Der Risikoappetit auf den Finanzmärkten und Geldpolitik Monatsbericht – Januar 2025

Monatsberichtsaufsatz

Risikoprämien sind Renditeaufschläge über das risikofreie Niveau hinaus, die Anleger dafür erhalten, dass sie an den Finanzmärkten Risiken eingehen. Ihre Höhe variiert über verschiedene Finanzmarktsegmente und kann sich im Zeitverlauf deutlich verändern. In den letzten Jahren gab es sowohl Phasen mit abrupten Turbulenzen und hohen Kursverlusten an den Aktien- und Anleihemärkten, die mit steigenden Risikoprämien einhergingen, als auch längere optimistische Phasen mit niedrigen Risikoprämien. Solche Dynamiken sind eine Herausforderung für die Geldpolitik, da Risikoprämien die Finanzierungskosten von Haushalten und Unternehmen maßgeblich beeinflussen. 

Zudem gibt es Hinweise darauf, dass die Geldpolitik selbst die Risikoprämien verändert. Der Risikoneigungskanal der Geldpolitik beschreibt dabei einen Mechanismus, durch den geldpolitische Maßnahmen den Risikoappetit der Anleger, also ihre Bereitschaft, Risiken einzugehen, beeinflusst. Der Risikoappetit der Anleger steht hierbei im Fokus der Betrachtung, da eine höhere (niedrigere) Bereitschaft der Anleger, Risiken einzugehen, die Risikoprämien aller Finanzanlagen in einer Volkswirtschaft senkt (erhöht). Empirischer Evidenz nach erhöht eine geldpolitische Lockerung den Risikoappetit, während eine Straffung ihn verringert. Bisherige Untersuchungen fokussierten sich allerdings vor allem auf die USA. 

Der vorliegende Aufsatz analysiert diese Zusammenhänge aus Sicht des Eurosystems mit einem neuen breit gefassten Indikator für den Risikoappetit im Euroraum. Dieser Indikator misst den Risikoappetit der Anleger, indem er die gemeinsame Variation zahlreicher Risikomaße aus unterschiedlichen Finanzmarktsegmenten im Euroraum mithilfe statistischer Verfahren extrahiert. Der Risikoappetit im Euroraum ist zeitvariabel und entwickelt sich gleichgerichtet zur Konjunktur, wodurch er die Bewegungen von Risikoprämien, insbesondere in Krisenzeiten, verstärkt. Der Risikoappetit im Euroraum folgt meist globalen Entwicklungen. Gleichzeitig reagiert der Indikator aber auch auf euroraumspezifische Entwicklungen – wie beispielsweise auf die europäische Staatsschuldenkrise. 

Eine hier vorgestellte Ereignisstudie kommt zu dem Ergebnis, dass eine unerwartete geldpolitische Straffung des Eurosystems den Risikoappetit der Anleger im Euroraum dämpft, damit die Risikoprämien erhöht und somit den Preisrückgang riskanter Vermögenswerte verstärkt. Gleichzeitig hemmt die nachlassende Risikoneigung den Aufwertungsdruck des nominal effektiven Euro gegenüber 18 Ländern. Dies zeigt, dass auch die Geldpolitik des Eurosystems über den Risikoneigungskanal die Finanzmärkte im Euroraum maßgeblich beeinflusst. Darüber hinaus trägt der Risikoneigungskanal auch zur transatlantischen Übertragung der Geldpolitik bei. Insbesondere die US-Geldpolitik beeinflusst über diesen Kanal die Finanzmarktentwicklungen im Euroraum.

Mit Blick auf das Eurosystem könnte der Risikoneigungskanal die Wirksamkeit geldpolitischer Maßnahmen auf Wirtschaftsaktivität und Preise verstärken oder verringern. Der vorliegende Aufsatz betrachtet daher ein geschätztes dynamisches Makrofinanzmodell, um die Wirkungsrichtung des Risikoneigungskanals in der geldpolitischen Transmission zu untersuchen. Die Ergebnisse zeigen auf, dass der Risikoneigungskanal die geldpolitische Transmission im Euroraum für sich genommen verstärkt, was seine Relevanz für die Geldpolitik zusätzlich stützt. In einem kontrafaktischen Szenario ohne wirksamen Risikoneigungskanal ist die geldpolitische Transmission auf die Wirtschaftsaktivität und Preise spürbar schwächer. Hierin spiegelt sich wider, dass die Kapitalkosten der Wirtschaftsakteure und die Vermögenspreise weniger sensitiv auf die Änderung der risikofreien Zinsen reagieren würden. 

Die Analyse hilft außerdem, die Wirkung der Leitzinserhöhungen zwischen Juli 2022 und September 2023 über die Finanzmärkte besser einzuschätzen. Demnach dürfte der zinspolitische Straffungszyklus für sich genommen den Risikoappetit gedämpft haben. Gleichzeitig stützten aber andere Faktoren, darunter ein sich zügig erholendes konjunkturelles Umfeld den Risikoappetit der Anleger. Die Ergebnisse legen nahe, dass ein dynamisches konjunkturelles Umfeld die dämpfende Wirkung der Geldpolitik auf den Risikoappetit abschwächte, sodass die Risikoprämien weniger stark anzogen als in früheren Phasen.

1 Risikoprämien und Risikoappetit

Der Risikoappetit, die Bereitschaft von Anlegern, Risiken einzugehen, ändert sich abhängig von den makroökonomischen Bedingungen im Zeitverlauf.

1
Anstelle von Risikoappetit wird häufig auch von Risikobereitschaft oder Risikoneigung der Anleger gesprochen. Diese Begriffe werden im Folgenden synonym verwendet.
Unter diesen Änderungen können Vermögenspreise stark schwanken. Nimmt die Risikobereitschaft der Marktteilnehmer abrupt ab, können sich an den Finanzmärkten Kursabschläge verstärken. Beispiele hierfür sind die Finanz- und Staatsschuldenkrise, die Entscheidung des Vereinigten Königreichs gegen einen Verbleib in der EU („Brexit“), die Corona-Pandemie oder der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Optimistische Phasen mit hoher Risikoneigung stützen hingegen die Märkte. Das macht deutlich, wie relevant aus geldpolitischer Sicht die Risikobereitschaft der Marktteilnehmer ist. 

Die Geldpolitik übt zudem selber einen wichtigen Einfluss auf die Risikobereitschaft der Wirtschaftsakteure aus. Die Tendenz der Geldpolitik, Einfluss auf den Risikoappetit der Anleger zu nehmen, wird als Risikoneigungskanal der monetären Transmission bezeichnet: Eine geldpolitische Lockerung (Straffung) schlägt sich demnach in einer höheren (geringeren) Risikobereitschaft der Anleger nieder.

2
Vgl.: Borio und Zhu (2012), Adrian und Shin (2010), Acharya und Naqvi (2012), Bekaert et al. (2013), Jiménez et al. (2014) sowie Buch et al. (2014).
Empirischer Evidenz zufolge beeinflusst insbesondere die US-Geldpolitik sowohl die US-amerikanische als auch die globale Risikobereitschaft der Anleger.
3
Vgl.: Kalemli-Özcan (2019), Miranda-Agrippino und Rey (2020) sowie Bauer et al. (2023).
Vor diesem Hintergrund untersucht dieser Aufsatz, wie sich die Geldpolitik des Eurosystems auf den Risikoappetit der Anleger im Euroraum auswirkt.

