Risiken für Deutschland aus der wirtschaftlichen Verflechtung mit China Monatsbericht – Januar 2024
Veröffentlicht am 1/24/2024
Risiken für Deutschland aus der wirtschaftlichen Verflechtung mit China Monatsbericht – Januar 2024
Die deutsche Wirtschaft knüpfte spätestens seit dem Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation (WTO) 2001 zunehmend engere Beziehungen zur Volksrepublik. Dadurch profitierte Deutschland stark vom rasanten wirtschaftlichen Aufstieg Chinas. Mit den Verflechtungen gehen aber auch wachsende Risiken einher. Wirtschaftlich steht China derzeit vor großen Herausforderungen. Auch eine Wirtschaftskrise mit internationalen Ausstrahlwirkungen erscheint nicht ausgeschlossen. Zudem litt das Verhältnis westlicher Industrienationen zur Volksrepublik in letzter Zeit spürbar. Dies äußerte sich unter anderem in verschärften handels- und geopolitischen Spannungen und Risiken.
Verwirklichten sich diese Risiken, könnte dies die deutsche Wirtschaft hart treffen. Dies gilt vor allem für das Extremszenario einer abrupten wirtschaftlichen Abkopplung von China. Speziell in der Industrie hängen einige Branchen stark von der chinesischen Nachfrage ab, und manche direkt in China engagierte Unternehmen müssten um einen substanziellen Teil ihrer Umsätze und Gewinne fürchten. Stärker in die Breite der einzelnen Sektoren dürften die wirtschaftlichen Folgen ausbleibender Lieferungen wichtiger Vorleistungsgüter wirken. Viele könnten kurzfristig kaum ersetzt werden. Entsprechend wäre mit Produktionsausfällen zu rechnen. Im Umfeld einer abrupten Abkopplung von China dürfte zudem eine stark erhöhte Unsicherheit auf der deutschen Wirtschaft lasten. Ähnliche Entwicklungen andernorts würden die Weltwirtschaft insgesamt treffen und so den Abwärtsdruck noch verstärken.
Risiken bestehen auch für die Stabilität des deutschen Finanzsystems. Die direkten Verflechtungen des deutschen Finanzsystems mit China sind zwar eher gering. Der deutsche Bankensektor hat aber hohe Forderungen gegenüber inländischen Unternehmen, die stark von China abhängen. Eine weitreichende Störung der deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen träfe diese Unternehmen deutlich und würde letztendlich die Ausfallwahrscheinlichkeit von Krediten erhöhen. Vertrauensverluste sowie eine allgemeine wirtschaftliche Schwäche würden das Finanzsystem in einem derartigen Szenario zusätzlich belasten.
Insgesamt würden in Deutschland infolge einer plötzlichen massiven Verschlechterung der Wirtschaftsbeziehungen mit China gravierende wirtschaftliche Verwerfungen drohen. Allerdings wäre selbst ein geordneter Rückzug aus China mit erheblichen Verlusten verbunden. Deutschen Unternehmen würde ein wichtiger Absatzmarkt entgehen, und viele Lieferketten ließen sich wohl nur unter größeren Effizienzverlusten neu ausrichten. Bei manchen kritischen Vorleistungen könnten Abhängigkeiten allenfalls mittel- bis langfristig verringert werden. Ähnliches gilt aber auch für China selbst, welches weiterhin handels- und technologieseitig stark auf den Westen angewiesen ist. Der Fortbestand guter wirtschaftlicher Beziehungen liegt daher im beiderseitigen Interesse. Dennoch sollten Unternehmen und Politik hierzulande weiter Anstrengungen unternehmen, um Risiken zu reduzieren und die Resilienz der deutschen Volkswirtschaft zu stärken.
Einleitung
Das deutsch-chinesische Verhältnis hat viele Ebenen und Aspekte. Die intensiven Handelsbeziehungen fördern Wettbewerb, Innovationen und Wohlstand und sind für beide Seiten zumeist vorteilhaft. Darüber hinaus gibt es aber auch zunehmende geopolitische Spannungen und Vorwürfe unfairer Handelspraktiken. Dieser Aufsatz konzentriert sich auf die Implikationen der wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Deutschland und China.
Aufbauend auf marktwirtschaftlichen Reformen gelang der chinesischen Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten ein beeindruckender Aufstieg. Gemessen am nominalen Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu Marktwechselkursen ist China mittlerweile die weltweit zweitgrößte Volkswirtschaft nach den USA. Die deutsche Wirtschaft profitierte auf vielfältige Weise von dem wirtschaftlichen Aufholprozess Chinas. Insbesondere das Sortiment aus Investitionsgütern und Kraftfahrzeugen der deutschen Exporteure passte gut zum Bedarf des aufstrebenden Schwellenlands. Viele deutsche Unternehmen erschlossen den rasch wachsenden chinesischen Absatzmarkt durch Direktinvestitionen vor Ort. Deutsche Finanzinstitute trugen zur Finanzierung dieser Expansion bei. Zugleich wurden in Deutschland Endprodukte und wichtige Vorleistungen durch die Einbindung Chinas in die internationale Arbeitsteilung erschwinglicher. Hiervon profitierten auch die Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland.
Die engere wirtschaftliche Verflechtung mit China ging aber auch mit vermehrten Abhängigkeiten und Risiken einher. Diese folgten zum Teil bereits aus dem zunehmenden weltwirtschaftlichen Gewicht Chinas. Wirtschaftliche Probleme Chinas bewegen globale Finanz- und Rohstoffmärkte und strahlen über den Außenhandel auf andere Volkswirtschaften aus. 1 Auch in Deutschland dürften sie Spuren hinterlassen. Schwerer aber dürften wohl die möglichen Folgen einer unmittelbaren massiven Verschlechterung der Wirtschaftsbeziehungen mit China wiegen.
