Der globale Disinflationsprozess und seine Kosten Monatsbericht – Juli 2024

Monatsberichtsaufsatz

Die Weltwirtschaft scheint nach dem außerordentlich kräftigen Verbraucherpreisanstieg der vergangenen Jahre Kurs auf eine "sanfte Landung" zu nehmen. Die Inflation befindet sich weltweit auf dem Rückzug. Waren im Jahr 2022 zweistellige Teuerungsraten keine Seltenheit, gerieten zuletzt vielerorts Preisstabilitätsziele wieder in Reichweite. Einige Zentralbanken senkten vor diesem Hintergrund bereits ihre Leitzinsen wieder. Gleichzeitig zeigt sich die Konjunktur trotz der noch immer straffen Geldpolitik verbreitet robust. Im laufenden Jahr festigte sie sich sogar etwas.

Verglichen mit früheren Disinflationsepisoden gelang damit bislang eine recht zügige und schmerzlose Eindämmung der Inflation. Dies ist zum Teil das Ergebnis der geldpolitischen Straffungen. Schätzungen und Simulationsrechnungen für den Euroraum legen nahe, dass die Anhebung der Zinsen die Inflation merklich gebremst hat. Allerdings begünstigten auch andere Faktoren die Disinflation wesentlich. Sinkende Rohstoffpreise und auslaufende angebotsseitige Störungen stützten gleichzeitig die Konjunktur. Schwere Wirtschaftseinbrüche blieben aber auch aus anderen Gründen weitgehend aus. Die während der Pandemie angesammelten Ersparnisse und Aufträge, eine lockere Fiskalpolitik und industriepolitische Initiativen stärkten vielerorts die Nachfrage nach Waren, Dienstleistungen und Arbeitskräften. 

Einige dieser konjunkturstützenden Faktoren erschweren aber das Erreichen der Inflationsziele. Noch immer sind die Arbeitsmärkte stark ausgelastet, das Lohnwachstum lebhaft und insbesondere im Dienstleistungssektor der Preisauftrieb kräftig. Auch von der Angebotsseite her überwiegen inflationäre Risiken. Das spricht für eine datenabhängige Geldpolitik im Einklang mit der Kommunikation des EZB-Rats.

1 Hintergründe des jüngsten Inflationsschubs

Der aktuelle weltweite Disinflationsprozess folgt auf den scharfen Anstieg der Inflationsraten ab Anfang 2021. Mit dem Abebben der Coronavirus-Pandemie und später im Zuge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine zog die Inflation vielerorts stark an. In der Gruppe der Industrieländer stieg die Vorjahresrate des Verbraucherpreisindex (VPI) bis Oktober 2022 auf 8,6 %. Zwei Jahre zuvor hatte sie bei lediglich 0,7 % gelegen. In einigen großen Volkswirtschaften gipfelten die Teuerungsraten 2022 sogar im zweistelligen Bereich. Ähnlich hohe Raten hatte es zuletzt in den 1980er Jahren gegeben (siehe Schaubild 2.1). Auch in den Schwellenländern verstärkte sich der Verbraucherpreisanstieg deutlich.

Hinter dem bemerkenswerten Anstieg der Inflationsraten weltweit stand zunächst die überraschend zügige Erholung der globalen Warennachfrage. 1 Um den Sinkflug der Weltwirtschaft nach dem Ausbruch der Pandemie zu stoppen und eine längere Schwächephase zu vermeiden, ergriffen Entscheidungsträger weltweit umfangreiche geld- und fiskalpolitische Stützmaßnahmen. Viele dieser Hilfsmaßnahmen zielten darauf ab, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu stärken. Beispielsweise stockten einige Länder, darunter die USA, die Arbeitslosenunterstützung deutlich auf oder federten Einkommenseinbußen der Bürger durch Einmalzahlungen ab. Andere, vor allem europäische Länder, führten arbeitsmarktpolitische Maßnahmen wie Kurzarbeit zur Sicherung von Arbeitsplätzen und Einkommen ein oder weiteten sie aus. 2 Gleichzeitig war der Konsum kontaktintensiver Dienstleistungen (wie Restaurant- oder Friseurbesuche) aufgrund gesundheitspolitisch begründeter Eindämmungsmaßnahmen stark eingeschränkt. Im Gegenzug erwarben die privaten Haushalte vermehrt Waren. Infolge dieser Nachfrageverschiebung stieg die globale Industrieproduktion erheblich an, und der Welthandel erholte sich schnell und stark (siehe Schaubild 2.2). 

Die Verlagerung der Nachfrage hin zu Waren verschärfte pandemiebedingte Liefer- und Produktionsengpässe und zog Preissteigerungen auf verschiedenen Wertschöpfungsstufen nach sich. Viele Unternehmen waren nicht in der Lage, ihre Produktion zeitnah an die rasch steigende Nachfrage anzupassen. Zudem verschärften pandemiebedingte Produktionsunterbrechungen die Angebotsengpässe. Als besonders anfällig erwiesen sich grenzüberschreitende Lieferketten. Dies lag nicht zuletzt an China, wo es aufgrund der strikten Null-Covid-Politik wiederholt zu Betriebs- und Hafenschließungen kam. 3 Auch Engpässe beim Seetransport trugen maßgeblich zu einem Mangel an wichtigen industriellen Vorprodukten bei. Zeitweise fehlte es in einigen Weltregionen an Containern für den Transport von Waren, während sich andernorts Schiffe vor Häfen stauten. Eine Ursache war die regional uneinheitliche wirtschaftliche Entwicklung aufgrund regionaler Infektionswellen sowie unterschiedlicher politischer Reaktionen. All dies ging mit Lieferunterbrechungen, stark steigenden Rohstoffnotierungen, höheren Transportkosten und anziehenden Erzeugerpreisen einher. Indikatoren für Lieferkettenstörungen, wie etwa der Global Supply Chain Pressure Index der Federal Reserve Bank of New York, erreichten neue Höchststände (siehe Schaubild 2.3, links). In diesem Umfeld stark steigender Produktionskosten und hoher Nachfrage konnten zudem insbesondere Unternehmen im Produzierenden Gewerbe ihre Gewinnaufschläge stark ausweiten. 4 Insgesamt verstärkte sich der Verbraucherpreisanstieg erheblich. 

Der Anstieg der Rohstoffpreise infolge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine verstärkte den bereits hohen globalen Preisauftrieb weiter. Nach Beginn des Krieges zogen zahlreiche Rohstoffpreise, insbesondere für Energie und Nahrung, nochmals sprunghaft an (siehe Schaubild 2.3, rechts). Dies lag vor allem an der hohen Unsicherheit über zukünftige russische Energielieferungen und der zumindest kurzfristig eingeschränkten Verfügbarkeit alternativer Bezugsquellen. Während Gaslieferungen seitens Russlands nach Europa sukzessive gekürzt wurden, bemühten sich die EU-Mitgliedsländer, den laufenden Bedarf durch Einkäufe in anderen Ländern zu decken und ihre Gasspeicher zu füllen. In der Folge stieg der Gaspreis 2022 vor allem in Europa, aber auch in anderen Regionen drastisch an. 5

Schließlich trug die Erholung der Dienstleistungsnachfrage zum Preisanstieg bei. Mit dem Wegfall der pandemiebedingten Beschränkungen sank die zuvor stark erhöhte Nachfrage nach Waren allmählich wieder. Nun gab es vor allem beim Konsum von Dienstleistungen, die stark von Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie betroffen gewesen waren, einen ausgeprägten Nachholbedarf. Die Dienstleistungspreise zogen deutlich an, wodurch der Verbraucherpreisanstieg noch mehr an Breite gewann. 

Gleichzeitig spitzte sich die bereits vor der Krise vielerorts angespannte Arbeitsmarktlage zu, und das Lohnwachstum verstärkte sich. Einer erhöhten Arbeitsnachfrage stand ein teilweise pandemiebedingt gedämpftes Arbeitsangebot gegenüber. 6 Die Anzahl der offenen Stellen stieg vielerorts stark. Im Winter 2022 kamen etwa in den USA zwei offene Stellen auf einen Arbeitslosen. Dies stärkte die Verhandlungsmacht von Arbeitnehmern, die aufgrund des überraschend kräftigen Preisauftriebs erhebliche Realeinkommenseinbußen hatten hinnehmen müssen. Entsprechend zog das Lohnwachstum deutlich an.

