Distributional Wealth Accounts: zeitnahe Daten zur Vermögensverteilung der privaten Haushalte Monatsbericht – April 2024
Monatsberichtsaufsatz
Mit der verteilungsbasierten Vermögensbilanz der privaten Haushalte in Deutschland ist seit Anfang des Jahres ein neuer experimenteller Datensatz verfügbar: Er kombiniert die Daten aus der Vermögensbefragung der Bundesbank „Private Haushalte und ihre Finanzen“ mit den vierteljährlichen Angaben der gesamtwirtschaftlichen Vermögensbilanzen im Rahmen der Finanzierungsrechnung. Der neue Datensatz verfügt im Vergleich zur komplexen und aufwändigen Haushaltsbefragung über einen merklichen Vorteil bei der zeitlichen Bereitstellung und enthält im Gegensatz zu den gesamtwirtschaftlichen Vermögensbilanzen wertvolle Verteilungsinformationen. Somit ermöglicht er auf Quartalsbasis vielversprechende Untersuchungen auf Ebene der einzelnen Haushalte, unter anderem auch zu geldpolitischen Fragestellungen.
Mit Blick zum Beispiel darauf, ob und gegebenenfalls wie die Vermögensverteilung die Wirkung der Geldpolitik beeinflusst, zeigen die Angaben der verteilungsbasierten Vermögensbilanz, wie unterschiedlich bestimmte Haushaltstypen mit ihren Konsumentscheidungen auf die Geldpolitik reagieren. Denn die Haushalte unterscheiden sich nicht zuletzt in ihren Spar- und Finanzierungsmöglichkeiten: Eine Verschiebung des Gegenwartskonsums in die Zukunft als Folge einer geldpolitisch induzierten Zinserhöhung spielt hauptsächlich für Sparer-Haushalte eine Rolle, die ihr Vermögen überwiegend in liquiden Anlagen halten. Für Haushalte mit tendenziell eingeschränkten Sparmöglichkeiten hingegen ist vor allem relevant, wie eine Zinserhöhung ihre Einkommens- und Beschäftigungsaussichten beeinflusst. Welcher dieser Effekte für den einzelnen Haushalt dominiert, hängt somit von seinen individuellen Spar- und Finanzierungsmöglichkeiten ab.
Änderungen in der Verteilung und der Struktur des Vermögens könnten somit die Wirksamkeit der Geldpolitik beeinflussen. Daher ist es bei der Analyse geldpolitischer Maßnahmen grundsätzlich sinnvoll, die individuellen Vermögensstrukturen und damit einhergehende Unterschiede zwischen den privaten Haushalten stärker in den Blick zu nehmen und ihre Veränderung im Zeitablauf zu erfassen. Deshalb wird die Bundesbank zukünftig die vierteljährliche verteilungsbasierte Vermögensbilanz erstellen und nutzen. Veränderungen in den Vermögensverhältnissen der privaten Haushalte und mögliche Folgen für die Transmission der Geldpolitik, aber auch für Aspekte der Finanzstabilität, können damit schneller erkannt werden.