In den letzten Jahren nahmen die Spannungen zwischen China und der westlichen Staatengemeinschaft erheblich zu. Ursächlich sind hierfür vor allem politische Entwicklungen, die nicht primär auf der wirtschaftlichen Ebene angesiedelt sind. Aber auch die wirtschaftlichen Beziehungen haben in den letzten Jahren gelitten. Deutsche Vertreter kritisierten in der Vergangenheit häufig, dass der Zugang deutscher Unternehmen zum chinesischen Markt schwieriger sei als für chinesische Unternehmen zum deutschen Markt. 2 Unter Verweis auf nationale Sicherheitsbedenken beschränkte China im vergangenen Jahr zudem die Ausfuhr wichtiger Rohstoffe und Rohmaterialien sowie von Technologien zu ihrer Gewinnung und Verarbeitung. 3 Viele Industriestaaten werfen der Volksrepublik darüber hinaus vor, geistige Eigentumsrechte zu verletzen und sich durch unfaire Handelspraktiken Vorteile zu verschaffen. 4 Verbreitet reagierten Regierungen in Industriestaaten hierauf mit Schutzmaßnahmen wie Antidumping- und Ausgleichszöllen. 5 Noch schwerer als potenzielle Wettbewerbsnachteile wiegt die Sorge, China könne im Konfliktfall Zugriff auf sensible Bereiche der öffentlichen Ordnung haben. Deshalb wurden Beteiligungen chinesischer Unternehmen in Bereichen der kritischen Infrastruktur und sicherheitsrelevanter Technologien vermehrt auf den Prüfstand gestellt. Einige Industrieländer erließen darüber hinaus Exportbeschränkungen für Hochtechnologiegüter nach China. Speziell zwischen den USA und China verschlechterte sich das politische Verhältnis daraufhin weiter. 6
Geopolitische Entwicklungen bergen Gefahren und beträchtliche Eskalationsrisiken. Dies gilt insbesondere mit Blick auf Taiwan, das enge Beziehungen zu vielen Industrienationen unterhält. Eine Eskalation geopolitischer Spannungen könnte eine Spirale gegenseitiger Wirtschaftsund Finanzsanktionen auslösen.
Wirtschaftlich kämpft China derzeit zudem mit erheblichen Problemen. Das Wirtschaftswachstum verlangsamt sich bereits seit geraumer Zeit strukturell. 7 Auch konjunkturell schwächelte die chinesische Volkswirtschaft im vergangenen Jahr. Dabei wirkten Einkommenseinbußen durch die Pandemie und die lange aufrechterhaltenen Eindämmungsmaßnahmen nach. Zudem setzte sich am Immobilienmarkt der scharfe Abschwung bis zuletzt fort. 8 Die Finanzen privater und öffentlicher Haushalte wurden hierdurch stark in Mitleidenschaft gezogen. 9 Dies dämpfte die Konjunktur zusätzlich.
Eine weitere wirtschaftliche Abschwächung bis hin zu einer Wirtschaftskrise in China ist nicht ausgeschlossen. Nach jahrelangen Überinvestitionen, die auch durch eine stark expansive Wirtschaftspolitik begünstigt wurden, besteht die Gefahr weiterer Korrekturen. Dies betrifft nicht nur den Immobiliensektor. Insgesamt birgt die hohe private und öffentliche Verschuldung in China erhebliche Risiken. In den vergangenen Jahren gerieten nicht nur Immobilienunternehmen, sondern auch vermehrt staatliche Finanzierungsgesellschaften in Schieflage. Mögliche Restrukturierungen dürften in erster Linie chinesische Banken treffen. 10 Dies könnte angesichts bestehender Anfälligkeiten im Bankensystem die Finanzstabilität in China berühren. Der Internationale Währungsfonds warnt in diesem Zusammenhang vor beträchtlichen Risiken für die Weltwirtschaft. 11
Angesichts der Gefahren für die Wirtschaftsbeziehungen und der makroökonomischen Risiken in China stellt sich die Frage nach möglichen Auswirkungen auf die deutsche Volkswirtschaft. Dies betrifft zunächst die realwirtschaftlichen Abhängigkeiten. Ein besonderes Augenmerk der nachfolgenden Analyse gilt darüber hinaus den von China ausgehenden Risiken für das deutsche Finanzsystem. Dabei werden auch Verwundbarkeiten beleuchtet, die sich aus Forderungen gegenüber Unternehmen ergeben, die stark vom China-Geschäft abhängen.
Risiken aus realwirtschaftlichen Verflechtungen Deutschlands mit China
China ist für die deutsche Wirtschaft in vielerlei Hinsicht ein wichtiges Standbein. Entsprechend vielfältig sind auch die damit einhergehenden Risiken. Verwundbarkeiten können etwa aus dem Fokus auf den dortigen Absatzmarkt herrühren. Auch sind viele Unternehmen in ihren Lieferketten von chinesischen Vorleistungen abhängig. Für einige ist China zudem ein zentraler Produktionsstandort. Eine abrupte, drastische Verschlechterung dieser Beziehungen könnte schließlich – etwa über Vertrauens- und Unsicherheitseffekte – auch Unternehmen treffen, die weniger direkt exponiert erscheinen.
Exporte nach China
Die deutschen Exporte nach China sind für einzelne Industriezweige von erheblicher, gesamtwirtschaftlich aber nicht überragender Bedeutung. 12 2022 exportierte Deutschland Waren im Wert von 107 Mrd € nach China. Mit einem Anteil von 7% an der gesamten Warenausfuhr war China für Deutschland das viertwichtigste Abnehmerland. Verglichen mit anderen Ländern des Euroraums geht damit ein vergleichsweise hoher Anteil der Exporte nach China. Einschließlich der Dienstleistungen 13 beliefen sich die gesamten China-Exporte dennoch auf nicht mehr als 3½% des deutschen BIP. Zu einer ähnlichen Größenordnung kommt man bei einer Betrachtung auf Wertschöpfungsbasis. Dabei wird berücksichtigt, dass China auch über andere Länder Produkte bezieht, die Herstellungsstufen in Deutschland durchlaufen haben. Im Gegenzug wird der Beitrag ausländischer Wertschöpfung zum Wert deutscher Exporte ausgeklammert. 14 Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht hat China als Absatzmarkt also einen erheblichen, jedoch keinen herausragenden Stellenwert. Einige Branchen des Verarbeitenden Gewerbes hängen aber deutlich stärker von der chinesischen Nachfrage ab. Hierzu zählen volkswirtschaftlich bedeutsame Bereiche wie Kfz, Maschinenbau, Elektronik und Elektrotechnik.