Der Risikoappetit der Anleger ist ein zentrales Konzept bei der Bewertung finanzieller Vermögenswerte. Um dies zu veranschaulichen, ist es hilfreich, die erwartete Rendite finanzieller Anlagen in eine risikofreie und eine risikobehaftete Komponente, die Risikoprämie, zu zerlegen.

4
Vgl.: Cochrane (2005) sowie Deutsche Bundesbank (2016).
Die Risikoprämie setzt sich dabei aus der Risikomenge des spezifischen Vermögenswertes und dem Marktpreis je Risikoeinheit zusammen (Abbildung 2.1). Die Risikomenge eines Wertpapiers hängt von der Art des Finanzinstruments und seinen spezifischen Eigenschaften ab. Beispielsweise verlangen Anleger für festverzinsliche Wertpapiere eine Risikokompensation für verschiedene Risikoarten wie das Zinsänderungs-, Liquiditäts- und Ausfallrisiko. Die Höhe dieser Kompensation hängt dabei von spezifischen Merkmalen der Anleihe ab, wie der Laufzeit und der Bonität des Emittenten. Darüber hinaus hängt die Höhe des geforderten Risikoaufschlags für alle Wertpapiere in einer Volkswirtschaft vom Marktpreis des Risikos ab. Der Risikoappetit, die Bereitschaft von Anlegern, Risiken einzugehen, wird standardmäßig als Kehrwert vom Marktpreis des Risikos definiert (siehe Exkurs zur Risikoprämien-Herleitung).
5
Vgl.: Gai und Vause (2006).
Eine erhöhte Bereitschaft der Anleger, Risiken einzugehen, führt dazu, dass sie eine niedrigere Risikoprämie für alle Finanzanlagen in einer Volkswirtschaft akzeptieren, das heißt der Marktpreis des Risikos fällt. Dies macht den Risikoappetit zu einem zentralen Konzept bei der Bewertung finanzieller Anlagen. Der Risikoappetit selbst hängt von zwei Faktoren ab. Dies sind zum einen die Risikopräferenzen der Anleger, also das Ausmaß, in dem sie Unsicherheit über das künftige Niveau ihrer Konsumausgaben missbilligen. Zum anderen spielt das allgemeine makroökonomische Umfeld eine wesentliche Rolle, welches die Höhe dieser Unsicherheit beeinflusst.
6
Die ökonomische Unsicherheit kann dabei als Standardabweichung des Konsumwachstums gemessen werden, vgl.: Cochrane (2005).

Bewertung finanzieller Vermögenswerte
Bewertung finanzieller Vermögenswerte

Exkurs

Zur Herleitung der Risikoprämie und des Risikoappetits

Die Risikoprämie ergibt sich aus dem Produkt einer vermögenswertspezifischen Menge des Risikos und dem Marktpreis des Risikos. Gemäß der klassischen Vermögenspreistherorie („Asset-Pricing“-Theorie) gilt in effizienten, vollständigen und arbitragefreien Märkten mit rationalen Anlegern und vollständiger Information, dass der Preis pi,t eines jeden Vermögenswertes i in t dem Barwert der zukünftigen Auszahlung dieses Vermögenswertes xi,t+1 in t+1 entspricht.

1
Vgl.: Cochrane (2005) sowie Deutsche Bundesbank (2016).
Die zukünftige Auszahlung x_{i,t+1} ergibt sich aus dem zukünftigen Preis des Vermögenswertes pi,t+1 und einer möglichen Dividende di,t+1, das heißt xi,t+1=pi,t+1+di,t+1. Dieser Zusammenhang wird in der sogenannten Basispreisgleichung (1) dargestellt.

(1)pi,t=Et(mt+1xi,t+1).

Der Barwert wird dabei mittels eines Diskontfaktors, mt+1, ermittelt, welcher stochastisch ist und überwiegend von den Risikopräferenzen der Anleger sowie dem makroökonomischen Umfeld abhängt. Unter den getroffenen Annahmen gilt, dass der stochastische Diskontfaktor eindeutig und für alle Finanzanlagen in einer Volkswirtschaft gleich ist. 

Es ist gängige Konvention, Preisgleichung (1) in Bruttorenditen auszudrücken, Ri,t+1=xi,t+1pi,t, indem durch pi,t dividiert wird: 

(2)1=Et(mt+1Ri,t+1).

Gleichung (2) impliziert, dass der Erwartungswert des stochastischen Diskontfaktors Et(mt+1) dem risikofreien Diskontfaktor 1Rf,t entspricht, wobei Rf,t der in t bekannte risikofreie Zinssatz ist.

Unter Anwendung des Verschiebungssatzes der Kovarianz ergibt sich:

(3)1=Et(mt+1)Et(Ri,t+1)+covt(mt+1,Ri,t+1),

und unter Ausnutzung Rf,t=1Et(mt+1) folgt:

(4)Et(Ri,t+1)Rf,t=covt(mt+1,Ri,t+1)Rf,t.

Gleichung (4) besagt, dass die erwartete Risikoprämie eines riskanten Vermögenswertes, die Differenz der erwarteten Bruttorendite und des risikofreien Zinssatzes, proportional zu der mit minus eins multiplizierten Kovarianz zwischen der zustandsabhängigen Rendite des Vermögenswertes und dem stochastischen Diskontfaktor ist. Intuitiv beschreibt die Kovarianz die systematischen Schwankungen der Rendite Ri,t+1 des Vermögenswertes mit den Risikopräferenzen der Anleger und dem makroökonomischen Umfeld. 

Die Risikoprämie, Et(Ri,t+1)Rf,t, kann nun als das Produkt der vermögenswertspezifischen Risikomenge, βi, und dem Marktpreis des Risikos, λt, ausgedrückt werden,

(5)Et(Ri,t+1)Rf,t=(covt(mt+1,Ri,t+1)vart(mt+1)βi)(vart(mt+1)Rf,t=λt)=βiλt.

Der Risikoappetit ist als Kehrwert des Marktpreises des Risikos definiert. Der Marktpreis des Risikos, λt, ist unter den zuvor genannten Annahmen für alle Vermögenswerte in einer Volkswirtschaft gleich und beschreibt die von den Anlegern geforderte Risikoprämie für jede Einheit Risiko, die sie im Gleichgewicht halten. In der Literatur ist es üblich, den Kehrwert des Marktpreises des Risikos auch als Risikoappetit - also die Bereitschaft der Anleger, Risiken einzugehen - zu bezeichnen.

2
Vgl.: Gai und Vause (2006).
Wenn der Risikoappetit steigt, also die Bereitschaft der Anleger zunimmt, Risiken einzugehen, dann fällt die geforderte Risikoprämie der Anleger für jede Einheit Risiko. Der Marktpreis des Risikos und damit der Risikoappetit hängen somit vom makroökonomischen Umfeld und den Risikopräferenzen der Anleger ab.

Der Risikoappetit im Euroraum kann mithilfe empirischer Verfahren gemessen werden. Die vorliegende Analyse verwendet hierfür einen neuen täglichen und breit gefassten Risikoappetitindex für den Euroraum (siehe Exkurs zur Index-Herleitung).