2 Geldpolitische Reaktion und bisherige Disinflationserfahrungen

Zu Beginn der jüngsten Hochinflationsphase standen Zentralbanken vor der Herausforderung, die Treiber der Inflation zeitnah zuverlässig zu erkennen. Einige Ökonominnen und Ökonomen nannten Angebotsverknappungen während der Pandemie und später infolge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine als Hauptgrund für den starken Verbraucherpreisanstieg. 7 Andere betonten die Rolle der umfangreichen nachfragestimulierenden geld- und fiskalpolitischen Stützmaßnahmen. 8 Rückblickend legt eine ökonometrische Analyse für die USA und den Euroraum nahe, dass sowohl angebots- als auch nachfrageseitige Faktoren wichtig waren. 9 In den USA spielte die Nachfrage allerdings eine deutlich größere Rolle. 10 Im Euroraum wird hingegen den angebotsseitigen Einflüssen ein größerer Beitrag zugeschrieben (siehe Schaubild 2.4). 11

Die Zentralbanken reagierten auf die hohen Inflationsraten – teils nach anfänglichem Zögern – mit massiven Straffungen. Bis Anfang 2022 hatten insbesondere die Zentralbanken der Industrieländer trotz der erheblich anziehenden Inflation zumeist von einer Straffung ihrer Geldpolitik abgesehen. Dabei dürfte eine Rolle gespielt haben, dass der Preisanstieg vielerorts vorübergehenden Angebotsschocks zugeschrieben wurde. Allerdings zeigte sich auch die Nachfrage verbreitet robust. Zudem erwiesen sich die inflationären Folgen der Verknappungen auf der Angebotsseite vielfach als persistenter als ursprünglich gedacht. Als das Risiko einer Entankerung der Inflationserwartungen und eines Übergreifens der Inflationsentwicklung auf die Arbeitsmärkte zunahm, reagierten die Zentralbanken in den Industrieländern mit massiven Zinsanhebungen. Zu diesem Zeitpunkt lagen die Inflationsraten in den meisten Industrieländern bereits deutlich über ihrem Zielwert. Der Offenmarktausschuss des Federal Reserve Systems hob die geldpolitischen Zinsen in den USA innerhalb von anderthalb Jahren um nicht weniger als 5,25 Prozentpunkte an. Im Euroraum stieg der Zinssatz für die Einlagefazilität von - 0,5 % im Juni 2022 auf 4 % im September 2023 (siehe Schaubild 2.5).

Bislang erwiesen sich die Volkswirtschaften gegenüber der massiven geldpolitischen Straffung als widerstandsfähig. Sorgen vor verbreiteten Rezessionen und einem starken Anstieg der Arbeitslosenquote bewahrheiteten sich nicht. 12 Vielmehr stieg die gesamtwirtschaftliche Produktion in den Industrieländern insgesamt bis zuletzt weiter an. Auch die meisten Schwellenländer zeigten sich widerstandsfähig.

Gleichzeitig sanken die Inflationsraten seit Ende 2022 deutlich. Der Rückgang der Inflation verlief über die Länder hinweg ähnlich synchron wie der vorangegangene Anstieg, wenn auch zuletzt weniger steil. In der Gruppe der Industrieländer sank die Vorjahresrate des VPI bis Juni dieses Jahres – den vorläufigen Angaben nach – auf 2,8 %. Gegenüber dem Höchstwert aus dem Jahr 2022 entsprach dies einem Rückgang um fast 6 Prozentpunkte. Einen wichtigen Beitrag hierzu leistete die Normalisierung der Energiepreise. Bei den sogenannten Kernkomponenten, also ohne Energie und Nahrungsmittel, erwies sich der Preisauftrieb als hartnäckiger. Dies gilt insbesondere für einige Dienstleistungen. Die Kernrate des VPI gab in den Industrieländern gegenüber ihrem Gipfel zwar immerhin um 2,6 Prozentpunkte nach. Mit zuletzt 3,2 % übertrifft sie aber weiterhin merklich die Werte, die mittelfristig mit dem Ziel der Preisstabilität vereinbar wären. Der Disinflationsprozess, der die Rückführung der Inflation beschreibt, ist mit Blick auf das Mandat der Zentralbanken folglich noch nicht abgeschlossen.

Viele Beobachter halten mittlerweile eine "sanfte Landung" – eine Rückkehr zur Preisstabilität ohne größere realwirtschaftliche Verwerfungen – für wahrscheinlich. Das Eurosystem senkte inzwischen, wie eine Reihe von Zentralbanken weltweit, wieder die geldpolitischen Zinsen. Gleichwohl bleibt die Geldpolitik gefordert. Die geldpolitisch angestrebten Teuerungsraten werden vielerorts noch immer übertroffen, und Fortschritte bei der Zielerreichung blieben zuletzt zum Teil aus. Es stellt sich daher angesichts der bislang vergleichsweise robusten Wirtschaftsentwicklung die Frage, ob die dämpfende Wirkung der geldpolitischen Straffung noch anhält. 

3 Lehren aus der Vergangenheit

Inflationäre Episoden und anschließende Disinflationsphasen sind keine Seltenheit. Auch in der Vergangenheit wurden Phasen niedriger und nachlassender Teuerung immer wieder durch Inflationsschübe unterbrochen. Ursächlich hierfür war ebenfalls oft ein Zusammenspiel unerwarteter Entwicklungen auf der Angebots- und Nachfrageseite. Insbesondere in den 1970er und 1980er Jahren äußerte sich dies in scharfen Energiepreisanstiegen. 13 In einigen Fällen passten Haushalte und Unternehmen unter dem Eindruck dieser Entwicklungen ihre Inflationserwartungen an. Auch deshalb gelang nicht immer die zeitnahe Eindämmung des hohen Preisauftriebs. Versuche, die Teuerung mit Einkommenspolitik und Preisstopps nachhaltig einzudämmen, schlugen fehl. 14 Erfolgreiche Disinflationsphasen gingen in der Regel mit einer Straffung der Geldpolitik einher. 15

Die Abgrenzung von Disinflationsepisoden mit einem statistischen Verfahrenerlaubt Vergleiche zwischen Ländern und im Zeitverlauf. Ein gängiges Datierungsverfahren geht auf Arbeiten von Ball (1994) zurück. Es identifiziert Phasen, in denen die zugrunde liegende Inflation deutlich zurückging. 16 In einer großen Stichprobe aus 46 Industrie- und Schwellenländern gab es demnach seit den 1960er Jahren fast 230 abgeschlossene Disinflationsepisoden. In den G20-Volkswirtschaften waren es immerhin 55, in Deutschland drei (siehe Schaubild 2.6). Dazu zählen die Eindämmung der Inflation nach den Energiepreisschocks der 1970er und frühen 1980er Jahre. Hinzu kommt für Deutschland die Disinflation nach Ende des Wiedervereinigungsbooms. Im weltweiten Median sanken die Inflationsraten in den Disinflationsperioden um 5 Prozentpunkte. Dies brauchte aber fast immer mehrere Jahre. Bemerkenswert ist zudem, dass auch in der Vergangenheit Disinflationsphasen oftmals in vielen Regionen gleichzeitig stattfanden. 

Rückgänge von hohen Inflationsraten gingen in der Regel mit beträchtlichen Aktivitätseinbußen einher. Das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) fiel in diesen Fällen hinter den Trend zurück. Oftmals wurden derartige Rücksetzer und Wachstumseinbußen nicht zeitnah wieder wettgemacht. 17 Ein beliebtes Maß für die ökonomischen Kosten der Disinflation – die sogenannte sacrifice ratio – setzt die BIP-Einbußen, gemessen als Summe der prozentualen Abweichungen des BIP von seinem Trend, ins Verhältnis zum Rückgang des zugrunde liegenden Verbraucherpreisauftriebs. Im Mittel der untersuchten Disinflationsepisoden ergibt sich für die sacrifice ratio ein Wert von etwa 1. 18 Jede Senkung der Inflationsrate um einen Prozentpunkt ging demnach im Schnitt mit einem BIP-Verlust in Höhe von 1 % einher. In fortgeschrittenen Volkswirtschaften fiel die sacrifice ratio tendenziell etwas höher aus. 19 Übertragen auf die aktuelle Situation hätte die Rückführung der teilweise zweistelligen Teuerungsraten demnach verbreitet mit Rezessionen einhergehen müssen. 20 Allerdings gab es auch in der Vergangenheit Beispiele für vergleichsweise schmerzlose Disinflationsprozesse (siehe Schaubild 2.7). 21

Sowohl die Erfolge bei der Inflationsbekämpfung als auch die damit einhergegangenen Aktivitätseinbußen dürften nicht zuletzt Ergebnis von Straffungen der Geldpolitik gewesen sein. Insbesondere in den vergangenen Jahrzehnten hoben die Notenbanken dafür bevorzugt die geldpolitischen Zinssätze an. 22 Zinsanhebungen wirken über verschiedene Kanäle auf die Erwartungen von Haushalten und Unternehmen, längerfristige Zinsen, Vermögenspreise sowie Wechselkurse und dämpfen neben der Kreditvergabe die gesamtwirtschaftliche Nachfrage. Die Dämpfung der Nachfrage bremst zusammen mit Erwartungseffekten Löhne, Erzeugerpreise und schließlich die Verbraucherpreise. 23

Schätzungen zeigen die Wirksamkeit geldpolitischer Zinsschritte im Euroraum und in den USA. 24 Mit vektorautoregressiven Modellen 25 können die dynamischen Beziehungen zwischen kurzfristigen Zinsen, dem preis- und saisonbereinigten BIP, seinen wichtigsten Verwendungskomponenten und dem Verbraucherpreisanstieg geschätzt werden. 26 Die Wirkung der Geldpolitik wird in diesem Rahmen mittels Annahmen über die zeitliche Abfolge des Transmissionsprozesses abgeleitet. 27 Den Schätzungen zufolge dämpfte in der Vergangenheit ein unerwarteter Anstieg des Kurzfristzinses um 100 Basispunkte die Inflationsrate im Euroraum in der Spitze um gut 1 Prozentpunkt. Das BIP im Euroraum wurde um fast 2 % gedrückt und begann erst zweieinhalb Jahre nach Beginn der Straffung langsam zum vorherigen Trend aufzuschließen. 28 Besonders ausgeprägt war typischerweise der Rückgang der Investitionen und vor allem der Wohnungsbauinvestitionen. Auch in Deutschland gelten diese als zinssensitiv (siehe Exkurs zu den Auswirkungen der geldpolitischen Straffung auf die Wohnungsbauinvestitionen in Deutschland). Qualitativ ähnlich, aber weniger stark als im Euroraum, waren die inflationsdämpfenden und realwirtschaftlichen Effekte in den USA (siehe Schaubild 2.8). 29  