Die Folgen von Verwerfungen am chinesischen Absatzmarkt für die deutsche Exportwirtschaft und Konjunktur können anhand von Simulationsstudien illustriert werden. Dafür bietet sich eine Modellkombination an: Das makroökonometrische Modell der Bundesbank (BbkM-DE) bildet die deutsche Wirtschaft detailliert ab. 15 Annahmen über Entwicklungen in China und im sonstigen internationalen Umfeld werden mithilfe des Weltwirtschaftsmodells NiGEM hergeleitet. 16 So können neben den unmittelbaren Implikationen einer veränderten chinesischen Nachfrage auch indirekte Effekte über andere Handelspartner Deutschlands, die Rohstoffpreise und die Geldpolitik berücksichtigt werden. 17
Erfahrungen anderer Länder zeigen, dass eine Finanz- oder Wirtschaftskrise in China dessen Importnachfrage massiv beeinträchtigen könnte. Insbesondere Phasen eines exzessiven Kreditwachstums führten vielerorts zu Finanzkrisen mit schweren gesamtwirtschaftlichen Verwerfungen. In der Vergangenheit ging das jährliche Investitionswachstum dabei in den betroffenen Ländern für zwei Jahre durchschnittlich um 12 Prozentpunkte zurück. Das Wachstum des privaten Verbrauchs büßte im Schnitt 3 Prozentpunkte ein. 18 Ein vergleichbarer konjunktureller Einbruch würde gemäß NiGEMSimu lationen die Einfuhren Chinas vorübergehend um bis zu einem Fünftel gegenüber der Basislinie ohne eine solche Krise sinken lassen. Die Auslandsnachfrage nach deutschen Gütern insgesamt dürfte in der Folge immerhin um gut 2% nachgeben. Die Wettbewerbsposition Deutschlands auf den Weltmärkten käme zudem durch Preisnachlässe insbesondere chinesischer Konkurrenten unter Druck.
Die negativen Ausstrahlwirkungen auf die deutsche Wirtschaft wären laut den Simulationsrechnungen spürbar, aber verkraftbar. Das reale BIP in Deutschland könnte im ersten Krisenjahr um 0,7% niedriger ausfallen als ansonsten erwartet. Im zweiten Jahr müsste mit Einbußen um knapp 1% gerechnet werden. Dies liegt maßgeblich an dem Einbruch des chinesischen Absatzmarktes sowie der gedämpften Nachfrage im Rest der Welt. Die verschlechterte internationale Wettbewerbsposition schlägt in geringerem Maße und erst verzögert zu Buche. Das sich in den Simulationen ergebende Sinken der Zinsen federt die Auswirkungen des Schocks ab. Allerdings fällt die Lockerung der Geldpolitik nur moderat aus. Dies liegt daran, dass in den Simulationen die dämpfenden Effekte auf die Inflationsrate im Euroraum – und auch in Deutschland – überschaubar bleiben.
Durchaus möglich wären aber auch größere Beeinträchtigungen der deutschen Wirtschaft. So bleiben in den Simulationen einige Wirkungskanäle außen vor, die sich in einem einheitlichen Modellrahmen nur schwer abbilden lassen. 19 Dies betrifft insbesondere die Auswirkungen erhöhter Unsicherheit. 20 Ebenso ist ein noch stärkerer Einbruch der chinesischen Nachfrage nach deutschen Waren und Dienstleistungen denkbar. 21
Importe aus China
Deutschlands Importe aus China stiegen in den letzten Jahrzehnten überaus kräftig an. Sie übertreffen derzeit wertmäßig die deutschen Exporte nach China erheblich. 22 2022 bezog Deutschland 13% seiner weltweiten Warenimporte aus China. China ist damit der wichtigste ausländische Lieferant Deutschlands. Die Produktpalette ist breit gefächert; sie umfasst neben Endprodukten wie Smartphones, Datenverarbeitungsgeräten und Bekleidung insbesondere Vorleistungsgüter.
Bei einigen Vorleistungsgütern besteht eine hohe Abhängigkeit von China. Einen hohen China-Anteil gibt es etwa bei bestimmten elektronischen und elektrotechnischen Vorprodukten, darunter Akkus und Batterien, sowie bei einigen Rohstoffen wie Seltenen Erden. 23 Auch bei pharmazeutischen Wirkstoffen wie Antibiotika entfällt ein großer Anteil der importierten Menge auf China. 24 Bei einer Reihe von Produkten ist es zudem kaum möglich, auf andere Lieferländer auszuweichen, da China die Produktion dieser Güter weltweit dominiert. Besonders ausgeprägt ist die Abhängigkeit gegenüber China bei einigen kritischen Rohstoffen. 25 Diese sind nicht zuletzt für die Produktion von Elektromotoren, Windturbinen, Photovoltaikanlagen und anderen Zukunftstechnologien essenziell.
Ausbleibende chinesische Vorleistungsimporte könnten in der deutschen Industrie zu erheblichen Produktionsverlusten führen. Die temporären Unterbrechungen chinesischer Warenlieferungen während der Pandemie verdeutlichten dieses Risiko. Infolge des strikten Lockdowns in Teilen Chinas Anfang 2020 kam es im deutschen Verarbeitenden Gewerbe zu spürbaren Produktionseinbußen (vgl. Exkurs „Die Auswirkungen chinesischer Lieferkettenschocks auf das Verarbeitende Gewerbe in Deutschland“).
