (vgl.Kapitel 3). Länderübergreifende Vergleiche der Abgabenbelastung sollten diesen Unterschied berücksichtigen, um den Steueranteil der Abgaben differenzierter zu erfassen.
Der Aufsatz teilt die OECD-Abgabenquote auf Arbeitseinkommen mit einer einfachen schematischen Methode auf – in einen steuernahen und einen vorsorgenahen Teil (vgl.Kapitel 4).Ausgangspunkt sind die Abgabenlasten auf Arbeitseinkommen, die die OECD ausweist. Sie werden hier schematisch in zwei Komponenten zerlegt: erstens, in eine vorsorgenahe Komponente des Rentenbeitrags, das heißt den Teil des Rentenbeitrags, dem eine beitragsäquivalente Altersrente gegenübersteht, und zweitens, in eine darum bereinigte steuernahe Abgabenquote.
2 Abgabenlast auf Arbeitseinkommen im internationalen Vergleich
2.1 Große Spannweite der Abgabenquoten
Die OECD ermittelt für verschiedene Fallkonstellationen Abgabenlasten auf Arbeitseinkommen. Die Abgabenlast ist hier die Relation der Abgabenzahlungen zu den Arbeitskosten. 1
Die Abgabenzahlungen bestimmt die OECD als Einkommensteuern auf Arbeitseinkommen (im Folgenden: Lohnsteuer) zuzüglich Sozialbeiträgen von Beschäftigten und Arbeitgebern abzüglich einschlägiger Sozialleistungen. Welche Beträge die OECD bei den Abgabenzahlungen ansetzt, hängt von der jeweiligen Fallkonstellation ab. 2
Die Arbeitskosten setzen sich aus dem Bruttolohn plus Arbeitgeberbeiträgen zu den Sozialversicherungen zusammen.
Drei Haushaltstypen betrachtet die OECD eingehender: (i) eine alleinstehende kinderlose Person mit dem nationalen Durchschnittsverdienst, (ii) ein Paar 3 bestehend aus einer alleinverdienenden Person mit nationalem Durchschnittsverdienst und einer erwerbslosen (oder nicht erwerbstätigen) Person sowie zwei Kindern (im Folgenden: Vierpersonenhaushalt) sowie (iii) ein Paar bestehend aus zwei verdienenden Personen (eine mit nationalem Durchschnittsverdienst und eine mit 67 % davon) sowie zwei Kindern. Ferner ermittelt die OECD Abgabenlasten für weitere Haushalts-Konstellationen (67 %, 100 % und 167 % des Durchschnittsverdiensts, alleinstehende Personen und Paare mit und ohne Kinder).
Deutschland schneidet in den OECD-Vergleichen als ein Land mit einer relativ hohen Abgabenlast ab.
Die kinderlose alleinstehende Person mit Durchschnittsverdienst in Deutschland hat nach Belgien die zweithöchste Belastung (siehe Schaubild 3.1). Mit 48½ % übertrifft die deutsche Abgabenlast den Durchschnitt der betrachteten OECD-Länder von 41½ % deutlich. 4 Ähnlich ist Deutschlands Position bei unterdurchschnittlich verdienenden Alleinstehenden sowie Alleinerziehenden. Etwas günstiger schneidet Deutschland im Ländervergleich hingegen in der Kategorie der kinderlos alleinstehenden Person mit überdurchschnittlichem Verdienst ab, nicht zuletzt wegen der Beitragsbemessungsgrenze bei der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung.
Für den oben genannten Vierpersonenhaushalt mit durchschnittlich alleinverdienender Person und zwei Kindern (ii) ist die Belastung in Deutschland absolut deutlich und relativ etwas niedriger (siehe auch Schaubild 3.1). Ehegattensplitting, Kindergeld und beitragsfreie Krankenversicherung für die nicht erwerbstätige Person entlasten in Deutschland beträchtlich. In dieser Fallkonstellation weisen fünf Länder eine höhere Last auf als Deutschland (33½ %), und Deutschland liegt näher am Durchschnitt von 29½ %. Am höchsten ist die Last in Frankreich, Finnland und Belgien.
