Gesamtwirtschaftliche Tendenzen im Euroraum
Im Euroraum hielt die Konjunkturschwäche im vierten Vierteljahr 2023 an. Der Schnellschätzung von Eurostat zufolge stagnierte das BIP preis- und saisonbereinigt. Auch im Vergleich zum Vorjahresquartal blieb die Wirtschaftsleistung praktisch unverändert. Im Jahresdurchschnitt stieg das reale BIP gegenüber 2022 noch leicht an, maßgeblich getragen von Aufholeffekten nach der Pandemie.
Die konjunkturelle Schwäche war zum Ende des Jahres breit über die Sektoren verteilt, wenngleich das Verarbeitende Gewerbe nach wie vor am stärksten betroffen war. Dennoch blieb die Arbeitsmarktlage günstig. Die Arbeitslosenquote verharrte auf einem historischen Tiefstand. Der gesamtwirtschaftliche Ausblick ist weiterhin gedämpft. Die Belastungen durch den schwachen Welthandel, die geopolitische Unsicherheit und die Auswirkungen der strafferen Geldpolitik scheinen anzuhalten und die erhoffte konjunkturelle Belebung weiter zu verzögern.
Der private Verbrauch legte im Herbst wohl erneut nur moderat zu. Die Kaufkraft der privaten Haushalte nahm zwar vor dem Hintergrund der steigenden Arbeitseinkommen und des nachlassenden Preisdrucks etwas zu. Auch das Verbrauchervertrauen hellte sich im Quartalsverlauf leicht auf. Die Einzelhandelsumsätze sanken trotzdem preisbereinigt erneut, und die Zahl der Kfz-Neuzulassungen ging zurück. Die Sparquote überstieg wohl immer noch deutlich ihren Vorpandemiestand.
Die Investitionen dürften nach der Stagnation im Vorquartal gesunken sein. 7 Die Bauinvestitionen gingen vermutlich deutlich zurück. Jedenfalls sank die Bauleistung im Oktober und November weiter. Vor allem im Wohnungsbau schlagen sich die gestiegenen Finanzierungskosten nieder. Die Zahl der Baugenehmigungen für Wohngebäude nahm bis zum dritten Quartal deutlich ab. Auch bei den Ausrüstungen gab es wohl ein Minus. Die Inlandsumsätze der Produzenten von Kapitalgütern sanken im Oktober und November preisbereinigt deutlich. Die Investitionen in Informations- und Kommunikationstechnologien sowie in geistiges Eigentum dürften im Zuge des Digitalisierungstrends weiter gestiegen sein.
Die Warenausfuhren der Euroraum-Länder in Drittländer legten im Schlussquartal seit Längerem erstmals wieder merklich zu. Grund hierfür war neben der Euroschwäche vermutlich die leicht gestiegene Auslandsnachfrage. Zudem gab es wohl eine gewisse Normalisierung nach dem besonders schwachen Sommerhalbjahr. Die Dienstleistungsexporte stiegen den Zahlungsbilanzangaben zufolge wohl ebenfalls. Getragen vom lebhaften Tourismusgeschäft hatten sie sich im Jahresverlauf deutlich besser gehalten als der Warenhandel. Die Wareneinfuhren aus Drittländern sanken im vierten Quartal deutlich.
Im Verarbeitenden Gewerbe setzte sich die konjunkturelle Schwäche fort. Die Konsumgüterproduktion und die Herstellung von Vorleistungen sanken merklich. Erste Anzeichen einer Bodenbildung gab es in energieabhängigen Sektoren wie der Chemie, und auch die Kfz-Produktion erholte sich ein Stück weit. Maßgeblich für die schwache Industriekonjunktur war den Umfragen der Europäischen Kommission zufolge der Mangel an Nachfrage aus dem In- und Ausland. Zudem sorgten sich die Unternehmen um ihre Wettbewerbsfähigkeit. Die Produktionshemmnisse durch Material- und Arbeitskräftemangel sind hingegen inzwischen weniger relevant. Darüber hinaus ließ der Preisdruck auf der Erzeugerstufe spürbar nach. Erzeuger- und Importpreise sanken im Vorjahresvergleich deutlich, vor allem dank rückläufiger Energiepreise, aber auch wegen fallender Preise für Vorleistungen. Die Kapazitätsauslastung ging zwischen Oktober und Januar weiter zurück und lag leicht unter ihrem langfristigen Durchschnitt.
Die Dienstleistungskonjunktur trübte sich im vierten Vierteljahr weiter ein. Nur die Informations- und Kommunikationsbranche dürfte ihre Expansion fortgesetzt haben, wenn auch mit verringerter Dynamik. Die Aktivität im Hotelund Gastgewerbe sowie einiger unternehmensnaher Dienstleister scheint hingegen nach kräftigen Zuwächsen in den Quartalen zuvor gesunken zu sein. Auch hier spielte den Umfragen der Europäischen Kommission zufolge zunehmend Nachfragemangel eine Rolle. Zudem nannten die Unternehmen vermehrt finanzielle Gründe als Hemmnis ihrer Geschäftstätigkeit.