1 Einleitung
Seit Beginn des Jahres 2024 veröffentlicht die Bundesbank über ihre Homepage nun regelmäßig einen neuen Datensatz, mit dem sich die Vermögenssituation einzelner Haushalte im vierteljährlichen Rhythmus untersuchen lässt. Diese neue experimentelle Statistik – die verteilungsbasierte Vermögensbilanz (Distributional Wealth Accounts, DWA) – kombiniert zwei Datenperspektiven: die Informationen aus der Vermögensbefragung der Bundesbank (Private Haushalte und ihre Finanzen, PHF) und die vierteljährlichen Angaben der gesamtwirtschaftlichen Vermögensbilanzen. 1 Der neue Datensatz ist merklich zeitnäher und häufiger verfügbar als die Haushaltsbefragung und enthält im Gegensatz zu den gesamtwirtschaftlichen Vermögensbilanzen wertvolle Verteilungsinformationen. Er ist das Ergebnis mehrjähriger gemeinsamer Entwicklungsarbeit durch Expertinnen und Experten des Europäischen Systems der Zentralbanken. Diese ist nun so weit vorangeschritten, dass mit Beginn dieses Jahres der Datensatz der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde und seitdem regelmäßig über die Website der Bundesbank sowie über das Datenportal der Europäischen Zentralbank publiziert und aktualisiert wird. 2
Der neue Datensatz ermöglicht vielfältige Analysen, unter anderem auch zu geldpolitischen Fragestellungen. Darüber hinaus liefern Verteilungsinformationen Antworten auf Fragen der Finanzstabilität (siehe hierzu auch Exkurs zur Finanzstabilitätsanalyse mit der verteilungsbasierten Vermögensbilanz). So können aus diesen Angaben zum Beispiel wertvolle Erkenntnisse darüber gewonnen werden, inwieweit wirtschaftliche Entwicklungen bestimmte Haushalte besonders betreffen und in welchem Maße dies möglicherweise auf die Finanzstabilität oder die Geldpolitik zurückwirkt. So illustrieren die Angaben der verteilungsbasierten Vermögensbilanz, wie unterschiedlich bestimmte Haushaltstypen mit ihren Konsumentscheidungen auf die Geldpolitik reagieren. Die Reaktionen der Haushalte hängen hierbei zum Beispiel stark davon ab, inwieweit sie durch Nutzung ihrer Ersparnisse unerwartete Einkommensverluste ausgleichen können. Insofern ist es bei der Analyse geldpolitischer Maßnahmen grundsätzlich hilfreich, die finanziellen Unterschiede zwischen den privaten Haushalten im Blick zu haben. Aus Perspektive der Geldpolitik ist darüber hinaus die zeitnahe vierteljährliche Bereitstellung der verteilungsbasierten Vermögensbilanz von besonderem Wert. Hierdurch können Analysen auf Ebene einzelner Haushalte im vierteljährlichen Rhythmus durchgeführt werden. Veränderungen in der Vermögensverteilung und in den Vermögensstrukturen sowie mögliche Folgen für die Transmission der Geldpolitik werden somit schneller sichtbar.
Die verteilungsbasierte Vermögensbilanz erlaubt die Identifikation relevanter heterogener Entwicklungen, die in Aggregaten typischerweise verborgen bleiben. Der vorliegende Aufsatz stellt zunächst die verteilungsbasierte Vermögensbilanz der privaten Haushalte in Deutschland vor und umreißt dann, wie sich die Vermögensverteilung seit 2009 entwickelt hat. Zudem wird beispielhaft verdeutlicht, wie mithilfe dieses neuen Datensatzes die Transmission der Geldpolitik auf Ebene einzelner Haushalte bis an den aktuellen Rand sichtbar gemacht werden kann und wie dabei die Übertragung geldpolitischer Impulse von den individuellen Vermögensverhältnissen abhängt. Dabei sind die jüngeren Angaben mit etwas höherer Unsicherheit behaftet. Denn sie werden ermittelt, indem am aktuellen Datenrand die instrumentenspezifischen Verteilungen der letzten verfügbaren Haushaltsbefragung aus dem Jahr 2021 mit aggregierten Angaben extrapoliert werden. 3 So betrachtet ist es außerordentlich wichtig, auch künftig Haushaltsbefragungen regelmäßig durchzuführen, um tiefgreifende strukturelle Änderungen in der Erstellung der verteilungsbasierten Vermögensbilanz angemessen berücksichtigen zu können. Insgesamt ergeben sich folgende Erkenntnisse:
Die verteilungsbasierte Vermögensbilanz bietet höherfrequente und zeitnahe Verteilungsinformationen für verschiedene Vermögenspositionen und Verbindlichkeiten der Privathaushalte in Deutschland.
Mit der verteilungsbasierten Vermögensbilanz können Analysen auf Ebene einzelner Haushalte im vierteljährlichen Rhythmus durchgeführt werden. Unterschiede in der Entwicklung der Vermögen zwischen den privaten Haushalten werden dadurch schneller sichtbar.
Theorie und Empirie deuten darauf hin, dass die Verteilung und die Struktur des Vermögens die Wirkungsweise und -stärke geldpolitischer Maßnahmen beeinflussen können.