Exkurs
Die Auswirkungen chinesischer Lieferkettenschocks auf das Verarbeitende Gewerbe in Deutschland
Die Ausbreitung des Coronavirus in China Anfang 2020 veranlasste die dortigen Behörden zu Lockdowns. Die chinesische Industrieproduktion brach daraufhin ein. Im Februar und März 2020 sanken in Deutschland entsprechend die Lieferungen aus China deutlich. Im April und Mai 2020 stiegen sie wieder sehr kräftig an, obwohl inzwischen auch in Deutschland das Wirtschaftsleben stark eingeschränkt worden war. 1 Später in der Pandemie entwickelten sich die Importe aus China recht lebhaft, bis die Null-Covid-Strategie Chinas neue Engpässe mit sich brachte.
Mithilfe eines strukturellen vektorautoregressiven (SVAR) Modells kann der Beitrag der China-spezifischen Lieferkettenschocks zur Entwicklung der deutschen Industrieproduktion veranschaulicht werden. Zum einen zeigen solche Schocks etwa den Ausfall von Vorprodukten aus China für die deutsche Industrieproduktion (im Falle der chinesischen Lockdowns) an. Zum anderen kann der Ansatz auch Schocks abgrenzen, die auf verstärkte Nachfrage im deutschen Verarbeitenden Gewerbe nach Vorprodukten aus China (z. B. Elektronikkomponenten) zurückgehen. Die Ergebnisse dieser Zerlegung lassen Rückschlüsse darauf zu, welche Triebkräfte zu Lieferengpässen während der Pandemie geführt haben. Beide Arten von Lieferkettenschocks werden über Restriktionen der Vorzeichen der Impuls-Antwort-Folgen identifiziert. 2
Den Schätzungen zufolge hatten China-spezifische Lieferkettenschocks erhebliche Auswirkungen auf die Produktion des Verarbeitenden Gewerbes in Deutschland. 3 Für den Monat April 2020 kann rund ein Viertel des Produktionsrückgangs in Deutschland auf Lieferkettenunterbrechungen in China zurückgeführt werden. Bereits zum Ende des Frühjahrs 2020 ließen die Effekte aber nach, vor allem wegen der raschen Öffnung Chinas, aber auch wegen der höheren Nachfrage nach Vorprodukten aus China. Im weiteren Pandemieverlauf stützte die erhöhte, zum Teil auch pandemiespezifische Nachfrage nach Gütern mit großem Anteil chinesischer Wertschöpfung die deutsche Produktion sogar. Ab Mitte 2021 und insbesondere 2022 wurde die deutsche Industriekonjunktur jedoch zunehmend durch erneute angebotsseitige chinesische Lieferunterbrechungen im Zuge der lange aufrechterhaltenen Null-Covid-Strategie beeinträchtigt. Diese Schocks verteuerten Importe und dämpften die preisbereinigten Einfuhren aus China, während sie Importe aus anderen Ländern begünstigten.
Von chinesischen Vorleistungen besonders abhängige Sektoren mussten im Frühjahr 2020 deutlich größere Einbußen hinnehmen. Im Tiefpunkt im April 2020 blieb ihre Produktion um rund 15% hinter den weniger exponierten Branchen zurück. Das zeigt eine Analyse detaillierter Sektordaten. 4 Wie schon die erste Analyse deutet auch diese Analyse ein rasches Nachlassen der Störung an: Ende 2020 und im Jahr 2021 gab es keine nennenswerten Unterschiede mehr zwischen den Branchen. Seit Ende 2022 entwickelten sich die besonders exponierten Sektoren sogar besser.
Insgesamt illustrieren die Erfahrungen der letzten Jahre Vorzüge, aber auch Risiken aus der engen Verschränkung der Lieferketten mit China. Der Vorleistungsbezug aus China erlaubte es dem deutschen Verarbeitenden Gewerbe, sich rasch an die pandemiebedingten Nachfrageverschiebungen anzupassen. Andererseits kam es durchaus zu nennenswerten Produktionseinschränkungen infolge der Lieferausfälle aus China in der Frühphase der Pandemie. Dass diese nur vorübergehend waren, beruhigt nur bedingt, denn auch die ursächliche Unterbrechung der Lieferketten in der Pandemie hielt nur kurz an. Infolge lang anhaltender Krisen – zum Beispiel aufgrund von Handelsembargos – dürften die Folgen weitaus gravierender ausfallen. 5 Außerdem könnten fehlende Importe drastischere Produktionseinbußen nach sich ziehen, wenn insbesondere Lieferungen kritischer und schwer substituierbarer Vorleistungsgüter ausbleiben.
Eine repräsentative Umfrage der Bundesbank unter deutschen Unternehmen (Bundesbank Online Panel für Firmen, BOP-F) aus dem vergangenen Jahr weist ebenfalls auf die hohe Abhängigkeit und schwierige Substituierbarkeit von kritischen Importen aus China hin. 26 Demnach bezog im Verarbeitenden Gewerbe fast jedes zweite Unternehmen direkt oder indirekt kritische Vorprodukte aus China. 27 Mehr als 80% dieser Unternehmen gaben an, dass eine Substitution der kritischen Vorleistungsgüter zumindest schwierig sei. Zwar ergriff der Umfrage zufolge mehr als die Hälfte der Industrieunternehmen Maßnahmen oder plante sie zeitnah, um die Abhängigkeit zu reduzieren. Gerade bei besonders schwierig zu ersetzenden Vorleistungsgütern dürfte dies aber ein komplexer und langwieriger Prozess sein.