7
Vgl.: Hartwig (2025).
Dieser Index misst den Risikoappetit der Anleger, indem er die gemeinsame tägliche Variation einzelner Risikomaße aus fünf Anlagesegmenten mithilfe der Hauptkomponentenanalyse extrahiert.
8
Vgl.: Miranda-Agrippino und Rey (2020) sowie Bauer et al. (2023). Für alternative Ansätze siehe: Brave und Butters (2012), Datta et al. (2017), Bekaert et al. (2022) sowie Adrian et al. (2023).
Der neue Index erklärt einen hohen Anteil der gemeinsamen Variation einschlägiger Risikomaße für europäische Aktien und Anleihen. Er erscheint daher gut geeignet, die Entwicklungen im Euroraum einzuordnen und den globalen oder den US-amerikanischen Maßen gegenüberzustellen. Zusätzlich gestützt wird diese Einschätzung durch seine enge Korrelation mit einem weiteren Indikator, der den Risikoappetit anhand von Bewertungsunterschieden zwischen hoch und wenig volatilen Aktien auf Quartalsdatenebene ermittelt (siehe Exkurs zur alternativen Messung des Risikoappetits).

Der Risikoappetit im Euroraum ist zeitvariabel und entwickelt sich gleichgerichtet zur Konjunktur (siehe Abbildung 2.2). Insbesondere zeigt der Indikator an, dass der Risikoappetit der Anleger zusammen mit schlechten makroökonomischen Entwicklungen fällt, beispielsweise während der globalen Finanzkrise oder der Corona-Pandemie. Der Rückgang des Risikoappetits führt dazu, dass Anleger höhere Risikoaufschläge für das Halten der gleichen Risikomenge von riskanten Vermögenswerten verlangen. Wissenschaftliche Arbeiten liefern Hinweise, dass insbesondere die Risikoaversion von Haushalten und Finanzintermediären in einem solchen krisenhaften Umfeld teils erheblich steigen kann.

9
Vgl. für einen Überblick: Cochrane (2017).
Demnach erachten private Haushalte ein Engagement in riskanten Vermögenswerten in Krisenzeiten als zunehmend ungeeignet, um ihr gewünschtes Ausgabenniveau abzusichern.
10
Vgl.: Campbell und Cochrane (1999).
Auch treten in einem solchen Umfeld zumeist Bewertungsverluste auf. Bewertungsverluste verringern die Aktiva von Wirtschaftsakteuren und engen damit Spielräume ein, Kredite aufzunehmen und zu vergeben. Sie stoßen auf sogenannte bilanzielle Restriktionen. Dies kann insbesondere die Risikotragfähigkeit von Finanzintermediären einschränken und dadurch ihre Risikoaversion erhöhen.
11
Die Risikotragfähigkeit der Finanzintermediäre hängt unter anderem von regulatorischen Anforderungen und selbst auferlegten Risikolimits ab. Vgl.: Adrian und Shin (2010), He und Krishnamurthy (2013), Haddad und Muir (2021) sowie Deutsche Bundesbank (2018, 2021).
Darüber hinaus steigt in einem schlechten Makroumfeld typischerweise die ökonomische Unsicherheit, welche zu einer fallenden Risikobereitschaft beiträgt.
12
Vgl.: Bansal und Yaron (2004). Neben einer schlechten konjunkturellen Lage kann die ökonomische Unsicherheit auch aufgrund einer Zunahme der politischen Unsicherheit oder asymmetrischer Information über den Wert risikoreicher Vermögensanlagen steigen, siehe: Bloom (2009), Jurado et al. (2015), Baker et al. (2016), Ludvigson et al. (2021) sowie Adrian et al. (2023).

Risikoappetit im internationalen Vergleich
Risikoappetit im internationalen Vergleich

Der Risikoappetitindex für den Euroraum folgt meist globalen Finanzmarktentwicklungen. Der hohe Gleichlauf des Risikoappetitindex im Euroraum mit den entsprechenden Indizes für den US

-amerikanischen oder globalen Risikoappetit deutet darauf hin, dass zu einem Gutteil global agierende Anleger den Risikoappetit des Euroraums bestimmen (siehe Abbildung 2.2).
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Vgl.: Miranda-Agrippino und Rey (2020). Die Korrelation zwischen den Risikoappetitsmaßen beträgt über 0,85.
Gleichzeitig zeigt der Indikator Episoden an, in welchen die Risikoneigung im Euroraum von globalen Entwicklungen abweicht. Dies war beispielsweise während der europäischen Staatsschuldenkrise von 2010 bis 2012 der Fall. Damals sorgten sich die Anleger um die Tragfähigkeit der Staatsschulden einiger Mitgliedsländer der Währungsunion und die Konjunkturaussichten für den Euroraum. Im Ergebnis fiel die Risikobereitschaft im Euroraum deutlich und trug dazu bei, dass Aktien und Unternehmensanleihen in Europa merklich stärker unter Druck gerieten als in den USA oder auf globaler Ebene. Darüber hinaus erweist sich die tägliche Verfügbarkeit des Euroraumindikators als nützlich, aktuelle Finanzmarktentwicklungen in Echtzeit einzuordnen (siehe Abbildung 2.2). Ein Beispiel hierfür ist die „Risk-off“-Bewegung im Euroraum, also eine Verlagerung von Investitionen in risikoreichere Anlagen hin zu sichereren Anlagen, nach der Ankündigung vorgezogener Parlamentswahlen in Frankreich im Juni 2024. Der damit einhergehende Rückgang des Risikoappetits blieb weitgehend auf den Euroraum begrenzt. Er setzte daher fast nur die europäischen Finanzmärkte unter Druck, während sich die globalen Finanzmärkte und Risikoappetitsmaße als robust erwiesen. 

Exkurs

Zur Herleitung eines Index zur Messung des Risikoappetits der Anleger im Euroraum

Der vorgestellte Indikator misst den Risikoappetit der Anleger im Euroraum anhand der gemeinsamen täglichen Veränderung von 13 Einzelindikatoren aus fünf verschiedenen Anlageklassen (siehe Tabelle 2.1).

