Internationales und europäisches Umfeld Monatsbericht – Mai 2025
Veröffentlicht am 22.5.2024
Internationales und europäisches Umfeld Monatsbericht – Mai 2025
Monatsberichtsaufsatz
1 Weltwirtschaft im Zollsturm
Die Weltwirtschaft war zu Jahresbeginn 2025 noch in solider Verfassung. Vorzieheffekte in Erwartung zusätzlicher US-Zölle scheinen den Welthandel und die globale Industrieproduktion sogar vorübergehend stimuliert zu haben. Auch einige europäische Volkswirtschaften steigerten ihre Exporte in die USA erheblich. Dies dürfte dazu beigetragen haben, dass die Wirtschaftsleistung im Euroraum im abgelaufenen Quartal merklich zulegte. In China blieb das Wachstumstempo vorerst solide. In den USA sank das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Umfeld des sprunghaften Anstiegs der Einfuhren zwar leicht, andere Indikatoren zeigen für das Winterquartal aber noch keine maßgebliche Beeinträchtigung der Konjunktur an.
Ab dem Frühjahr dürfte der protektionistische Schwenk der US-Handelspolitik zunehmend auf der Weltwirtschaft lasten. Die handelspolitische Unsicherheit war bereits seit der Wahl des neuen US-Präsidenten erheblich gestiegen. Anfang 2025 hatte die neue US-Regierung dann begonnen, erste Zusatzzölle auf Einfuhren aus verschiedenen Ländern zu erheben. Weitere Zollanhebungen folgten. Seit April fordern die USA von praktisch allen Handelspartnern einen Zusatzzoll von mindestens 10 %. Für Einfuhren von Stahl und Aluminium, aber auch von Autos und Teilen für Personenkraftwagen, greifen noch höhere sektorale Zölle. Zum Teil kam es zu Vergeltungsmaßnahmen der Handelspartner. Teils wurden Zollanhebungen später wieder zurückgenommen. Im Handel zwischen den USA und China waren die gegenseitigen Zollsätze nach mehreren Eskalationsrunden zwischenzeitlich prohibitiv hoch, bevor sich beide Länder auf eine vorübergehende "Waffenruhe" verständigten. Aktuell ist der durchschnittliche Effektivzollsatz der USA gegenüber allen Handelspartnern um mehr als 13 Prozentpunkte höher als zu Jahresbeginn und damit auf dem höchsten Stand seit den 1930er Jahren. Vielen Handelspartnern der USA drohen ab Juli weitere Zollanhebungen, sofern Verhandlungen über eine Neugestaltung der bilateralen Handelsbeziehungen scheitern. 1 Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass die neuen Zölle und die anhaltende handelspolitische Unsicherheit die Weltwirtschaft zunehmend belasten (siehe hierzu auch den Exkurs „Zu den gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen erhöhter Unsicherheit“). Gemäß Unternehmensumfragen trübten sich die Geschäftserwartungen im Verarbeitenden Gewerbe in den letzten Monaten deutlich ein, während sich die Lageeinschätzung noch solide hielt. Dabei dürfte zukünftig insbesondere das Exportgeschäft unter einer schwächeren Nachfrage leiden. Auch im Dienstleistungssektor verschlechterte sich die Stimmung spürbar.
Angesichts der eingetrübten Nachfrageaussichten gaben die Rohstoffpreise auf breiter Front nach. Dies gilt insbesondere für die Energierohstoffpreise. Ein Fass der Sorte Brent kostete zum Abschluss dieses Berichts 66 US-$ und damit rund 13 % weniger als noch im Februar. Neben dem verschlechterten weltwirtschaftlichen Ausblick trug dazu die Entscheidung einiger OPEC-Staaten bei, ihre Ölförderung stark auszuweiten. Bereits vor der Bekanntgabe dieser Förderausweitung war die Internationale Energieagentur davon ausgegangen, dass der globale Ölmarkt 2025 und 2026 spürbar überversorgt sein würde. 2 Die europäischen Gaspreise sanken ebenfalls merklich und lagen mit 35 € je Megawattstunde wieder auf dem Niveau von vor einem Jahr. Eine zuletzt schwache chinesische Flüssiggasnachfrage sowie Pläne der EU, die Gasspeichervorgaben zu lockern, verstärkten den Abwärtsdruck auf die Notierungen. 3 Auch die Preise für Industrie- und Nahrungsmittelrohstoffe gaben zuletzt etwas nach.
Der globale Disinflationsprozess schreitet voran, in den USA dürften die Zollanhebungen jedoch weiteren Fortschritten entgegenstehen. Unter dem Einfluss gesunkener Energiepreise schwächte sich der Verbraucherpreisanstieg in den Industrieländern zuletzt etwas ab. Im April belief sich die Teuerungsrate für den gesamten Warenkorb der Konsumenten auf 2,4 % binnen Jahresfrist, verglichen mit 2,9 % im Januar. Die ohne Energie und Nahrungsmittel berechnete Kernrate gab im gleichen Zeitraum leicht auf 2,8 % nach. Perspektivisch dürften die massiven Zollanhebungen der USA die dortigen Verbraucherpreise in die Höhe treiben. Auch in Kanada, das bereits mit Gegenzöllen auf die höheren US-Zölle reagiert hat, dürfte sich der Verbraucherpreisauftrieb verstärken. In anderen Industrieländern wiederum sollten die niedrigeren Rohstoffpreise und die Aufwertung ihrer Währungen gegenüber dem US-Dollar den weiteren Disinflationsprozess in den nächsten Monaten eher unterstützen.