Direktinvestitionen in China
In den letzten Jahren nahmen deutsche Unternehmen umfangreiche Direktinvestitionen (foreign direct investment, FDI) in China vor. Ein maßgeblicher Grund für das China-Engagement, speziell der Industrie, dürfte das Bestreben gewesen sein, einen großen und schnell wachsenden Absatzmarkt bedienen zu können. Die Fertigung vor Ort war dabei auch aufgrund zum Teil hoher Zollschranken attraktiv. Die niedrigen Arbeitskosten sprachen ebenfalls für den chinesischen Standort. 2022 betrugen die deutschen FDI-Zuflüsse nach China 11,2 Mrd €. 28 Das Beteiligungskapital erreichte damit eine Höhe von 86 Mrd €.
Speziell für die Branchen Kfz, Maschinenbau und chemische Industrie sind Produktionsstandorte in China sehr bedeutsam. Ende 2022 nahm das Land mit 6% der deutschen Direktinvestitionsbestände weltweit den dritten Platz hinter den USA und dem Holding-Standort Luxemburg ein. 29 Bei einigen Sektoren war die Konzentration auf China noch weitaus größer. Dies gilt insbesondere für den Automobilsektor, wo fast 30% der Direktinvestitionen in China angesiedelt sind. 30 Im Maschinenbau mit 13% und in der chemischen Industrie mit 8% ist China als Standort deutscher Direktinvestitionen ebenfalls bedeutsam. In all diesen Sektoren waren chinesische Tochterunternehmen wichtige Umsatzbringer. 31
Die Vermögenseinkommen aus den Direktinvestitionen in China sind hoch. So erwirtschafteten die chinesischen Tochtergesellschaften deutscher Konzerne 2022 einen Gewinn von 23 Mrd €, wovon etwa die Hälfte in China reinvestiert wurde. Damit wurden in China 15% der weltweiten Vermögenseinkommen Deutschlands aus Direktinvestitionen erzielt. Dieser Wert stieg in den letzten Jahren deutlich an. Er liegt damit über dem auf China entfallenden Anteil der weltweiten Umsätze von Auslandstöchtern von 12% beziehungsweise über dem auf China entfallenden Anteil am weltweit investierten Beteiligungskapital von 4%. 32 Dies spricht dafür, dass das Engagement in China für die beteiligten Unternehmen sehr lukrativ ist.
Wohl auch vor diesem Hintergrund hielten deutsche Unternehmen trotz gestiegener geopolitischer Risiken bis zuletzt an ihrem Engagement in China fest. Dies spiegelt sich auch in den reinvestierten Gewinnen deutscher Unternehmen in China wider. 2021 stiegen sie – und damit auch die Investitionen in Beteiligungskapital – sprunghaft an. 33 Auch vom zweiten Vierteljahr 2022 bis zum dritten Vierteljahr 2023 reinvestierten deutsche Unternehmen ihre Gewinne weiterhin in China. Ein Grund für die Reinvestition von Gewinnen könnte die starke Regulierung von Direktinvestitionen in China sein. Im gleichen Zeitraum zogen allerdings andere ausländische Unternehmen Gewinne in Höhe von 160 MrdUS-$ aus China ab. 34
Indirekte Abhängigkeiten
Auch Unternehmen ohne direkte Beziehungen zu China könnten unter einer Eskalation eines wirtschaftlichen oder geopolitischen Konflikts mit dem Westen leiden. Dies legen Auswertungen der Unternehmensumfrage der Bundesbank (BOP-F) für die Monate April bis Juni 2023 unter mehr als 7000 deutschen Unternehmen nahe. Demnach erwarten circa 60% der Unternehmen, dass eine Eskalation wirtschaftlicher oder geopolitischer Spannungen zwischen China und westlichen Volkswirtschaften, die zu neuen handelspolitischen Hemmnissen und Einschränkungen von Direktinvestitionen führen würde, ihre Geschäftstätigkeit negativ beeinflussen würde. Ausbleibende Lieferungen von Zwischengütern träfen gut jedes zehnte Unternehmen in Deutschland negativ. 35
Im Vergleich dazu wären Rückgänge bei den Exporten oder der eigenen Produktion in China für recht wenige Unternehmen besonders problematisch. Viele Unternehmen (42%) würden vor allem unter der erhöhten Unsicherheit über die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung leiden, die ein solcher Konflikt mit sich brächte. Darunter sind auch zahlreiche Unternehmen ohne direkte Abhängigkeit von chinesischen Importen. Unternehmen ohne China-Geschäft können auch aufgrund anderer Wirkungskanäle von einer solchen Eskalation betroffen sein. Zum einen kann sich ein Wegbrechen von chinesischen Vorleistungsgütern bei Zwischengutherstellern auf die Produktion nachgelagerter Fertigungsstufen in Deutschland auswirken. Zum anderen können dadurch Risiken für das deutsche Finanzsystem entstehen und sich dadurch die Finanzierungsbedingungen verschlechtern.
Risiken aus finanzwirtschaftlichen Verflechtungen Deutschlands mit China
Das deutsche Finanzsystem kann über verschiedene Kanäle für Risiken in China anfällig sein. Zum einen unterhalten deutsche Finanzinstitute direkte Beziehungen zu chinesischen Kreditnehmern. Zum anderen können indirekte Risiken für das deutsche Bankensystem durch Kredite von Banken an inländische Unternehmen und Sektoren, die stark von China abhängen, entstehen. Darüber hinaus können auch andere Akteure des Finanzsystems wie Versicherungen oder Investmentfonds mit China über direkte und indirekte Beziehungen verflochten sein.
Direkte finanzielle Forderungen des Bankensektors
Das direkte Forderungsvolumen inländischer Banken gegenüber chinesischen Kreditnehmern ist überschaubar. 36 Ende 2022 belief es sich auf 36 Mrd €. Dies entsprach 1¼% der Gesamtforderungen des Bankensystems gegenüber allen nichtfinanziellen Unternehmen beziehungsweise 0,1% gegenüber allen Kundengruppen. 37 Die größten chinesischen Kundengruppen waren Kreditinstitute mit 18 Mrd €, Unternehmen und Privatpersonen mit 11 Mrd € sowie öffentliche Stellen mit 7 Mrd €. Im Vergleich mit Kreditnehmern aus anderen Ländern nahm das gesamte Kreditvolumen gegenüber China gerade einmal den 20. Platz ein. Außerdem stieg in den letzten Jahren das Forderungsvolumen gegenüber China in der Tendenz nicht weiter an.
