Disinflation setzt sich bei schwacher Konjunktur fort
Weltwirtschaft wächst moderat bei ausgeprägten regionalen und sektoralen Unterschieden
Die Weltwirtschaft legte im Schlussquartal 2023 moderat zu. Die globale Konjunktur blieb dabei regional gespalten. Im Euroraum stagnierte die Wirtschaftsleistung. Auch in China blieb die Konjunktur angesichts des anhaltenden Abschwungs am Immobilienmarkt gedämpft. In den USA expandierte die Wirtschaft dagegen weiterhin lebhaft. Insgesamt hielt sich die Weltwirtschaft solide, trotz Belastungen wie der noch vergleichsweise hohen Energie- und Nahrungsmittelpreise, der geldpolitischen Straffung in vielen Regionen, verstärkter geopolitischer Risiken und vielfältiger struktureller Herausforderungen.
Die globale Industrieproduktion stieg im vierten Quartal 2023 moderat an, erneut getragen von den Schwellenländern. In den fortgeschrittenen Volkswirtschaften sinkt die Erzeugung hingegen in der Grundtendenz seit über einem Jahr. Hierzu trug die Schwäche der Industrie im Euroraum maßgeblich bei. Noch stärker rückläufig waren die Wareneinfuhren der fortgeschrittenen Volkswirtschaften. Auch das Jahr 2024 begann für Industrie und Welthandel laut Unternehmensumfragen verhalten. Hingegen scheint die Dienstleistungskonjunktur Fahrt aufzunehmen.
Rückgang der Inflation verlangsamt sich, Risiken noch aufwärtsgerichtet
Die Rohstoffpreise für Energie entwickelten sich zuletzt uneinheitlich. Die europäischen Gaspreise sanken vor dem Hintergrund der anhaltenden Schwäche der Industrie im Euroraum, der zeitweise milden Wintertemperaturen sowie der stabilen Gasimporte deutlich. Die Rohölnotierungen zogen im gleichen Zeitraum geringfügig an. Sorgen vor einer weiteren Eskalation der Konflikte im Nahen Osten stützten die Preise. Die Inflation ließ zuletzt etwas langsamer nach. In der Gruppe der Industrieländer fiel die Vorjahresrate der Verbraucherpreise auf 3,1% im Januar und die Kernrate ohne Energie und Nahrungsmittel auf 3,8 %. Die Risiken hinsichtlich der zukünftigen Verbraucherpreisentwicklung dürften weiterhin vorwiegend aufwärtsgerichtet sein. Eine Ausweitung der Konflikte im Nahen Osten auf Ölförderländer würde die Energie- und Verbraucherpreise wieder in die Höhe treiben. Zudem könnten die vielerorts hohe Auslastung der Arbeitsmärkte und das immer noch hohe Lohnwachstum den weiteren Disinflationsprozess gefährden.
Marktteilnehmer gehen von früheren und stärkeren Leitzinssenkungen aus
Die internationalen Finanzmärkte standen im Zeichen einer gewachsenen Zuversicht der Marktakteure, dass die Inflation 2024 weltweit schneller als bislang erwartet zurückgehen könnte. Im November und Dezember 2023 revidierten sie sukzessive ihre bisherige Einschätzung, dass die Leitzinsen in vielen Währungsräumen, wie in den USA und dem Euroraum, für längere Zeit auf einem hohen Niveau verharren würden (higher-for-longer) und gingen stattdessen von früheren und stärkeren Leitzinssenkungen aus. Zu dieser Erwartungsanpassung trugen vor allem deutlich rückläufige Energiepreise und die Hoffnung der Marktakteure bei, dass die Disinflation zügiger als bislang erwartet voranschreiten würde. In den USA sendete die Fed zudem früh Signale, dass sie die Leitzinsen 2024 vermutlich werde senken können. So äußerte der Fed-Vorsitzende Powell nach der Tagung des Offenmarktausschusses im Dezember die Einschätzung, dass der Zinsgipfel in den USA wohl erreicht sei und Leitzinssenkungen 2024 folgen könnten. Dies trug zu einer Aufwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar bei. Zwar sorgte die im Januar etwas höher als erwartet ausgefallene US-Inflation dafür, dass sich diese Erwartungen bald sinkender Leitzinsen wieder etwas abschwächten. Angesichts weiter robuster US- Makrodaten, die im neuen Jahr insbesondere vom Arbeitsmarkt ausgingen, wuchs insgesamt aber die Zuversicht der Anleger, dass es bei einer rückläufigen Inflation zu einer „weichen Landung“ der US-Wirtschaft (soft landing) kommen könnte. Im Euroraum erklärten einige Mitglieder des EZB-Rats, dass ihrer Meinung nach eine Leitzinssenkung im Sommer denkbar sei. Angesichts der optimistischer eingeschätzten Inflationsentwicklung und vergleichsweise verhaltener europäischer Konjunkturaussichten erwarteten die Marktakteure vor diesem Hintergrund merklich raschere und stärkere Leitzinssenkungen als bislang unterstellt. In diesem Umfeld gaben die langfristigen Nominal- und Realzinsen in beiden Währungsräumen deutlich nach. Dies schlug sich zusammen mit einem anhaltend robusten Risikoappetit der Marktakteure in deutlichen Kursgewinnen risikobehafteter Vermögenswerte nieder.