Aufgrund der Zolleskalation der USA senkte der Internationale Währungsfonds (IWF) seine globale Wachstumsprognose merklich. Angesichts der sich schnell verändernden Lage in der internationalen Handelspolitik analysierte der IWF-Stab im World Economic Outlook vom April eine Reihe von Szenarien. Das Referenzszenario berücksichtigt dabei die Zollankündigungen bis zum 4. April 2025. Unter diesen Politikannahmen geht der IWF davon aus, dass das globale BIP-Wachstum von 3,3 % im Jahr 2024 auf 2,8 % im Jahr 2025 sinkt, bevor es 2026 auf 3 % ansteigt. Diese Projektionen liegen deutlich unter den Prognosen vom Januar. Die Abwärtsrevisionen betreffen nahezu alle Länder. Insbesondere leidet der globale Warenhandel unter den restriktiven Handelsmaßnahmen. Die Effekte der zwischenzeitlichen Zolleskalation zwischen den USA und China sowie das temporäre Aussetzen der übrigen länderspezifischen "reziproken" Zölle wurden in einem weiteren Szenario analysiert. Darin fallen die BIP-Einbußen in den USA und China deutlich stärker als im Referenzszenario aus, während die Weltwirtschaft insgesamt ähnlich stark betroffen wäre. Zudem warnte der IWF vor den Wachstumsrisiken, die mit Handelskriegen und den damit verbundenen Finanzmarktturbulenzen einhergehen könnten. 4
Exkurs
Zu den gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen erhöhter Unsicherheit
Zuletzt rückte die Diskussion über die Auswirkungen erhöhter Unsicherheit auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung wieder in den Fokus der wirtschaftspolitischen Debatte. Ein wesentlicher Grund hierfür waren die handelspolitischen Spannungen, die durch die Zollankündigungen und Zollanhebungen der neuen US-Regierung ausgelöst wurden. So wird befürchtet, dass neben den direkten negativen Auswirkungen der Zollanhebungen selbst eine steigende Verunsicherung der Unternehmen und Verbraucher die ohnehin recht schwache Konjunktur im Euroraum zusätzlich belasten könnte. 1
Unsicherheit kann die gesamtwirtschaftliche Aktivität über verschiedene Kanäle beeinträchtigen. Hierzu zählt insbesondere ein zögerliches Investitionsverhalten. Da Investitionen oftmals nur schwer oder gar nicht rückgängig zu machen sind, verschieben Unternehmen bei erhöhter Unsicherheit möglicherweise Investitionsentscheidungen, um diese bei besserer Informationslage gegebenenfalls nachzuholen. Private Haushalte können sich bei Käufen langlebiger Konsumgüter ähnlich verhalten. Erhöhte Unsicherheit kann zudem Finanzmarktreaktionen wie steigende Risikoaufschläge und eine restriktivere Kreditvergabe hervorrufen und damit ebenfalls die gesamtwirtschaftliche Entwicklung beeinträchtigen. 2
Da es kein eindeutiges Maß für die gesamtwirtschaftlich relevante Unsicherheit gibt, stellt dies quantitative Wirkungsanalysen vor Herausforderungen. Zwar lässt sich Unsicherheit von verwandten Konzepten wie Risiko und Überraschung abgrenzen, 3 eine eindeutige Messanleitung ergibt sich hieraus aber nicht. Folglich gibt es eine Reihe von Ansätzen zur Erfassung von Unsicherheit. Die daraus abgeleiteten Indikatoren unterscheiden sich zum Teil erheblich, was sowohl die Berechnungsmethode als auch die dabei verwendeten Daten betrifft.
Im Zuge der jüngsten handelspolitischen Auseinandersetzungen fanden Unsicherheitsindikatoren, die auf der Analyse von Zeitungsartikeln basieren, verstärkt Beachtung. Ein populäres Maß misst beispielsweise, wie häufig in einer Reihe überregionaler, vorwiegend US-amerikanischer, Tageszeitungen über handelspolitische Unsicherheit berichtet wird. 4 Aus der Intensität der Berichterstattung wird der Grad an Unsicherheit abgeleitet.
Dieses aus Textanalysen abgeleitete Maß handelspolitischer Unsicherheit schlug in den letzten Monaten außergewöhnlich kräftig aus. So stieg der Indikator nach dem Wahlsieg Donald Trumps im November 2024 sprunghaft an. Zur gleichen Zeit zeigten andere gängige Unsicherheitsmaße, wie etwa die aus Optionspreisen abgeleitete implizite Aktienmarktvolatilität, keine vergleichbare Entwicklung, und dies obwohl handelspolitische Spannungen typischerweise von den Finanzmärkten reflektiert werden. 5
Es stellt sich daher die Frage, was die textbasierten Maße handelspolitischer Unsicherheit eigentlich messen. Der Begriff "Unsicherheit" wird in Zeitungsartikeln nicht immer einheitlich verwendet. Manchmal werden gar bereits materialisierte Ereignisse mit Unsicherheit in Verbindung gebracht, oder vornehmlich ungünstige Neuigkeiten mit Unsicherheit assoziiert. 6 Nicht selten kommt es zu einer Vermengung der Konzepte Unsicherheit, Risiko und Überraschungen. Zudem kann die Auswahl der Schlagwortkombinationen sowie die der ausgewerteten Zeitungen Einfluss auf die Ergebnisse der Textanalyse haben. 7 Letzteres wirft auch die Frage auf, welchen Informationsgehalt textbasierte Maße, die auf der Auswertung von überwiegend US-amerikanischen Zeitungen basieren, für andere Länder und Regionen besitzen.
Analysen und Prognosen auf Basis textbasierter Unsicherheitsmaße sollten daher mit Vorsicht interpretiert werden. Zwar können einzelne Schwachpunkte textbasierter Maße adressiert werden, aber nur zu einem gewissen Grad. 8 Auch ist der Zusammenhang zwischen den textbasierten Maßen der handelspolitischen Unsicherheit und der Realwirtschaft gemäß empirischer Schätzungen nicht sonderlich eng. So zeigt sich selbst für die auf Unsicherheit typischerweise deutlich reagierenden Investitionen in unseren Analysen kein signifikanter Effekt. 9 Es stellt sich deshalb die Frage nach Alternativen.
Indikatoren, die die Verunsicherung an den Finanzmärkten widerspiegeln, bieten sich als Maß für gesamtwirtschaftlich relevante Unsicherheit an. Die implizite Aktienmarktvolatilität in den Vereinigten Staaten reagierte im April teils kräftig auf die handelspolitischen Spannungen. Gleichwohl waren die Ausschläge erheblich geringer als bei den textbasierten Maßen. Auch an den Finanzmärkten im Euroraum stieg die Unsicherheit. Empirische Schätzungen legen nahe, dass in der Vergangenheit Phasen erhöhter Aktienmarktvolatilität im Durchschnitt mit deutlichen negativen realwirtschaftlichen Effekten verbunden waren. 10 Aus diesen Erfahrungen lassen sich Erwartungen für die gegenwärtige Entwicklung ableiten. Dabei ist die Dauer der Verunsicherung von Bedeutung. Zwar zeigte der EURO STOXX 50 Volatility-Index im April teils kräftige Ausschläge, im Monatsmittel blieb er jedoch im Gegensatz zu seinem US-amerikanischen Pendant spürbar unter dem geläufigen Schwellenwert für hohe Unsicherheit. Sollte die Verunsicherung an den Finanzmärkten nicht wieder erheblich aufflammen, dürften die gesamtwirtschaftlichen Effekte für den Euroraum somit deutlich geringer ausfallen, als es die für einen Quartalsschock berechneten Impuls-Antwort-Reaktionen andeuten.
1.1 Chinesische Wirtschaft trotz des Zollkonflikts mit den USA bislang robust
In China blieb das Wirtschaftswachstum im ersten Quartal 2025 robust. Binnen Jahresfrist stieg das reale BIP nach offizieller Schätzung wie schon im Schlussquartal 2024 um 5,4 %. Im Vergleich zur Vorperiode erhöhte sich die Wirtschaftsleistung saisonbereinigt um 1,2 %. Die Konjunktur wurde zum einen durch staatliche Kaufanreize gestützt, die den privaten Verbrauch merklich anschoben. Darüber hinaus legten die Warenexporte von hohem Niveau aus nochmals zu. Auch die Exporte in die USA blieben trotz der dortigen Einführung erster neuer Zusatzzölle auf chinesische Produkte bis März 2025 solide.