Auch die meisten einzelnen Banken haben keine besonders hohen direkten Gesamtforderungen gegenüber China. Gemessen am harten Kernkapital weisen selbst stärker exponierte Institute überschaubare direkte Risiken gegenüber chinesischen Kreditnehmern auf. 38 Zu den wenigen Ausnahmen zählen vor allem einzelne Zweigstellen chinesischer Banken und einzelne sonstige Kreditbanken.
In anderen Ländern spielen Forderungen von Banken gegenüber China eine erheblich größere Rolle. Gemäß Angaben der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich 39 gilt dies insbesondere für das Vereinigte Königreich. Dort belief sich das Forderungsvolumen zuletzt auf umgerechnet 238 Mrd €. 40 Innerhalb des Euroraums hatten vor allem Banken aus Frankreich vergleichsweise hohe Gesamtforderungen gegenüber China. 41
Indirekte finanzielle Forderungen des Bankensektors
Bedeutende Risiken ergeben sich für das deutsche Bankensystem aus den wirtschaftlichen Verflechtungen mit China. In einem Krisenszenario dürften finanzielle Forderungen gegenüber deutschen Kreditnehmern leiden, die besonders in China exponiert sind. Hierzu zählen Unternehmen mit hohen Direktinvestitionen in China. Aber auch eine starke Ausrichtung des Exportgeschäfts auf China oder die Abhängigkeit von wichtigen Vorleistungen bergen Risiken.
Das deutsche Bankensystem weist hohe Gesamtforderungen gegenüber Unternehmen auf, die mit Direktinvestitionen in China vergleichsweise stark aktiv sind. Diesen Schluss lassen Analysen zu, die Einzeldaten für Unternehmen und Banken verknüpfen. Ende 2022 beliefen sich die Forderungen inländischer Banken gegenüber den so exponierten Unternehmen auf fast 220 Mrd €. Das entspricht dem sechsfachen der direkten Forderungen gegenüber Kreditnehmern mit Sitz in China und fast 42% des aggregierten harten Kernkapitals. Insbesondere systemrelevante Institute 42 haben vergleichsweise hohe Gesamtforderungen (vgl. Exkurs „Risiken für die Finanzstabilität in Deutschland durch in China tätige Unternehmen“).
Inländische Banken sind außerdem relativ stark gegenüber einzelnen Branchen exponiert, für die China ein wichtiger Exportmarkt ist. 43 Hierzu zählen der Maschinenbau, die Metallerzeugung und -bearbeitung sowie unter den Dienstleistungen die Schiff- und Luftfahrt. In diesen Branchen ist die Bedeutung der chinesischen Nachfrage für die inländische Wertschöpfung am größten. 44 Die Forderungen des Bankensystems gegenüber Unternehmen in diesen Branchen betrug Ende 2022 rund 140 Mrd €. Für die durchschnittliche systemrelevante Bank beliefen sie sich auf rund 40% des Kernkapitals. Über alle Institute gemittelt lag der Wert mit 5% deutlich niedriger.
Die Gesamtforderungen gegenüber Unternehmen in Branchen mit vergleichsweise starker Importabhängigkeit von chinesischen Vorprodukten ist ebenfalls relativ hoch. In den Branchen Textilien und Bekleidung, Datenverarbeitungsgeräte, elektronische und optische Erzeugnisse, elektrische Ausrüstung sowie Fischerei und Aquakultur ist die Abhängigkeit von chinesischen Vorleistungen besonders ausgeprägt. 45 Gegenüber diesen Branchen beliefen sich die Gesamtforderungen Ende 2022 auf 92 Mrd €. Die systemrelevanten Banken waren im Mittel mit knapp einem Fünftel ihres Kernkapitals exponiert, gegenüber 5,5% im Mittel über alle Institute.
Exkurs
Risiken für die Finanzstabilität in Deutschland durch in China tätige Unternehmen
Verwerfungen im Verhältnis zu China hätten für dort stark investierte deutsche Unternehmen potenziell schwerwiegende Folgen. Sollten diese die Solvenz der Unternehmen gefährden, könnte auch das deutsche Bankensystem in Mitleidenschaft gezogen werden. Solche Verwundbarkeiten können durch eine Verknüpfung von Datenbanken aus dem statistischen und bankenaufsichtlichen Melde wesen abgeschätzt werden.
Risiken für inländische Unternehmen aus ihrem Engagement in China werden über die Höhe ihrer Direktinvestitionen dort bewertet. Informationen hierüber liefert die Mikrodatenbank zu Direktinvestitionen (MiDi) der Deutschen Bundesbank. Inländische Unternehmen werden als besonders gegenüber China exponiert eingestuft, wenn den direkt oder indirekt (über Holdings) gehaltenen chinesischen Auslandstöchtern ein hohes Gewicht zukommt. Dies wird daran festgemacht, dass auf sie zumindest 10% des Umsatzes, des Eigenkapitals, der Bilanzsumme oder der Beschäftigten aller Auslandstöchter weltweit entfallen. Ende 2022 galt dies für 756 Unternehmen.
