Die Erfassung einbehaltener Gewinne in der Zahlungsbilanz und ihre Bedeutung für den deutschen Leistungsbilanzüberschuss Monatsbericht – Oktober 2024

Monatsberichtsaufsatz

Einer aktuellen Studie zufolge fiele der deutsche Leistungsbilanzüberschuss in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) einen halben Prozentpunkt niedriger aus als in der Zahlungsbilanzstatistik ausgewiesen, wenn reinvestierte Gewinne bei Portfolioinvestitionen in der gleichen Weise wie bei Direktinvestitionen erfasst würden. 1 Gemäß internationalen Konventionen unterscheidet die amtliche Zahlungsbilanzstatistik grenzüberschreitende Investitionen in Beteiligungswerte danach, wie hoch der Eigentumsanteil des Investors nach der Investition ist. Liegt der Anteil unter 10 %, handelt es sich um Portfolioinvestitionen; beträgt er 10 % oder mehr, handelt es sich um Direktinvestitionen. Bei Portfolioinvestitionen werden reinvestierte Gewinne nicht den Vermögenseinkommen des Kapitalgebers zugerechnet, sondern den Ersparnissen des Unternehmens. Bei Direktinvestitionen werden sie hingegen als Einkommen und Wiederanlage des Kapitalgebers betrachtet. Würden reinvestierte Gewinne unabhängig von der 10 %-Schwelle als Ersparnis des Investors gewertet und bei den Vermögenseinkommen berücksichtigt, hätte dies der Modellrechnung zufolge den deutschen Leistungsbilanzüberschuss in den Jahren 2012 bis 2020 um jahresdurchschnittlich 11,5 Mrd € reduziert.

In Deutschland leisten Unternehmensersparnisse einen beträchtlichen Beitrag zu den gesamtwirtschaftlichen Ersparnissen. Insbesondere größere, börsengehandelte Unternehmen befinden sich häufig zumindest teilweise im Besitz ausländischer Investoren. 2 Bezogen auf das BIP fiele der deutsche Leistungsbilanzüberschuss einen halben Prozentpunkt niedriger aus, wenn die erzielten Unternehmensersparnisse allen Eigentümern anteilsmäßig zugerechnet würden. Den Schwellenwert des europäischen Scoreboards zur Überwachung makroökonomischer Ungleichgewichte hätte der Überschuss aber in allen Jahren seit 2013 unabhängig von der Berechnungsmethode überschritten.

1 Hohe deutsche Leistungsbilanzüberschüsse

Deutschland verzeichnet seit Beginn des Jahrtausends durchgehend Leistungsbilanzüberschüsse. Der bislang ausgewiesene Höchstwert lag 2018 bei 289 Mrd €, was mehr als 8 % des deutschen BIP entsprach. Seitdem ist der Überschuss deutlich gesunken und lag 2023 bei 249 Mrd € oder 5,9 % des BIP. Zwischenzeitlich war er 2022 auf 4,4 % gefallen. Hierzu hatten unterschiedliche temporäre Faktoren beigetragen, wie die asymmetrische Reaktion der Im- und Exporte infolge der Coronavirus-Pandemie oder die verschlechterten Terms of trade in Reaktion auf die deutlich steigenden Energiepreise nach dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Diese Sondereinflüsse schwächten sich 2023 wieder ab, und die deutsche Leistungsbilanz folgt inzwischen wieder einem längerfristigen Trend.