Eurosystem belässt Leitzinsen unverändert
Auf seinen geldpolitischen Sitzungen im Dezember 2023 und im Januar 2024 beließ der EZB-Rat die drei Leitzinssätze unverändert. Laut den Dezember-Projektionen von Fachleuten des Eurosystems wird die Inflation im Laufe des Jahres 2024 allmählich zurückgehen und sich im Jahr 2025 dem 2 %-Ziel annähern. Im Januar stellte der EZB-Rat fest, dass die seit Dezember eingegangenen Daten diese Einschätzung weitgehend bestätigten. Insgesamt war der EZB-Rat auf Grundlage seiner Beurteilung im Dezember und Januar weiterhin der Auffassung, dass die Leitzinsen sich auf einem Niveau befinden, das einen erheblichen Beitrag zu einer zeitnahen Rückkehr der Inflation auf den Zielwert leisten wird. Dazu muss das Leitzinsniveau jedoch auch lange genug aufrechterhalten werden.
Im Dezember 2023 beschloss der EZB-Rat zudem, die Normalisierung der Bilanz des Eurosystems voranzutreiben. Er beabsichtigt, die Tilgungsbeträge der im Rahmen des Pandemie-Notfallankaufprogramms (Pandemic Emergency Purchase Programme, PEPP) erworbenen Wertpapiere in der ersten Jahreshälfte 2024 weiterhin bei Fälligkeit vollumfänglich wieder anzulegen. In der zweiten Jahreshälfte soll das PEPP-Portfolio im Durchschnitt um monatlich 7,5 Mrd € reduziert werden. Zum Jahresende 2024 beabsichtigt der EZB-Rat, die Wiederanlage der Tilgungsbeträge vollständig einzustellen.
Erholte Nachfrage nach kurzfristigen Krediten im Euroraum deutet Wendepunkt bei der Kreditdynamik an
Das breit gefasste Geldmengenaggregat M3 verzeichnete im letzten Quartal 2023 zum ersten Mal seit fünf Quartalen wieder einen Zuwachs. Zwar veranlasste die anhaltend niedrige Verzinsung täglich fälliger Einlagen die geldhaltenden Sektoren, weiterhin Mittel in höher verzinste Anlageformen umzuschichten. Im Gegensatz zu den Vorquartalen flossen aber im vierten Quartal 2023 noch über die reinen Umschichtungen hinaus Mittel in höher verzinste M3-Komponenten, was sich positiv auf das Geldmengenwachstum auswirkte. Auf der Entstehungsseite trugen eine spürbare Erholung der Kreditvergabe an den inländischen Privatsektor sowie ein deutlicher Zuwachs bei den Netto-Auslandsforderungen der Monetären Finanzinstitute zum Anstieg des Geldmengenwachstums bei. Das voraussichtliche Ende des geldpolitischen Straffungszyklus und die Erwartung fallender Kreditzinsen förderten die Nachfrage nichtfinanzieller Unternehmen insbesondere nach kurzfristigen Krediten. Zugleich gaben die an der aktuellen Umfrage zum Bankkreditgeschäft (Bank Lending Survey, BLS) teilnehmenden Banken an, dass sie ihre Kreditangebotspolitik im Jahresendquartal kaum noch gestrafft hätten.
Kreditvergabe in Deutschland weiter abgeschwächt
In Deutschland schwächte sich die Kreditvergabe an den inländischen nichtfinanziellen Privatsektor im vierten Quartal hingegen weiter ab. Die Buchkredite an nichtfinanzielle Unternehmen stagnierten. Dies lag zum einen daran, dass die relativ hohen Finanzierungskosten, in Verbindung mit der verhaltenen Industrie- und Baukonjunktur und den unsicheren Wirtschaftsaussichten, die Kreditnachfrage dämpften. Zum anderen gestalteten die im BLS befragten Banken ihre Kreditangebotspolitik erneut restriktiv, was sie vor allem auf die erhöhten Kreditrisiken im Hinblick auf die gedämpfte Wirtschaftslage und die Konjunkturaussichten sowie branchen- und firmenspezifische Faktoren zurückführten. Auch das Kreditgeschäft mit privaten Haushalten verlor weiter an Dynamik. Hier dämpften insbesondere die erhöhten Baupreise und die hohen Finanzierungskosten die Nachfrage nach Bankkrediten.