Vierpersonenhaushalte mit zwei Verdienenden (iii) sind in Deutschland im Ländervergleich hingegen wieder hoch belastet. Verdient eine Person den Durchschnittslohn und die andere Person 67 % davon, ist in Deutschland mit 41½ % die Belastung am zweithöchsten – nach Belgien. Die höhere Abgabenlast gegenüber dem Fall (ii) liegt daran, dass für das Paar der Splittingvorteil geringer ausfällt, ein zusätzlicher Rentenbeitrag anfällt und die beitragsfreie Mitversicherung in der Krankenversicherung entfällt. Die Belastung ist in Deutschland relativ zu den anderen Ländern ähnlich wie für kinderlos alleinstehende Personen. Daher wird dieser Fall im Folgenden nicht gesondert betrachtet.
Wenn anstatt einzelner Familientypen gesamtwirtschaftliche Aggregate zueinander ins Verhältnis gesetzt werden, liegt Deutschland immer noch bei den Ländern mit höherer Abgabenlast. Deutschland schneidet aber bei der Rangfolge günstiger ab (siehe Schaubild 3.2). Die implizite Steuer auf Arbeitseinkommen in Prozent der Arbeitnehmerentgelte (implicit tax rate on labour) liegt gemäß der Europäischen Kommission für Deutschland eher im oberen Mittelfeld (Rang 8). Diese gesamtwirtschaftliche Größe wird nicht von der OECD ermittelt. Sie unterscheidet sich methodisch von den zuvor genannten Berechnungen hinsichtlich der berücksichtigten Komponenten. 5 Bei gesamtwirtschaftlichen Statistiken spielen zudem andere Faktoren eine Rolle als bei den ausgewählten OECD-Fallkonstellationen: Beispielsweise mittelt das Maß der Europäischen Kommission einkommensgewichtet über alle Haushalte. Auch fließen spezielle steuerliche Abzüge ein – also auch diejenigen Abzugsmöglichkeiten, die nicht in den standardisierten Fallkonstellationen erfasst sind und etwa an bestimmte Voraussetzungen geknüpft sind. In den folgenden Analysen wird die gesamtwirtschaftliche Quote nicht weiter analysiert. Ein Grund ist, dass die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen die Sozialbeiträge nicht für alle Länder in einzelne Versicherungszweige aufschlüsseln – was für die Untersuchung aber erforderlich ist. Da zudem die OECD-Ländervergleiche häufig besonders im Fokus der Öffentlichkeit stehen, konzentriert sich der Aufsatz auf die OECD-Daten.
2.2 Struktur der Abgaben unterscheidet sich zwischen den Ländern deutlich
Wie sich die Abgaben auf Steuern und Sozialbeiträge aufteilen, unterscheidet sich zwischen den Ländern deutlich(vgl. Schaubild 3.3). Dies hat nicht zuletzt historische Gründe. So finanzieren insbesondere angelsächsische und skandinavische Länder Sozialleistungen vorranging über Steuern. Andere europäische Länder finanzieren dagegen Sozialleistungen stärker über Sozialversicherungen. Auch ergänzende private Vorsorgeprodukte regeln und fördern die Länder unterschiedlich. Diese sind aber in der Abgabenlast nicht enthalten – und werden hier daher nicht betrachtet.
Deutschland finanziert seine soziale Sicherung deutlich überdurchschnittlich über Sozialbeiträge. So ist etwa für die alleinstehende Person mit durchschnittlichem Einkommen die Belastung in Deutschland mit Sozialbeiträgen (33½ %) spürbar über dem Durchschnitt der berücksichtigtenOECD-Länder von 27½ %. Die Lohnsteuerbelastung ist in Deutschland mit 15 % eher im Mittelfeld und weniger stark über dem Länderdurchschnitt von 14 %.
