2.1 Kreditrisikostandardansatz
Der Kreditrisikostandardansatz (KSA) ist ein Verfahren zur Bestimmung der Mindestkapitalanforderungen für das Kreditrisiko im Anlagebuch einer Bank, bei dem die Mindestkapitalanforderungen anhand aufsichtlicher Vorgaben bestimmt werden. Mit der Überarbeitung des KSA wurden granularere Risikogewichte eingeführt, um den Standard insgesamt risikosensitiver auszugestalten. Darüber hinaus wurde die Kalibrierung an die Verlusterfahrungen aus den Jahren der Finanzkrise angepasst und eine stärkere Konsistenz mit den internen Modellverfahren angestrebt. Dies ist unter anderem auch deswegen von Bedeutung, da Banken, die den auf internen Ratings basierenden Ansatz (IRBA) zur Berechnung ihrer Mindestkapitalanforderungen für Kreditrisiken im Anlagebuch verwenden, künftig ebenfalls den KSA zur Ermittlung der RWA-Untergrenze verwenden müssen (siehe Abschnitt Output Floor: Untergrenze für die Eigenkapitalanforderung). Ein weiteres Ziel der Überarbeitung ist die Verringerung der Abhängigkeit von externen Ratings, beziehungsweise die vorherige Prüfung der Angemessenheit dieser durch die Banken (Due Diligence).
Die Ermittlung der Kapitalanforderungen für Interbankkredite ändert sich hinsichtlich der Bedeutung und Verwendung externer Ratings. Es stehen zwei Verfahren für die Berechnung zur Verfügung, der sogenannte External Credit Risk Assessment Approach (ECRA) und der Standardised Credit Risk Assessment Approach (SCRA). Die EU-Gesetzgeber haben sich bei der Umsetzung der Basel III-Finalisierung darauf verständigt, die Verwendung externer Ratings weiterhin zuzulassen, allerdings dürfen diese keine Annahmen über staatliche Stützmaßnahmen enthalten. Diese Maßnahme zielt darauf ab, die Verknüpfung zwischen Banken und Staaten zu reduzieren und das entsprechende Signal an die Marktteilnehmer zu senden. 7 8 Der SCRA ist für Positionen vorgesehen, für die keine externen Ratings zur Verfügung stehen. Bei diesem Verfahren hat die kreditgebende Bank unter Berücksichtigung der aufsichtlichen Eigenkapitalkennziffern und auf Grundlage einer Due Diligence die Schuldnerbank in eine von drei Risikogewichtsklassen einzuordnen. Aus dieser ergibt sich dann das anzuwendende Risikogewicht. Die Risikogewichte reichen hierbei von 40 % (Klasse A) bis hin zu 150 % (Klasse C). Unter bestimmten Bedingungen (das heißt Leverage Ratio ≥ 5 % und CET 1-Kapitalquote ≥ 14 %) sind auch 30 % möglich.
In der Risikopositionsklasse „Unternehmen“ bleibt die Möglichkeit der Nutzung externer Ratings ebenfalls erhalten. Die Risikogewichte werden risikosensitiver ausgestaltet. 9 Liegt keine externe Bewertung vor, so gilt weiterhin das pauschale Risikogewicht von 100 %. Spezialfinanzierungen werden in die drei Unterklassen Objekt‑, Projekt- und Rohstofffinanzierungen unterteilt. Unter bestimmten Bedingungen können ungeratete Projekt- und übergangsweise auch ungeratete Objektfinanzierungen privilegiert behandelt werden. 10 Die EU-Gesetzgeber haben sich ebenfalls dazu entschieden, an dem in der EU bereits bestehenden Unterstützungsfaktor für kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) festzuhalten. 11 Das im Baseler Text vorgesehene neue Risikogewicht für KMU, die nicht dem aufsichtlichen Mengengeschäft zugeordnet werden können, in Höhe von 85 % wurde nicht (zusätzlich) umgesetzt.
Nachrangige Risikopositionen und Beteiligungen werden in separate Risikopositionsklassen aufgeteilt. Die Risikogewichte werden entsprechend dem höheren Verlustrisiko im Vergleich zu vorrangigen Kreditforderungen erhöht. Diese können für bestimmte Positionen künftig bis zu 400 % (zum Beispiel für spekulative Beteiligungen) betragen. Die CRR III sieht einen Bestandsschutz für sogenannte „strategische Beteiligungen“ vor. Das heißt, dass Beteiligungen, die eine Bank bereits seit mindestens sechs Jahren hält und bei denen sie ein gewisses Maß an Kontrolle und Einfluss ausüben kann, von der Anpassung der Risikogewichte ausgenommen sind. Außerdem gelten (weiterhin) Ausnahmen für Beteiligungen an Instituten des gleichen institutsbezogenen Sicherungssystems. 12 Nachrangige Risikopositionen erhalten grundsätzlich ein Risikogewicht in Höhe von 150 %.
Im Mengengeschäft 13 werden die Risikopositionen in Zukunft danach unterschieden, ob sie einen echten Finanzierungszweck haben oder ob es sich um revolvierende Forderungen, die aus Zahlungsverkehrstransaktionen resultieren (zum Beispiel Kreditkartenzahlungen), handelt. Letztere erhalten mit 45 % (statt 75 %) ein günstigeres Risikogewicht, sofern die Banken regelmäßige Rückzahlungen und somit ein niedrigeres Verlustrisiko nachweisen können.