In den meisten Mitgliedsländern des Euroraums blieb die konjunkturelle Lage im vierten Vierteljahr gedämpft. Gleichwohl verstärkte sich das Wirtschaftswachstum in mehreren Mitgliedsländern spürbar. Wesentliche Faktoren für das gemischte Bild waren Unterschiede in der Entwicklung der Kaufkraft der privaten Haushalte sowie die Stärke der Impulse aus öffentlichen Infrastrukturprojekten. Darüber hinaus waren die Länder in unterschiedlichem Maß von der Schwäche im Verarbeitenden Gewerbe betroffen. Besonders stark schlug sie in Deutschland zu Buche. 8
In Frankreich stagnierte das reale BIP laut der ersten Schätzung im Schlussquartal erneut. Damit bewegte sich die französische Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte 2023 seitwärts. Für das Gesamtjahr ergibt sich dennoch ein Wachstum von 0,9 %. Im vierten Quartal schwächte sich insbesondere die inländische Endnachfrage gegenüber dem Vorquartal merklich ab. Die Investitionen wurden deutlich eingeschränkt, und auch der private Verbrauch ging etwas zurück. Die Importe sanken kräftig. Die Ausfuhren blieben nach dem Rückgang im Vorquartal dagegen weitgehend unverändert. Aus den Lagerbewegungen ergab sich ein deutlich negativer Wachstumsbeitrag. Entstehungsseitig legte die Industrieproduktion etwas zu, während die Aktivität der Dienstleister stagnierte. In der Baubranche gab es erneut ein kräftiges Minus.
In Italien zog die gesamtwirtschaftliche Aktivität Ende 2023 leicht an. Das reale BIP stieg vorläufigen Angaben zufolge um 0,2 %, nachdem es im Vorquartal um 0,1 % zugelegt hatte. Im gesamten Jahr wuchs das reale BIP um 0,7 %. Impulse kamen im Schlussquartal vor allem von den Ausfuhren, die wohl merklich expandierten. Die Einfuhren dürften wie schon im Vorquartal gesunken sein. Hingegen belastete die schwache inländische Nachfrage die Konjunktur. Die Investitionstätigkeit dürfte auch aufgrund verschärfter Finanzierungsbedingungen erneut gesunken sein und der private Verbrauch trotz des verringerten Preisauftriebs nur stagniert haben. Entstehungsseitig zog sowohl die Produktion in der Industrie als auch die Aktivität der Dienstleister etwas an.
In Spanien setzte sich die seit mehreren Quartalen anhaltende Expansion der Wirtschaftsaktivität im vierten Vierteljahr schwungvoll fort. Das reale BIP stieg laut der ersten Schätzung um 0,6 % gegenüber dem Vorquartal. Im Jahr 2023 insgesamt wuchs die Wirtschaftsleistung um 2,5 %. Getragen wurde das Wachstum von einer leichten Ausweitung des privaten Konsums und einem Schub bei den Ausfuhren, insbesondere von Waren. Die Investitionstätigkeit sank hingegen preisbereinigt spürbar, wobei der Rückgang bei den Ausrüstungen deutlich stärker ausfiel als bei Bauten. Entstehungsseitig legte die Aktivität im Verarbeitenden Gewerbe, bei den Informations- und Kommunikationsdiensten und bei den unternehmensnahen Dienstleistungen deutlich zu.
Kräftige Zuwächse der Wirtschaftsleistung gab es auch in Portugal und in Zypern; in Belgien und in der Slowakei stieg sie erneut moderat. In den Niederlanden und in Österreich legte das reale BIP nach einer längeren Schwächephase wieder etwas zu. Angespannt blieb die konjunkturelle Lage in den baltischen Ländern und in Finnland. Zumindest in Lettland stieg die Wirtschaftsleistung aber wieder etwas. In Irland sank das reale BIP im fünften Quartal in Folge.
Die Lage am Arbeitsmarkt war im Euroraum im Schlussquartal 2023 unverändert gut. Die Arbeitslosigkeit blieb auf dem Tiefstand von 6,4 %, und die Zahl der Beschäftigten stieg nochmals merklich. Die konjunkturelle Schwäche schlug sich bislang vor allem in einer leichten Eintrübung der Beschäftigungsaussichten nieder. Die Arbeitskräfteknappheit ließ den Umfragen der Europäischen Kommission zufolge in der Industrie und auch bei den Dienstleistern nach, blieb im längerfristigen Vergleich aber hoch. Dazu passt, dass der Anteil der Unternehmen, die Arbeitskräfte beschäftigen, obwohl sie diese nicht unmittelbar benötigen, merklich über dem langfristigen Mittel liegt. 9 Das Lohnwachstum dürfte auch im vierten Quartal mit 4 % bis 5 % gegenüber dem Vorjahr vergleichsweise hoch ausgefallen sein. Angesichts der stagnierenden Arbeitsproduktivität blieb damit der Lohnkostendruck beträchtlich.