1
Vgl.: Hartwig (2025).
Der Risikoappetit, definiert als Kehrwert des Marktpreises des Risikos, ist der Theorie nach in arbitragefreien und vollständigen Finanzmärkten bei allen Finanzanlagen in einer Volkswirtschaft gleich. Ändert sich der Risikoappetit, ändern sich die Risikoprämien aller risikobehafteten Vermögensanlagen und damit deren Preise. Da sich der Risikoappetit in allen Risikoprämien gleichermaßen niederschlägt, kann er mithilfe einer Hauptkomponentenanalyse aus Einzelindikatoren abgeleitet werden.
2
Vgl.: Miranda-Agrippino und Rey (2020) sowie Bauer et al. (2023). Die Hauptkomponentenanalyse ist ein etabliertes statistisches Verfahren, um die Information in einem Datensatz mit einer geringen Zahl möglichst aussagekräftiger Linearkombinationen der Hauptkomponenten darzustellen.
Hier werden 13 Einzelindikatoren verwendet. Sie sind wichtige Referenzgrößen der Finanzmärkte im Euroraum und reflektieren neben vermögenswertspezifischen Risiken auch jeweils den allgemeinen Risikoappetit. Der tägliche Risikoappetit ist dabei als die erste Hauptkomponente der standardisierten täglichen Veränderung dieser 13 Einzelindikatoren definiert. Die erste Hauptkomponente erklärt definitionsgemäß den höchsten Anteil der Gesamtvarianz.
3
Die erste Hauptkomponente wird mithilfe des ersten Eigenvektors der Korrelationsmatrix der 13 Finanzmarktindikatoren und den standardisierten Daten, welche einen Mittelwert von null und eine Standardabweichung von eins haben, bestimmt.
Insgesamt erklärt die erste Hauptkomponente mit über 30 % einen beträchtlichen Anteil der gemeinsamen Variation dieser Einzelindikatoren und damit deutlich mehr als andere Risiko(appetit)-Indikatoren.
4
Die entsprechenden Indikatoren für den US-amerikanischen und globalen Risikoappetit erklären jeweils 13 % beziehungsweise 20 % der gemeinsamen Variation der Einzelindikatoren für den Euroraum. Die Indikatoren für die Finanzierungsbedingungen von Bloomberg und Goldman Sachs erklären nur etwa 7 % beziehungsweise 13 % der gemeinsamen Variation.
Der Index ist so normiert, dass ein Indexanstieg einer Zunahme der Risikobereitschaft entspricht. Das Niveau des Risikoappetits errechnet sich als standardisierte Summe der täglichen Indexwerte.
5
Der Indikator hat somit einen Mittelwert von null und eine Standardabweichung von eins.

Der Risikoappetitindikator für den Euroraum ist ein breites Maß, das Risikomaße auf den Aktien- und Anleihemärkten ähnlich stark wiedergibt. Alle 13 Einzelindikatoren fließen mit dem erwarteten Vorzeichen in den Risikoappetitindikator ein (Tabelle 2.1). Demnach geht ein zunehmender Risikoappetit mit steigenden Aktienkursen, einer rückläufigen Finanzmarktvolatilität, engeren Renditeaufschlägen sowie einer Abwertung der Zufluchtswährungen US

-Dollar und Schweizer Franken gegenüber dem Euro einher. Die Variablen mit Aktienmarktbezug – die beiden Aktienindizes und der VSTOXX Volatilitätsindex – haben dabei das höchste Gewicht im Index, gefolgt von den Renditeaufschlägen auf Unternehmensanleihen (Tabelle 2.1, Spalte 2). Insgesamt erklären die Aktien- und Anleihemarktgrößen laut Varianzanalyse einen ähnlich hohen Anteil der täglichen gemeinsamen Variation dieser Indikatoren (Tabelle 2.1, Spalte 3).

Tabelle 2.1 Komponenten des täglichen Risikoappetitindex für den Euroraum
FinanzmarktindikatorenIndex-KoeffizientKovarianzanteil (in %)
Aktienmarkt

34,43

Euro Stoxx Kursindex

0,41

17,12

Euro Stoxx Banken Kursindex

0,42

17,31

Volatilität

19,65

Implizite Volatilität des Euro Stoxx 50 in 30 Tagen (VSTOXX)1) 

− 0,37

14,03

Implizite Volatilität von Bund-Future Optionen mit einer Laufzeit von drei Monaten

− 0,11

1,29

Implizite Volatilität von Euro-US-Dollar Optionen mit einer Laufzeit von drei Monaten  

− 0,21

4,33

Staatsanleihen

11,02

Spread zehnjährige BIP-gewichtete EWU-Anleihe2)

− 0,29

8,34

Streuung der Spreads zehnjähriger EWU-Anleihen2)

− 0,16

2,68

Unternehmensanleihen

.

30,08

iBoxx Euroraum-AA- Spread (7‑10 Jahre)3)

− 0,30

8,98

iBoxx Euroraum-BBB-Spread (7‑10 Jahre)3)

− 0,34

11,28

ICE/BofA Euroraum-High-Yield-Option-Adjusted-Spread (alle Laufzeiten)

− 0,31

9,83

Devisenmarkt

4,81

Wechselkurs des US-Dollar gegenüber Euro4)

− 0,11

1,21

Wechselkurs des Schweizer Franken gegenüber Euro4)

− 0,17

2,92

Euro-US-Dollar-Basis für dreimonatige Geldmarktgeschäfte5)

− 0,09

0,78

Quelle: Bloomberg und eigene Berechnungen. Der Index-Koeffizient (Spalte 2) gibt das Gewicht jedes Einzelindikators am Risikoappetitindex im Euroraum wider (die Komponenten des ersten Eigenvektors der Korrelationsmatrix der 13 Finanzmarktindikatoren). Aktien- und Wechselkurse fließen als tägliche, logarithmierte Kursdifferenzen in den Index ein; die Volatilitätsindikatoren sind in Indexpunkten gemessene tägliche Veränderungen, die Anleihespreads und ihre Streuung sind in Prozentpunkten gemessene tägliche Veränderungen. Das Vorzeichen des Risikoappetitindex ist normiert, sodass ein Indexanstieg einem steigenden Risikoappetit entspricht. Der Kovarianzanteil (Spalte 3) ist definiert als Kovarianz des jeweiligen standardisierten Einzelindikators mit der täglichen Veränderung des Risikoappetitindex geteilt durch die Varianz täglichen Veränderung des Risikoappetitindex. Die Summe der Kovarianzanteile beträgt eins. 1 Der V-STOXX ist seit dem 1. Januar 2007 verfügbar; frühere Werte entsprechen dem V-DAX. 2 Spreads relativ zur Rendite zehnjähriger Bundesanleihen. 3 Spreads relativ zur laufzeitgleichen Bundesanleiherendite, gemessen am entsprechenden iBoxx-Index. Die iBoxx-Daten sind seit dem 23. Mai 2002 verfügbar; frühere Werte basieren auf den entsprechenden ICE/BofA-Indizes und der zehnjährigen Bunderendite.  4 Ein Anstieg des Wechselkurses entspricht einer Abwertung des Euro gegenüber seiner Partnerwährung. 5 Ein Anstieg der Swap-Basis entspricht höheren US-Dollar-Finanzierungskosten für Banken im Euroraum durch Devisenswaps im Vergleich zu einer direkten Refinanzierung auf den US-Geldmärkten, siehe auch Deutsche Bundesbank (2022).
Exkurs

Messung des Risikoappetits anhand von Bewertungsunterschieden zwischen volatilen und wenig volatilen Aktien

Dieser Exkurs stellt im Sinne einer Robustheitsanalyse eine alternative Messgröße für den Risikoappetit (price of volatile stocks, PVS

) vor, die auf Unterschieden im Buch-zu-Marktwert-Verhältnis zwischen hoch und wenig volatilen Aktien basiert. Die Messgröße wird in Ergänzung zu vorliegender US-Literatur auch für den Euroraum berechnet.
1
Der PVS-Risikoappetit wurde erstmals von Pflueger et al. (2020) für US-Unternehmen vorgestellt.
Insgesamt zeigt die Analyse, dass das PVS-Maß in beiden Währungsräumen relativ eng mit den entsprechenden, auf Hauptkomponentenanalysen basierenden Risikoappetitindizes korreliert (siehe den Exkurs zur Herleitung eines Index zur Messung des Risikoappetit der Anleger im Euroraum für Einzelheiten zum Risikoappetitindex für den Euroraum) und zudem mit wichtigen Makrogrößen zusammenhängt. Im Ergebnis stützt dies die Robustheit der Analyse mit den bereits beschriebenen Hauptkomponenten-Risikoappetitindizes. 