Die Einschätzung, inwieweit die Höhe des deutschen Leistungsbilanzsaldos angemessen ist, wird international kontrovers diskutiert. Der Internationale Währungsfonds (IWF) stellte beispielsweise in seinem Jahresbericht aus dem Jahr 2024 zum wiederholten Male fest, dass sich der deutsche Leistungsbilanzsaldo nicht mit fundamentalen Daten erklären lasse. 3 Die EU geht noch einen Schritt weiter und vermutet hinter dem Überschuss ein makroökonomisches Ungleichgewicht. Sie mahnt deshalb im Rahmen ihres gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichtsverfahrens seit 2013 regelmäßig Korrekturen an. 4 Die Bundesbank hat stets betont, dass der Saldo sich überwiegend aus privaten, marktwirtschaftlich bedingten Transaktionen ergibt, auf die der Staat keinen direkten Einfluss hat. Der Leistungsbilanzsaldo sei insofern keine eigenständige wirtschaftspolitische Zielgröße der deutschen Wirtschaftspolitik. 5

2 Erfassung reinvestierter Gewinne in der Leistungsbilanz

Die hier vorgestellte Studie befasst sich damit, wie eine Komponente des Leistungsbilanzsaldos berechnet wird; sie setzt also bei der statistischen Aufbereitung dieser Zahlungsbilanzposition an und behandelt Aspekte, die der politischen Einordnung des Gesamtsaldos vorgelagert sind. Zu den technischen, statistischen Faktoren, welche die Höhe des ausgewiesenen Leistungsbilanzsaldos bestimmen, zählen insbesondere auch internationale Konventionen, die vorgeben, wie einzelne Transaktionen in der Zahlungsbilanz zu verbuchen sind. Die aktuellen Buchungsregeln finden sich in der sechsten Revision des Handbuchs zur Zahlungsbilanz des IWF, genannt BPM6. 6

Die konzeptionelle Unterscheidung zwischen Direktinvestitionen und Portfolioinvestitionen hat einen großen Einfluss darauf, wie einbehaltene Gewinne verbucht werden. Das BPM6 unterscheidet zwischen Unternehmen, die wesentlich von einem einzelnen ausländischen Eigner kontrolliert werden, und Unternehmen, die sich im ausländischen Streubesitz befinden, deren Eigenkapital also zwischen ausländischen Investoren weit gestreut sind. Im letzteren Fall wird unterstellt, dass einzelne Investoren keinen unmittelbaren Einfluss auf Unternehmensentscheidungen nehmen. Es kommt also immer darauf an, wer letztlich darüber entscheidet, ob ein Gewinn ausgeschüttet oder investiert wird soll. 7

Einbehaltene und reinvestierte Gewinne von Portfolioinvestitionen sind statistisch gesehen kein grenzüberschreitendes Vermögenseinkommen. Einbehaltene Gewinne eines inländischen Direktinvestitionsunternehmens, welches als Tochtergesellschaft eines ausländischen Direktinvestors klassifiziert ist, werden den Vermögenseinkommen dieses (ausländischen) Investors zugeordnet. Der Kapitalverkehr verbucht diese einbehaltenen Gewinne als Reinvestition. Befinden sich die ausländischen Anteile hingegen im Streubesitz, entscheidet die Firmenleitung vor Ort über die Gewinnverwendung. Die Zahlungsbilanz erfasst dann nur die ausgeschütteten Gewinne als grenzüberschreitendes Vermögenseinkommen, während die einbehaltenen und reinvestierten Gewinne nicht auftauchen. 8

Die unterschiedliche Verbuchung einbehaltener Gewinne bei Direktinvestitionen und Portfolioinvestitionen könnte Auswirkungen auf den ausgewiesenen Leistungsbilanzsaldo haben. Einbehaltene Gewinne entsprechen den Ersparnissen der Unternehmen und haben zunehmend an Bedeutung gewonnen. 9 Dies könnte den deutschen Leistungsbilanzsaldo beeinflussen, da Aktienanlagen im Portfoliosegment einen größeren Anteil an den deutschen Auslandsverbindlichkeiten ausmachen als an den deutschen Auslandsforderungen. Umgekehrt haben Direktinvestitionen auf der Aktivseite des deutschen Auslandsvermögensstatus ein höheres Gewicht als auf der Passivseite. Dies lässt erwarten, dass eine Berücksichtigung einbehaltener Gewinne bei Portfolioinvestitionen als Vermögenseinkommen die Ausgaben stärker erhöhen würde als die Einnahmen. Der Saldo der ausgewiesenen Vermögenseinkommen und somit der Leistungsbilanzsaldo dürften also tendenziell niedriger ausfallen als bei der Berechnung, die auf internationalen Standards beruht.

