1 Überblick über den Aufsatz
2 Abgabenlast auf Arbeitseinkommen im internationalen Vergleich
2.1 Große Spannweite der Abgabenquoten
Die Abgabenzahlungen bestimmt die OECD als Einkommensteuern auf Arbeitseinkommen (im Folgenden: Lohnsteuer) zuzüglich Sozialbeiträgen von Beschäftigten und Arbeitgebern abzüglich einschlägiger Sozialleistungen. Welche Beträge die OECD bei den Abgabenzahlungen ansetzt, hängt von der jeweiligen Fallkonstellation ab. 2 Die Arbeitskosten setzen sich aus dem Bruttolohn plus Arbeitgeberbeiträgen zu den Sozialversicherungen zusammen. Drei Haushaltstypen betrachtet die OECD eingehender: (i) eine alleinstehende kinderlose Person mit dem nationalen Durchschnittsverdienst, (ii) ein Paar 3 bestehend aus einer alleinverdienenden Person mit nationalem Durchschnittsverdienst und einer erwerbslosen (oder nicht erwerbstätigen) Person sowie zwei Kindern (im Folgenden: Vierpersonenhaushalt) sowie (iii) ein Paar bestehend aus zwei verdienenden Personen (eine mit nationalem Durchschnittsverdienst und eine mit 67 % davon) sowie zwei Kindern. Ferner ermittelt die OECD Abgabenlasten für weitere Haushalts-Konstellationen (67 %, 100 % und 167 % des Durchschnittsverdiensts, alleinstehende Personen und Paare mit und ohne Kinder).
Die kinderlose alleinstehende Person mit Durchschnittsverdienst in Deutschland hat nach Belgien die zweithöchste Belastung (siehe Schaubild 3.1). Mit 48½ % übertrifft die deutsche Abgabenlast den Durchschnitt der betrachteten OECD - Länder von 41½ % deutlich. 4 Ähnlich ist Deutschlands Position bei unterdurchschnittlich verdienenden Alleinstehenden sowie Alleinerziehenden. Etwas günstiger schneidet Deutschland im Ländervergleich hingegen in der Kategorie der kinderlos alleinstehenden Person mit überdurchschnittlichem Verdienst ab, nicht zuletzt wegen der Beitragsbemessungsgrenze bei der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung. Für den oben genannten Vierpersonenhaushalt mit durchschnittlich alleinverdienender Person und zwei Kindern (ii) ist die Belastung in Deutschland absolut deutlich und relativ etwas niedriger (siehe auch Schaubild 3.1) . Ehegattensplitting, Kindergeld und beitragsfreie Krankenversicherung für die nicht erwerbstätige Person entlasten in Deutschland beträchtlich. In dieser Fallkonstellation weisen fünf Länder eine höhere Last auf als Deutschland (33½ %), und Deutschland liegt näher am Durchschnitt von 29½ %. Am höchsten ist die Last in Frankreich, Finnland und Belgien. Vierpersonenhaushalte mit zwei Verdienenden (iii) sind in Deutschland im Ländervergleich hingegen wieder hoch belastet. Verdient eine Person den Durchschnittslohn und die andere Person 67 % davon, ist in Deutschland mit 41½ % die Belastung am zweithöchsten – nach Belgien. Die höhere Abgabenlast gegenüber dem Fall (ii) liegt daran, dass für das Paar der Splittingvorteil geringer ausfällt, ein zusätzlicher Rentenbeitrag anfällt und die beitragsfreie Mitversicherung in der Krankenversicherung entfällt. Die Belastung ist in Deutschland relativ zu den anderen Ländern ähnlich wie für kinderlos alleinstehende Personen. Daher wird dieser Fall im Folgenden nicht gesondert betrachtet.