Die Untersuchung basiert auf einem großen Unternehmensdatensatz für den Euroraum und die USA

. Die Stichprobe umfasst alle Unternehmen, die im Beobachtungszeitraum seit 1999 mindestens einmal zum Jahresanfang im Euro Stoxx oder S&P 500 enthalten waren.
2
Im Euroraum werden nur Unternehmen im EuroStoxx seit 2002 berücksichtigt. Des Weiteren müssen für Unternehmen Aktienkurse des Folgequartals und das Buch-zu-Marktwert-Verhältnis vorliegen.
Insgesamt handelt es sich um 640 europäische und 1 064 US-Unternehmen. Das PVS-Maß wird in Quartalsdaten berechnet.

Das PVS

-Maß ist definiert als die Differenz des (am arithmetischen Mittel gemessenen) mittleren Buch-zu-Marktwert-Verhältnisses (BMV) wenig volatiler und hoch volatiler Aktien. Für seine Berechnung werden alle Aktien am Ende jedes Quartals in fünf Volatilitäts-Quintile eingeteilt.
3
Die Volatilität basiert auf den Aktienerträgen der letzten zwei Monate (44 Tage) und fließt ein in das PVS-Maß, sofern für die Erträge in den letzten zwei Monaten mindestens 20 Beobachtungen vorliegen.
Aktien des niedrigsten Volatilitäts-Quintils werden als „wenig volatil“ definiert, Aktien des höchsten Volatilitäts-Quintils als „hoch volatil“. Die Intuition hinter dem PVS-Maß ist, dass hoch volatile Aktien besonders sensitiv auf einen veränderten Risikoappetit reagieren. Zudem sollten diese Unternehmen in ihrem Investitionsverhalten vielen nicht-börsennotierten Unternehmen ähneln, die die Gesamtwirtschaft stark prägen.
4
Vgl.: Pflueger et al. (2020).
Ihre Bewertung sollte daher den gesamtwirtschaftlich relevanten Risikoappetit sichtbar widerspiegeln. Beispielsweise äußern sich steigende Kurse hoch volatiler Aktien in einem sinkenden BMV dieser Aktien. Bei einem vergleichsweise stabilen BMV wenig volatiler Aktien erhöht dies das PVS-Maß und weist damit auf eine gewachsene Risikobereitschaft der Anleger hin.

Das PVS

-Maß korreliert eng mit den Hauptkomponenten-Risikoappetitindizes. Ein Vergleich mit weiteren einschlägigen Risikomessgrößen hilft, das PVS-Maß einzuordnen. Der Vergleich betrachtet dabei neben den bereits beschriebenen Hauptkomponenten-Risikoappetitindizes auch Maße für die Volatilität an den Aktien- und Staatsanleihemärkten.
5
Die Aktienvolatilitätsmaße sind die aus Optionen abgeleitete, implizite Volatilität des Euro Stoxx und des S&P 500. Für die Staatsanleihemärkte werden die implizite Volatilität deutscher und US-amerikanischer Staatsanleihen betrachtet (Volatilität von Bund-Futures und MOVE-Index).
Zudem bezieht der Vergleich ebenfalls ein Maß ein, das die Streuung der Gewinnschätzungen von Unternehmen mit hoch volatilen und wenig volatilen Aktienkursen wiedergibt.
6
Dieses Dispersionsmaß ähnelt in seiner Konstruktion dem PVS-Maß. Für seine Berechnung wird zunächst das Risiko auf Unternehmensebene ermittelt, und zwar als normierte Streuung der Zwölfmonats-Gewinnschätzungen (Quelle: IBES-Analystenschätzungen). Das aggregierte Dispersionsmaß ist der Median dieses Risikos von Unternehmen mit sehr volatilen Aktienkursen (höchstes Volatilitäts-Quintil) abzüglich des Medians dieses Risikos von Unternehmen mit wenig volatilen Aktienkursen (niedrigstes Volatilitäts-Quintil).
Dem Vergleich mittels einer Korrelationsanalyse zufolge hängt das PVS-Maß beiderseits des Atlantiks jeweils am engsten mit den entsprechenden Hauptkomponentenanalyse-basierten Risikoappetitindizes zusammen (Euroraum: ρ=0,65, USA: ρ=0,80). Die Korrelation der PVS-Indikatoren mit der Streuung der Gewinnschätzungen und den Volatilitätsindikatoren ist etwas schwächer und wie erwartet negativ. 

Das PVS

-Maß hängt ebenfalls mit wichtigen Makrogrößen wie dem Realzins zusammen und reflektiert neue gesamtwirtschaftliche Informationen. Der Koeffizient einer einfachen linearen Regression des PVS-Maßes des jeweiligen Währungsraumes auf den entsprechenden einjährigen Realzins ist jeweils positiv und signifikant. Dies legt nahe, dass ein höherer Risikoappetit in der Regel mit einem stärkeren Wachstum einhergeht. Der Risikoappetit lässt sich somit auch als Konjunkturindikator interpretieren. Dafür spricht auch, dass es ebenfalls einen positiven Zusammenhang des PVS-Maßes mit positiven Überraschungen hinsichtlich des BIP- oder Unternehmensgewinnwachstums gibt.
7
Überraschungen werden dabei definiert als Abweichungen der realisierten Werte von entsprechenden, umfragebasierten Erwartungen (BIP: Schätzungen von Consensus Economics, Unternehmensgewinne: IBES-Analystenschätzungen).

Die PVS

-Maße signalisieren teilweise transatlantische Unterschiede hinsichtlich des Risikoappetits. Das PVS-Maß für den Euroraum sank insbesondere infolge der Finanz- und Staatsschuldenkrise, des EU-Mitgliedschaftsreferendums im Vereinigten Königreich 2016 und des Pandemieausbruchs 2020 (Abbildung 2.3). Nach Ausbruch des Ukrainekriegs 2022 ging es vergleichsweise maßvoll zurück. Das PVS-Maß für die USA fiel in der Finanzkrise und der Pandemie noch stärker, zeigte sich aber gegenüber der europäischen Staatsschuldenkrise und dem Brexit relativ robust. Das PVS-Maß hilft somit ähnlich wie das hauptkomponentenanalysebasierte Maß, den euroraumspezifischen Risikoappetit zu identifizieren und international einzuordnen.

Risikoappetitmaße im Vergleich
Risikoappetitmaße im Vergleich

2 Geldpolitik und die Finanzmärkte

Die Geldpolitik beeinflusst die Preise finanzieller Vermögenswerte über unterschiedliche Transmissionskanäle. Erhöht die Notenbank im Zuge einer sich überhitzenden Volkswirtschaft die Leitzinsen, so steigen in der Regel auch die risikofreien Zinsen mit längeren Laufzeiten.