3 Sozialbeiträge mit Vorsorgecharakter unterscheiden sich von Lohnsteuern
Teile der Sozialbeiträge haben Lohnsteuercharakter. Und der negative Effekt der Lohnsteuer auf die individuellen Arbeitsanreize ist plausibel belegt. 6 Den Lohnsteuerzahlungen stehen für die individuellen Steuerzahlenden keine direkten Gegenleistungen gegenüber. Dies ist bei den Sozialbeiträgen teilweise ähnlich. So dominiert beispielsweise in Deutschland für Mitglieder der gesetzlichen Kranken- und der sozialen Pflegeversicherung ebenfalls der Steuercharakter: Die Versicherungsleistungen sind unabhängig von der Höhe ihrer Beitragszahlungen – abgesehen vom Krankengeld. Weil der Beitrag mit dem Entgelt bis zur Beitragsbemessungsgrenze steigt, sinken insoweit die Anreize, ein höheres Entgelt zu erzielen (zum Beispiel durch längere Arbeitszeiten). 7
Dagegen haben andere Sozialbeiträge eher den Charakter einer Anlage in eine obligatorische Vorsorge. Sie sollten die Arbeitsanreize weniger beeinträchtigen. Dies ist der Fall, wenn die Beitragszahlenden Gegenleistungen erwarten können, deren Umfang von der Höhe ihrer Beiträge abhängt. 8 So dominiert bei den Beiträgen zur gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung häufig der Vorsorge- und Versicherungscharakter. Höhere Beiträge erhöhen die Ansprüche auf Rentenzahlungen beziehungsweise Lohnersatzleistungen bei Arbeitslosigkeit (Beitragsäquivalenz). Damit dies aber in das Kalkül der Versicherten eingeht, müssen diese die (zusätzlichen) Ansprüche auch vor Augen haben und als verlässlich empfinden: Sie müssen die höheren Ansprüche als nützliche Vorsorge ansehen.
4 Steuernahe Abgabenlast als Teil der Gesamtabgabenlast: eine Annäherung
4.1 Überblick über Methode und Einschränkungen
Die Abgabenquoten der einzelnen Länder werden in die zuvor beschriebenen zwei Komponenten aufgeteilt: Zum einen ist dies der vorsorgenahe Teil. Dieser entspricht eher einer Anlage in eine obligatorische Altersvorsorge als einer Steuer. Zum anderen ist dies der steuernahe Teil der Abgabenlast.
Der Ansatz zur Aufteilung bedient sich dabei vereinfachender Annahmen:
Erstens werden bei der vorsorgenahen Komponente nur die Rentenbeiträge berücksichtigt. So macht der Rentenbeitrag zumeist einen recht bedeutsamen Teil der Abgabenlast aus: Im Durchschnitt der betrachteten Länder beträgt er 16 % der Arbeitskosten, in Deutschland 15½ %. 9 In anderen großen EU-Ländern ist er zum Teil noch erheblich höher (zum Beispiel Italien: 25 %). Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung ist dagegen deutlich niedriger, und hier liegen auch weniger OECD-Daten für eine Kategorisierung vor. Aus diesen Gründen konzentriert der Aufsatz die vorsorgenahe Komponente auf die äquivalenten Beiträge zur Rentenversicherung. Damit dürfte bereits ein großer Schritt zur besseren Vergleichbarkeit gemacht sein. Künftige Untersuchungen könnten die vergleichbaren Teile der anderen Sozialversicherungszweige aber einbeziehen, um das Bild zu schärfen.
Zweitens: Die vorsorgenahe Komponente der Rentenbeiträge wird vereinfachend daran festgemacht, inwieweit Rentenansprüche mit den Beitragszahlungen steigen – also beitragsäquivalent sind. 10 Konkret wird die vorsorgenahe Komponente des Rentenbeitrags schematisch daraus abgeleitet, wie die Bruttoersatzrate mit der Lohnhöhe variiert (vgl. auch den Exkurszur Methodik am Ende des Aufsatzes). Die Bruttoersatzrate ist die Relation der Rentenzahlung zum letzten Bruttolohn, die Rentenbeziehende erhalten. Betrachtet werden dabei drei Lohnhöhen: Der halbe, der volle und der eineinhalbfache Durchschnittslohn. Ist die Bruttoersatzrate bei allen Lohnhöhen gleich, so wird vollständige Beitragsäquivalenz angenommen. Der Rentenbeitrag wird dann vollständig als vorsorgenahe Komponente gewertet. Ist die Bruttoersatzrate hingegen zum Beispiel bei niedrigen Einkommen höher als bei hohen Einkommen, so besteht abgeschwächte Beitragsäquivalenz. Aus dem Rentenbeitrag wird dann der nicht äquivalenzorientierte Teil herausgerechnet und in der steuernahen Abgabenlast erfasst.