Weitreichende Änderungen wird es im Bereich der Immobilienfinanzierungen geben. Insgesamt wird die Risikopositionsklasse granularer ausgestaltet, was die Risikosensitivität der Kapitalanforderung erhöht. Zunächst wird unterschieden, ob die Immobilie, die als Sicherheit dient, eine Wohn- oder eine Gewerbeimmobilie ist. Im nächsten Schritt ist zu prüfen, ob der Kredit aus dem Einkommen der Kreditnehmerin oder des Kreditnehmers zurückgezahlt werden kann („klassische Immobilienfinanzierung“) oder ob die Rückzahlung im Wesentlichen von den aus der Immobilie erwirtschafteten Zahlungsströmen (zum Beispiel Mieteinnahmen) abhängt. Die CRR III erlaubt weiterhin, für die Berechnung der Kapitalanforderung klassischer Immobilienfinanzierungen das sogenannte unechte Realkreditsplitting anzuwenden. Hierbei wird die Forderung in einen besicherten Teil (Beleihungsauslauf bis zu 55 %) und in einen unbesicherten Teil (Beleihungsauslauf ab 55 %) aufgeteilt. Der besicherte Anteil erhält ein pauschales Risikogewicht in Höhe von 20 % (Besicherung mit einer Wohnimmobilie) beziehungsweise 60 % (Besicherung mit einer Gewerbeimmobilie), der unbesicherte Anteil erhält das Risikogewicht der Schuldnerin oder des Schuldners (zum Beispiel 75 % bei einer Privatkundin oder einem Privatkunden einer Wohnimmobilienfinanzierung). Das Gesamtrisikogewicht der Forderung berechnet sich als gewichteter Durchschnitt der beiden Anteile. Für zahlungsstromabhängige Kredite gelten künftig höhere Kapitalanforderungen, da diese erfahrungsgemäß ein höheres Verlustrisiko im Falle des Ausfalls aufweisen. Die CRR III führt ein neues Verfahren zur Ermittlung der Risikogewichte für diese Forderungen ein (sogenannter „Whole Loan"-Ansatz). Dieses sieht einzelne Bandbreiten vor, denen die Gesamtforderung in Abhängigkeit des Beleihungsauslaufs zugewiesen wird. Höhere Beleihungsausläufe führen zu höheren Risikogewichten und somit zu höheren Eigenmittelanforderungen. Immobilienfinanzierungen dieser Art können allerdings wie klassische Immobilienfinanzierungen behandelt werden, sofern die nationalen Verlustraten für Immobilienkredite insgesamt bestimmte Obergrenzen nicht überschreiten (sogenannter Hard Test). Ob diese Bedingung erfüllt ist, wird jährlich von der zuständigen nationalen Behörde (hierzulande die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, BaFin) geprüft. Außerdem wird eine dritte Kategorie von Immobilienkrediten eingeführt. Diese beinhaltet Kredite an Unternehmen und Zweckgesellschaften zur Finanzierung der Grunderwerbs-, Erschließungs- und Bauphase von Immobilien. Die Eigenmittelanforderung erfolgt unabhängig von der Bonität des Schuldners und sieht in der Regel ein Risikogewicht von 150 % vor. Unter bestimmten Bedingungen kann dieses für Wohnimmobilien auf 100 % abgesenkt werden. 14
Des Weiteren wird der Wertbegriff für Immobiliensicherheiten in der CRR III angepasst und die Unterscheidung in Markt- und Beleihungswert aufgegeben. Banken müssen sicherstellen, dass der Wert einer Immobilie nicht auf möglichen künftigen Preissteigerungen basiert, sondern langfristig erzielbar ist. Diese Maßnahme soll dazu beitragen, dass keine spekulativen Elemente im Wert der Sicherheit enthalten sind. Die EU-Gesetzgeber haben sich allerdings dazu entschieden, unter bestimmten Voraussetzungen, Werterhöhungen von Immobilien während der Laufzeit einer Finanzierung zuzulassen, sofern diese auf den Durchschnitt der letzten Jahre beschränkt sind. 15
Eine weitere neue Maßnahme ist die Einführung eines Risikogewichtszuschlags für Fremdwährungskredite ohne Hedging. Das sind Kredite, die auf eine andere Währung lauten als die, in der die Kreditnehmerin oder der Kreditnehmer ihre oder seine Einkünfte bezieht. Anzuwenden ist er auf Risikopositionen gegenüber natürlichen Personen in den Risikopositionsklassen Mengengeschäft und bei mit Wohnimmobilien besicherten Risikopositionen. Durch den Zuschlag soll das Risiko eines Zahlungsausfalls abgedeckt werden, das durch eine deutliche Aufwertung der Währung, in der der Kredit denominiert ist, entstehen könnte.
Bei den außerbilanziellen Positionen sind ebenfalls Änderungen im KSA vorgesehen. Das betrifft zum Beispiel die jederzeit und unbedingt kündbaren Kreditzusagen, die zukünftig in Höhe von 10 % des Nominalbetrags als Risikoposition angerechnet und mit Kapital unterlegt werden müssen. Eine Freistellung von der Kapitalanforderung dieser Forderungen hat sich in der Praxis als nicht gerechtfertigt herausgestellt. Im Gegensatz zum Baseler Standard sieht die CRR III allerdings eine Einführungsphase bis Ende 2032 vor.
Die aufsichtlichen Wertabschläge für die Anrechnung finanzieller Sicherheiten (sogenannte Haircuts) wurden ebenfalls auf Basis aktuellerer Marktdaten angepasst und müssen künftig von allen KSA-Banken, die die umfassende Methode zur Anrechnung finanzieller Sicherheiten nutzen, verwendet werden. Eigene Schätzungen für Wertabschläge sind im Rahmen der umfassenden Methode nicht mehr zulässig.