In den kommenden Monaten dürfte der Zollkonflikt mit den USA die chinesische Konjunktur jedoch merklich belasten. Die Ankündigung sogenannter "reziproker" Zölle durch die US-Regierung Anfang April löste zwischen China und den USA binnen weniger Tage eine Kette aus Zöllen und Gegenzöllen aus. Nachdem über mehrere Wochen extrem hohe Zölle im bilateralen Handel in Kraft waren, einigten sich beide Länder Mitte Mai auf eine vorübergehende Aussetzung der meisten Zusatzzölle. Eine nahezu vollständige Handelsentkopplung und die damit verbundenen hohen BIP-Einbußen wurden so zumindest vorerst abgewendet (vgl. dazu den Exkurs „Zu den möglichen Auswirkungen der aktuellen handelspolitischen Auseinandersetzungen zwischen den USA und China“). Die Verbraucherpreise lagen im April um 0,1 % unter dem Niveau des Vorjahres. Ohne Nahrungsmittel und Energie gerechnet ergab sich ein kleiner Anstieg um 0,5 %. Die chinesische Zentralbank senkte Anfang Mai ihren Leitzins und die Höhe der Mindestreserven für Kreditinstitute.
1.2 Unterschiedliche Tendenzen in anderen großen Schwellenländern
In Indien dürfte das Wirtschaftswachstum im ersten Quartal 2025 hoch geblieben sein. Im Schlussquartal 2024, bis zu dem offizielle BIP-Daten vorliegen, war die Wirtschaftsleistung um 6,2 % im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Zum Jahresbeginn 2025 scheint die Wirtschaft weiter recht schwungvoll expandiert zu haben, insbesondere dank eines lebhaften Dienstleistungssektors. Unsicher bleiben die Perspektiven für die Industrie. Indiens Warenexporte in die USA sollen im Rahmen der „reziproken“ US-Zölle künftig mit einer Zusatzlast von 26 % belegt werden. Die indische Regierung versucht, diese mit einer Handelsvereinbarung mit den USA noch abzuwenden. 5 Vor allem infolge von niedrigeren Nahrungsmittelpreisen ging die Teuerungsrate auf der Verbraucherstufe seit dem Herbst 2024 deutlich zurück auf 3,2 % im April. Die Zentralbank senkte den Leitzins im Februar und April um jeweils 25 Basispunkte auf nun 6 %.
Brasilien offenbar mit konjunkturellem Zwischenspurt. Im Schlussquartal 2024 hatte der Aufschwung in Brasilien deutlich an Kraft verloren. Das reale BIP war saisonbereinigt lediglich um 0,2 % gegenüber dem Vorquartal angestiegen. Für das erste Quartal zeichnet sich zwar wieder eine Wachstumsverstärkung ab; diese dürfte aber nicht zuletzt auf außergewöhnlich hohe Ernteerträge zurückgehen und somit nicht von Dauer sein. Die bremsenden Effekte der seit Längerem deutlich restriktiven Geldpolitik sollten in den kommenden Monaten wieder stärker zum Ausdruck kommen. Die hohe Teuerung, die Abwertung des Real und Überhitzungstendenzen hatten die Zentralbank zum Jahresende 2024 veranlasst, die Leitzinsen entgegen dem globalen Trend kräftig zu erhöhen. Dennoch verstärkte sich der Verbraucherpreisanstieg in den letzten Monaten weiter und lag im April mit 5,5 % oberhalb des Zielkorridors der Zentralbank. Diese hob den Leitzins seit Jahresbeginn 2025 nochmals in mehreren Schritten auf zuletzt 14,75 % an.
In Russland schwächte sich das Wirtschaftswachstum deutlich ab. Gemäß der Schnellschätzung des nationalen Statistikamts verringerte sich die Vorjahresrate des realen BIP im ersten Vierteljahr 2025 deutlich auf 1,4 %, nach 4,5 % im Schlussquartal 2024. Im Vergleich zum Vorquartal dürfte die Wirtschaftsleistung saisonbereinigt spürbar gesunken sein. 6 Dahinter steht, dass sich die Investitionen angesichts der anhaltend straffen Geldpolitik erheblich abschwächten. Zudem verlor der private Verbrauch offenbar weiter an Schwung. Trotz der konjunkturellen Verlangsamung verharrte die Arbeitslosenquote mit zuletzt 2,3 % auf einem sehr niedrigen Niveau. Der Preisanstieg auf der Verbraucherstufe blieb mit 10,2 % im April hoch. Die Zentralbank beließ den Leitzins bei 21 %. Die Lage des Staatshaushaltes verschlechterte sich derweil wesentlich. Die öffentlichen Ausgaben stiegen im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Ukraine bis zuletzt anhaltend kräftig. Zudem verringerte der jüngste Ölpreisrückgang bei gleichzeitig weitgehend stabilem Außenwert des Rubel die staatlichen Einnahmen.
Exkurs
Zu den möglichen Auswirkungen der aktuellen handelspolitischen Auseinandersetzungen zwischen den USA und China
Der Handelskonflikt zwischen den USA und China entspannte sich zuletzt wieder merklich, es gelten aber weiterhin hohe Zölle. Bereits wenige Tage nach ihrem Amtsantritt verschärfte die neue US-Regierung den handelspolitischen Kurs gegenüber China. In zwei Schritten belegte sie die Einfuhr sämtlicher chinesischer Waren mit Zusatzzöllen von insgesamt 20 %. China reagierte darauf mit moderaten Gegenmaßnahmen. Im Rahmen der Ankündigung "reziproker" Zölle gegenüber allen Handelspartnern Anfang April legten die USA dann für China weitere Zusatzzölle in Höhe von 34 % fest. Die Antwort Chinas, sämtliche Importe aus den USA in gleicher Weise zu bezollen, löste eine Spirale von Vergeltungszöllen aus. Kurzfristig unterlag ein Großteil des Handels zwischen den USA und China Zollsätzen von weit über 100 %. Zwar wurde Mitte Mai ein Gutteil dieser beidseitigen Zusatzzölle nach bilateralen Verhandlungen ausgesetzt, bereits im August droht aber eine Rückkehr zu prohibitiv hohen Zollschranken. Die durchschnittlichen effektiven US-Zölle auf chinesische Waren liegen zudem auch aktuell noch gut 30 Prozentpunkte höher als zu Beginn des Jahres, die chinesischen Zölle auf US-Produkte mehr als 10 Prozentpunkte.