Informationen zu finanziellen Forderungen deutscher Banken gegenüber inländischen Unternehmen mit einem hohen Gewicht an chinesischen Auslandstöchtern beruhen auf Daten der Evidenzzentrale für Millionenkredite. Der Datensatz beinhaltet sowohl bilanzielle als auch außerbilanzielle Geschäfte zwischen einzelnen Banken und Unternehmen, die in den Gesamtforderungen zusammengefasst werden. Zu den bilanziellen Geschäften gehört die Kreditvergabe. Unter außerbilanziellen Geschäften werden unter anderem Bürgschaften, Garantien und Derivate gemeldet. 1 Informationen des Millionenkreditmeldewesens können mit Bankbilanzdaten verknüpft werden, für die aufsichtsrechtliche Meldepflichten bestehen. So können Informationen über das harte Kernkapital 2 sowie die risikogewichteten Aktiva 3 der Banken berücksichtigt werden. Darüber hinaus ermöglichen die Daten, zwischen Forderungen anderweitig systemisch relevanter Institute und denen weniger systemisch relevanter Institute zu unterscheiden. 4
Insgesamt weist das deutsche Bankensystem hohe Gesamtforderungen gegenüber in China investierten Unternehmen auf. In den letzten Jahren nahmen diese Forderungen – im Einklang mit dem wachsenden Engagement deutscher Unternehmen in China – deutlich zu. Ende 2022 beliefen sich die Forderungen inländischer Banken auf nahezu 220 Mrd €. Das entspricht fast 7% der risikogewichteten Aktiva und fast 42% des harten Kernkapitals. Rund die Hälfte entfiel zuletzt auf außerbilanzielle Geschäfte. Dies ist gemessen an der allgemeinen Bilanzstruktur deutscher Banken ein sehr hoher Anteil.
Besonders exponiert sind die systemrelevanten Banken. Hier beliefen sich die Forderungen im Median auf mehr als 50% des harten Kernkapitals. Dabei spielen außerbilanzielle Geschäfte eine dominierende Rolle. Ähnliches gilt für die Forderungen der kleineren Zweigstellen ausländischer Banken. Hingegen entfällt fast die Hälfte der bilanziellen Kreditforderungen auf Sparkassen.
Die Finanzierung ausländischer Zweckgesellschaften 5 durch inländische Banken birgt womöglich zusätzliche Risiken. Die entsprechenden Gesamtforderungen waren im Schlussquartal 2020 mit 163 Mrd € fast genauso hoch wie gegenüber inländischen multinationalen Unternehmen (208 Mrd €). 6 Die direkten Forderungen gegenüber deren Töchtern in China fiel Ende 2020 im Vergleich dazu mit 14 Mrd € relativ gering aus. Ein Teil der Gesamtforderungen mit Bezug zu China könnte aber durch die Kreditvergabe an Zweckgesellschaften umgeleitet und damit verdeckt werden. Eine detailliertere Analyse dieses Kanals, das heißt eine Durchsicht der Finanzströme über solche Unternehmensverfiechtungen, ist allerdings kaum möglich.
Die Abschätzung der indirekten Verwundbarkeiten ist sehr unsicher. Dies liegt zum einen an dem hohen Bestand zum Teil intransparenter, außerbilanzieller Forderungen des Bankensystems. Zum anderen gibt es bereits hinsichtlich der Abgrenzung des Kreises potenziell gefährdeter Unternehmen große Spielräume.
Je strenger die hier angelegten Kriterien sind, desto geringer fallen auch die errechneten Gesamtforderungen des Bankensystems aus. Sie sinken auf ein Viertel, wenn der Schwellenwert für den auf chinesische Auslandstöchter entfallenden Umsatz, das Eigenkapital, die Bilanzsumme oder Beschäftigtenzahl von 10% auf 50% angehoben wird. Werden hingegen alle Unternehmen mit Tochtergesellschaften in China einbezogen, verdoppeln sich die Gesamtforderungen nahezu. Gerade in dieser Betrachtung ist jedoch unwahrscheinlich, dass die gesamten Forderungen gegenüber den betroffenen Unternehmen abgeschrieben werden müssten. Denn bei einer geringen Bedeutung des China-Geschäfts dürfte der Unternehmensfortbestand selbst bei Eintritt des Risikos eher nicht gefährdet sein. Allerdings können auch Unternehmen, die nicht über eigene Töchter mit China verbunden sind, erhöhten Risiken ausgesetzt sein. Dies gilt etwa dann, wenn sie beispielsweise über Beteiligungen mit anderen Unternehmen verbunden sind, die wiederum hohe Direktinvestitionen in China getätigt haben. 7
Diese Ergebnisse sind mit Vorsicht zu interpretieren. Die Berechnungen beziehen die gesamten Forderungen gegenüber exponierten Unternehmen und Branchen ein. Dadurch werden die hiermit einhergehenden Risiken tendenziell überschätzt. Schließlich ist unklar, welcher Anteil der betroffenen Forderungen in einem wirtschaftlichen Abschwungszenario oder bei einer Eskalation geopolitischer Spannungen abgeschrieben werden müsste. Zudem hängen die Ergebnisse stark von der Abgrenzung der betroffenen Unternehmen ab. 46 Mangels Daten kann die Beurteilung indirekter finanzieller Risiken aufgrund potenzieller Abhängigkeiten bei Importen oder Exporten nur auf sektoraler Basis erfolgen. Allerdings könnte es auch in Branchen, die insgesamt nicht als besonders gefährdet eingestuft werden, Unternehmen mit weit überdurchschnittlichen Abhängigkeiten geben. 47 Zudem können auch wertmäßig geringere Importanteile eine hohe Abhängigkeit bedeuten, wenn die Importe nicht durch einen Bezug aus anderen Ländern ersetzt werden können. Schließlich weisen die Ergebnisse auf mögliche größere Ansteckungseffekte in einem Risikoszenario hin. So handelt es sich bei den exponierten Unternehmen um realwirtschaftlich stark vernetzte Unternehmen. 48 Abschließend zeigen Auswertungen, dass Banken in Deutschland ausländische Zweckgesellschaften multinationaler Konzerne stark finanzieren. 49 Unklar ist, inwieweit die Unternehmen die Zweckgesellschaften dazu nutzen, um über diesen Kanal weiteres Fremdkapital nach China zu transferieren. Damit könnte das tatsächliche Verlustpotenzial von Banken in Deutschland in einem adversen Szenario deutlich größer sein.