Anteil von Aktien an den gesamten Auslandsaktiva und Auslandspassiva Deutschlands
Anteil von Aktien an den gesamten Auslandsaktiva und Auslandspassiva Deutschlands

Exkurs

Zuordnung einbehaltener Gewinne von Unternehmen im Streubesitz

Die größte Herausforderung, "modifizierte Vermögenseinkommen" zu ermitteln, besteht darin, die Eigentumsverhältnisse von Unternehmen im Streubesitz zu identifizieren und diese mit den einbehaltenen Gewinnen dieser Unternehmen zu verknüpfen. Der IWF wies in seinem External Sector Report von 2018 bereits selbst darauf hin, dass reinvestierte Gewinne bei Direktinvestitionen und Portfolioinvestitionen unterschiedlich erfasst werden. In einem Technical Supplement berechnete er modifizierte Leistungsbilanzquoten, die sich ergäben, wenn einbehaltene Gewinne auch bei Portfolioinvestitionen den jeweiligen Anteilseignern zugerechnet würden. 1 Aufgrund fehlender firmenspezifischer Daten verwendet der IWF ebenso wie andere Studien zu diesem Thema durchschnittliche, länderspezifische Einbehaltungsquoten von Unternehmensgewinnen und kombiniert diese mit Zahlungsbilanzdaten zu den Primäreinkommen. 2 Mit diesem Verfahren lässt sich ungefähr einschätzen, welchen Anteil ausländische Portfolioinvestoren an den einbehaltenen Unternehmensgewinnen haben.

Die hier vorgestellte Untersuchung greift auf firmenspezifische Daten zu Eigentümerstrukturen, Erträgen und Dividenden deutscher Unternehmen zurück, an denen ausländische Investoren beteiligt sind. Dieses Verfahren dürfte zu genaueren Schätzungen führen, welche Bedeutung die vom Eigentumsanteil abhängige Behandlung einbehaltener Gewinne für den ausgewiesenen Leistungsbilanzsaldo hat. Angaben zu Gewinnen und Dividenden entstammen der kommerziellen Datenbank Orbis von Bureau van Dijk. Da Orbis keine Informationen über Dividendenzahlungen für Finanzunternehmen enthält, werden diese Angaben vom Datenanbieter Bloomberg entnommen. Die Datenbank von Orbis deckte 2020 rund 80 % aller börsennotierten deutschen Unternehmen ab. Da die Datenbank tendenziell eher größere Unternehmen umfasst, bildet sie das gesamte Universum der an Börsen notierten Unternehmen recht gut ab. Die Angaben dürften somit einen Großteil der grenzüberschreitend anzurechnenden Gewinne deutscher Unternehmen abdecken.

Ausländische Beteiligungen an den betrachteten deutschen Unternehmen blieben zwischen 2012 und 2020 mit durchschnittlich rund 59 % relativ konstant. Die Bilanzdaten zu Dividenden und Gewinnen der deutschen Unternehmen werden mit Angaben zur Eigentümerstruktur kombiniert. Die „SHS-Base plus“ der Bundesbank enthält Einträge zu ausländischen Beteiligungen an deutschen Unternehmen. Insgesamt standen für die Untersuchung Daten für die Jahre 2012 bis 2020 zur Verfügung.