Deutsche Wirtschaftsleistung im Herbst geschrumpft
Die deutsche Wirtschaftsleistung schrumpfte im vierten Quartal 2023. Der Schnellmeldung des Statistischen Bundesamtes zufolge ging das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) saisonbereinigt um 0,3 % gegenüber dem Vorquartal zurück, nachdem es in den ersten drei Quartalen nahezu stagniert hatte. 1 Die Industrie litt weiter unter der schwachen Auslandsnachfrage. Die gestiegenen Finanzierungskosten bremsten nach wie vor die Investitionen und dadurch die inländische Nachfrage nach Industriegütern und Bauleistungen. Zudem dürfte die Unsicherheit hinsichtlich der Transformations- und Klimapolitik die Investitionen gedämpft haben. Darüber hinaus beeinträchtigte die ungünstige Witterung die Bauaktivität. Zusätzlich lastete der relativ hohe Krankenstand auf der Wirtschaftsaktivität. Dagegen stützten die niedrigere Inflation, der robuste Arbeitsmarkt und das kräftige Lohnwachstum den realen privaten Konsum. Die Verbraucherinnen und Verbraucher blieben mit ihren Ausgaben aber wohl noch vorsichtig.
Arbeitsmarkt nach wie vor robust
Die lang anhaltende wirtschaftliche Schwächephase wirkte sich bislang nur mild auf den Arbeitsmarkt aus. Trotz gesunkener Wirtschaftsleistung erhöhte sich die Beschäftigung im Herbstquartal geringfügig. Die Arbeitslosigkeit erreichte zwar ein etwas höheres Niveau als im Sommer. Der Anstieg lief aber in den vergangenen beiden Monaten aus. Auch das Angebot an offenen Stellen stabilisierte sich zuletzt, nach einem Rückgang zuvor. Ähnliches gilt für die meisten Frühindikatoren des Arbeitsmarktes. Somit gibt es keine Anzeichen, dass sich die Lage am Arbeitsmarkt durch die schwache Konjunktur spürbar verschlechtern wird. Ebenso wenig deutet auf einen durchgreifenden Beschäftigungsanstieg und einen damit einhergehenden Rückgang der zuletzt leicht gestiegenen Arbeitslosigkeit hin.
Die Tarifverdienste nahmen im Herbst 2023 mit 3,6 % vorübergehend weniger stark als im Sommer zu, als sie um 4,7 % zugelegt hatten. Wie in den ersten drei Quartalen des Jahres 2023 spielten dabei auch hohe abgabenfreie Inflationsausgleichsprämien eine wichtige Rolle. Insgesamt sehen die bisherigen Abschlüsse für 2024 und 2025 kräftige Tariflohnzuwächse vor. Der starke Anstieg der Effektivverdienste der vorangegangenen zehn Quartale setzte sich fort und dürfte den Anstieg der Tarifverdienste im vergangenen Herbst voraussichtlich erneut deutlich übertroffen haben. Die gewerkschaftlichen Lohnforderungen sind nach wie vor sehr hoch, wobei vergangene Reallohnverluste eine Rolle spielen dürften.
Disinflationsprozess setzt sich fort
Die Verbraucherpreise (HVPI) stiegen im Herbst 2023 erstmals seit Ende 2020 nur geringfügig. Im Durchschnitt der Monate Oktober bis Dezember 2023 erhöhten sie sich saisonbereinigt um lediglich 0,2 %, nach + 0,7 % im Vorquartal. Auch in der Vorjahresbetrachtung setzte sich der Disinflationsprozess im Herbst fort. So fiel die Inflationsrate deutlich auf 3,0 %, nach 5,7 % im Vorquartal. Dabei dämpfte der starke Anstieg der Energiepreise im Schlussquartal 2022. Die Kerninflationsrate (HVPI ohne Energie und Nahrungsmittel) sank ebenfalls kräftig, von 5,8 % auf 3,6 %.