Zwar ist vorstellbar, dass wegen veränderter Spar- und Finanzierungsmöglichkeiten der privaten Haushalte die geldpolitische Straffung zu einer stärkeren Konsumreaktion als früher führt. Die vorliegende Analyse der Vermögensstrukturen in Deutschland liefert dafür derzeit aber keine Anhaltspunkte.
2 Die verteilungsbasierte Vermögensbilanz
Die verteilungsbasierte Vermögensbilanz verknüpft Einzeldaten mit gesamtwirtschaftlichen Statistiken. Hierbei fußt sie im Wesentlichen auf zwei unterschiedlichen Statistiken: Zum einen werden die Angaben der Vermögensbefragung der Bundesbank (PHF-Studie) berücksichtigt, welche die individuellen finanziellen Verhältnisse der Privathaushalte in Deutschland widerspiegelt, zum anderen die Quartalsangaben der gesamtwirtschaftlichen Vermögensbilanzen. Obwohl beide Statistiken ein ganz ähnliches Ziel verfolgen – nämlich die Vermögenssituation der Haushalte zu beschreiben –, existiert eine erhebliche Lücke in der Vermögenserfassung zwischen den aggregierten Einzelangaben der PHF-Studie (hochgerechnet) und den gesamtwirtschaftlichen Angaben. Ein wesentlicher Faktor hierbei ist, dass die PHF-Studie sehr vermögende Haushalte nur unzureichend erfasst. Während die gesamtwirtschaftliche Vermögensbilanz im Rahmen einer Vollerhebung aggregierte Informationen zu Vermögenshöhe und -struktur des Haushaltssektors bereitstellt, sind die sehr reichen Haushalte in den realisierten Stichproben der Vermögensbefragung typischerweise nicht hinreichend repräsentiert. Vor diesem Hintergrund beschäftigen sich seit dem Jahr 2015 Expertinnen und Experten des Europäischen Systems der Zentralbanken in verschiedenen Arbeitsgruppen damit, die Angaben der Haushaltsbefragungen innerhalb eines konsistenten Analyserahmens sinnvoll mit den gesamtwirtschaftlichen Vermögensbilanzen des Haushaltssektors zu kombinieren, um diese Datenlücken zu schließen. 4 Der resultierende Datensatz bietet wertvolle Informationen aus der Kombination beider Statistiken: Er berücksichtigt die Verteilungsinformationen aus der Vermögensbefragung sowie die vierteljährliche Dynamik und die Niveauangaben der gesamtwirtschaftlichen Vermögensbilanzen für den Zeitraum seit 2009. Dabei ordnet die verteilungsbasierte Vermögensbilanz Haushalte nach der Höhe ihres Nettovermögens und schlüsselt dieses nach folgenden Anlageformen und Verbindlichkeiten auf: Einlagen, Schuldverschreibungen, börsennotierte Aktien, Anteile an Investmentfonds, Versicherungsansprüche (Lebensversicherungen und private Altersvorsorge), finanzielles und nichtfinanzielles Betriebsvermögen, Immobilien sowie Verbindlichkeiten in Form von Wohnungsbaukrediten und übrigen Krediten. Das Nettovermögen eines Haushalts wird schließlich als Differenz zwischen der Summe aller Anlageformen und den Verbindlichkeiten abgebildet. Zu beachten ist dabei insbesondere, dass Ansprüche an gesetzliche Alterssicherungssysteme unberücksichtigt bleiben. Diese Vermögensformen werden bis dato weder in der Finanzierungsrechnung noch in der Vermögensbefragung umfassend abgebildet.