Die vorgenommenen Berechnungen basieren dabei auf den Daten der OECD zu Rentenbeitragssätzen und Bruttoersatzraten. Die OECD berechnet die Bruttoersatzraten für eine Person, die mit 22 Jahren im Jahr 2022 in den Arbeitsmarkt eintritt. Diese Person arbeitet bis zum jeweiligen gesetzlichen Rentenalter und verdient immer das Durchschnittseinkommen – beziehungsweise den höheren oder niedrigeren Wert der jeweiligen Fallgruppe. Damit bleiben beispielsweise in Deutschland Aufwertungen und Höherwertungen von besonders einkommensschwachen Zeiten, etwa von Ausbildungszeiten, ausgeblendet. Soweit Rentenreformen zum Berechnungszeitpunkt hinreichend spezifiziert waren, hat die OECD sie berücksichtigt. Die zur Berechnung der zukünftigen Rentenansprüche nötigen makroökonomischen Annahmen (unter anderem Lohnwachstum) sind einheitlich über alle Länder. Die Mortalitätsraten sind dagegen länderspezifisch.
Insgesamt sind die quantitativen Ergebnisse vorsichtig zu interpretieren. 11 Der Aufsatz leistet einen Beitrag zur differenzierteren Einordnung von Abgabenquoten. Allerdings hat die Methode Grenzen und Einschränkungen: So wird der Rentenbeitrag mit der einfachen Methode allein anhand seiner Äquivalenzorientierung in eine steuernahe Komponente und eine vorsorgenahe Komponente aufgespalten. Dabei berücksichtigt der Ansatz beispielsweise nicht, welche potenziellen Renditen mit der obligatorischen Vorsorge erzielt werden. 12 Eine für zu niedrig empfundene Rendite erhöht den Steuercharakter. 13 Eine wichtige Rolle spielt auch, inwieweit die Beitragszahlenden dem Rentensystem vertrauen. Dafür ist wiederum zentral, wie nachhaltig und damit wie glaubwürdig das Rentensystem aufgestellt ist. Insgesamt dürften die einzelnen Versicherten die Vorteilhaftigkeit grundsätzlich stark unterschiedlich bewerten. So wird es Beschäftigte mit geringerem Vorsorgebedarf geben, zum Beispiel aufgrund geringerer Lebenserwartung oder anderweitiger Absicherung. Auch passen die Präferenzen hinsichtlich Gegenwartskonsum oder alternativer Sparformen vermutlich in der Regel nicht uneingeschränkt zur staatlichen Rentenversicherung – zum Beispiel wenn Versicherte einen Immobilienerwerb als Teil der Alterssicherung wünschen. Im Hinblick auf die Arbeitsanreize ist auch bedeutsam, wie die Leistungen der Rentenversicherung mit einer etwaigen Grundsicherung zusammenspielen. Wichtig ist zudem, ab wie vielen Beitragsjahren überhaupt Ansprüche erworben werden. Solche weitergehenden Aspekte lassen sich mit der hier verwendeten Methode nicht einbeziehen. Sie könnten aber potenziell bei künftigen tiefergehenden Analysen berücksichtigt werden – bei internationalen Vergleichen eventuell von internationalen Organisationen.
4.2 Ergebnisse
Die OECD-Daten zeigen, dass die Bruttoersatzraten der Rentensysteme einzelner Länder teils erheblich streuen (vgl. Schaubilder 3.4 und 3.5 für ausgewählte europäische Länder sowie die USA).