Exkurs

Zu den Auswirkungen der geldpolitischen Straffung auf die Wohnungsbauinvestitionen in Deutschland 

Die Wohnungsbauinvestitionen in Deutschland lagen Ende 2023 preisbereinigt etwa 10 % unter ihrem Höchststand aus dem Jahr 2020. Zuvor waren sie während des lang anhaltenden Aufschwungs am Wohnimmobilienmarkt stetig gestiegen. 1 Der Rückgang der Investitionen fiel zeitlich mit der geldpolitischen Straffung im Euroraum ab Juli 2022 zusammen. Die Wohnungsbauinvestitionen gelten als besonders zinsreagibel, auch weil sie zu einem beträchtlichen Teil kreditfinanziert sind. 2 Es liegt daher nahe, dass die geldpolitische Straffung ein maßgeblicher Faktor hinter dem jüngsten Rückgang der Wohnungsbauinvestitionen war. 

Ein strukturelles vektorautoregressives Modell ermöglicht es, die Entwicklung der Wohnungsbauinvestitionen in die Beiträge ihrer Bestimmungsfaktoren zu zerlegen. In das Modell fließen die Jahresveränderungsraten der Wohnungsbauinvestitionen, der Baupreise und der Grundstückspreise von Wohnimmobilien ein. 3 Die beiden letzteren Größen können als Komponenten der Preise für Wohnimmobilien aufgefasst werden. 4 Zudem umfasst das Modell den geldpolitischen Zins und die Jahresveränderungsraten des realen BIP und des Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) für den Euroraum. 5

Über Vorzeichenrestriktionen auf die Impuls-Antwort-Folgen wird im Modell zwischen verschiedenen Triebkräften der Wohnungsbauinvestitionen unterschieden. Im Fokus stehen wohnraumspezifische Angebots- und Nachfrageschocks sowie geldpolitische Schocks. Ungünstige Wohnraumangebotsschocks treiben annahmegemäß Verbraucher-, Bau- und Grundstückspreise nach oben und hemmen die Wohnungsbauinvestitionen. Geldpolitische Schocks sind unerwartete geldpolitische Zinsänderungen, die von einer üblichen Reaktion auf das makroökonomische Umfeld abweichen. Eine unerwartete geldpolitische Straffung dämpft den Verbraucherpreisauftrieb und das reale BIP im Euroraum ebenso wie die Wohnungsbauinvestitionen in Deutschland. Dabei lenkt der geldpolitische Schock Bau- und Grundstückspreise in unterschiedliche Richtungen. Der Preis für Grundstücke sinkt wie andere Vermögenspreise nach einem restriktiven geldpolitischen Schock. 6 Die Baupreise dagegen steigen wegen höherer Kosten des in laufenden Bauprojekten gebundenen Kapitals. 7 Als wohnraumspezifische Nachfrageschocks werden diejenigen Triebkräfte eingestuft, die die Bau- und Grundstückspreise sowie die Wohnungsbauinvestitionen in dieselbe Richtung lenken. 8    

Tabelle 2.1: Annahmen zur Identifikation von Schocks1)
Betroffene GrößeWohnraumangebotWohnraumnachfrageGeldpolitik
Baupreise (Deutschland)

+

+

Grundstückspreise (Deutschland)

+

Wohnbauinvestitionen (Deutschland)

 –

Schattenzins (Euroraum)

.

.

+

BIP (Euroraum)

.

.

HVPI (Euroraum)

+

.

1 Annahmen zu den Auswirkungen ungünstiger Angebots-, Nachfrage- und geldpolitischer Schocks unmittelbar nach ihrem Auftreten. Bau- und Grundstückspreise sowie Wohnbauinvestitionen beziehen sich auf Deutschland, die restlichen Größen auf den Euroraum. Ein Minuszeichen symbolisiert einen negativen Einfluss eines Schocks, ein Pluszeichen einen positiven Einfluss. Bei Zellen mit einem Punkt wird die Richtung des Effekts nicht vorher bestimmt.

Laut den Ergebnissen dämpften seit 2021 insbesondere ungünstige Angebotsschocks die Wohnungsbauinvestitionen. Bis Ende 2020 waren die Wohnungsbauinvestitionen unter anderem wegen der dafür günstigen geldpolitischen Ausrichtung und günstiger Angebotsbedingungen gestiegen. Die vorteilhaften Einflüsse der Wohnraumnachfrageschocks entfalteten bis 2022 ihre Wirkung. Die angebotsseitigen Hemmnisse, die ab Anfang 2021 die Wohnungsbauinvestitionen dämpften, dürften im Zusammenhang mit dem Arbeitskräftemangel, der Materialknappheit und der Energiekrise stehen. 

Restriktive geldpolitische Schocks dämpften ab 2022 die Wohnungsbauinvestitionen zusätzlich. Bereits im Winterhalbjahr 2022/23 entfalteten sie ihren stärksten Bremseffekt. Im ersten Vierteljahr 2023 fiel alleine aufgrund dieses Effekts die Vorjahresrate der Wohnungsbauinvestitionen um rund 2 Prozentpunkte niedriger aus. Es scheint, dass dieser Effekt gegen Ende 2023 auslief. Indes verschlechterte sich in der zweiten Jahreshälfte 2023 unerwartet die Nachfrage nach Wohnimmobilien. 9 Die Angebotsseite stützte hingegen ab Mitte 2023 die Wohnungsbauinvestitionen.

Den Ergebnissen zufolge übertrug sich die restriktive geldpolitische Ausrichtung also sehr rasch und deutlich auf die Wohnungsbauinvestitionen in Deutschland. Mittlerweile dürfte die Straffungswirkung allerdings ihren Höhepunkt hinter sich haben. 

Fußnoten
  1. Vgl.: Deutsche Bundesbank (2021c).
  2. Erceg und Levin (2006) zeigen für die USA, dass Investitionen in langlebige Güter wie Wohnimmobilien besonders stark und rasch auf geldpolitische Schocks reagieren. Auch Rechnungen auf Basis des makroökonometrischen Modells der Bundesbank legen nahe, dass sich die Wohnungsbauinvestitionen in Deutschland innerhalb des ersten Jahres nach einer Zinsänderung am stärksten von allen BIP-Verwendungskomponenten verändern. Zum makroökonometrischen Modell der Bundesbank vgl.: Haertel et al. (2022).
  3. Die empirische Schätzung des Modells stützt sich auf Quartalsdaten im Zeitraum vom ersten Quartal 2003 bis zum vierten Quartal 2023.
  4. Vgl.: Deutsche Bundesbank (2020a, 2020b). Die Zerlegung von Wohnimmobilienpreisen in Bau- und Grundstückspreise folgt Davis und Heathcote (2007) sowie Kajuth (2021).
  5. Der geldpolitische Zins entspricht in den Rechnungen einem geschätzten Schattenzins, vgl. hierzu: Geiger und Schupp (2018). Dieser beziffert die geldpolitische Ausrichtung während des Zeitraums von 2012 bis 2022, als Kurzfristsätze nahe bei null lagen und zusätzlich quantitative Lockerungsmaßnahmen vorgenommen wurden. 
  6. Vgl.: Davis and Heathcote (2007) sowie Kajuth (2021).
  7. Vgl.: Christiano et al. (2005) sowie Mishkin (2007). Diese Annahme bezieht sich, wie alle übrigen, lediglich auf das Quartal, in dem der Schock auftritt. Sie steht nicht im Widerspruch zu einer möglichen dämpfenden Wirkung der Geldpolitik auf die Baupreise in den Folgeperioden. Auch eine alternative rekursive Identifikationsstrategie, die ohne eine Annahme über die Wirkungsrichtung auskommt, ergibt einen unmittelbar positiven Effekt der Zinserhöhung auf die Baupreise. Sie zeigt auch, dass die Baupreise erst einige Zeit nach dem Schock zu sinken beginnen.
  8. Die gewählte Art der Schockabgrenzung ist eine von mehreren Möglichkeiten. Für diese Analyse hat sie allerdings den Vorteil, dass sich die Beiträge unerwarteter geldpolitischer Schocks von den übrigen nachfrageseitigen Einflüssen auf die Wohnungsbauinvestitionen abgrenzen lassen. Zudem lässt sie Vergleiche dieser Beiträge mit denjenigen von Angebotsschocks zur Entwicklung der Wohnungsbauinvestitionen zu.
  9. Die bisweilen hohen Beiträge der Residuen spiegeln zum Beispiel die Schätzunsicherheit darüber wider, wie stark sich die Schocks insgesamt auf die Wohnungsbauinvestitionen auswirken. 