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Neben der konventionellen Geldpolitik kann der EZB-Rat die risikofreien Zinsen auch über unkonventionelle geldpolitische Maßnahmen über Bilanzoperationen wie dem erweiterten Ankaufprogramm und dem Pandemie-Notfallankaufprogramm für Wertpapiere beeinflussen.
Das vermindert den Barwert zukünftiger Zahlungsströme und damit die Preise finanzieller Vermögenswerte. Daneben vermindert eine straffere Geldpolitik über ihren dämpfenden Einfluss auf die Konjunktur die erwarteten Gewinne der Unternehmen, was die Vermögenspreise zusätzlich drückt. Und schließlich können die Anleger bei unerwartet steigenden Leitzinsen höhere Risikoaufschläge fordern, weil spezifische Risikomengen unterschiedlich stark steigen. Insbesondere verlangen Anleger höhere Risikoaufschläge von denjenigen Unternehmen, deren Ausfallrisiko in einem schwächeren konjunkturellen Umfeld steigt. Und schließlich kann mit einer strafferen Geldpolitik der Risikoappetit auf den Finanzmärkten abnehmen.
15
Dies lässt sich für die Risikoprämien verschiedener Finanzmarktsegmente zeigen, wie beispielsweise für die Aktienmärkte und die Märkte für Staats- und Unternehmensanleihen, siehe: Bernanke und Kuttner (2005), Gertler und Karadi (2015), Hanson et al. (2021) sowie Bauer et al. (2023).

Eine straffere Geldpolitik kann dabei über eine erhöhte Unsicherheit und eine fallende Risikoaversion den Risikoappetit der Anleger erhöhen.

16
Vgl. für einen Überblick: Borio und Zhu (2012), Bauer et al. (2023) sowie Kashyap und Stein (2023).
Die Risikoaversion kann infolge eines geldpolitisch induzierten Anstiegs der risikofreien Zinsen zunehmen. Dahinter steht die Überlegung, dass Anleger mit vorgegebenen nominalen Renditezielen dieselbe erwartete Gesamtrendite ihres Portfolios erzielen, wenn sie in risikofreie Anlagen umschichten. Damit verringert diese Anlegergruppe den Anteil riskanter Vermögenswerte in ihren Portfolios. Andere Anleger müssen nun die verkauften, riskanteren Vermögenswerte halten und sind dazu nur bereit, wenn sie einen höheren Risikoaufschlag erhalten.
17
Vgl.: Campbell und Sigalov (2022).
Darüber hinaus dämpft eine straffere Geldpolitik das Konsumniveau und die Konjunkturperspektiven. Dies macht die Anleger zunehmend risikoavers. Auch kann ein geldpolitisch induzierter Anstieg des risikofreien Zinsniveaus zu den oben erläuterten zunehmenden bilanziellen Restriktionen der Wirtschaftsakteure führen. Zusammen mit den zuvor erwähnten Effekten auf die Konjunktur kann dies die ökonomische Unsicherheit erhöhen.
18
Vgl.: Adrian et al. (2023).

Im Folgenden untersucht der Aufsatz anhand einer Ereignisstudie, wie geldpolitische Maßnahmen über den Risikoneigungskanal auf die Finanzmärkte im Euroraum wirken. Hierfür werden geldpolitische Überraschungskomponenten im unmittelbaren Zusammenhang mit geldpolitischen Entscheidungen des EZB

-Rats identifiziert.
19
Die geldpolitische Überraschungskomponente ist als der Teil der innertäglichen Veränderung des zweijährigen Euroraum-Overnight-Index-Swap (OIS)-Satzes am Tag der EZB-Ratssitzung definiert, der mit der Bewegung der Renditeaufschläge langfristiger Unternehmensanleihen positiv zusammenhängt; siehe: Hartwig (2025). Diese Identifikationsstrategie kann mit dem oben erläuterten Effekt der Geldpolitik auf die Bilanzposition der Unternehmen begründet werden. Eine solche modellbasierte Identifikation ist notwendig, da ein unmittelbarer Anstieg des zweijährigen Euroraum-OIS-Satzes am Tag der EZB-Ratssitzung nicht notwendigerweise einen strafferen geldpolitischen Impuls widerspiegelt. Stattdessen können auch nicht-geldpolitische Faktoren wie eine unerwartet starke Reaktion des EZB-Rats auf das makroökonomische Umfeld oder ein unerwartet optimistischer Wirtschaftsausblick des EZB-Rats zu steigenden Zinserwartungen führen; siehe: Romer und Romer (2000), Cieslak und Schrimpf (2019) sowie Bauer und Swanson (2023b). Für die empirische Untersuchung werden Veränderungen des zweijährigen Euroraum-OIS-Satzes betrachtet, da sie ein umfassendes Maß für die Änderung von kurz- bis mittelfristigen Leitzinserwartungen sind; siehe: Kerssenfischer (2022) sowie Deutsche Bundesbank (2023).
Diese geldpolitischen Überraschungskomponenten werden anschließend in einer Ereignisstudie verwendet, um die Reaktion des Risikoappetitindex zusammen mit riskanten Vermögenspreisen, den risikofreien Zinserwartungen und ausgewählten Wechselkursen gegenüber dem Euro im zeitlichen Ablauf empirisch zu untersuchen. Der Ereignisstudie zufolge steigen nach einem unerwarteten restriktiven geldpolitischen Impuls des Eurosystems um 25 Basispunkte die kurz- bis mittelfristigen Zinserwartungen der Markteilnehmer, gemessen an der Reaktion des zweijährigen Euroraum-OIS-Satzes (siehe Abbildung 2.4).

Reaktion der Finanzmärkte im Euroraum auf eine geldpolitische Straffung des Eurosystems
Reaktion der Finanzmärkte im Euroraum auf eine geldpolitische Straffung des Eurosystems

Eine unerwartete geldpolitische Straffung des Eurosystems ruft eine anhaltende und ökonomisch signifikante „Risk-off“-Bewegung an den Finanzmärkten hervor. Dies zeigt sich an rückläufigen Aktienkursen, einer höheren Aktienmarktvolatilität sowie höheren Renditeaufschlägen auf Unternehmensanleihen. Darüber hinaus fällt die Risikobereitschaft der Anleger und nimmt über die Zeit weiter ab. Demzufolge ist der Einfluss der Geldpolitik auf den Risikoappetit der Anleger nicht nur kurzfristig angelegt. Die Ergebnisse legen vielmehr nahe, dass er die „Risk-off“-Bewegung von Aktien und Anleihen über die Zeit verstärkt. Sie deuten damit auf einen ökonomisch bedeutenden Effekt des Risikoneigungskanals in der geldpolitischen Transmission hin, welcher im nachfolgenden Kapitel untersucht wird.

Der Risikoneigungskanal spielt eine wichtige Rolle bei der transatlantischen Übertragung der Geldpolitik (siehe Exkurs zur transatlantischen Übertragung). Die geldpolitischen Maßnahmen der US

-Notenbank rufen anhaltende Bewegungen an den Finanzmärkten im Euroraum hervor. Die empirische Arbeit deutet darauf hin, dass diese Entwicklungen sich maßgeblich über den Risikoneigungskanal global aktiver Anleger übertragen. Auch die Geldpolitik des Eurosystems beeinflusst den Risikoappetit der US-Anleger. Allerdings ist ihr Einfluss auf die US-Finanzmärkte insgesamt deutlich schwächer ausgeprägt als der Einfluss der Geldpolitik in den USA auf die Finanzmärkte im Euroraum. Des Weiteren beeinflusst der Risikoappetit der Anleger auch die Entwicklung des Euro gegenüber anderen Währungen. Ein durch die Geldpolitik des Eurosystems induzierter Anstieg der heimischen risikofreien Zinsen schlägt sich unter sonst gleichen Bedingungen in höheren Zinsdifferenzen zu allen anderen Währungsräumen nieder. Dies zieht tendenziell eine Aufwertung des nominalen effektiven Wechselkurses des Euro nach sich.
20
Vgl.: Deutsche Bundesbank (2022).
Allerdings dämpft der geldpolitische Impuls des Eurosystems auch den Risikoappetit global agierender Anleger. Dies könnte erklären, warum der Euro gegenüber dem US-Dollar, dem Schweizer Franken und dem Yen weniger stark oder gar nicht aufwertet. Diese Währungen gelten entweder als Zufluchtswährung („safe haven currency“) oder fungieren als Finanzierungswährung in spekulativen Carry-Trade-Geschäften, die in Zeiten erhöhter Anspannung an den Finanzmärkten vermehrt aufgelöst werden.
21
Vgl.: Deutsche Bundesbank (2014) sowie Hossfeld und MacDonald (2015).
Somit bremst die Reaktion des Risikoappetits den Aufwertungsdruck auf den nominalen effektiven Euro.