Trotz des bereits seit mehreren Jahren anhaltenden Handelskonflikts zwischen den USA und China war der gegenseitige Warenaustausch für beide Länder bis zuletzt sehr bedeutsam. Bereits in der ersten Amtszeit von Präsident Trump hatten die USA und China einen Handelskrieg ausgetragen. Damals war ein großer Teil der jeweiligen Importe aus dem anderen Land mit Zusatzzöllen von bis zu 25 % belegt worden. Die Lieferungen der betroffenen Waren sanken daraufhin deutlich. 1 Gleichwohl war vor allem der Warenfluss aus China in Richtung USA auch zuletzt noch sehr umfangreich. Im Jahr 2024 lieferte China Waren im Wert von 525 Mrd US-$ in die USA. Das entsprach rund 15 % der gesamten chinesischen Warenexporte beziehungsweise rund 2 % der weltweiten Exporte. 2 Die Exporte der USA nach China waren hingegen deutlich geringer.
Simulationsrechnungen ergeben, dass prohibitiv hohe Zölle erhebliche gesamtwirtschaftliche Einbußen in den USA sowie in China nach sich ziehen würden. Die mittelfristigen Folgen sehr hoher Zölle im Handel zwischen den USA und China, wie sie zwischen Mitte April und Mitte Mai in Kraft waren, können mithilfe des Weltwirtschaftsmodells NiGEM abgeschätzt werden. 3 Die Modellrechnungen legen nahe, dass derart hohe Zölle auf Dauer die Ausfuhren Chinas und der USA massiv beeinträchtigen würden. 4 Die Gesamtausfuhren Chinas fielen gegenüber einem Referenzszenario ohne Zusatzzölle um fast 10 % geringer aus, die der USA um gut 5 %. Übertragen auf den Handel zwischen den USA und China würden damit etwa zwei Drittel des bilateralen Warenaustausches entfallen. Die gesamte Wirtschaftsleistung würde in China gegenüber dem Referenzszenario bis 2027 um 1,5 % und in den USA um 2,3 % sinken. Neben dem Wegfall von Exporten spielt dabei eine Rolle, dass sich in beiden Ländern importierte Vorleistungen und Endprodukte erheblich verteuern würden. Dies ist auch der Grund dafür, dass die USA trotz eines hohen Defizits im Warenhandel mit China größere BIP-Einbußen zu befürchten hätten.
Die Ausstrahlwirkungen eines Handelskrieges zwischen den USA und China auf den Euroraum dürften überschaubar sein. Die Wirtschaftsleistung des Euroraums würde den NiGEM-Simulationen zufolge mittelfristig kaum beeinflusst. Dabei lastet zwar die schwächere Wirtschaftsentwicklung speziell in China und in den USA auf den europäischen Exporten. Zugewinne an Weltmarktanteilen wiegen dies jedoch weitgehend auf. Die Einfuhren des Euroraums steigen in den Modellrechnungen nur geringfügig an. Dies scheint Befürchtungen zu entkräften, dass chinesische Exporteure ihre ursprünglich für die USA bestimmten Waren stark vergünstigt in Europa absetzen könnten. Allerdings können die auf aggregierten Handelsströmen aufsetzenden Modellrechnungen derartige Umlenkungseffekte im internationalen Handel nur grob abschätzen.
Alternative Rechnungen sprechen ebenfalls nicht für eine Flut chinesischer Importe in Europa. Im Großen und Ganzen unterscheidet sich der Produktmix der chinesischen Exporte in die USA nicht allzu sehr von den chinesischen Exporten in die EU oder in andere Regionen. Dies lässt vermuten, dass eine Umverteilung der bisher für die USA bestimmten Exporte mehr oder weniger proportional auf die übrigen Handelspartner erfolgen würde. 5 Bei einem unterstellten Rückgang der chinesischen Exporte in die USA um zwei Drittel könnten die chinesischen Exporte in die EU demnach um rund 11 % steigen. Dies käme einer Zunahme der gesamten Extra-Importe der EU um lediglich 2½ % gleich. In der Realität dürfte der Anstieg noch weitaus geringer sein. Ein Teil der nicht mehr von den USA abgenommenen Waren dürfte von der chinesischen Inlandsnachfrage absorbiert werden. Naheliegend ist zudem, dass viele chinesische Waren über Drittländer weiterhin den Weg in die USA finden würden. 6 Schließlich wäre, im Einklang mit den oben beschriebenen Simulationsergebnissen, in China mit Produktionsverlusten zu rechnen. 7
Die Aussicht auf deutliche wirtschaftliche Einbußen in beiden Volkswirtschaften dürfte wesentlich zu der jüngsten Entspannung in den Handelsbeziehungen zwischen den USA und China beigetragen haben. Hierfür spricht auch, dass die vorläufige Einigung die hohen Defizite der USA im bilateralen Handel, ein Kernanliegen der US-Regierung, zunächst nicht adressiert. Weitere Verhandlungen könnten sich vor diesem Hintergrund als herausfordernd darstellen. Allerdings käme ein weiterer Abbau von Zollschranken beiden Volkswirtschaften zugute. Auch unter den seit Jahresbeginn eingeführten und noch verbliebenen Zusatzzöllen fällt in NiGEM-Simulationen mittelfristig die Wirtschaftsleistung in den USA und China um jeweils ½ % niedriger aus als im Referenzszenario ohne diese Zölle.
1.3 Wirtschaftsentwicklung in den USA zunehmend von Zollerhöhungen gezeichnet
In den Vereinigten Staaten geriet der zuvor lebhafte Wirtschaftsaufschwung zum Jahresauftakt ins Stocken. Das reale BIP blieb im ersten Vierteljahr gemäß der ersten Schätzung saisonbereinigt um 0,1 % hinter dem Stand des Vorquartals zurück. Die Neuausrichtung der US-Handelspolitik hinterließ dabei deutliche Spuren in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen. Obwohl erste Zollsätze bereits im Februar angehoben worden waren, zogen die Einfuhren in Erwartung weiterer Zollanhebungen sprunghaft an. Dies galt insbesondere für Einfuhren pharmazeutischer Produkte sowie von IT-Hardware. Spiegelbildlich legten die entsprechenden Lager- und Ausrüstungsinvestitionen kräftig zu, wenn auch nicht ganz im gleichen Ausmaß. Allein diese Diskrepanz legt nahe, dass das schwache BIP-Ergebnis die konjunkturelle Abkühlung überzeichnet. 7 Hierfür spricht auch, dass Unternehmen in den USA auch in anderen Bereichen ihre Investitionen spürbar ausweiteten. Auf den Auslandsmärkten fanden Produkte aus den USA im Winter zudem vermehrt Abnehmer. Schließlich steigerten die privaten Verbraucher ihre Ausgaben trotz eines witterungsbedingt schwachen Jahresauftakts merklich. Als Stütze der Verbrauchskonjunktur erwies sich dabei abermals der anhaltend robuste Arbeitsmarkt. Die öffentliche Nachfrage sank zwar erstmals seit fast drei Jahren im Quartalsvergleich etwas, dabei spielte neben den Sparanstrengungen der Regierung aber auch eine Normalisierung der Militärausgaben eine Rolle.