Überträgt man die historischen Erfahrungen auf den jüngsten geldpolitischen Straffungszyklus, so wären im Euroraum neben einem deutlichen Rückgang der Inflationsrate auch beträchtliche gesamtwirtschaftliche Verluste zu erwarten gewesen. Dies ist auch das Ergebnis von Simulationen mittels verschiedener makroökonomischer Modelle. Verglichen mit einer unveränderten Geldpolitik wäre demnach die Inflationsrate merklich und anhaltend eingedämmt worden. Allerdings wäre auch das reale BIP-Wachstum alleine 2023 um etwa 4 Prozentpunkte niedriger ausgefallen als in einem Szenario ohne geldpolitische Straffung (siehe Exkurs zu den gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der geldpolitischen Straffung des Euroraums). Ähnliches dürfte für andere Weltregionen gelten, in denen die geldpolitischen Zügel zum Teil noch stärker angezogen wurden. 30

Exkurs

Zu den gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der geldpolitischen Straffung im Euroraum

Auf den außergewöhnlich starken Anstieg der Inflationsrate im Euroraum reagierte der EZB-Rat mit dem bislang stärksten Zinserhöhungszyklus seit Einführung des Euro. Von Juli 2022 bis September 2023 hob der EZB-Rat die Leitzinsen um insgesamt 4,5 Prozentpunkte an. Dies war geldpolitisch notwendig, um die sehr hohe Inflationsdynamik mit zwischenzeitlich zweistelligen Raten zu stoppen. Die Inflationsrate ging nach ihrem Höchststand im Oktober 2022 wieder deutlich zurück. Dazu dürfte auch die straffere Geldpolitik beigetragen und so die Voraussetzung dafür geschaffen haben, das Inflationsziel von 2 % in der mittleren Frist wieder zu erreichen. 

Die gesamtwirtschaftliche Wirkung einer Zinsänderung hängt entscheidend von den damit einhergehenden Änderungen der Zinserwartungen ab. Aufgrund von Arbitrage-Beziehungen besteht ein enger Zusammenhang zwischen den kurzfristigen Leitzinsen und den langfristigen Kapitalmarktzinsen. Letztere wiederum sind eine wichtige Determinante der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und damit der Preisentwicklung. Eine Erhöhung der Leitzinsen senkt über eine Dämpfung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage die Inflationsrate. Dabei bestimmt nicht der unmittelbare Zinsschritt alleine den Restriktionsgrad einer Straffung. Er hängt wesentlich vom Einfluss auf die erwarteten kurzfristigen Zinsen, zusammengefasst in der Terminkurve, ab. 1 Werden weitere Zinserhöhungen erwartet, bewirkt dies für sich genommen eine Verschiebung der Terminkurve nach oben. Dieser Erwartungseffekt erhöht die Langfristzinsen und verstärkt so den Restriktionsgrad des aktuellen Leitzinsniveaus. 2  Schaubild 2.10 zeigt die Verläufe verschiedener Terminkurven für den Euroraum seit Dezember 2021, dem Start des Straffungszyklus. 3  

Um die gesamtwirtschaftlichen Wirkungen der geldpolitischen Straffung abzuschätzen, nutzen wir verschiedene makroökonomische Modelle. Hierbei sind drei Anforderungen zu berücksichtigen. Erstens werden sowohl Finanzmarktvariablen als auch die gesamtwirtschaftliche Entwicklung von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst. Daher muss die Wirkung geldpolitischer Entscheidungen von diesen Faktoren isoliert werden. 4 Zweitens ist die Antizipation zukünftiger geldpolitischer Maßnahmen bei der Einschätzung geldpolitischer Entscheidungen zu berücksichtigen. Aufgrund beider Anforderungen nutzen wir keine reinen Zeitreihenmodelle, sondern (semi-)strukturelle makroökonomische Modelle. 5 Dabei werden zunächst die Effekte der Änderungen der Terminkurven im Zeitverlauf separat quantifiziert und das Ergebnis dann kumuliert ausgewiesen. Schließlich gibt es erhebliche Unsicherheit hinsichtlich der relativen Stärke einzelner Transmissionskanäle und Wirkungsverzögerungen der Geldpolitik. Deshalb setzen wir verschiedene Modelle ein, um die Bandbreite der Ergebnisse einschätzen zu können: drei strukturelle DSGE-Modelle (BBk-DTANK, BBk-FS und EAGLE) sowie ein großes semi-strukturelles Modell (NiGEM). 6

Laut dieser Modelle erreichte der dämpfende Einfluss der geldpolitischen Straffung auf das Wirtschaftswachstum des Euroraums sein Maximum im Jahr 2023. Die stärkste Wirkung auf die Inflationsrate folgt mit einer gewissen Verzögerung. Die geldpolitische Straffung belastete die Konjunktur deutlich (siehe Schaubild 2.11, links). Gemäß dem Mittel der Modelle fiel das gesamtwirtschaftliche Wachstum im letzten Jahr etwa 4 Prozentpunkte geringer aus als bei unveränderter Geldpolitik. Danach dürfte die dämpfende Wirkung auf die Wirtschaftsaktivität graduell nachlassen. Die zurückgehende Nachfrage bedingte einen Rückgang der Inflationsrate. Der dämpfende Effekt auf die Inflationsrate tritt zeitlich verzögert auf, hält dafür aber länger an (siehe Schaubild 2.11, rechts). Der kumulierte Rückgang des BIP-Wachstums von 2022 bis 2025 beläuft sich gemäß der Modellrechnungen auf rund 6 Prozentpunkte und bei der Inflationsrate auf rund 7 Prozentpunkte. 7

Den Modellanalysen zufolge trug die geldpolitische Straffung zum Rückgang der hohen Inflationsraten bei. Allerdings unterscheiden sich die Modellergebnisse zum Teil beträchtlich. Für die Auswirkungen auf das BIP erstreckt sich die Bandbreite der Simulationsresultate auf bis zu 5 Prozentpunkte. Hinsichtlich des Einflusses auf die Inflationsrate ist die Modellunsicherheit nur wenig geringer. Derartige Unterschiede hängen mit den Eigenschaften der verwendeten Modelle zusammen. Diese betonen die verschiedenen Transmissionskanäle unterschiedlich stark. Auch unterscheidet sich die Modellierung der Erwartungsbildung. Zudem bleibt zu beachten, dass die Modelle mit historischen Daten kalibriert oder geschätzt wurden. Sollten sich die Wirkungszusammenhänge in der jüngsten Zeit verändert haben, hätte dies auch Auswirkungen auf die quantitativen Effekte. Gleichwohl verdeutlichen die Modellsimulationen den wichtigen Beitrag der Geldpolitik zur Rückführung der hohen Inflationsraten. 

Modellübersicht

  • BBk-DTANK: basiert auf Gerke et al. (2022), einem neukeynesianischen DSGE-Modell mit heterogenen Haushalten und Finanzmarktfriktionen. Die hier verwendete Modellvariante enthält geschätzte Abweichungen von rationalen Erwartungen. Zudem wurde der Schätzzeitraum bis zum vierten Quartal 2019 verlängert.
  • BBk-FS: basiert auf Kühl (2018), einem neukeynesianischen DSGE-Modell mit detaillierten Finanzsektor und Finanzmarktfriktionen. Das Modell spiegelt die bankbasierte Finanzierungstruktur im Euroraum wider. Im Modell sind die Banken die Hauptfinanzintermediäre und leiten die Ersparnisse von Haushalten an nichtfinanzielle Unternehmen weiter. 
  • EAGLE: ein großes, kalibriertes und mikrofundiertes DSGE Modell (siehe Gomes et al. (2012) zur Dokumentation der Basisversion). Die in den Simulationen verwendete Modellvariante EAGLE6 umfasst sechs Länder-/Regionalblöcke: Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, den Rest des Euroraums und den Rest der Welt. 
  • NiGEM: makroökonometrisches Modell des National Institute of Economic and Social Research (vgl.: Hantzsche et al. (2018)). Als großes Mehrländermodell bildet es die Volkswirtschaften der meisten OECD-Länder sowie wichtiger aufstrebender Volkswirtschaften ab. Internationale Verflechtungen werden über den Außenhandel und das Zins-Wechselkurs-Gefüge abgebildet.

 

Fußnoten
  1. Grundsätzlich bemisst sich der Restriktionsgrad der Geldpolitik an dem Abstand zum natürlichen Zinssatz. Dieser hängt typischerweise von strukturellen Faktoren ab und wird nicht von der Geldpolitik beeinflusst.
  2. Bei einer Straffung der Leitzinsen und (mehr oder weniger) gleichbleibender Terminkurve wäre der restriktive Grad nur sehr gering.
  3. Im Dezember 2021 kündigte der EZB-Rat die Normalisierung seines geldpolitischen Kurses an, indem er zunächst die Nettoankäufe des Programms zum Ankauf von Vermögenswerten (Asset Purchase Programme, APP) und des Pandemie-Notfallankaufprogramms (Pandemic Emergency Purchase Programme, PEPP) verringerte. Der erste Zinsschritt erfolgte im Juli 2022. Der Referenzverlauf der Terminkurve vor der Straffung stammt aus dem September 2021.
  4. Es wird lediglich die Wirkung der Zinsstraffung im Eurosystem quantifiziert. Damit wird von weiteren restriktiven geldpolitischen Impulsen, wie einer Verschärfung der TLTRO III-Bedingungen oder einem vorzeitigen Abbau der Zentralbankbilanz, abstrahiert. Bei letzterem deuten bisherige Erkenntnisse auf einen eher geringen makroökonomischen Effekt hin, vgl.: Deutsche Bundesbank (2023c).
  5. Zeitreihenmodelle erlauben ebenfalls eine isolierte Betrachtung der Geldpolitik. Sie können jedoch in den meisten Fällen nur Wirkungen unerwarteter Zinsänderungen messen. Dies würde die geldpolitischen Wirkungen lediglich unvollständig widerspiegeln und dadurch tendenziell die gesamtwirtschaftlichen Wirkungen der Straffung unterschätzen.
  6. Wie viele strukturelle Modelle in der Literatur überzeichnen das BBk-FS-Modell und das EAGLE-Modell die Wirkung antizipierter Zinspfade (Forward-Guidance-Puzzle; siehe: Del Negro et al. (2023)). Deswegen wurde bei der Quantifizierung unterstellt, dass 30 % der Agenten ihre Erwartungen nicht gemäß der Terminkurve bilden, sondern gemäß der (kontrafaktischen) modellendogenen geldpolitischen Regel. Dieses Vorgehen und die Wahl von 30 % lehnt sich an Coenen et al. (2022) an.
  7. Dies ist im Einklang mit den Schätzungen von: Europäische Zentralbank (2023b).