Exkurs

Transatlantische Übertragung der Geldpolitik und die Rolle des Risikoappetits

Die an Tagen geldpolitischer Entscheidungen oft gleichgerichtete Reaktion riskanter Vermögenspreise im Euroraum und in den USA

deutet auf eine geldpolitisch beeinflusste Risikobereitschaft global agierender Anleger hin. Vor diesem Hintergrund untersucht dieser Exkurs mithilfe einer Ereignisstudie, wie sich die Geldpolitik des Eurosystems und der US-Notenbank jeweils transatlantisch auf die Finanzmärkte überträgt und welche Rolle der Risikoappetit der Anleger dabei spielt. Hierfür werden geldpolitische Überraschungskomponenten im unmittelbaren Zusammenhang mit geldpolitischen Entscheidungen der jeweiligen Notenbank identifiziert. Diese geldpolitischen Überraschungen werden anschließend in einer Ereignisstudie verwendet, um die Reaktion wichtiger Finanzmarktindikatoren im zeitlichen Ablauf empirisch zu untersuchen.

Der Risikoneigungskanal trägt wesentlich dazu bei, dass die US

-Geldpolitik die europäischen Finanzmärkte beeinflusst (Abbildung 2.5). Um die geldpolitischen Überraschungen der Fed zu ermitteln, wird ein in der Literatur etablierter Ansatz verwendet.
1
Vgl.: Bauer und Swanson (2023a).
Die Ergebnisse der Ereignisstudie zeigen, dass die US-Geldpolitik die Finanzmärkte beiderseits des Atlantiks über den Risikoneigungskanal erheblich beeinflusst: Eine unerwartete Straffung der US-Notenbank um 25 Basispunkte geht in beiden Währungsräumen mit einer anhaltenden und ökonomisch signifikanten „Risk-off“-Bewegung an den Aktien- und Anleihemärkten einher. Das zeigt sich darin, dass der Impuls der Fed den Risikoappetit in beiden Währungsräumen, wenn auch mit stärkeren Effekten im Heimatmarkt, dämpft. Des Weiteren führt die straffere US-Geldpolitik dazu, dass der Euro gegenüber dem US-Dollar merklich abwertet. Neben der ausgeweiteten Zinsdifferenz zwischen den USA und dem Euroraum kann die nachlassende Risikobereitschaft der Anleger zu der merklichen Abwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar über „Safe-haven“-Effekte beitragen. Demnach stützt die nachlassende Risikoneigung globaler Anleger die Nachfrage nach Vermögenswerten in Zufluchtswährungsräumen wie den USA, was die Abwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar verstärkt.
2
Vgl.: Baele et al. (2020).
Darüber hinaus zeigt sich, dass der Euro gegenüber dem kanadischen und dem australischen Dollar spürbar aufwertet. Dieser Effekt kann ebenfalls mit der nachlassenden Risikobereitschaft in Zusammenhang gebracht werden, da diese Währungen oft Ziel spekulativer Anleger sind.
3
Vgl.: Deutsche Bundesbank (2014) sowie Hossfeld und MacDonald (2015).
Im Ergebnis dieser teils gegenläufigen Bewegungen gegenüber einzelnen Währungen wertet der nominale effektive Euro schwächer ab als ohne diesen Effekt.

Reaktion der Finanzmärkte auf eine geldpolitische Straffung der US-Notenbank
Reaktion der Finanzmärkte auf eine geldpolitische Straffung der US-Notenbank

Eine geldpolitische Straffung des Eurosystems senkt die Risikobereitschaft der US

-Anleger und bewirkt eine moderate „Risk-off“-Bewegung an den US-Finanzmärkten. Für diese Ereignisstudie werden die im Haupttext vorgestellten geldpolitischen Überraschungskomponenten des EZB-Rats betrachtet.
4
Vgl.: Hartwig (2025).
Im Vergleich mit den Effekten eines geldpolitischen Impulses in den USA auf den Euroraum zeigt sich, dass eine unerwartete geldpolitische Straffung des EZB-Rats die kurz- bis mittelfristigen US-Zinserwartungen nur stark verzögert aber kaum signifikant erhöht. Gleichwohl bewirkt sie eine moderate „Risk-off“-Bewegung an den US-amerikanischen Aktien- und Anleihemärkten und senkt auch die Risikobereitschaft der US-Anleger anhaltend. Dies verdeutlicht, dass die Geldpolitik des Eurosystems die Preise US-amerikanischer Vermögenswerte auch über den Risikoneigungskanal beeinflusst. Darüber hinaus wertet der Euro gegenüber dem US-Dollar weniger stark auf als gegenüber einem breiten Währungskorb, obwohl sich die Euro-US-Zinsdifferenz ausweitet. Diese Reaktion steht im Einklang mit dem Risikoneigungskanal. Insbesondere stützt ein rückläufiger Risikoappetit die Nachfrage nach US-Treasuries, was dem US-Dollar zusätzlich Auftrieb verleiht. Im Ergebnis schwächt der Risikoneigungskanal damit den Impuls einer geldpolitischen Straffung des Eurosystems auf US-Staatsanleiherenditen und der Aufwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar ab.

3 Makroökonomische Effekte der Geldpolitik und Risikoappetit

Im Unterschied zu den USA

kann der Risikoneigungskanal des Eurosystems einen Straffungsimpuls der Geldpolitik über höhere Risikoprämien verstärken und über die Wechselkursentwicklung dämpfen. Sinkt die Risikobereitschaft infolge einer geldpolitischen Straffung können die Risikoprämien und damit die Finanzierungskosten der Wirtschaftsakteure über das risikofreie Niveau steigen. Auch können Wertverluste bei Vermögensaktiva über steigende Risikoprämien verstärkt werden. Gleichzeitig kann die rückläufige Risikobereitschaft die Wirksamkeit der geldpolitischen Straffung des Eurosystems über den Wechselkurskanal verringern. Insbesondere kann der nachlassende Risikoappetit die Nachfrage nach auf in Euro denominierten Anlagen dämpfen und einer Aufwertung des Euro entgegenwirken. Letztlich ist es eine empirische Frage, welcher Aspekt dominiert. Im Folgenden wird die Rolle des Risikoneigungskanal für die geldpolitische Transmission mithilfe eines geschätzten dynamischen Makrofinanzmodells untersucht, um die Effekte für den Euroraum quantifizieren zu können.
22
Vgl.: Hartwig (2025). Das Modell erfasst die Informationen von 20 Variablen für den Güter-, Arbeits- und Finanzmarkt sowie Indikatoren für das allgemeine Preisniveau und wird in monatlicher Frequenz geschätzt. Daten, die nur quartalsweise vorliegen, wie das reale BIP oder der BIP-Deflator, werden gemäß Stock und Watson (2010) in monatlicher Frequenz interpoliert.