Perspektivisch dürften die Zollanhebungen die US-Wirtschaft zunehmend belasten. Aktuell liegt der durchschnittliche Effektivzollsatz der USA infolge diverser präsidialer Erlasse um mehr als 13 Prozentpunkte über dem Niveau von Jahresbeginn. Gleichzeitig trug die erratische Handelspolitik zur Verunsicherung bei. Unternehmen in allen großen Wirtschaftszweigen korrigierten vor dem Hintergrund dieser Gemengelage ihre Geschäftserwartungen nach unten. Auch das Konsumentenvertrauen trübte sich ein, da viele Verbraucher mit einem Teuerungsschub rechnen. Tatsächlich legen die Erfahrungen aus dem letzten Handelskonflikt der USA mit China nahe, dass heimische Unternehmen und Verbraucher schlussendlich die Hauptlasten höherer Zölle tragen. 8 Erste Hinweise auf entsprechende Effekte im aktuellen Umfeld liefern Unternehmensumfragen, die auf verbreitet steigende Einkaufspreise hindeuten. In den amtlichen Preisstatistiken dürfte sich dies aufgrund von langen Lieferwegen und einer graduellen Kostenweitergabe erst nach und nach zeigen. 9 Kurzfristig werden die Zollwirkungen zudem durch die Effekte gesunkener Rohstoffpreise überlagert. Im April lag die Vorjahresrate der Verbraucherpreise bei 2,3 % und damit merklich niedriger als drei Monate zuvor. Die Kernrate gab auf immer noch hohe 2,8 % nach. Die US-Notenbank beließ vor diesem Hintergrund und aufgrund der entgegengesetzten Risiken für ihr Beschäftigungs- und Preisstabilitätsmandat die Leitzinsen zuletzt unverändert.
1.4 BIP-Rückgang in Japan
Die japanische Wirtschaft startete schwach in das Jahr 2025. Laut der ersten Schätzung sank das BIP preis- und saisonbereinigt im Winterquartal um 0,2 % gegenüber der Vorperiode, in der es noch um 0,6 % zugelegt hatte. Der private Verbrauch stagnierte, auch weil der starke Verbraucherpreisauftrieb die Kaufkraft der Haushalte schmälerte. Die japanischen Unternehmen hingegen weiteten ihre Investitionen spürbar aus und verstärkten ihren Lageraufbau. In der Folge stiegen die Importe stark an. Die Ausfuhren gingen leicht zurück. Ungeachtet der rückläufigen Wirtschaftsleistung war die Arbeitsmarktlage anhaltend günstig. Die Arbeitslosenquote blieb im März mit 2,5 % niedrig. Das Lohnwachstum dürfte auch im laufenden Jahr kräftig ausfallen. Die vorläufigen Ergebnisse der diesjährigen Frühjahrslohnrunde beinhalten eine tarifliche Lohnerhöhung um 3,8 %. 10 Diese würde dazu beitragen, dass sich der Verbraucherpreisauftrieb nachhaltig verfestigt. Im März stiegen die Verbraucherpreise im Vorjahresvergleich um 3,6 %. Vor allem die Nahrungsmittelpreise zogen kräftig an. Die Rate ohne Energie und Nahrungsmittel gerechnet lag bei 1,6 %. Mit Blick auf die Unsicherheit hinsichtlich der US-Zollpolitik ließ die japanische Notenbank trotz des recht kräftigen Preisanstiegs ihren Leitzins im Mai unverändert bei 0,5 %.
1.5 Lebhafte Konjunktur im Vereinigten Königreich
Die Wirtschaft des Vereinigten Königreichs expandierte im ersten Quartal schwungvoll. Das BIP stieg um 0,7 % im Vergleich zum Vorquartal. Dazu trug insbesondere eine lebhafte Aktivität im Dienstleistungssektor bei. Zudem zog die Produktion im Verarbeitenden Gewerbe merklich an, wozu Vorzieheffekte bei den Ausfuhren in Erwartung höherer US-Einfuhrzölle beitrugen. Die Bautätigkeit stagnierte. Trotz des kräftigen BIP-Wachstums im ersten Quartal trübte sich die Stimmung laut Unternehmensumfragen bis April merklich ein. Hierbei spielten wohl neben der Verunsicherung bezüglich der US-Handelspolitik auch Steigerungen der Lohnnebenkosten und des Mindestlohns eine Rolle. 11 Die Anfang Mai verkündete Handelsvereinbarung mit den USA könnte Unternehmen zuletzt wieder etwas zuversichtlicher gestimmt haben, weil zumindest die Gefahr einer weiteren Eskalation im bilateralen Handelsverhältnis gebannt scheint. 12 Die Arbeitsmarktlage verschlechterte sich etwas. Das Lohnwachstum gab leicht nach, lag zuletzt aber noch bei 5,5 % im Vorjahresvergleich. Seit Jahresbeginn schritt auch der Disinflationsprozess voran. Die Vorjahresrate des HVPI sank im März weiter auf 2,6 %. Die ohne Energie und Nahrungsmittel gerechnete Teuerungsrate gab auf 3,4 % nach. Die britische Notenbank rechnete mit weiter voranschreitender Disinflation und senkte Anfang Mai ihren Leitzins um 25 Basispunkte auf 4,25 %.
1.6 Polnische Wirtschaft an Tempo verloren
In Polen schwächte sich das Wirtschaftswachstum zum Jahresbeginn ab. Das reale BIP stieg nach vorläufigen Angaben im Vorquartalsvergleich saisonbereinigt um 0,7 %, nachdem es im vierten Quartal noch mit doppelt so hoher Rate gewachsen war. Während die Aktivitäten im Dienstleistungssektor weiter kräftig expandierten, sank die Erzeugung von Industriegütern. Lediglich die Investitionsgüterproduktion legte nach einer längeren Schwächephase wieder zu. Im Bausektor stagnierte die Aktivität. Der private Verbrauch wuchs voraussichtlich nur verhalten. Die Einzelhandelsumsätze gingen preisbereinigt sogar zurück. Die Arbeitsmarktlage ist weiterhin durch Knappheiten geprägt. Die Arbeitslosenquote blieb auf dem niedrigen Stand von 2,7 %, und die Bruttolöhne im Unternehmenssektor stiegen im Vorjahresvergleich um rund 8 %. Die Inflationsrate sank im April im Vorjahresvergleich auf 4,3 %, nach 4,9 % im März. In Reaktion hierauf senkte die polnische Notenbank im Mai ihren Leitzins um 0,5 Prozentpunkte auf 5,25 %, die erste Zinsanpassung seit Oktober 2023.