Zumeist zeigt der Ansatz aber eine hohe vorsorgenahe Komponente in den Rentenbeiträgen(vgl. Schaubild 3.6).Mit anderen Worten: Der Steueranteil der Rentenbeiträge wird in vielen Ländern als niedrig eingestuft. Auch für das deutsche System wird der Rentenbeitrag weitgehend der vorsorgenahen Komponente zugeschlagen.
Aufgrund der zumeist hohen vorsorgenahen Komponente in den Rentenbeiträgen liegen die steuernahen Abgabenlasten für viele Länder deutlich niedriger als die Gesamtabgabenlast – auch ist die Reihenfolge der Länder teils spürbar anders (siehe Schaubild3.7 und Schaubild 3.8).Im Durchschnitt der betrachteten Länder liegt die steuernahe Abgabenlast um 15 Prozentpunkte niedriger (nicht gewichtet). Für die Alleinstehenden sinkt sie damit von 41½ % auf 26½ %, für den Vierpersonenhaushalt mit alleinverdienender Person von 29½ % auf 14½ %. 14 In Deutschland fällt die steuernahe Abgabenlast ebenfalls um 15 Prozentpunkte niedriger aus als die Gesamtlastquote. Und die relative Position der steuernahen Abgabenlast fällt damit weiterhin im Ländervergleich relativ hoch aus.
5 Schlussbetrachtung
Die Abgabenlast auf Arbeitseinkommen ist ein wichtiger Indikator, unter anderem im Hinblick auf die individuellen Erwerbsanreize. So senken beispielsweise Lohnsteuern den Anreiz, Arbeit aufzunehmen und auszudehnen oder durch eine höhere Qualifikation eine besser bezahlte Tätigkeit zu finden.
Um die Abgabenlasten möglichst adäquat einzuordnen, wäre zu berücksichtigen, dass Teile der Sozialbeiträge eher als obligatorische Vorsorge interpretiert werden können. Solche Beiträge unterscheiden sich von einer Lohnsteuer und sollten die Erwerbsanreize weniger beeinträchtigen. Wenn der Beitrag zu einer Rentenversicherung mit beitragsäquivalenten Leistungen verbunden ist, ähnelt er einer Anlage in eine obligatorische Altersvorsorge. Es verringert sich zwar zunächst der Nettolohn, aber höheren Beiträgen stehen künftig höhere Leistungen gegenüber.
Eine steuernahe Abgabenlast ohne äquivalenzorientierte Rentenbeiträge ist in den meisten Ländern deutlich niedriger als die Gesamtabgabenlast. Äquivalenzorientierte Rentenbeiträge sind in vielen Ländern gewichtig. Der vorliegende Aufsatz ordnet im Durchschnitt der betrachteten OECD-Länder 15 Prozentpunkte der Gesamtabgabenquote der beitragsäquivalenten Altersvorsorge zu - auf Basis einer einfachen schematischen Methode. Die steuernahe Abgabenquote liegt damit für Alleinstehende bei 26½ % (Gesamtabgabenquote: 41½ %) und für Paare mit Kindern und Alleinverdienenden bei 14½ % (Gesamtabgabenquote: 29½ %).
Auch in Deutschland liegt die steuernahe Abgabenquote deutlich unter der Gesamtabgabenquote. Der Abstand liegt in etwa im Durchschnitt der betrachteten Länder. Dabei sind die steuernahe Abgabenquote und die Gesamtabgabenquote im Ländervergleich überdurchschnittlich hoch. Dies gilt insbesondere für Alleinstehende und Haushalte mit zwei Verdienenden. Bei Mehrpersonenhaushalten mit nur einem Verdienst fällt die relative Position günstiger aus.
Eine differenzierte Betrachtung der Abgabenquoten leistet einen wichtigen Beitrag, um die Abgabenlasten besser interpretieren zu können. Dies gilt sowohl für eine rein national ausgerichtete Analyse als auch für internationale Vergleiche. Wie beschrieben, fallen die steuernahen Abgabenquoten je Land und im internationalen Vergleich teils spürbar anders aus als die Gesamtabgabenquoten.