Auch im Januar sank die HVPI-Vorjahresrate spürbar, von 3,8 % auf 3,1%. Ausschlaggebend hierfür war der Wegfall des Basiseffekts durch die Erdgas-Wärme-Soforthilfe 2022, welcher die Dezemberrate vorübergehend deutlich erhöht hatte. Die Kernrate verharrte dagegen bei 3,4%. In den nächsten Monaten dürfte die Inflationsrate tendenziell weiter sinken. Dabei ist mit teilweise hohen Schwankungen der Vorjahresrate zu rechnen. Dies liegt auch an einigen Basiseffekten bei Energie und öffentlichem Personennahverkehr. Hauptfaktor des Disinflationsprozesses ist die abnehmende Preisdynamik bei Nahrungsmitteln und Industriegütern. Hier wirkt die sich abschwächende Teuerung auf den vorgelagerten Stufen. Dagegen dürfte sich der Preisdruck bei Dienstleistungen – auch wegen des nach wie vor kräftigen Lohnwachstums – in den kommenden Monaten deutlich langsamer abbauen.
Noch keine Erholung der deutschen Wirtschaft
Einige Belastungsfaktoren bleiben wohl auch im ersten Quartal 2024 bestehen. Die industrielle Auslandsnachfrage war in der Tendenz auch zuletzt deutlich rückläufig. Die Verbraucherinnen und Verbraucher sind wohl weiter zurückhaltend bei ihren Ausgaben. Die gestiegenen Finanzierungskosten dürften die Investitionen weiterhin dämpfen. Zudem bleibt die Unsicherheit bezüglich der Transformations- und Klimapolitik erhöht. Außerdem ist nicht auszuschließen, dass die diversen Streiks, unter anderem im Bereich Schienen- und Luftverkehr, die Produktion beeinträchtigen. Noch gibt es Auftragspolster in der Industrie und im Bau. Sie schwinden aber. Im ersten Quartal 2024 könnte die Wirtschaftsleistung daher erneut etwas zurückgehen. Mit dem zweiten Rückgang der Wirtschaftsleistung in Folge befände sich die deutsche Wirtschaft in einer technischen Rezession. Die seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine andauernde Schwächephase der deutschen Wirtschaft würde sich damit zwar fortsetzen. Eine Rezession im Sinne eines deutlichen, breit angelegten und länger anhaltenden Rückgangs der Wirtschaftsleistung kann aber weiterhin nicht festgestellt werden und ist derzeit auch nicht zu erwarten. Insbesondere dürfte sich die Einkommenssituation und damit der Konsum der privaten Haushalte vor dem Hintergrund eines stabilen Arbeitsmarktes, kräftig steigender Löhne und einer abnehmenden Inflationsrate perspektivisch weiter verbessern.
Staatsfinanzen verbesserten sich 2023
Die deutschen Staatsfinanzen verbesserten sich im vergangenen Jahr. Defizit- und Schuldenquote gingen weiter zurück und waren im EU-Vergleich moderat. Grund war aber nicht eine Sparpolitik. Vielmehr sank das Defizit (auf 2 % des BIP), weil temporäre Corona-Maßnahmen nicht mehr nötig waren und entfielen. Dagegen belasteten die Energiekrisen-Hilfen die Staatsfinanzen noch etwas stärker als 2022. Defiziterhöhend schlugen sich auch die schwache Entwicklung der Steuereinnahmen sowie höhere Ausgaben für Zinsen und das Militär nieder. Die Schuldenquote fiel zum Ende des dritten Quartals auf knapp 65%. Denn das nominale BIP stieg preisbedingt nach wie vor stärker als die Schulden.
2024 weiter sinkendes Defizit ohne größere Konsolidierung
Im laufenden Jahr dürfte das Defizit weiter sinken. Dies liegt daran, dass die Energiekrisen-Hilfen zum größten Teil entfallen. Abgesehen davon wird die Finanzpolitik aber eher lockerer. So steigen in einigen Bereichen die Ausgaben, insbesondere im Bundeswehr- sowie im Klima- und Transformationsfonds des Bundes. Bei den Ländern und Gemeinden wachsen nicht zuletzt die Personalausgaben deutlich, vor allem aufgrund der höheren Entgelte. Die Ausgaben der Sozialversicherungen legen ebenfalls dynamisch zu. Höhere Beitragssätze zur Pflege- und Krankenversicherung gleichen dies aber weitgehend aus.