2 Temporäre Wachstumsverstärkung im Euroraum
Im Euroraum legte die Wirtschaftsleistung im ersten Vierteljahr 2025 merklich zu. Der Schnellschätzung von Eurostat zufolge stieg das BIP preis- und saisonbereinigt gegenüber dem Vorquartal um 0,3 %. Ohne Irland gerechnet wuchs es um 0,2 %. 13 Im Vorquartal war das BIP im Euroraum etwas verhaltener gestiegen. Bei der jüngsten Wachstumsverstärkung dürften Vorzieheffekte in Erwartung höherer US-Zölle auf Einfuhren eine Rolle gespielt haben. 14 Die nur leicht aufwärtsgerichtete konjunkturelle Grundtendenz im Euroraum insgesamt veränderte sich wohl nicht. Zwar hellte sich die Lage im Verarbeitenden Gewerbe etwas auf, der Schwung bei den Dienstleistungen ließ jedoch nach. Die konjunkturellen Aussichten sind nicht zuletzt angesichts der verstärkten protektionistischen Bestrebungen in den USA und der allgemein hohen wirtschaftspolitischen Unsicherheit verhalten. Die Produktionserwartungen fielen zuletzt im Verarbeitenden Gewerbe und bei den Dienstleistern deutlich schlechter aus als zuvor. Stützend dürften die gelockerten Finanzierungsbedingungen und die gesunkenen Rohstoffpreise wirken. Von den angekündigten Fiskalprogrammen sind erst im späteren Jahresverlauf spürbare Wachstumsimpulse zu erwarten.
Der private Verbrauch blieb aufwärtsgerichtet, verlor aber wohl an Schwung. Die Neuzulassungen von Kraftfahrzeugen stiegen im Januar und Februar weniger stark als im Vorquartal, in dem sie aufgrund von Einmaleffekten sehr kräftig zugelegt hatten. Auch die Ausweitung der Einzelhandelsumsätze verlangsamte sich. Steigende Löhne im Zusammenspiel mit gemäßigteren Teuerungsraten sorgten wohl weiterhin für eine günstige Einkommenssituation der privaten Haushalte. Gleichwohl sank das Verbrauchervertrauen im Verlauf des ersten Quartals spürbar. Vor allem die Erwartungen bezüglich der zukünftigen allgemeinen wirtschaftlichen Situation und der eigenen wirtschaftlichen Lage trübten sich merklich ein. In der Folge sank der Anteil der Haushalte, die aktuell größere Anschaffungen tätigen wollen.
Die Investitionstätigkeit expandierte zu Jahresbeginn allenfalls wenig. 15 Die Bauproduktion legte in den ersten beiden Monaten erneut zu, wohl weiterhin gestützt durch Infrastrukturmaßnahmen. Der Wohnungsbau scheint sich stabilisiert zu haben. Die Zahl der Baugenehmigungen stieg bis zum Ende des Vorjahres spürbar an. Die Ausrüstungsinvestitionen dürften hingegen gesunken sein. Nach dem starken Anstieg beim Erwerb von Transportmitteln vor dem Jahreswechsel scheint es hier eine Gegenbewegung gegeben zu haben. Die Inlandsumsätze der Produzenten von Kapitalgütern stiegen zudem im Januar und Februar preisbereinigt nur wenig. Die Aufwendungen für Informations- und Kommunikationstechnologien sowie für geistiges Eigentum dürften im Zuge des Digitalisierungstrends weiter zugelegt haben. Hierbei spielte wohl die zunehmende Nutzung von künstlicher Intelligenz eine Rolle (vgl. Exkurs "Nutzung von künstlicher Intelligenz im europäischen Ländervergleich").
Exkurs
Nutzung von künstlicher Intelligenz im europäischen Ländervergleich
Die raschen Fortschritte bei der künstlichen Intelligenz (KI) wecken Hoffnungen auf Impulse für die Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Arbeitsproduktivität. Dies gilt insbesondere für den Euroraum, in dem die Produktivitätsgewinne seit geraumer Zeit schwach ausfallen. 1 Spürbare Produktivitätseffekte setzen dabei voraus, dass KI im Unternehmenssektor auf breiter Front eingesetzt wird.
Eine Umfrage zur Nutzung von KI in deutschen, spanischen und italienischen Unternehmen liefert Einblicke in das Ausmaß der KI-Nutzung in drei großen Euro-Ländern. Ermöglicht wird der Ländervergleich durch eine Kooperation der Deutschen Bundesbank, der Banca d’Italia und der Banco de España, die 2024 im Rahmen ihrer repräsentativen Unternehmensbefragungen harmonisierte Fragen zur KI-Nutzung stellten. 2 Die Befragungen erfassen auch die Intensität der KI-Nutzung und heben sich damit wesentlich von anderen Erhebungen ab. 3
In deutschen Unternehmen war die KI-Nutzung 2024 laut Umfragen deutlich stärker ausgeprägt als in Spanien und Italien. Insgesamt gaben 47 % der deutschen Unternehmen an, KI bereits in umfangreichem, begrenztem oder experimentellem Umfang einzusetzen. In Spanien und Italien fiel die Gesamtnutzung mit 31 % beziehungsweise 13 % deutlich niedriger aus. Die umfangreiche Nutzung der Technologie war dabei in allen drei Ländern ähnlich gering. Die Unterschiede zwischen den Ländern bestehen vor allem bei der begrenzten und experimentellen KI-Nutzung. In Deutschland und Spanien nutzten 2024 deutlich mehr Unternehmen KI in begrenztem Maße (18 % beziehungsweise 11 %) als in Italien (6 %). Ein ähnliches Muster zeigt sich bei der experimentellen Nutzung, die in Deutschland und Spanien mit 25 % und 17 % die dominierende Nutzungsweise darstellte, in Italien mit 5 % hingegen deutlich niedriger ausfiel. Hierbei gilt es jedoch zu beachten, dass sich die Befragungszeiträume unterscheiden. Während italienische und deutsche Unternehmen in der ersten Jahreshälfte 2024 befragt wurden (in Italien von Februar bis Mai, in Deutschland von April bis Juni), fanden die Befragungen spanischer Unternehmen erst im November 2024 statt. Dies kann den länderübergreifenden Vergleich verzerren, da die KI-Adaption im Verlauf des Jahres 2024 weiter zugenommen haben dürfte. So gaben in Deutschland und Italien weitere 8 % der Unternehmen an, KI zwar noch nicht zu nutzen, ihren Einsatz aber bis zum Jahresende 2024 zu planen.
Weitere Umfrageergebnisse für einen breiteren Länderkreis stützen den Befund, dass die KI-Nutzung in Deutschland deutlich stärker als in Spanien oder Italien verbreitet ist. Die statistischen Ämter der EU-Mitgliedsländer erheben den Anteil der Unternehmen, die mindestens eine KI-Technologie einsetzen. 4 Dieser Wert entspricht für die drei oben betrachteten Euro-Länder weitgehend der Summe aus begrenzter und umfangreicher Nutzung. Die Ergebnisse der statistischen Ämter bestätigen die deutlich höhere KI-Nutzung in deutschen Unternehmen im Vergleich zu Spanien und Italien. Gleichwohl zählt Deutschland nicht zu den EU-Spitzenreitern. Im EU-Vergleich liegt Deutschland auf Rang neun, wobei insbesondere Unternehmen in den skandinavischen Ländern KI deutlich häufiger nutzen.