Anteil ausländischer Beteiligungen an deutschen handelbaren Aktien
Anteil ausländischer Beteiligungen an deutschen handelbaren Aktien

Die Höhe einbehaltener Gewinne im Ausland, die deutschen Portfolioinvestoren zuzuordnen sind, lässt sich nur näherungsweise bestimmen. Eine einheitliche und umfassende Statistik für den deutschen Portfoliobesitz an einzelnen ausländischen Unternehmen wird nicht erhoben. Damit liegen keine Daten darüber vor, wie hoch die Beteiligung deutscher Portfolioinvestoren an den einzelnen Unternehmen eines Landes ist. Als mögliche Annäherung dienen Angaben zu den gesamten Dividenden, die deutschen Investoren im Wertpapierbereich aus Land \(i\) im Jahr \(t\) zufließen. Die deutsche Leistungsbilanz weist diese Zahlungen aus. Die Höhe der reinvestierten Gewinne ergibt sich aus der Zunahme des Eigenkapitals eines Unternehmens, welche nicht auf eine Kapitalerhöhung durch die Außenfinanzierung zurückzuführen war. Summiert man diesen Wert über alle Unternehmen, lässt sich das länderspezifische Verhältnis der reinvestierten Gewinne zu den ausgeschütteten Dividenden abschätzen. Wird dieses Verhältnis mit den deutschen Dividendenerträgen aus Land \(i\) multipliziert, kann das Produkt als Näherungswert für die einbehaltenen Gewinne deutscher Investoren in Land \(i\) und Jahr \(t\) dienen. 3 Dabei wird unterstellt, dass der Anteil deutscher Portfolioinvestoren an den gesamten einbehaltenen Gewinnen in einem Partnerland ihrem Anteil an den Dividenden entspricht, die Unternehmen dieses Landes ausschütten:

$$GR_{i,t}=\frac{\sum_{j}R_{j,i,t}}{\sum_{j}D_{j,i,t}}GD_{i,t}$$

Mit \(GR_{i,t}\) = einbehaltene (reinvestierte) Gewinne in Land \(i\), die deutschen Anteilseignern zuzurechnen sind; \(R_{j,i,t}\) = einbehaltener (reinvestierter) Gewinn von Unternehmen \(j\) in Land \(i\) im Jahr \(t\); \(D_{j,i,t}\) = ausgeschütteter Gewinn von Unternehmen \(j\) in Land \(i\) im Jahr \(t\); \(GD_{i,t}\) = deutsche Dividendeneinkünfte aus Land \(i\) im Jahr \(t\).

Der Näherungswert für die auf deutsche Investoren entfallenden Unternehmensersparnisse ist vorsichtig zu interpretieren. Wenn beispielsweise deutsche Portfolioinvestoren vor allem in Unternehmen mit einem niedrigen Verhältnis von einbehaltenen zu ausgeschütteten Gewinnen, also einer hohen Ausschüttungsquote, investierten, wäre der Näherungswert nach oben verzerrt (und umgekehrt). 4

Das Verhältnis von einbehaltenen zu ausgezahlten Gewinnen ist in den meisten betrachteten Ländern einschließlich Deutschland recht ähnlich und liegt im längerfristigen Durchschnitt knapp über eins. In der Untersuchung wird die Anzahl der zu berücksichtigenden ausländischen Partnerländer so bestimmt, dass sie in ihrer Gesamtheit in jedem Jahr von 2012 bis 2020 mindestens 95 % der ausländischen Dividenden deutscher Wertpapierinvestoren abdecken. Dies führte dazu, dass insgesamt 38 Zielländer in die Untersuchung einbezogen werden. Der Datenanbieter Refinitiv Eikon liefert die Angaben zu den Dividenden und einbehaltenen Gewinnen ausländischer Unternehmen. Das Verhältnis von einbehaltenen Gewinnen zu ausgezahlten Dividenden beträgt auf Basis des ungewichteten Durchschnitts von 2012 bis 2020 und der 38 Länder 1,06. Der entsprechende Wert für Deutschland liegt bei 1,07. Der Unterschied ist auch angesichts der bestehenden Schätzunsicherheit vernachlässigbar.