Dabei sind die hier präsentierten quantitativen Ergebnisse vor allem wegen des stark vereinfachenden Ansatzes sehr vorsichtig zu interpretieren. Künftige Analysen könnten die Aussagekraft von Abgabenquoten weiter verbessern: So könnten internationale Organisationen ihren komparativen Vorteil nutzen und die Quoten bei vergleichenden Analysen detaillierter aufgliedern. Bei den hier vorgestellten Berechnungen ist unter anderem der Grad der Beitragsäquivalenz vereinfacht am Variationskoeffizienten für drei Lohnhöhen gemessen. Beitragsäquivalenz ist auch abgesehen von den Vereinfachungen nur ein unvollkommenes Maß für den Vorsorgecharakter. Über den Aspekt der Beitragsäquivalenz hinaus könnte beispielsweise näher betrachtet werden, welche Renditen in den Rentensystemen zu erwarten sind. Zudem könnten weitere Sozialversicherungszweige in die Analyse einbezogen werden.
Das Vertrauen der Versicherten, dass das Rentensystem langfristig tragfähig ist, ist entscheidend: Es ist eine Voraussetzung dafür, dass der Rentenbeitrag tatsächlich eher als Altersvorsorge, denn als Steuer wahrgenommen wird. Die Politik ist auch vor diesem Hintergrund gut beraten, das System finanziell tragfähig aufzustellen und dies mit langfristigen Vorausberechnungen zu belegen. Die Versicherten sollten zudem ausreichend über ihre künftigen Ansprüche sowie den Zusammenhang zu ihren Beiträgen informiert sein. Für Länder mit umlagefinanzierten Systemen ist nicht zuletzt ein solider gesamtwirtschaftlicher Pfad wichtig. Dieser bestimmt wesentlich die Höhe des Rentenanspruchs, der den Beiträgen gegenübersteht. Die Wirtschafts- und Finanzpolitik ist auch deshalb gefordert, für günstige Standortbedingungen und Wachstumsperspektiven zu sorgen.
Exkurs
Methodische Hinweise zur Bereinigung der Abgabenlast
Die Abgabenquote wird in diesem Aufsatz in einen vorsorgenahen Teil und einen steuernahen Teil aufgeteilt. Grundlage ist eine einfache Approximation der steuernahen Komponente im Rentenbeitrag, die im Mehrländervergleich gut umzusetzen ist. 1
Zunächst wird geprüft, ob der Beitrag proportional zum Lohn ist – denn mit dem verwendeten Schema sind nur proportionale Beiträge aufteilbar in steuernahe und vorsorgenahe Komponenten (siehe unten).
Im nächsten Schritt wird der normierte Variationskoeffizient für die Bruttoersatzraten 2 entlang der Lohnverteilung berechnet (halber Durchschnittslohn, Durchschnittslohn und eineinhalbfacher Durchschnittslohn). Die Bruttoersatzrate bezeichnet den Anteil der Rentenzahlung am letzten Bruttolohn. Der normierte Variationskoeffizient gibt damit an, wie hoch die Streuung der Bruttoersatzraten in Relation zu ihrem Mittelwert ist. Er berücksichtigt, dass für manche Länder nur zwei Bruttoersatzraten verwendbar sind (siehe unten) - und nimmt nur Werte zwischen null und eins an.
Der normierte Variationskoeffizient multipliziert mit dem Rentenbeitrag ergibt die steuernahe Komponente des Rentenbeitrags.
Der Rest des Rentenbeitrags wird als äquivalent interpretiert – und damit als vorsorgenahe Komponente.