4 Der aktuelle Disinflationsprozess: Eine sanfte Landung?

Der aktuelle Disinflationsprozess verlief im Euroraum und in anderen Industrieländern zunächst zügig. Die Inflationsraten sanken weltweit seit dem Höhepunkt des Teuerungsschubs 2022 erheblich, und Preisstabilität scheint vielerorts wieder in Reichweite zu geraten. Gemessen an den historischen Erfahrungen wurden damit vergleichsweise schnell Erfolge bei der Inflationsbekämpfung erzielt. Dies gilt insbesondere für den Euroraum. 31 Nur in wenigen früheren Episoden hatte der zugrunde liegende Preisauftrieb ähnlich rasch nachgelassen. Vorausgegangen war zuletzt allerdings auch ein außergewöhnlich schneller Anstieg. In den USA setzte der aktuelle Disinflationsprozess früher ein, verlief dafür aber bislang etwas gradueller als im Euroraum (siehe Schaubild 2.12, links). 

Gleichzeitig fielen die gesamtwirtschaftlichen Aktivitätsverluste bisher moderat aus. Die nach anfänglichem Zögern bemerkenswert schnelle Straffung der Geldpolitik hätte erhebliche realwirtschaftliche Bremsspuren erwarten lassen. Tatsächlich war die Wirtschaftsentwicklung im Euroraum insbesondere im vergangenen Jahr auch sehr gedämpft. Gemessen an dem vorherigen Wachstumspfad ergaben sich merkliche reale BIP-Einbußen. Diese fielen aber nicht größer aus als in früheren Disinflationsphasen. Dies ist bereits vor dem Hintergrund des überdurchschnittlich starken Inflationsrückgangs beachtenswert. Es wird noch bemerkenswerter, wenn man die außergewöhnlichen zusätzlichen Belastungen durch die extremen Energiepreisanstiege und die hohe Unsicherheit infolge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine sowie die schwache Auslandsnachfrage mit in den Blick nimmt. In den Vereinigten Staaten, wo diese Faktoren weniger stark zu Buche schlugen, blieb die gesamtwirtschaftliche Aktivität sogar nur leicht hinter ihrem Trend zurück (siehe Schaubild 2.12, rechts). 

Insgesamt stellt sich der Disinflationsprozess damit bislang vergleichsweise schmerzlos dar. Für fast alle großen Industrieländer lagen bis Ende 2023 die für die aktuelle Disinflationsepisode berechneten sacrifice ratios merklich unter dem historischen Median. Zwar mag diese Momentaufnahme ein zu günstiges Bild zeichnen, da bis zur Rückkehr zur Preisstabilität weitere BIP-Einbußen anfallen könnten. 32 Hierauf deuten beispielsweise die jüngsten Prognosen der OECD hin. 33 Aber auch wenn man die zum Teil mäßigen Wachstumsaussichten in die Rechnung einbezieht, bleiben die sacrifice ratios eher niedrig. Selbst für Deutschland, das hart von der Energiekrise und der schwachen Industriekonjunktur getroffen wurde, bewegt sie sich im historischen Rahmen. Deutlich geringere Werte ergeben sich für die übrigen großen Mitglieder des Euroraums. Hier scheinen die Disinflationskosten ähnlich milde auszufallen wie in den USA (siehe Schaubild 2.13). 

5 Mögliche Gründe für den bislang wenig schmerzhaften Disinflationsprozess

Schwindende angebotsseitige Störungen erleichterten die zügige Disinflation und minderten gesamtwirtschaftliche Kosten. Diverse Störungen gesamtwirtschaftlicher Produktionsprozesse trugen nicht nur zum globalen Inflationsschub 2021 und 2022 bei. Ihr Auslaufen begünstigte später auch den Disinflationsprozess. Lockdowns und pandemiebedingte Lieferkettenstörungen stellten spätestens mit der Aufgabe der chinesischen Null-Covid-Politik Ende 2022 global kein wesentliches Produktionshemmnis mehr dar. Die Rückverlagerung der Nachfrage hin zu Dienstleistungen milderte zudem Engpässe bei Vorprodukten und auf Transportwegen. Das wieder reibungslosere Ineinandergreifen von Lieferketten stützte die weltweite Produktion. Gleichzeitig dämpfte es den Preisauftrieb auf vorgelagerten Stufen. In die gleiche Richtung wirkte der Rückgang der Energierohstoffpreise von ihren Höchstständen zu Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Viele Nichtenergierohstoffe verbilligten sich ebenfalls deutlich. Insgesamt gaben daher die Erzeugerpreise für Waren in den Industrieländern im Verlauf des vergangenen Jahres zumeist nach. 

Die Normalisierung der Energie- und Nahrungsmittelpreise bremste den Verbraucherpreisanstieg in den letzten beiden Jahren auch unmittelbar erheblich. Trugen beide Komponenten zusammen 2022 in der Spitze für die Industrieländer insgesamt rechnerisch noch 4,2 Prozentpunkte zur Vorjahresrate des VPI bei, waren es bereits im Oktober 2023 lediglich noch 0,3 Prozentpunkte. 34 Im Euroraum fiel ihr Beitrag sogar von 7,2 Prozentpunkten auf 0 Prozentpunkte. Seither hängt der Fortgang der Disinflation maßgeblich am weiteren Rückgang der Kernrate.

Die Konjunktur wird durch eine Reihe von Faktoren gestützt, welche die Rückkehr zur Preisstabilität eher erschweren dürften. Viele Volkswirtschaften scheinen in den letzten Jahren weniger stark auf Zinsanstiege zu reagieren. Die gesamtwirtschaftliche Bedeutung zinssensitiver Investitionen nahm ab, und die Finanzierung erfolgte zunehmend über längerfristige Kreditverträge mit fixen Konditionen. Auch könnte ein Anstieg des natürlichen Zinsniveaus den Restriktionsgrad der Geldpolitik gemindert haben. Darüber hinaus blieb die Fiskalpolitik eher expansiv ausgerichtet, und die Normalisierung nach der Coronavirus-Pandemie stützte die Konjunktur ebenfalls. Nicht nur in den Vereinigten Staaten entwickelten sich daher ein Gutteil der Verwendungskomponenten des realen BIP und vor allem auch die Beschäftigung deutlich robuster als in früheren Disinflationsphasen (siehe Exkurs zu den Hintergründen des milden Disinflationsprozesses in den USA). Hiermit gehen allerdings auch Risiken für den weiteren Disinflationsprozess einher. 

Exkurs

Zu den Hintergründen des milden Disinflationsprozesses in den USA

Die Vereinigten Staaten stechen unter den großen Industrienationen im aktuellen Disinflationsprozess mit einer besonders robusten Konjunktur heraus. Lediglich in der ersten Jahreshälfte 2022 pausierte der Wirtschaftsaufschwung kurz. Im Gesamtjahr 2023 wuchs die US-amerikanische Wirtschaftsleistung preisbereinigt sogar um 2,5 %. Seither setzt sich die Expansion mit etwas gemäßigteren Raten fort. Von einer Rezession blieb die US-Wirtschaft trotz der äußerst straffen Geldpolitik weit entfernt. Dies war in fast allen früheren Disinflationsphasen seit den 1970er Jahren anders. 1 Die sacrifice ratio, welche die BIP-Einbußen ins Verhältnis zum Inflationsrückgang setzt, liegt bislang entsprechend deutlich unter dem historischen Mittel. 2 Viele Konjunkturbeobachter – darunter die OECD – prognostizieren derzeit, dass die Rückkehr zur Preisstabilität ohne große gesamtwirtschaftliche Einbußen gelingen wird. 3  

Robuste Arbeitsmärkte trugen entschieden zur bisher sanften geldpolitischen Landung bei. Statistische Zerlegungen der Wirtschaftsdynamik in ihre Komponenten können helfen, die bemerkenswerte wirtschaftliche Resilienz im aktuellen Disinflationsprozess besser zu verstehen. 4 Dabei sticht insbesondere die Arbeitsmarktentwicklung heraus. Wie in fast allen Industrieländern stieg die Beschäftigung in den USA bis zuletzt an. Dabei fiel der Beschäftigungszuwachs sogar stärker aus als in ruhigen Konjunkturlagen üblich. Dies stützte für sich genommen die gesamtwirtschaftliche Aktivität und dämpfte die Disinflationskosten. Auch für die nähere Zukunft zeichnet sich keine erhebliche Verschlechterung der Arbeitsmarktlage ab. Darin unterscheidet sich der aktuelle Disinflationsprozess klar von historischen Mustern. Die höheren früheren sacrifice ratios gingen mit einem deutlich verringerten Arbeitseinsatz einher. Etwas verhaltener als während früherer Disinflationsphasen üblich entwickelte sich seit dem Frühjahr 2022 dagegen die Arbeitsproduktivität (siehe Schaubild 2.14, links). In dieser Betrachtung bleibt allerdings außen vor, dass diese zuvor im Umfeld der Pandemie sprunghaft gestiegen war. 