Grenzüberschreitende ausländische Portfolioinvestitionen: zurechenbare einbehaltene Gewinne
Grenzüberschreitende ausländische Portfolioinvestitionen: zurechenbare einbehaltene Gewinne

Fußnoten
  1. Vgl.: Internationaler Währungsfonds (2018). In einem Update zu diesem External Sector Report 2018 schrieb er dazu: "While for direct investment equity, both paid out dividends and retained earnings are recorded in the current account income balance, for portfolio equity only paid out dividends are recorded. Consequently, retained earnings are reflected in IIP valuation changes only. This treatment is consistent with the BPM6 notion that retained earnings can be considered part of a formal agreement for remuneration on investment (and, hence, income) for the case of foreign direct investment equity (where a deliberate decision to retain earnings can be presumed) but not for portfolio equity. From an economic perspective, however, retained earnings can be considered income in both cases", Internationaler Währungsfonds (2019), S. 32.
  2. Vgl.: Adler et al. (2018) oder Fischer et al. (2019).
  3. Die verfügbaren Unternehmensdaten stellt Orbis zur Verfügung. Sie beruhen auf Jahresabschlüssen ausländischer Unternehmen. Diese weisen Rückstellungen für geplante Dividenden aus. Die Auszahlungen erfolgen erst im nächsten Jahr, und die Leistungsbilanz weist diese dann erst als Vermögenseinkommen aus. Die Studie verwendet demnach die in den Geschäftsberichten des Vorjahres angekündigten Ausschüttungen. Diese entsprechen allerdings nicht notwendigerweise den späteren, tatsächlichen Ausschüttungen.
  4. Um den möglichen Messfehler näherungsweise zu bestimmen, haben Goldbach et al. (2024) den Anteil in Deutschland einbehaltener Gewinne, die Ausländern zugerechnet werden können, ebenfalls mit der hier beschriebenen Formel berechnet (Makro-Ansatz) und mit den Ergebnissen der oben beschriebenen Untersuchung auf Einzeldatenbasis (Mikro-Ansatz) verglichen. Der Vergleich zeigt, dass der Makro-Ansatz die Zuordnung einbehaltener Gewinne zu ausländischen Portfolioinvestoren tendenziell überzeichnet (im Mittel um rund 10 %). Daraus lässt sich schließen, dass der berechnete Abschlag auf den deutschen Leistungsbilanzsaldo eher zu gering ist. Er würde höher ausfallen, wenn die deutschen Portfolioinvestoren zuzurechnenden einbehaltenen Gewinne ausländischer Unternehmen nach dem Mikro-Ansatz erfasst würden.

Würden einbehaltene Gewinne bei Portfolioinvestitionen in der Zahlungsbilanz als Vermögenseinkommen erfasst, fiele der ausgewiesene Leistungsbilanzsaldo in allen betrachteten Jahren niedriger aus als in der offiziellen Statistik. Die bislang höchste Abweichung des deutschen Leistungsbilanzüberschusses bei alternativer Berechnung des Saldos hätte sich 2017 ergeben und 23,5 Mrd € ausgemacht. Die niedrigste Abwärtskorrektur wäre 2020 aufgrund der Coronavirus-Pandemie aufgetreten. Hier waren die Gewinne und die damit verbundenen Ersparnisse der Unternehmen ungewöhnlich niedrig, sodass die Anpassung ebenfalls gering ausfiel. Im Jahresdurchschnitt von 2012 bis 2020 belief sich die potenzielle (stets negative) Anpassung auf 11,5 Mrd € oder rund 5 % des deutschen Leistungsbilanzüberschusses.