Den Schätzergebnissen zufolge verringert eine straffere Geldpolitik die Wirtschaftsaktivität, das Preisniveau und den Risikoappetit der Anleger (Abbildung 2.6). Dem Einfluss der Geldpolitik auf die Risikoaufschläge kommt eine tragende Rolle zu. So gehen mit steigenden Leitzinsen höhere Risikoaufschläge, gemessen an den Euroraum-Renditeaufschlägen für Unternehmensanleihen der Ratingklasse BBB, einher. Diese lassen die Kapitalkosten über die Zunahme der risikofreien Zinsen hinaus ansteigen. Gleichzeitig führt die straffere Geldpolitik zu einer effektiven Aufwertung des Euro gegenüber 18 Handelspartnern. Hierin spiegelt sich wider, dass ausländische Anleger infolge einer ausgeweiteten Zinsdifferenz vermehrt risikofreie, in Euro denominierte Anlagen nachfragen. 

Reaktion der Makroökonomie auf eine geldpolitische Straffung des Eurosystems
Reaktion der Makroökonomie auf eine geldpolitische Straffung des Eurosystems

Der Risikoneigungskanal verstärkt die Wirksamkeit der geldpolitischen Maßnahmen des Eurosystems auf Konjunktur und Preise, wie sich anhand einer kontrafaktischen Analyse zeigen lässt. Mithilfe einer kontrafaktischen Analyse ist es möglich, den Einfluss geldpolitischer Maßnahmen zu isolieren. Hierbei wird untersucht, wie sich die Variablen unter der Annahme verhalten, dass die Geldpolitik den Risikoappetit der Anleger nicht beeinflussen würde.

23
Hierfür werden weitere nicht-geldpolitische Impulse mithilfe der Methode von Antolín-Díaz et al. (2021) simuliert. Sie führen dazu, dass der Risikoappetit nach dem geldpolitischen Impuls unverändert bleibt und der zweijährige Euroraum-OIS-Satz im Monat der Ankündigung des EZB-Rats um 25 Basispunkte steigt.
Die Ergebnisse zeigen, dass die reale Wirtschaftsaktivität und das inländische Preisniveau jeweils deutlich weniger gebremst würden verglichen mit dem Fall, in dem die Geldpolitik den Risikoappetit der Anleger beeinflusst (vgl. grau-gestrichelte mit schwarz durchgezogener Linie). Zwar führt eine geldpolitische Straffung ohne wirksamen Risikoneigungskanal zu einer stärkeren Aufwertung des nominalen effektiven Eurokurses aufgrund der oben erläuterten Effekte. Dies würde für sich genommen die dämpfende Wirkung einer strafferen Geldpolitik auf Konjunktur und Preise erhöhen. Allerdings zeigt sich auch, dass in diesem kontrafaktischen Szenario die Risikoaufschläge weniger stark steigen und Aktienkurse weniger fallen würden, was die Wirksamkeit der Geldpolitik über den Kapitalkostenkanal und Vermögenspreiseffekte dämpfen würde. Im Ergebnis überwiegen die letzten beiden Kanäle den entgegenlaufenden Effekt der Wechselkursbewegung. Somit verstärkt der Risikoneigungskanal die Wirksamkeit der geldpolitischen Maßnahmen des Eurosystems auf Konjunktur und Preise.

4 Schlussfolgerungen und Ausblick

Die Analyse des Risikoappetits der Anleger bietet wertvolle Informationen zur Einschätzung der Finanzmarktentwicklungen und den Wirkungen der Geldpolitik. Der vorliegende Aufsatz betrachtet einen neuen, breit gefassten Risikoappetitindex auf Tagesdatenbasis für den Euroraum. Der Risikoappetitindex ist zeitvariabel, entwickelt sich gleichgerichtet zur Konjunktur und wird durch die Geldpolitik mitbestimmt. Er bewegte sich meist im engen Verbund mit globalen Finanzmarktentwicklungen, reagierte aber deutlich auf euroraumspezifische Stresssituationen und geldpolitische Änderungen. 

Der Risikoneigungskanal, die Tendenz der Geldpolitik, den Risikoappetit der Anleger zu beeinflussen, hat einen erheblichen Einfluss auf die Wirksamkeit der Geldpolitik des Eurosystems auf die Makroökonomie und die Finanzmärkte. Der Risikoneigungskanal interagiert mit anderen Transmissionskanälen der Geldpolitik. Beispielsweise verstärkt er über eine nachlassende Risikobereitschaft der Anleger die restriktive Wirkung einer geldpolitischen Straffung des Eurosystems über den Kapitalkosten- und Vermögenspreiskanal, verringert aber den restriktiven Impuls über den Wechselkurskanal. Eine empirische Untersuchung dieser Effekte zeigt, dass dabei die erstgenannten Effekte überwiegen, sodass der Risikoneigungskanal die dämpfende Wirkung einer geldpolitischen Straffung auf Wirtschaftsaktivität und das allgemeine Preisniveau insgesamt verstärkt. 

Der Risikoneigungskanal trägt dazu bei, dass sich geldpolitische Impulse währungsraumüberschreitend übertragen – und zwar nicht nur aus den USA

auf den Euroraum, sondern abgeschwächt auch vom Euroraum auf die USA. Die vorgestellte Ereignisstudie ergänzt die in der Literatur nachgewiesene Relevanz des Risikoneigungskanals für die US-Geldpolitik. Demnach bewirkt auch eine geldpolitische Straffung des Eurosystems eine zügige und anhaltende „Risk-off“-Bewegung an den internationalen Finanzmärkten und senkt den Risikoappetit beiderseits des Atlantiks. 

Die im Aufsatz vorgestellten Analysen legen nahe, dass zwischen Juli 2022 und September 2023 das dynamische konjunkturelle Umfeld die dämpfende Wirkung der Geldpolitik auf den Risikoappetit abschwächte. Den Ergebnissen zufolge dürfte der zinspolitische Straffungszyklus für sich genommen die Risikostimmung unter den Anlegern gedämpft haben. In einem dynamischen konjunkturellen Umfeld zeigte sich der Risikoappetit seit Herbst 2022 aber insgesamt als robust, sodass sich die restriktiven geldpolitischen Impulse über steigende Risikoprämien in den einzelnen Finanzmarktsegmenten nicht verstärkten. 

Die Ergebnisse können perspektivisch entlang weiterer Dimensionen erweitert werden. So lässt die gewählte Konstruktion des Risikoappetitsindex keine Quantifizierung darüber zu, inwieweit die Geldpolitik den Risikoappetit über eine veränderte Risikoaversion oder über eine veränderte ökonomische Unsicherheit beeinflusst. Für eine Modellierung der intertemporalen Konsum- und Investitionsentscheidungen der Wirtschaftsakteure ist eine solche Unterscheidung aber wichtig.

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