Eine breit angelegte Nachfragestärke stützte ebenfalls die Wirtschaft. Lediglich die Investitionen im privaten Wohnungsbau sanken in den letzten beiden Jahren ähnlich stark wie in früheren Disinflationsphasen. Die außergewöhnlich schnelle Straffung der Geldpolitik dürfte hier ein wichtiger Faktor gewesen sein. Der private Verbrauch expandierte in den USA dagegen zuletzt weitgehend im Einklang mit seinem Trend, auch weil private Haushalte stark auf ihre in der Pandemie aufgebauten Ersparnisse zurückgriffen. 5 Ebenso expandierte die öffentliche Nachfrage ungebrochen. Zusammen mit dem lebhaften privaten Verbrauch hielten sie die sacrifice ratio klein. Dies dürfte sich gemäß aktueller Prognosen auch in der näheren Zukunft nicht maßgeblich ändern. In früheren Phasen, in denen in den USA erfolgreich hohe Inflationsraten zurückgedrängt wurden, ging ein Großteil der Aktivitätseinbußen auf die privaten und öffentlichen Konsumausgaben zurück. Die gewerblichen Bruttoanlageinvestitionen spielten dagegen auch in der Vergangenheit keine große Rolle. In den letzten beiden Jahren fiel ihr Wachstum sogar außerordentlich lebhaft aus und drückte rechnerisch die sacrifice ratio (siehe Schaubild 2.14, rechts). Dies dürfte auch an fiskalpolitischen Anreizen gelegen haben. 6    

Die gute Konjunktur- und Arbeitsmarktlage bremste aber auch den Inflationsrückgang. Deutlicher als in anderen Industrienationen geriet in den USA der Disinflationsprozess im letzten Jahr ins Stocken. Seit Mitte 2023 sank die Vorjahresrate des VPI kaum noch. Insbesondere im Bereich der Dienstleistungen steigen die Verbraucherpreise nach wie vor außerordentlich kräftig. Die Mitglieder des Offenmarktausschusses der US-Notenbank hoben vor diesem Hintergrund ihre Inflationsprojektionen für 2024 und 2025 zuletzt wiederholt an. Entsprechend stellten sie auch nur langsamere Zinssenkungen in Aussicht. 7 Sollte der hartnäckig hohe Verbraucherpreisauftrieb eine noch länger restriktive Geldpolitik erfordern, könnte dies auch die Konjunkturperspektiven trüben.

Fußnoten
  1. Lediglich zwischen Ende 2011 und Mitte 2015 ließ die Inflation ebenfalls merklich nach, ohne dass die Wirtschaft stark beeinträchtigt wurde. Angesichts der nach der globalen Finanzkrise nur langsam sinkenden Arbeitslosigkeit sah die US-Notenbank damals allerdings von Zinsanhebungen ab.
  2. Wie im Haupttext erfolgt die Datierung der Disinflationsphasen und die Berechnung der sacrifice ratios in Anlehnung an: Ball (1994).
  3. Vgl.: OECD (2024). 
  4. Für eine ähnliche Analyse im Kontext von Konjunkturaufschwüngen vgl.: Deutsche Bundesbank (2013).
  5. In anderen fortgeschrittenen Volkswirtschaften geht der Abbau dieser Überschussersparnisse allenfalls langsam vonstatten. Vgl. hierzu: de Soyres et al (2023). 
  6. Dies gilt beispielsweise für den "Inflation Reduction Act" sowie den "CHIPS and Science Act“. Für eine Diskussion der Auswirkungen auf die Bauinvestitionen begünstigter Sektoren vgl.: Deutsche Bundesbank (2023d).
  7. Noch im Dezember 2023 erwarteten die Mitglieder des Offenmarktausschusses des Federal Reserve Systems, dass der anhand des Deflators des privaten Konsums gemessene Preisanstieg weiter deutlich nachlässt. Im Median projizierten sie für die letzten Jahresviertel 2024 und 2025 Teuerungsraten von 2,4 % beziehungsweise 2,1 %. Bis Juni 2024 wurden diese Prognosen auf 2,6 % beziehungsweise 2,3 % angehoben. Dabei wurde zuletzt für Ende 2025 ein Leitzinssatz von 4,1 % als angemessen erachtet. Ein halbes Jahr zuvor ging man noch von Zinssenkungen auf 3,6 % aus. Vgl.: Federal Open Market Committee (2023 und 2024).

Die in der Pandemie aufgestaute Nachfrage dürfte die Konjunktur bis zuletzt gestützt haben. Im Jahr 2020 standen den pandemiebedingten Produktions- und Lieferausfällen vielfältige nachfragestützende staatliche Maßnahmen gegenüber. 35 Dies führte dazu, dass private Haushalte verbreitet unfreiwillige Ersparnisse anhäuften. In der Industrie füllten sich derweil die Auftragsbücher (siehe Schaubild 2.15). Die hohe Inflation und die mit der geldpolitischen Straffung anziehenden Finanzierungskosten verringerten die aufgestaute Nachfrage nur zum Teil. Die verbleibende Überschussnachfrage federte in den Industrieländern die bremsenden Effekte der geldpolitischen Straffung ab. 

Die ungewohnt robuste Arbeitsmarktentwicklung könnte zum Teil ebenfalls Erfahrungen aus der Pandemie geschuldet sein. Seither stieg die Nachfrage nach Arbeitskräften in den großen Industrieländern kräftig an. Dies äußerte sich nicht nur in anhaltenden Beschäftigungszuwächsen. Auch die Zahl der offenen Stellen stieg verbreitet sprunghaft und blieb bis zuletzt erhöht. Viele Unternehmen hatten nach der Aufhebung pandemiebedingter Eindämmungsmaßnahmen große Schwierigkeiten gehabt, offene Stellen wieder zu besetzen. Diese Erfahrung, kombiniert mit Aussichten auf ein perspektivisch aus demografischen Gründen knappes Arbeitsangebot, dürfte Unternehmen dazu veranlasst haben, neue Mitarbeiter einzustellen. Tatsächlich hielt bereits in den letzten Jahren das Arbeitsangebot verbreitet nicht mit der Arbeitsnachfrage Schritt (siehe Schaubild 2.16). 36 Insbesondere in den USA lag dies auch an einer noch immer leicht gedämpften Erwerbsbeteiligung. 37 In Europa verschärfte hingegen die Tendenz zu kürzeren Arbeitszeiten die Arbeitskräfteknappheit. 38 Insgesamt sind die Arbeitsmärkte in den Industrieländern trotz einer gewissen Entspannung noch immer stark ausgelastet. 

Eine vergleichsweise lockere Fiskalpolitik und industriepolitische Initiativen federten die bremsenden Effekte verschlechterter Finanzierungsbedingungen ab. Laut Analysen des Internationalen Währungsfonds lockerte 2023 die Hälfte aller Industrie- und Schwellenländer ihre Fiskalpolitik. Selbst 2022 waren es trotz noch höherer Inflationsraten immerhin ein Drittel. 39 Diese Maßnahmen stützten die Weltwirtschaft nicht nur unmittelbar über eine höhere staatliche Nachfrage. Darüber hinaus wurden öffentliche Mittel auch verstärkt für Investitions- und Produktionsanreize für Zukunftstechnologien und Schlüsselindustrien aufgewendet. 40 Die in diesen Bereichen ohnehin anziehenden privatwirtschaftlichen Investitionen wurden dadurch zusätzlich stimuliert. 