Der Bund greift mit seinem Haushaltsplan 2024 nach vier Jahren nicht mehr auf die Ausnahmeklausel der Schuldenbremse zurück. Gleichwohl fährt er immer noch hohe Defizite: Diese summieren sich in den Planungen für den Bund und seine Extrahaushalte auf gut 100 Mrd €. Ein Fünftel davon (20 Mrd €) entfällt auf den Bundeswehrfonds, der außerhalb der Schuldenbremse läuft. Die Schuldenbremse erlaubt, konjunkturelle Defizite, Defizite zum Erwerb von Finanzvermögen (z. B. Generationenkapital) und ein strukturelles Defizit von 0,35% des BIP über Nettokreditaufnahmen zu finanzieren. Diese Positionen summieren sich auf zwei weitere Fünftel des Plandefizits. Die verbleibenden zwei Fünftel deckt der Bund aus Rücklagen.
Einen spürbaren Defizitabbau gibt es verglichen mit den ersten Regierungsentwürfen im Wesentlichen nur bei den Energiekrisen-Hilfen. Beim Klima- und Transformationsfonds bleibt das geplante hohe Defizit nahezu unverändert, obwohl das Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Rücklage um 60 Mrd € verringerte. Insgesamt stehen für 2025 dann aber kaum noch Rücklagen im für die Schuldenbremse relevanten Bereich in den Büchern. Im kommenden Jahr besteht entsprechender Anpassungsbedarf.
Effektive Schuldenbremse wichtig
Solche Anpassungen erfordern schwierige Entscheidungen. Es muss neu auf der Ausgabenseite priorisiert oder die Einnahmenseite angepasst werden. Effektive Fiskalregeln sind gerade in solchen Situationen wichtig, um solide Staatsfinanzen abzusichern. Eine stabilitätswahrende Reform ist damit nicht ausgeschlossen. Zur deutschen Schuldenbremse machte die Bundesbank im Frühjahr 2022 eigene Vorschläge, und die damaligen Grundüberlegungen passen nach wie vor: Die deutschen Budget-Obergrenzen sollten gewährleisten, dass die Schuldenquote den 60 %-Referenzwert im Regelfall einhält und nach einer Verfehlung zügig wieder erreicht. Die derzeit geltende Kreditgrenze für den Bund lässt sich bei dieser Zielsetzung etwas lockern, solange die Grenze nicht in der Anwendung aufgeweicht wird. In diesem Rahmen lassen sich auch Teile des Kreditspielraums für bestimmte staatliche Ausgaben reservieren. Dies ginge beispielsweise mit einer gekappten Goldenen Regel, wie sie die Bundesbank erörterte: Bis zu einer festen Obergrenze dürfen staatliche Nettoinvestitionen mit Krediten finanziert werden. Ein Sondervermögen mit eigener Kreditgrenze im Grundgesetz könnte so ausgestaltet werden, dass es den Defizitspielraum in vergleichbarer Weise erweitert; es würde diesen Grundüberlegungen insofern nicht widersprechen.
EU-Regeln so anwenden, dass hohe Schuldenquoten zügig sinken
Die Haushaltsregeln der EU, die Deutschland ebenfalls einzuhalten hat, werden reformiert. Soweit derzeit absehbar, erweitert die Reform die Entscheidungs- und Anwendungsspielräume zusätzlich. Insoweit wird die Umsetzung entscheidend sein. Zu begrüßen ist, dass wichtige fiskalische Anker erhalten bleiben. Konkret gelten die Referenzwerte von 3 % für die Defizit- und 60 % für die Schuldenquote weiterhin. Und die Defizitziele für einen Mitgliedstaat sind deutlich strenger, wenn er einen Referenzwert nicht einhält. Etliche Aspekte sind jedoch kritisch zu sehen. Dazu gehört, dass diese Haushaltsgrenzen für mehrere Jahre nicht zuletzt von Annahmen abhängen, die die Europäische Kommission mit dem jeweiligen Mitgliedstaat aushandelt. Zugleich sind die Regeln sehr kompliziert. Sie dürften sowohl abstrakt als auch in der konkreten Anwendung kaum noch nachvollziehbar sein. Damit ist zu befürchten, dass die interessierte Öffentlichkeit als wichtige Kontrollinstanz verloren geht. Hinzu kommt, dass die Regeln in einer Übergangszeit mit abgeschwächten Vorgaben starten. Derzeit hohe Schuldenquoten könnten sich in dieser Zeit weiter verfestigen oder sogar steigen. Insgesamt droht, dass die neuen Regeln wegen der großen Umsetzungsspielräume kaum zum Ziel solider Staatsfinanzen beitragen. Umso wichtiger ist, dass die Europäische Kommission und der Ecofin die Regeln in ambitionierte Vorgaben übersetzen und darauf drängen, dass die Mitgliedstaaten diese einhalten. Eine solche strikte Anwendung der Regeln würde nicht zuletzt das Vertrauen der Kapitalmärkte gegenüber hoch verschuldeten Euro-Staaten stärken.