Im letzten Vierteljahr des Jahres 2023 stiegen die Verbraucherpreise im Euroraum nur leicht an. Der HVPI erhöhte sich gegenüber dem Vorquartal saisonbereinigt um 0,3 %, so moderat wie seit 2020 nicht mehr. Ein wichtiger Grund hierfür war der Rückgang der Energiepreise, die im Sommer noch zugelegt hatten. In den anderen Bereichen schwächte sich der Preisauftrieb zwar auch deutlich ab, blieb aber bei Nahrungsmitteln und Dienstleistungen spürbar.
Im Vorjahresvergleich blieb die Preisdynamik im Euroraum erhöht, auch wenn sich die HVPI-Rate mit 2,7 % gegenüber dem Sommer fast halbierte. Rund ein Drittel des Rückgangs erklärt sich durch Preissenkungen bei Energie. Hier fiel der Vorjahresabstand mit 9,8 % noch tiefer in den negativen Bereich. Die Preise für Nahrungsmittel und andere Waren stiegen dagegen im Vorjahresvergleich immer noch um rund 7 % beziehungsweise 2,9 % an. Aber auch hier ließ der Preisauftrieb weiter nach, auch weil der Preisanstieg auf den vorgelagerten Stufen zum Stillstand kam. Bei Dienstleistungen verringerte sich die Teuerung ebenfalls, blieb aber mit gut 4 % gegenüber dem Vorjahr erhöht. Dazu trug der anhaltende Lohndruck bei. Die Kerninflationsrate ohne Energie und Nahrungsmittel zeigte sich daher deutlich persistenter als die Gesamtrate und sank lediglich von 5,1 % auf 3,7 %. Im Jahresdurchschnitt 2023 belief sich die HVPI-Rate auf 5,4 %, nach 8,4 % im Jahr 2022. Die Kernrate stieg hingegen von 3,9 % auf 4,9 % an.
Für Januar 2024 schätzte Eurostat die Inflationsrate im Euroraum auf 2,8 %, also 0,1 Prozentpunkte weniger als im Dezember. Informationen über die kurzfristigen Bewegungen bei wichtigen Komponenten des HVPI waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht öffentlich verfügbar. 10
Den vorläufigen Informationen zu den Teilindizes zufolge aber sanken die Vorjahresraten für verarbeitete Nahrungsmittel und Industriegüter ohne Energie leicht. Bei Dienstleistungen blieb die jährliche Teuerungsrate hingegen unverändert, und bei unverarbeiteten Nahrungsmitteln und Energie stieg sie leicht. Wie auch die Gesamtrate fiel die Kernrate mit 3,3 % um 0,1 Prozentpunkte geringer als im Vormonat aus. In den nächsten Monaten könnte der Disinflationprozess etwas an Tempo verlieren. Die Energiepreise dürften sich eher seitwärts bewegen, und auf den vorgelagerten Stufen gaben die Preise von Konsumgütern nicht weiter nach. Zudem dürfte das hohe Lohnwachstum noch eine Zeit anhalten, was sich insbesondere bei den Dienstleistungen bemerkbar machen sollte.
Die konjunkturelle Schwäche wird sich im Euroraum wohl auch im laufenden Quartal noch fortsetzen. Vorausschauende Indikatoren versprechen allenfalls ein geringfügiges Wirtschaftswachstum. Im Verarbeitenden Gewerbe tendierte die Stimmung gemäß Umfragen der Europäischen Kommission seitwärts und blieb spürbar unter dem langjährigen Mittel. Bei den Dienstleistern stieg sie zuletzt etwas und übertraf im Januar wieder leicht den langfristigen Durchschnitt. Das Verbrauchervertrauen war trotz einer gewissen Aufhellung weiterhin gedrückt. Gleichwohl dürfte sich die gesamtwirtschaftliche Aktivität im Jahresverlauf verstärken. Die dämpfende Wirkung der geldpolitischen Straffung sollte allmählich nachlassen und der private Verbrauch von Kaufkraftgewinnen der privaten Haushalte stimuliert werden. Der Welthandel dürfte an Fahrt aufnehmen, wenn die Nachfrage nach Industriewaren in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften wieder anzieht. Dieser Ausblick steht aber unter dem Vorbehalt, dass neue Störungen, etwa als Ergebnis verstärkter geopolitischer Spannungen, ausbleiben. Insofern bleiben die Perspektiven gegenwärtig in hohem Maße unsicher, was wiederum selbst einen konjunkturdämpfenden Faktor darstellt.