Längerfristige Veränderungen im Investitionsverhalten und in den Finanzierungsstrukturen von Haushalten und Unternehmen könnten bremsende realwirtschaftliche Effekte von Zinserhöhungen abgeschwächt oder verlangsamt haben. Bereits seit einigen Jahrzehnten nimmt in vielen fortgeschrittenen Volkswirtschaften die Bedeutung physischer Investitionen in Gebäude und Ausrüstungen tendenziell ab. An ihre Stelle treten vermehrt Investitionen in Informations- und Kommunikationstechnologien und geistiges Eigentum. 41 Derartige immaterielle Investitionen eignen sich nur eingeschränkt als Sicherheiten für Kreditgeschäfte und sind durch schnelle Abschreibungen gekennzeichnet. Sie sollten daher weniger stark auf Zinsänderungen reagieren. 42 Die Realwirtschaft könnte deshalb weniger stark durch die kräftige geldpolitische Straffung der letzten Jahre belastet worden sein, als dies historische Beziehungen nahelegen würden. Auf eine verzögerte Transmission wirkt die Tendenz zu einer längerfristigen Verschuldung zu fixen Konditionen hin. Viele Haushalte, aber auch Unternehmen konnten hierdurch die günstigen Finanzierungsbedingungen aus der Niedrigzinsphase nach der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise auf Jahre festschreiben. 43 Der Zinsanstieg macht sich somit nur nach und nach bei der Überwälzung bestehender Verbindlichkeiten sowie bei der Neuverschuldung als Kostenfaktor bemerkbar. Dies dürfte die bremsenden Effekte auf die Investitionen, aber auch auf den privaten Verbrauch spürbar verlangsamt haben. 44

Schließlich könnte auch die geldpolitische Ausrichtung weniger restriktiv gewesen sein als vielfach angenommen. Entscheidend für die Wirkung der Geldpolitik ist nicht nur die Höhe der durch sie beeinflussten Marktzinsen. Wichtig ist auch, wie diese relativ zu ihrem Gleichgewichtswert stehen, der mit Preisstabilität und normal ausgelasteten gesamtwirtschaftlichen Kapazitäten einhergeht. 45 Für eine Reihe von fortgeschrittenen Volkswirtschaften gibt es Hinweise darauf, dass dieses natürliche Zinsniveau seit der Pandemie gestiegen sein könnte. 46 Dies gilt auch für den Euroraum. 47 Ein solcher Anstieg der Gleichgewichtszinsen könnte den Straffungsimpuls höherer Notenbankzinsen geschmälert haben. Allerdings sind derartige Einschätzungen mit hoher Unsicherheit behaftet. Außerdem sind die geschätzten Gleichgewichtszinsen im längerfristigen Vergleich nach wie vor außerordentlich niedrig.

6 Implikationen für die "letzte Meile" der Disinflation

Seit Jahresbeginn 2024 gab es mancherorts allenfalls noch kleinere Erfolge bei der Inflationsbekämpfung. Die präsentierten Analysen sprechen dafür, dass der Rückgang der Inflationsraten im aktuellen Disinflationsprozess nicht nur das Ergebnis der Geldpolitik war. Das Auslaufen angebotsseitiger Störungen spielte auch eine wichtige Rolle. Andere Faktoren verlangsamten und überlagerten die Transmission des Zinsanstiegs auf die Realwirtschaft. Durch dieses Zusammenspiel wurde in den meisten Volkswirtschaften eine Rezession vermieden. Die robuste Wirtschaft mindert den Druck auf Unternehmen und Arbeitnehmer, bei der Preis- und Lohngestaltung Zurückhaltung an den Tag zu legen. In der Folge verstärkte sich der Preisauftrieb auf Quartals- und Monatsebene zum Jahresbeginn 2024 saisonbereinigt zum Teil sogar wieder (siehe Schaubild 2.17). 

Insbesondere der Preisauftrieb bei Dienstleistungen erweist sich als außerordentlich hartnäckig. Auf der Verbraucherstufe lag die Teuerungsrate für Dienstleistungen im Juni 2024 im Euroraum immer noch bei gut 4 %, in den USA sogar bei mehr als 5 %. Auch andernorts verläuft die Disinflation im Dienstleistungssektor langsamer als in der Vergangenheit üblich. 48 Ein wesentlicher Faktor hierfür dürfte das anhaltend starke Lohnwachstum sein, welches im arbeitsintensiven Dienstleistungssektor besonders zu Buche schlägt (siehe Schaubild 2.18). Hinzu kommt insbesondere im Euroraum eine äußerst verhaltene Produktivitätsentwicklung. Das hohe Lohnwachstum überträgt sich daher fast vollständig auf die Lohnstückkosten. Angesichts der noch immer stark ausgelasteten Arbeitsmärkte und der erlittenen Reallohneinbußen steht zu vermuten, dass die Lohndynamik nur langsam nachlassen wird. Dies dürfte eine zügige Rückkehr zur Preisstabilität erschweren. 

Eine verstärkte Belebung der Konjunktur könnte ein weiteres Absinken der Inflationsraten hinauszögern. Laut Umfragen unter Einkaufsmanagern verbesserte sich die Geschäftslage seit Jahresbeginn 2024 weltweit spürbar. In den Industrieländern konzentrierte sich dies auf den Dienstleistungssektor. Dahinter scheint maßgeblich eine anziehende Nachfrage zu stehen. Dementsprechend blieb der Preisauftrieb auf der Erzeugerstufe im Dienstleistungssektor hoch. 49

Die Entlastungen von der Angebotsseite scheinen weitgehend ausgelaufen zu sein. Indikatoren angebotsseitiger Lieferkettenstörungen wie etwa der Global Supply Chain Pressure Index der Federal Reserve Bank of New York erreichten bereits Mitte 2023 einen Tiefpunkt. Ähnliches gilt für viele Rohstoffpreise. Seither zogen sie in der Tendenz sogar eher wieder etwas an. Zur weiteren Disinflation dürften sie daher keinen wesentlichen Beitrag mehr leisten. Geopolitische Konflikte bergen vielmehr bedeutende angebotsseitige Aufwärtsrisiken für die Verbraucherpreise. Dies gilt zuvorderst für die angespannte Situation im Nahen Osten.

Mögliche weitere Zinssenkungen sollten daher sorgfältig mit Blick auf die aktuelle Datenlage abgewogen werden. Auf der geldpolitischen Sitzung im Juni 2024 beschloss der EZB-Rat vor dem Hintergrund der Erfolge im Kampf gegen die Inflation, die drei Leitzinssätze des Eurosystems um jeweils 25 Basispunkte zu senken. Notenbanken anderer großer Industrie- und Schwellenländer hatten zu dem Zeitpunkt bereits mit Zinssenkungen begonnen. Auch für die USA stellen die Mitglieder des Offenmarktausschusses eine Zinswende in Aussicht. Der noch immer zu starke Preisauftrieb, die Unsicherheit über den tatsächlichen geldpolitischen Restriktionsgrad und diverse Aufwärtsrisiken mahnen aber zu einem datenabhängigen Vorgehen. Dies entspricht der Kommunikation des EZB-Rats nach der geldpolitischen Sitzung von Anfang Juni. 50

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Ramey, V. A., Macroeconomic Shocks and Their Propagation, in: J. B. Taylor und H. Uhlig (Hrsg., 2016), Handbook of Macroeconomics, Vol. 2, Elsevier, North Holland, S. 71 – 162.

Stiglitz, J.E. und I. Regmi (2023), The causes of and responses to today's inflation, Industrial and Corporate Change, Vol. 32, S. 336 – 385.

Summers, L.H. (2021), The Biden stimulus is admirably ambitious. But it brings some big risks too, Washington Post, 4. Februar

Tetlow, R. J. (2022), How large is the output cost of disinflation?, Finance and Economics Discussion Series, Nr. 79, Board of Governors of the Federal Reserve System, Washington.