Der verwendete Ansatz ist eine einfache, pragmatische Herangehensweise. Daraus ergeben sich Einschränkungen. Die Abschätzung der steuernahen Komponente mit dem normierten Variationskoeffizienten ist stark vereinfachend. So reicht diese Vorgehensweise nicht aus, um progressive und degressive Beiträge als Steuer oder obligatorische Vorsorge zu klassifizieren. Daher berücksichtigt der Aufsatz nur Länder mit einem Beitragssatz, der im Bereich des halben bis eineinhalbfachen des Durchschnittslohns proportional angewendet wird, oder ohne Rentenbeitrag (Dänemark). Methodische Ausnahmen werden angewandt für Belgien, Frankreich und Schweden (siehe unten). Darüber hinaus wird der Rentenbeitrag allein anhand seiner Äquivalenzorientierung in eine steuernahe und eine vorsorgenahe Komponente aufgespalten (siehe auch die Ausführungen im Kapitel 4.1). So wird nicht berücksichtigt, welche potenziellen Renditen mit der obligatorischen Vorsorge erzielt werden. Zudem ist beispielsweise im Hinblick auf die Erwerbsanreize unter anderem bedeutsam, wie die Leistungen der Rentenversicherung etwa mit der Grundsicherung zusammenspielen.
Die Rechnungen basieren auf den aktuellsten verfügbaren Daten der OECD zu Rentenbeitragssätzen und Bruttoersatzraten. Die OECD berechnet die Bruttoersatzraten für eine Person, die mit 22 Jahren im Jahr 2022 in den Arbeitsmarkt eintritt, bis zum gesetzlichen Rentenalter arbeitet und immer durchschnittlich verdient. Soweit Rentenreformen zum Berechnungszeitpunkt hinreichend spezifiziert waren, hat die OECD diese berücksichtigt. Die geplante Verlängerung der Haltelinie für das Versorgungsniveau in der gesetzlichen Rentenversicherung in Deutschland ist dagegen nicht berücksichtigt. In der Abgabenlast nach OECD sind die Beiträge für staatlich organisierte oder geförderte private Zusatzvorsorge nicht enthalten. Daher berücksichtigt der Ansatz ebenfalls nur die grundlegenden Versorgungssysteme (in Deutschland zum Beispiel nur die gesetzliche Rentenversicherung). Die Beitragsregeln für die private Vorsorge variieren häufig nach Beruf. Zudem enthalten sie meist keine Steuerelemente.
Die Länderauswahl ist durch verschiedene Faktoren eingeschränkt: Ausgangsbasis sind die 22 OECD-Länder, die zugleich Mitgliedstaaten der EU sind. Aus verschiedenen Gründen konnten einige Länder davon aber nicht berücksichtigt werden. So weist die OECD für Irland und Spanien keinen Rentenbeitrag, sondern nur einen Sozialbeitrag aus. Die Niederlande können nicht einbezogen werden, weil die Beitragsbemessungsgrenze im staatlichen Rentensystem sehr niedrig ist (0,62-facher Durchschnittslohn). Dänemark kann hingegen einbezogen werden: Es finanziert seine Basisrente allein über Steuern, daher wird die Abgabenquote nicht um einen äquivalenzorientierten Beitrag bereinigt. Zusätzlich berücksichtigt diese Studie als Vergleich auch die USA.
Um Belgien, Frankreich und Schweden einbeziehen zu können, sind für diese Länder nur zwei Lohnhöhen enthalten. Bei den meisten Ländern liegen die hier berücksichtigten Lohnhöhen (bis zum eineinhalbfachen Durchschnittslohn) unterhalb der Beitragsbemessungsgrenzen. 3 Die Ausnahme sind Frankreich, Belgien und Schweden: Sie haben Beitragsbemessungsgrenzen in Höhe des 0,99-fachen, 1,29-fachen und 1,08-fachen des Durchschnittslohns. Bei der Berechnung der vorsorgenahen Komponente sind daher für diese Länder nur Durchschnittslohn und halber Durchschnittslohn enthalten. In Finnland ist der Rentenbeitrag auch altersabhängig – was in der Analyse nicht speziell berücksichtigt wird.
Literaturverzeichnis
Chetty, R., A. Guren, D. Manoli und A. Weber (2011), Are micro and macro labor supply elasticities consistent? A review of evidence on the intensive and extensive margins, American Economic Review: Papers & Proceedings, 101 (3), S. 471 – 475.
Disney, R. (2004), Are contributions to public pension programmes a tax on employment?, Economic Policy, July 2004, S. 268 – 311.