2.2 Struktur der Abgaben unterscheidet sich zwischen den Ländern deutlich
3 Sozialbeiträge mit Vorsorgecharakter unterscheiden sich von Lohnsteuern
4 Steuernahe Abgabenlast als Teil der Gesamtabgabenlast: eine Annäherung
4.1 Überblick über Methode und Einschränkungen
Erstens werden bei der vorsorgenahen Komponente nur die Rentenbeiträge berücksichtigt. So macht der Rentenbeitrag zumeist einen recht bedeutsamen Teil der Abgabenlast aus: Im Durchschnitt der betrachteten Länder beträgt er 16 % der Arbeitskosten, in Deutschland 15½ %. 9 In anderen großen EU - Ländern ist er zum Teil noch erheblich höher (zum Beispiel Italien: 25 %). Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung ist dagegen deutlich niedriger, und hier liegen auch weniger OECD - Daten für eine Kategorisierung vor. Aus diesen Gründen konzentriert der Aufsatz die vorsorgenahe Komponente auf die äquivalenten Beiträge zur Rentenversicherung. Damit dürfte bereits ein großer Schritt zur besseren Vergleichbarkeit gemacht sein. Künftige Untersuchungen könnten die vergleichbaren Teile der anderen Sozialversicherungszweige aber einbeziehen, um das Bild zu schärfen. Zweitens: Die vorsorgenahe Komponente der Rentenbeiträge wird vereinfachend daran festgemacht, inwieweit Rentenansprüche mit den Beitragszahlungen steigen – also beitragsäquivalent sind. 10 Konkret wird die vorsorgenahe Komponente des Rentenbeitrags schematisch daraus abgeleitet, wie die Bruttoersatzrate mit der Lohnhöhe variiert ( vgl. auch den Exkurs zur Methodik am Ende des Aufsatzes ). Die Bruttoersatzrate ist die Relation der Rentenzahlung zum letzten Bruttolohn, die Rentenbeziehende erhalten. Betrachtet werden dabei drei Lohnhöhen: Der halbe, der volle und der eineinhalbfache Durchschnittslohn. Ist die Bruttoersatzrate bei allen Lohnhöhen gleich, so wird vollständige Beitragsäquivalenz angenommen. Der Rentenbeitrag wird dann vollständig als vorsorgenahe Komponente gewertet. Ist die Bruttoersatzrate hingegen zum Beispiel bei niedrigen Einkommen höher als bei hohen Einkommen, so besteht abgeschwächte Beitragsäquivalenz. Aus dem Rentenbeitrag wird dann der nicht äquivalenzorientierte Teil herausgerechnet und in der steuernahen Abgabenlast erfasst.
4.2 Ergebnisse
5 Schlussbetrachtung
Methodische Hinweise zur Bereinigung der Abgabenlast
Zunächst wird geprüft, ob der Beitrag proportional zum Lohn ist – denn mit dem verwendeten Schema sind nur proportionale Beiträge aufteilbar in steuernahe und vorsorgenahe Komponenten (siehe unten). Im nächsten Schritt wird der normierte Variationskoeffizient für die Bruttoersatzraten 2 entlang der Lohnverteilung berechnet (halber Durchschnittslohn, Durchschnittslohn und eineinhalbfacher Durchschnittslohn). Die Bruttoersatzrate bezeichnet den Anteil der Rentenzahlung am letzten Bruttolohn. Der normierte Variationskoeffizient gibt damit an, wie hoch die Streuung der Bruttoersatzraten in Relation zu ihrem Mittelwert ist. Er berücksichtigt, dass für manche Länder nur zwei Bruttoersatzraten verwendbar sind (siehe unten) - und nimmt nur Werte zwischen null und eins an. Der normierte Variationskoeffizient multipliziert mit dem Rentenbeitrag ergibt die steuernahe Komponente des Rentenbeitrags. Der Rest des Rentenbeitrags wird als äquivalent interpretiert – und damit als vorsorgenahe Komponente.
Der Ansatz geht zurück auf Disney (2004). Die Bruttoersatzrate ist eine für internationale Vergleiche gebräuchliche Kenngröße. Sie setzt die Bruttorente in Bezug zum vorherigen Bruttolohn. Im Gegensatz dazu steht in der deutschen Rentendiskussion das Versorgungsniveau im Mittelpunkt. Es ist eine standardisierte Rechengröße, an der sich der Leistungsumfang der gesetzlichen Rentenversicherung orientiert. Derzeit liegt es bei 48 %. Das Versorgungsniveau (Sicherungsniveau nach Sozialbeiträgen, aber vor Steuern) bildet die Standardrente (nach 45 Beitragsjahren zum Durchschnittsentgelt) im Verhältnis zum durchschnittlichen versicherungspflichtigen Entgelt ab. Die OECD (2023b) zeigt Bruttoersatzraten für den Durchschnittslohn sowie für den halben und den doppelten Durchschnittslohn. Der doppelte Durchschnittslohn liegt allerdings in vielen Ländern oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze. Daher berücksichtigt der vorliegende Aufsatz stattdessen die Bruttoersatzraten zum eineinhalbfachen Durchschnittslohn. Diese wurden dankenswerterweise von der OECD auf Anfrage zur Verfügung gestellt.