Fußnoten
  1. Vgl. Deutsche Bundesbank (2021a) für eine Analyse der weltwirtschaftlichen Entwicklung während der Coronavirus-Pandemie.
  2. Vgl. Internationaler Währungsfonds (2021) für eine Zusammenfassung der wichtigsten finanzpolitischen Maßnahmen in ausgewählten Volkswirtschaften.
  3. Für eine Diskussion der konjunkturellen Folgen chinesischer Lieferkettenschocks vgl.: Deutsche Bundesbank (2021b, 2024a) sowie Europäische Zentralbank (2023a).
  4. Vgl.: Europäische Kommission (2023) sowie OECD (2023). 
  5. Zu den Triebkräften des europäischen Gaspreises vgl.: Deutsche Bundesbank (2023a).
  6. Vgl.: Doornik et al. (2023).
  7. Vgl. beispielsweise: Stiglitz und Regmi (2023). 
  8. Vgl.: Summers (2021) sowie Furman (2022).
  9. Vgl. Eickmeier und Hofmann (2022) für die detaillierte Beschreibung des Schätzansatzes. Aggregierte Faktoren werden mithilfe einer Hauptkomponentenanalyse geschätzt und mittels Vorzeichenrestriktionen auf die Faktorladungen von Inflation und realwirtschaftlicher Aktivität nach Angebot und Nachfrage unterschieden. Die Schätzung für die USA umfasst den Zeitraum vom ersten Quartal 1970 bis zum ersten Quartal 2024 und 202 Variablen. Diejenige für den Euroraum den Zeitraum vom ersten Quartal 2001 bis zum ersten Quartal 2024 und 83 Variablen. 
  10. Eine jüngere Studie von Giannone und Primiceri (2024) legt auch für den Euroraum eine große Rolle nachfrageseitiger Einflüsse nahe. 
  11. Eine weitere ökonometrische Analyse mittels eines strukturellen vektorautoregressiven Modells zeigt in eine ähnliche Richtung. Demnach waren heimische Faktoren – darunter die starke Nachfrage – die dominierende Triebkraft des Inflationsanstiegs in den USA. Im Euroraum wird dieser gut zur Hälfte durch externe Faktoren erklärt. Vgl.: Deutsche Bundesbank (2022a).
  12. Beispielsweise erwartete der Internationale Währungsfonds im Oktober 2022 für das Folgejahr BIP-Rückgänge in Ländern, die gemeinsam mehr als ein Drittel der Weltwirtschaft ausmachen. Auch für die großen Industrienationen und China erwartete man eine schwache Konjunktur. Vgl.: Internationaler Währungsfonds (2022).
  13. Für eine historische Einordnung des Energiepreisanstiegs der Jahre 2021 und 2022 vgl.: Deutsche Bundesbank (2022b).
  14. Vgl.: Neely (2022) sowie Nelson (2022).
  15. Vgl.: Ari et al. (2023).
  16. Der zugrunde liegende Preisauftrieb wird dabei über einen zentrierten gleitenden Durchschnitt der annualisierten vierteljährlichen Veränderungsrate des saisonbereinigten Verbraucherpreisindikators über neun Quartale approximiert. Wenn dieses Maß zwischen aufeinanderfolgenden lokalen Hoch- und Tiefpunkten um mindestens 2 Prozentpunkte sinkt, gilt der dazwischenliegende Zeitraum als Disinflationsepisode. Vgl.: Ball (1994).
  17. Wie in der Literatur üblich, werden bei der Berechnung der Disinflationskosten auch BIP-Einbußen im Jahr nach Abschluss des Disinflationsprozesses berücksichtigt. Dies trägt möglichen Spätfolgen der Inflationsbekämpfung Rechnung. Vgl.: Ball (1994). Unberücksichtigt bleibt, dass der vorangegangene Inflationschub das Ergebnis von Übertreibungen mit überdurchschnittlichen BIP-Wachstumsraten gewesen sein kann. Das könnte die Trendschätzung nach oben verzerren. Dann wären die BIP-Verluste tendenziell zu hoch ausgewiesen.
  18. Dies deckt sich mit Schätzungen aus der einschlägigen Literatur. Vgl. exemplarisch: Ball (1994), Katayama et al. (2019) sowie Cecchetti et al. (2023).
  19. Siehe hierzu auch: Mazumder (2014). 
  20. Tatsächlich gingen gut zwei Drittel der Disinflationsepisoden mit Rezessionen einher, die mittels des Algorithmus von Bry und Boschan (1971) datiert wurden. Übereinstimmend damit finden Cecchetti et al. (2023), dass alle vergangenen Disinflationsepisoden der USA mit den vom National Bureau of Economic Research identifizierten Rezessionen zusammenfallen.
  21. Zu den in der Literatur populärsten Erklärungsansätzen für die Heterogenität der Disinflationskosten zählen Unterschiede in Strategie, Transparenz und Unabhängigkeit von Zentralbanken, im Lohnfindungsprozess oder in der Offenheit von Volkswirtschaften. Allerdings sind empirisch nur wenige Indikatoren robust mit den sacrifice ratios korreliert. Verhältnismäßig sicher gilt, dass kurze, aber deutliche Disinflationphasen mit eher niedrigen Kosten einhergingen. Dies wird oft als Zeichen dafür interpretiert, dass eine besonders entschlossene und rasche Bekämpfung der Inflation die Glaubwürdigkeit der Zentralbank erhöhen kann. Vgl. hierzu auch: Ball (1994), Katayama et al. (2019) sowie Magkonis und Zekente (2020).
  22. Zuvor war die operative Geldpoltik vielerorts auf die Steuerung der Geldbasis, des Zentralbankguthabens des Bankensystems oder des Wechselkurses ausgerichtet. Dabei kamen neben Offenmarktgeschäften beispielsweise auch Veränderungen von Mindestreservesätzen und Devisenmarktinterventionen zum Einsatz; vgl.: Bindseil (2004).
  23. Vgl. Deutsche Bundesbank (2023b), S. 39 für eine schematische Darstellung des geldpolitischen Transmissionsprozesses. 
  24. Vgl. Ramey (2016) für einen Literaturüberblick und eine Diskussion verschiedener methodischer Ansätze für die USA;
  25. Beide Modelle werden mit bayesianischen Methoden für den Zeitraum vom ersten Vierteljahr 1999 bis zum Schlussquartal 2023 geschätzt. 
  26. Neben dem BIP gehen die privaten Konsumausgaben, die Bruttoanlageinvestitionen sowie die Ausrüstungs- und (Wohnungs-)Bauinvestitionen jeweils saison- und preisbereinigt als logarithmierte Niveaus in das Modell ein. Hinzu kommt die annualisierte vierteljährliche Veränderung des für die jeweilige Geldpolitik ausschlaggebenden saisonbereinigten Verbraucherpreisindikators. Dabei handelt es sich für den Euroraum um den HVPI und für die USA um den Deflator des privaten Verbrauchs. Als Zinssatz wird für die USA die Rendite von Staatsanleihen mit einer Restlaufzeit von einem Jahr verwendet, für den Euroraum ein einjähriger Interbankenzins (EURIBOR).
  27. Das hier verwendete rekursive Identifikationsschema unterstellt, dass das BIP und seine Verwendungskomponenten sowie die Inflation mit einer Verzögerung von einem Quartal auf einen geldpolitischen Schock, das heißt auf eine unerwartete Veränderung des Kurzfristzinses, reagieren. Die Geldpolitik reagiert dagegen unmittelbar auf unerwartete Veränderungen der realwirtschaftlichen Aktivität und der Inflation. Vgl. hierzu auch: Peersman und Smets (2003). 
  28. Diese Ergebnisse stehen grob im Einklang mit ähnlichen Schätzungen der EZB. Demnach sinkt das BIP im Euroraum nach einem Zinsanstieg um 100 Basispunkte nach drei Jahren um bis zu 1,25 %. Vgl. hierzu: Lane (2023).
  29. Auch innerhalb des Euroraums wirkt die Geldpolitik unterschiedlich. Dies zeigen frühere Analysen mithilfe eines Mehr-Länder-Modells. Demnach fallen in Deutschland die dämpfenden Effekte einer Zinsanhebung auf die Realwirtschaft in der Tendenz stärker aus als etwa in Frankreich, Italien oder Spanien. Der Verbraucherpreisanstieg wird in Deutschland dagegen verhältnismäßig wenig gebremst. Vgl.: Deutsche Bundesbank (2023b) sowie Mandler et al. (2022).
  30. Eine entscheidende Rolle für das erforderliche Ausmaß der Straffung dürfte dabei die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik und ihr Einfluss auf die Inflationserwartung gespielt haben. Bei einer Ausrichtung der Inflationserwartungen an vergangenen Entwicklungen fallen Inflationsprozesse persistenter aus und erfordern eine schärfere geldpolitische Reaktion. Entsprechend höher wären dann die Kosten der Disinflation. Vgl. hierzu: Tetlow (2022) sowie Internationaler Währungsfonds (2023).
  31. Für diese Betrachtung wurde unterstellt, dass der Disinflationsprozess im Euroraum im Schlussquartal 2022 begann. In den drei Vorquartalen hatte sich das der Datierung zugrunde liegende Inflationsmaß kaum geändert. 
  32. Hierfür ist maßgeblich, dass sich das Niveau des realen BIP vielerorts bis zuletzt noch unter dem vorherigen Trend bewegte. Selbst während einer gesamtwirtschaftlichen Erholung würden daher weitere Verluste bis zur Schließung der Lücke angehäuft werden. 
  33. Vgl.: OECD (2024). 
  34. Die Bedeutung von Energie- und Nahrungsmittelpreisschocks für die jüngere Inflationsentwicklung in Deutschland und weltweit betont auch eine modellbasierte Zerlegung. Diese trägt unter anderem direkten und indirekten Effekten von Rohstoffpreisveränderungen Rechnung. Vgl.: Deutsche Bundesbank (2024b) sowie Bernanke und Blanchard (2024).
  35. Vgl.: Deutsche Bundesbank (2021a).
  36. Für eine Analyse der Hintergründe robuster Arbeitsmärkte vgl. auch: Doornik et al. (2023).
  37. Vgl. Abraham und Rendell (2023) für eine Diskussion möglicher Ursachen. 
  38. Vgl.: Acre et al. (2023). 
  39. Vgl.: Internationaler Währungsfonds (2024a).
  40. Für eine Diskussion entsprechender Maßnahmen zur Förderung der Halbleiterindustrie vgl.: Deutsche Bundesbank (2023d). Hinzu kamen in den USA, aber auch in Europa weitere Maßnahmenpakete zur Förderung grüner Technologien; vgl. hierzu exemplarisch: Franco-German Council of Economic Experts (2023). 
  41. Der sich hierin unter anderem äußernde Digitalisierungstrend ist eine wichtige Triebkraft gesamtwirtschaftlicher Produktivitätsgewinne. Vgl. hierzu: Deutsche Bundesbank (2023e).
  42. Für empirische Analysen, die diese Hypothese bekräftigen, siehe exemplarisch: Caggese und Pérez-Orive (2022), Döttling und Ratnovski (2023) sowie David und Gourio (2024).
  43. Vgl.: Ampudia et al. (2023).
  44. Für eine Analyse der Implikationen für den Häusermarkt und den privaten Verbrauch vgl.: Internationaler Währungsfonds (2024b). 
  45. Vgl.: Deutsche Bundesbank (2017).
  46. Vgl.: Benigno et al. (2024).
  47. Vgl.: Brand et al. (2024).
  48. Dies bestätigen Analysen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich; vgl.: Amatyakul et al. (2024).
  49. Vgl.: Deutsche Bundesbank (2024c). 
  50. Vgl.: Europäische Zentralbank (2024).