In der Gesamtschau zeigen die Umfragedaten für 2024, dass die KI-Nutzung in den Unternehmen sichtlich zunimmt. In allen EU-Ländern stieg die KI-Nutzung gegenüber 2023 zum Teil erheblich an. Gleichwohl besteht in vielen Ländern weiteres Nutzungspotenzial. Dass die Technologie noch vergleichsweise wenig intensiv genutzt wird, ist angesichts ihrer Neuheit wenig überraschend. Allerdings bedeutet dies auch, dass gesamtwirtschaftlich bedeutsame Produktivitätszuwächse aufgrund der Verbreitung von KI zumindest kurzfristig wenig wahrscheinlich sind.
Die Warenausfuhren in Drittländer legten laut Handelsstatistik kräftig zu. Der Anstieg war bei den Vorleistungen wohl besonders ausgeprägt. Auch die Exporte von Konsumgütern scheinen deutlich zugelegt zu haben. Die Ausfuhren von Investitionsgütern dürften dagegen nur leicht gestiegen sein. Nach Ländern gab es insbesondere bei den Exporten in die USA ein Plus. Die Ausfuhren in die Schweiz stiegen ebenfalls kräftig, die Exporte nach China und in das Vereinigte Königreich deutlich weniger stark. 16 Die schwungvollen Ausfuhren in die USA dürften auf Vorzieheffekte aufgrund der dortigen Zollankündigungen zurückgehen. Das betraf insbesondere Lieferungen von pharmazeutischen Produkten, vor allem aus Irland. Diese Transaktionen schlugen sich aber vermutlich nicht in vollem Umfang in der inländischen Wertschöpfung nieder, beispielsweise, wenn sie mit einem Abbau von Lagerbeständen einhergingen. Die Dienstleistungsexporte des Euroraums legten gemäß Zahlungsbilanzangaben in den ersten beiden Monaten des Jahres kräftig zu. Die Wareneinfuhren aus Drittländern stiegen preisbereinigt noch einmal merklich. Die Zuwächse waren über die Güterklassen hinweg wohl breit angelegt.
Im Verarbeitenden Gewerbe hellte sich die Lage etwas auf. Vor allem die Herstellung von Konsumgütern stieg im ersten Vierteljahr deutlich, aber auch die Erzeugung von Vorleistungen und von Kapitalgütern legte spürbar zu. Vermutlich im Zusammenhang mit den Vorzieheffekten im Handel mit den USA zog die Produktion von pharmazeutischen Erzeugnissen kräftig an. Die industrielle Kapazitätsauslastung erhöhte sich leicht, blieb aber unter ihrem langfristigen Durchschnitt. Laut Umfragen der Europäischen Kommission näherten sich die Einschätzung der Neuaufträge wieder dem langfristigen Durchschnitt an, insbesondere bei Investitionsgütern. Der Preisdruck auf der Erzeugerstufe nahm wieder zu. Die Erzeuger- und Importpreise stiegen im Vorjahresvergleich spürbar, vor allem da die Energiepreise im ersten Vierteljahr 2025 deutlich höher waren als im ersten Vierteljahr des Vorjahres.
In den Dienstleistungsbranchen ließ der Schwung zum Jahresbeginn etwas nach. Zwar setzte sich in der Informations- und Kommunikationsbranche sowie im Bereich Verkehr und Lagerei die spürbare Expansion fort. Der Tourismus scheint sich hingegen abgeschwächt zu haben. Die Geschäftstätigkeit im Gastgewerbe ging jedenfalls zuletzt zurück. Laut Umfragen der Europäischen Kommission belastete ein Mangel an Arbeitskräften die Dienstleistungsbranche. Zuletzt klagten die Unternehmen jedoch auch vermehrt über eine unzureichende Nachfrage.
Die Wirtschaftsleistung stieg im ersten Vierteljahr in den meisten Mitgliedsländern an, teilweise aber nur mäßig. Die Vorzieheffekte aufgrund verstärkter Exporte in die USA waren nur in wenigen Ländern des Euroraums bedeutsam, insbesondere in Irland. Wichtiger war wohl die sich schon länger abzeichnende Stabilisierung im Verarbeitenden Gewerbe und die Stärkung der Baukonjunktur in einigen Ländern. Die Eintrübung im Gastgewerbe schwächte die Expansion in den südlichen Ländern ab.
Die französische Wirtschaft blieb zu Jahresbeginn kraftlos. Das reale BIP legte laut der ersten Schätzung geringfügig um 0,1 % zu. Der private Verbrauch verlor weiter an Schwung und kam nicht über das Niveau des Vorquartals hinaus. Die Investitionen gingen erneut zurück, vor allem bei den Bauten und den Ausrüstungen. Die Exporte sanken ebenfalls, während die Importe anstiegen. Lediglich vom Lageraufbau ergab sich nach den bisherigen vorläufigen Angaben ein deutlich positiver Wachstumsbeitrag. Entstehungsseitig setzte sich der Rückgang der Wertschöpfung im Baugewerbe fort. Im Verarbeitenden Gewerbe gab es dagegen erstmals seit Ende 2023 wieder Zugewinne. Bei den Dienstleistern expandierte die Geschäftstätigkeit leicht.
In Italien legte die Wirtschaftsleistung im ersten Vierteljahr spürbar zu. Das reale BIP stieg vorläufigen Angaben zufolge um 0,3 %. Impulse kamen wohl von den Warenexporten, die von einer höheren Auslandsnachfrage und zollbedingten Vorzieheffekten profitierten. Darüber hinaus erholte sich die Binnennachfrage. Der private Verbrauch dürfte dank höherer real verfügbarer Einkommen gestiegen sein. Zudem verstärkte sich wohl die Investitionstätigkeit, insbesondere hinsichtlich Bautätigkeiten. Auch die industrielle Erzeugung legte zu. Die Aktivität der Dienstleister stagnierte hingegen.
Der Aufwärtstrend in Spanien hielt weiterhin an. Das reale BIP stieg laut der ersten Schätzung im Winterquartal 2025 um 0,6 %. Dabei blieb das Wachstum breit angelegt. Privater und öffentlicher Verbrauch sowie die Investitionstätigkeit legten zu. In der Folge stiegen die Einfuhren merklich, aber auch die Ausfuhren insbesondere von Diensten wurden ausgeweitet. Entstehungsseitig profitierte insbesondere die Produktion im Verarbeitenden Gewerbe. In den Bereichen der Dienstleistungen und der Bauwirtschaft nahm die Aktivität ebenfalls zu, die Wachstumsraten gaben jedoch im Vergleich zum Vorquartal nach.
In den übrigen Mitgliedsländern ergab sich ein gemischtes Bild. In Belgien, Litauen und Zypern stieg die Wirtschaftsleistung merklich. In den Niederlanden schwächte sich das Wachstum weiter ab. Ein kleines Plus gab es auch in Österreich, Finnland, der Slowakei und Estland. In Portugal sank das reale BIP, nach einem besonders kräftigen Anstieg im Vorquartal. In Slowenien ließ die gesamtwirtschaftliche Aktivität ebenfalls nach.