Literaturverzeichnis
Die Quelle für die Darstellung in diesem Aufsatz ist die Abgabenlast im Jahr 2022 gemäß OECD (2024). Zwar sind die Werte für 2023 dort schon verfügbar. Andere benötigte Variablen liegen aber noch nicht vor (vor allem fehlen die Angaben, um die äquivalenzorientierten Komponenten der Rentenbeiträge zu schätzen). Insgesamt dürfte sich das Bild für 2023 aber nicht grundlegend ändern. Die OECD setzt nur standardmäßige Abzugsbeträge an. Für Deutschland sind dies bei den Lohnsteuern zum Beispiel der Arbeitnehmer-Pauschbetrag und die abzugsfähigen Sozialversicherungsbeiträge. Bei den Sozialleistungen werden für Deutschland bei Familien mit Kindern Kindergeld beziehungsweise Kinderfreibeträge berücksichtigt, siehe: OECD (2023a), S. 322f. Paare und Kinder sind hier im Sinne des Abgabenrechts definiert, das heißt in Deutschland also Ehepaare und Partnerschaften mit Kindern bis zu einer Alters- und Einkommensgrenze. Hier sind nur die Länder einbezogen, für welche sich die Abgabenlast um Rentenbeiträge bereinigen ließ oder Länder ohne Rentenbeitrag (siehe auch den Exkurs zur Methodik am Ende dieses Aufsatzes). Diese Kennzahl enthält die Summe aller direkten und indirekten Steuern auf Arbeitseinkommen sowie die Sozialbeitragszahlungen von Beschäftigten und Arbeitgebern (Zähler). Diese werden ins Verhältnis gesetzt zu den Arbeitnehmerentgelten (Nenner). Im Unterschied zu den OECD - Kennzahlen werden Sozialleistungen wie Kindergeld nicht abgezogen. Indirekte Steuern auf Arbeitseinkommen sind Lohnsteuern, die der Arbeitgeber schuldet. Diese gibt es in manchen EU - Ländern. Siehe zum Beispiel: Chetty et al. (2011) sowie Keane (2011). Für Frauen wird zumeist eine deutliche und signifikante Arbeitsmarktreaktion auf veränderte Lohnsteuern gefunden. Bei Männern ist die Reaktion üblicherweise weniger ausgeprägt. Insgesamt dürften die Arbeitsanreize gleichwohl gesamtwirtschaftlich bedeutsam sein, siehe zum Beispiel: Rogerson (2024). Vgl. zum Umgang mit den Bemessungsgrenzen auch den Exkurs zur Methodik am Ende des Aufsatzes. Das Bild kann sich zudem in einem Fall wie in Deutschland abhängig vom Einkommen schlagartig ändern: Überschreitet das relevante Einkommen die Grenze der Versicherungspflicht, so kann die oder der Versicherte zu einer privaten Kranken- und Pflegeversicherung wechseln. Hierzulande sind allerdings nur gut ein Zehntel der Erwerbstätigen privatversichert, davon die Mehrzahl im Beamtenstatus. Disney (2004) sowie French et al. (2022) belegen, dass die Ausgestaltungen des Rentensystems und des Rentenbeitrags die Arbeitsangebotselastizität beeinflussen: Mit Äquivalenzorientierung beeinträchtigen Rentenbeiträge das Arbeitsangebot weniger stark als ohne Äquivalenzorientierung. Der Rentenbeitrag ist hier in Prozent der Arbeitskosten ausgewiesen, weil diese im Nenner der Abgabenlast stehen. In Deutschland wird der Rentenbeitrag üblicherweise in Prozent der Bruttolöhne ausgewiesen (18,6 %). Dabei wird unter anderem davon abgesehen, dass vielfach bestimmte Mindestversicherungszeiten erfüllt sein müssen, um überhaupt einen Rentenanspruch zu erwerben. Dies gilt auch im Hinblick auf eine breiter angelegte Diskussion um den Standort Deutschland insgesamt. Dabei ist die Abgabenbelastung ein wichtiges Element, aber nur ein Teilaspekt. Es bleibt zu berücksichtigen, dass mit höheren Steuereinnahmen höhere staatliche Leistungen finanziert werden, die wiederum den Standort stärken können. Bei einem Umlageverfahren kommt der gesamtwirtschaftlichen und demografischen Entwicklung in einem Land entscheidende Bedeutung zu. Im deutschen Umlageverfahren ist die Rendite der Rentenversicherung maßgeblich von der Entwicklung der Löhne geprägt. Infolge der demografischen Entwicklung dürften die Beitragssätze perspektivisch deutlich steigen und die Rendite künftiger Beitragszahlungen sinken. Bei Langfristberechnungen werden häufig 3 %-Lohnwachstumsraten angenommen. In diesem Fall ist es plausibel, dass die einzelnen Jahrgänge auch künftig im Durchschnitt noch positive reale Renditen in der Rentenversicherung erzielen werden. Dabei streuen die Renditen stark je nach individuellen Versicherungsverläufen. Bei der deutschen Rentenversicherung ist hinsichtlich der Vorteilhaftigkeit auch zu berücksichtigen, dass diese nicht nur Altersrenten, sondern weitere Leistungen etwa für Erwerbsminderung oder Hinterbliebene leistet. Es werden auch etliche nicht beitragsbezogene (sogenannte versicherungsfremde) Leistungen erbracht. Der Bund schießt umfangreiche steuerfinanzierte Bundesmittel in die Rentenversicherung zu. Umgekehrt kann ein steuerähnlich finanziertes, aber renditestarkes System zumindest den Anreiz bieten, sich an dem System überhaupt erst zu beteiligen: Es besteht mithin der Anreiz, einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung nachzugehen. Es kann dann allerdings unattraktiv erscheinen, die Beschäftigung auszuweiten. Beim Vierpersonenhaushalt wurde der gleiche vorsorgenahe Teil des Rentenbeitrags abgezogen wie bei der alleinstehenden Person.