Andere finanzielle Forderungen
Inländische offene Investmentfonds und Versicherer weisen ein geringes direktes Forderungsvolumen gegenüber China auf; die indirekten Risiken sind moderat. Die direkten Gesamtforderungen von offenen Investmentfonds sowie Versicherern gegenüber China betrugen Ende 2022 5 Mrd € beziehungsweise 8,4 Mrd €. 50 Offene Investmentfonds hielten aber 54 Mrd € an Wertpapieren von Unternehmen, die über Auslandstöchter in China potenziell gefährdet erscheinen, und Versicherer waren mit 48 Mrd € in diesen Unternehmen investiert (jeweils auf Entity- oder Ultimate-Parent-Basis).
Fazit
Die deutsche Wirtschaft ist insgesamt stark von China abhängig. China ist für wesentliche Teile der deutschen Industrie wichtig, sei es als Absatzmarkt, als Produktionsstandort oder als Bezugsquelle für Vorleistungsgüter. Nicht zuletzt wegen der größeren gesamtwirtschaftlichen Bedeutung der Industrie erscheint Deutschland verwundbarer gegenüber Störungen in den Wirtschaftsbeziehungen zu China als die meisten anderen Länder des Euroraums oder die USA.
Eine Wirtschaftskrise in China derart, wie sie in der Vergangenheit in anderen Ländern nach einer Korrektur übermäßigen Kreditwachstums eingetreten ist, wäre für die deutsche Wirtschaft wohl verkraftbar. Eine abrupte Abkopplung, etwa infolge einer geopolitischen Krise, würde jedoch speziell die deutsche Industrie erheblich treffen. Direkt in China engagierte, vornehmlich große Unternehmen könnten einen substanziellen Teil ihrer Umsatz- und Gewinnbasis verlieren. Weitaus größer ist der Kreis der Unternehmen, die direkt oder indirekt von kritischen Vorleistungsgütern aus China abhängen. Ausbleibende Lieferungen könnten hier zumindest kurzfristig gravierende Produktionsausfälle nach sich ziehen. In der hochgradig arbeitsteiligen deutschen Industrie dürften diese auch auf nachgelagerte Produktionsstufen durchschlagen. Hinzu kämen Ausstrahleffekte, die ähnliche Probleme in anderen Volkswirtschaften auslösen. Über die damit verbundene erhöhte Unsicherheit wären wohl alle Wirtschaftsbereiche hierzulande betroffen. Insgesamt würden die gesamtwirtschaftlichen Einbußen die Kosten der weitreichenden Abkopplung von Russland wohl klar in den Schatten stellen.
Aus der engen realwirtschaftlichen Verflechtung zwischen Deutschland und China erwachsen auch beträchtliche Risiken für das deutsche Finanzsystem. Zwar sind die direkten Verflechtungen von deutschen Finanzintermediären mit China eher gering. Deutsche Banken haben aber hohe Forderungen gegenüber inländischen Unternehmen und Sektoren, die stark von China abhängen. Eine weitreichende Störung der deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen würde diese deutlich treffen und letztendlich die Ausfallwahrscheinlichkeit von Krediten erhöhen. Hinzu kämen in einem derartigen Szenario aller Voraussicht nach weitere Belastungen für das deutsche Finanzsystem. Diese könnten etwa von einem allgemeinen Vertrauensverlust auf den weltweiten Finanzmärkten ausgehen.
Bei der Bewertung dieser Risiken sind aber auch die Vorteile der engen Verflechtungen mit China mit ins Bild zu nehmen. Deutsche Industrieunternehmen profitierten in den letzten Jahren stark von den Erlösen aus Exporten nach China. Hinzu kamen hohe Umsätze und Gewinne aus der Produktion in China. Auch die umfangreichen Importe aus China waren für Deutschland nutzbringend. Eine Abkehr von China dürfte daher auch langfristig mit unternehmerischen und volkswirtschaftlichen Kosten verbunden sein. Dies gilt selbst für den Fall, dass Abhängigkeiten geordnet und graduell reduziert würden. 51 Mit besonders hohen volkwirtschaftlichen Verlusten müsste wohl bei einer breit angelegten Rückverlagerung der Produktion nach Deutschland gerechnet werden. 52 Hinzu kommt, dass für manche Produkte, bei denen China eine starke oder gar monopolähnliche Stellung einnimmt, Abhängigkeiten allenfalls mittel- bis langfristig verringert werden können.
Bei der Abwägung ist außerdem zu berücksichtigen, dass gegenseitige Abhängigkeiten geringere Risiken mit sich bringen als einseitige Abhängigkeiten. Zwar sind die Bestände chinesischer Direktinvestitionen in Deutschland bislang sehr niedrig. Aber auch China bezieht aus Deutschland wichtige Vorleistungsgüter. Nach Deutschland geht nur ein kleiner Teil der gesamten chinesischen Warenexporte (3%), für die G7-Gruppe (einschl. der EU) steigt dieser Anteil jedoch auf 40%. Insgesamt betrachtet hängt China handels- und technologieseitig stark von den Industrieländern ab. 53
Daher erscheint eine einseitige Abkehr von China (De-Coupling) insgesamt weder realistisch noch erstrebenswert. Unternehmen und Politik sollten aber weiter Anstrengungen unternehmen, um Risiken zu reduzieren und die Resilienz der deutschen Volkswirtschaft zu stärken (De-Risking). Eine Stärkung der internationalen Handelsordnung sowie regionale Freihandelsabkommen, die es Unternehmen erleichtern, internationale Lieferbeziehungen zu diversifizieren, können einen Beitrag leisten. Die China-Strategie der Bundesregierung 54 und Maßnahmen der Europäischen Kommission zur Verringerung der Abhängigkeit bei kritischen Rohstoffen weisen in die richtige Richtung. 55 Für Finanzinstitute erscheint es zudem relevant, auch indirekte Verwundbarkeiten, die über die Geschäftstätigkeit der Kreditnehmer entstehen können, im Blick zu behalten.
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