Die Lage am Arbeitsmarkt blieb zu Jahresbeginn insgesamt günstig, aber es mehren sich Zeichen für eine gewisse Eintrübung. Die Zahl der Beschäftigten stieg im ersten Quartal nochmals an, und die Arbeitslosenquote blieb auf dem Tiefstand von 6,2 %. Allerdings stieg die Zahl der Arbeitslosen etwas, vor allem in den größeren Ländern des Euroraums. Die Stimmung am Arbeitsmarkt trübte sich weiter ein. Die Beschäftigungserwartungen der Unternehmen sinken bereits seit mehreren Monaten, während die Arbeitslosigkeitserwartungen laut Verbraucherbefragung stiegen. Das Lohnwachstum dürfte sich im ersten Quartal 2025 weiter abschwächen und auf weniger als 4 % gegenüber dem Vorjahr gefallen sein.
Die Verbraucherpreise im Euroraum stiegen im ersten Vierteljahr 2025 etwas kräftiger an als zuvor. Der Harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI) erhöhte sich gegenüber dem Vorquartal saisonbereinigt um 0,8 % und damit etwas stärker als in den drei vorhergehenden Quartalen. Vor allem die Energiepreise stiegen erstmals wieder merklich, nachdem sie längere Zeit gesunken waren. Dienstleistungen verteuerten sich weiterhin kräftig und etwas stärker als noch im Herbst. Bei Nahrungsmitteln nahm der Preisauftrieb etwas ab, blieb aber moderat. Bei Industrieerzeugnissen ohne Energie verharrte er auf niedrigem Niveau.
Im Vorjahresvergleich zog die Inflationsrate wieder leicht auf 2,3 % an. Das lag vor allem an den Energiepreisen, deren Beitrag zur Inflationsrate im Gegensatz zu den letzten beiden Quartalen nicht mehr negativ war. In den anderen Bereichen schwächte sich der Preisauftrieb dagegen geringfügig ab (Dienstleistungen, Nahrungsmittel) oder blieb moderat (Industrieprodukte ohne Energie). Bei den Waren ohne Energie dürfte der Disinflationsprozess größtenteils abgeschlossen sein. Die Teuerung im Dienstleistungsbereich war dagegen mit 3,7 % weiterhin hoch. Entsprechend lag die Kerninflationsrate ohne Energie und Nahrungsmittel mit 2,6 % immer noch deutlich über dem Mittelwert der letzten 25 Jahre, obwohl sie zum zweiten Mal in Folge gesunken war.
Im April 2025 verharrte die Inflationsrate bei 2,2 %. Der Preisauftrieb bei Dienstleistungen verstärkte sich merklich, vor allem wegen höherer Reisepreise im Zusammenhang mit Ostern. Dies wirkte dem spürbaren Rückgang der Energiepreise entgegen, die der Abwärtsbewegung an den internationalen Rohstoffmärkten folgten. Industriegüter ohne Energie und Nahrungsmittel verteuerten sich im Einklang mit ihren längerfristigen Mittelwerten. Die Kerninflationsrate (ohne Energie und Nahrungsmittel), die im März auf 2,4 % gesunken war, stieg durch die höhere Teuerung im Dienstleistungsbereich wieder merklich auf 2,7 % an.
Der Inflationsausblick für den Euroraum unterliegt erhöhter Unsicherheit. Die Energierohstoffpreise fielen zuletzt stark. Dazu trugen unter anderem Nachfragesorgen aufgrund der Handelspolitik der US-Regierung bei. Zugleich wertete der US-Dollar in der Tendenz gegenüber dem Euro ab. Ob es sich bei diesen Entwicklungen nur um kurzfristige Schwankungen oder um nachhaltige Änderungen handelt, bleibt abzuwarten. Grundsätzlich dämpfen niedrigere Energierohstoffpreise und ein höherer Außenwert des Euro gegenüber dem US-Dollar die Inflationsrate vor allem im Bereich der Energie und der Industriegüter ohne Energie. Andererseits könnte ein eskalierender Zollstreit mit Gegenzöllen der EU auf Importe aus den USA den Preisauftrieb auf den vorgelagerten Stufen verstärken. Außerdem sind die Maße der zugrunde liegenden Inflation weiterhin etwas erhöht, was auf noch anhaltende Aufwärtsrisiken hindeutet. 17 Der Disinflationsprozess bei den Dienstleistungen erscheint grundsätzlich intakt. Hierzu tragen nachlassende Lohnsteigerungen und die verzögerte Wirkung der restriktiven Geldpolitik bei. Allerdings verstärkte sich im April der Preisauftrieb bei Dienstleistungen überraschend. Daher gilt es, gerade in diesem Bereich die Preisentwicklung genau zu beobachten.
Für das laufende Quartal zeichnet sich im Euroraum eine Abschwächung des BIP-Wachstums ab. Bei den Ausfuhren könnte es in Erwartung weiterer Zollanhebungen nochmals Vorzieheffekte geben. Früher oder später dürfte es hier aber zu Gegenbewegungen kommen. Seit Jahresbeginn stieg zudem die Unsicherheit über die künftige Außenhandelspolitik und die allgemeine wirtschaftspolitische Ausrichtung in den USA und deren Folgen beträchtlich an. Untersuchungen zeigen, dass ein dauerhafter Anstieg der Unsicherheit insbesondere die Investitionstätigkeit spürbar beeinträchtigen könnte (siehe Exkurs „Zu den gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen erhöhter Unsicherheit“). Dazu passt, dass sich die Produktionserwartungen im Verarbeitende Gewerbe trotz günstigerer Auftragslage wieder verschlechterten. Zusätzlich trübte sich der Ausblick bei den Dienstleistern ein. Der private Verbrauch dürfte angesichts schwächer steigender Realeinkommen und hoher Unsicherheit langsamer ausgeweitet werden. Das Verbrauchervertrauen fiel jedenfalls seit Februar wieder weiter unter seinen langfristigen Durchschnitt. Unterstützend dürften dagegen die gelockerten Finanzierungsbedingungen und die gesunkenen Rohstoffpreise wirken. Von den angekündigten Ausgabenprogrammen für Verteidigung und Infrastruktur sind zwar erst mittelfristig spürbare direkte Wachstumsimpulse zu erwarten, sie können aber bereits im laufenden Jahr zur Stabilisierung der Erwartungen beitragen. Alles in allem dürfte die Wirtschaftsleistung im Euroraum im laufenden und im kommenden Quartal nur wenig expandieren.
In diesem Beitrag wurden Daten bis zum 20. Mai 2025, 11:00 Uhr berücksichtigt.
Bernard, S., L. de Greef, I. Hurst, A. I. Kaya, I. Liadze und B. Naisbitt (2024), The Effects of Higher US Tariffs, National Institute of Economic and Social Research, Global Economic Outlook Topical Feature, Oktober 2024, S. 64 – 77.