In der wirtschaftspolitischen Diskussion steht regelmäßig die deutsche Leistungsbilanzquote als Relation von Leistungsbilanzsaldo zum BIP im Mittelpunkt des Interesses. Das Scoreboard der Europäischen Kommission sieht hier einen Schwellenwert von 4 % vor, dessen Überschreiten eine eingehendere Analyse der Ursachen nahelegt. Mit den hier vorgestellten Anpassungen wäre die deutsche Leistungsbilanzquote im Durchschnitt der Jahre 2012 bis 2020 jeweils um knapp einen halben Prozentpunkt niedriger ausgefallen als nach offizieller Berechnung. Den Schwellenwert des europäischen Scoreboards hätte sie allerdings in allen Jahren seit 2013 unabhängig von der Berechnungsmethode überschritten.

Deutsche Leistungsbilanz in Relation zum Bruttoinlandsprodukt
Deutsche Leistungsbilanz in Relation zum Bruttoinlandsprodukt

Literaturverzeichnis

Adler, G., D. Garcia-Macia und S. Krogstrup (2018), The measurement of external accounts, IMF Working Paper 19/132.

Chen, P., L. Karabarbounis und B. Neiman (2017), The global rise of corporate saving, Journal of Monetary Economics 89, S. 1 - 19.

Deutsche Bundesbank (2014), Eigentümerstruktur am deutschen Aktienmarkt: allgemeine Tendenzen und Veränderungen in der Finanzkrise, Monatsbericht, September 2014, S. 19 - 33.

Europäische Union, Macroeconomic Imbalance Procedures, In-depth reviews.

Fischer, A. M., H. Groeger, P. Sauré und P. Yesin (2019), Current account adjustment and retained earnings, Journal of International Money and Finance 94, S. 246 - 259.

Goldbach, S., P. Harms, A. Jochem, V. Nitsch und A. Weichenrieder (2024), Retained Earnings, Foreign Portfolio Ownership, and the German Current Account: A Firm-Level Approach, German Economic Review, Vol. 25 (2), S. 127 - 145.

Internationaler Währungsfonds (2024), External Sector Report – Imbalances Receding.

Internationaler Währungsfonds (2019), The External Balance Assessment Methodology 2018 Update, IMF Working Paper 19/65.

Internationaler Währungsfonds (2018), External sector report – Refinements to the external balance assessment methodology – Technical supplement.

Internationaler Währungsfonds (2013), Sixth edition of the IMF's balance of payments and international investment position manual (BPM6).

Fußnoten
  1. Der Aufsatz basiert auf einem Forschungspapier von Goldbach et al. (2024).
  2. Vgl.: Deutsche Bundesbank (2014).
  3. Vgl.: Internationaler Währungsfonds (2024).
  4. Vgl.: Europäische Union.
  5. Gleichzeitig stimmt die Bundesbank mit dem IWF und der Europäischen Kommission darin überein, dass es sinnvoll wäre, bestimmte Investitionshemmnisse in Deutschland abzubauen und bürokratische Verfahren zu beschleunigen. Diese Maßnahmen werden jedoch nicht mit Blick auf den Leistungsbilanzsaldo befürwortet, sondern weil sie volkswirtschaftlich sinnvoll sind, indem sie beispielsweise einen Beitrag dazu leisten, das Produktionspotenzial zu erhöhen.
  6. Vgl.: Internationaler Währungsfonds (2013).
  7. Dabei gilt als Unterscheidungskriterium eine Beteiligungsschwelle von 10 % des Eigenkapitals: Eine Beteiligung ab 10 % des Eigenkapitals gilt als Direktinvestition, eine Beteiligung unter 10 % als Portfolioinvestition. Die unterschiedliche Zuordnung und die genannten Beteiligungsschwellen werden auch in der nächsten Revision des Zahlungsbilanzhandbuchs des IWF (BPM7) beibehalten werden.
  8. Die einbehaltenen (thesaurierten) Gewinne von Investmentfonds werden ebenfalls den Haltern von Investmentzertifikaten zugeordnet. Sie sind in dieser Hinsicht den Direktinvestitionen gleichgestellt.
  9. Vgl.: Chen et al. (2017).