Das mittlere Nettovermögen ist seit dem Jahr 2009 deutlich angestiegen. So hat sich auf Basis der neuen Statistik der Median, also die Mitte der Nettovermögensverteilung, im Beobachtungszeitraum fast verdoppelt und stieg von knapp 54 000 € auf etwa 103 000 € an (siehe Schaubild 2.1). Gleichzeitig sind hierbei die Nettovermögen insbesondere in der vermögensärmeren Hälfte besonders kräftig gewachsen – wenn auch von einem äußerst geringen Niveau ausgehend. 5 Dadurch ist der Anteil der vermögensärmeren Hälfte der Verteilung am gesamten Nettovermögen aller Privathaushalte in Deutschland im Vergleich zu den 10 % der vermögendsten Haushalte (oberes Dezil, "Top 10 %") stärker gewachsen (siehe Schaubild 2.1). Ebenso deutet der zeitliche Verlauf des Gini-Koeffizienten – ein Maß für die Ungleichverteilung der Nettovermögen – auf einen leichten Rückgang der Vermögensungleichheit insbesondere seit dem Jahr 2014 hin (siehe Schaubild 2.2). 6 Gleichwohl scheint sich dieser Rückgang am aktuellen Rand vorerst nicht weiter fortzusetzen, und der Anteil der vermögensärmeren Haushalte am Gesamtvermögen ist seit 2022 wieder gesunken (siehe Schaubild 2.1). Diese Entwicklung muss auch vor dem Hintergrund der jüngst hohen Inflationsraten, der damit verbundenen geldpolitischen Straffung sowie des verhaltenen Wirtschaftswachstums gesehen werden (siehe auch Ausführungen zur aktuellen Entwicklung der Nettovermögen der privaten Haushalte).
Insgesamt bleibt die Vermögensungleichheit in Deutschland aber recht hoch – auch im internationalen Vergleich. Gemäß der verteilungsbasierten Vermögensbilanz für den Euroraum bewegen sich die Gini-Koeffizienten der einzelnen Mitgliedsländer in einem Bereich von 56 % bis 77 %. Dabei rangiert Deutschland mit einem Wert von knapp 77 % am oberen Rand (siehe Schaubild 2.2). Bei einem Ländervergleich ist allerdings zu beachten, dass das zugrunde liegende Vermögenskonzept der verteilungsbasierten Vermögensbilanz die Ansprüche an gesetzliche Alterssicherungssysteme nicht berücksichtigt. Entsprechende Berechnungen für Deutschland zeigen, dass die Nettovermögensungleichheit bei Berücksichtigung der gesetzlichen Altersvorsorge deutlich geringer ausfällt als ohne Einbeziehung. 7
Exkurs
Zur aktuellen Entwicklung der Nettovermögen privater Haushalte
Die Informationen aus der verteilungsbasierten Vermögensbilanz ermöglichen es, unterschiedliche Anlageformen und Verbindlichkeiten auf Ebene einzelner Haushalte und somit auch verschiedener Haushaltsgruppen detailliert zu betrachten. Hierbei zeigt sich, dass die Vermögensungleichheit seit Ende des Jahres 2022 wieder leicht zugenommen hat. Grund hierfür ist, dass sich die Nettovermögen der vermögensärmeren Haushalte zuletzt zum Teil anders entwickelt haben als jene der vermögenderen Haushalte. Dies wiederum liegt vor allem an der unterschiedlichen Zusammensetzung des Nettovermögens und an der unterschiedlichen Entwicklung seiner Komponenten: Finanzportfolio, Immobilienvermögen, Betriebsvermögen und Verbindlichkeiten. Das Schaubild 2.3 zeigt das jährliche Wachstum entlang der Nettovermögensverteilung seit dem vierten Quartal 2021 für vier Gruppen von Haushalten: das oberste Prozent der Verteilung (Top 1 %), die nächsten 9 % der Verteilung (90 % bis 99 %), die darauffolgenden 40 % (50 % bis 90 %) sowie die gesamte untere Hälfte der Vermögensverteilung (0 % bis 50 %). Die Beiträge des Finanzportfolios, des Immobilienvermögens, des Betriebsvermögens und der Verbindlichkeiten werden jeweils aggregiert dargestellt. Das Nettovermögen ergibt sich als Differenz zwischen der Summe der Beiträge aller Anlageformen und den Verbindlichkeiten.
Seit Ende 2021 ist das Wachstum der Nettovermögen über alle Vermögensgruppen hinweg stark rückläufig. Besonders die Wachstumsrate des Nettovermögens der vermögensärmeren Hälfte fiel relativ stark. Hauptgrund ist, dass aufgrund von Bewertungsänderungen die Versicherungsansprüche kräftig zurückgegangen sind. 1 Gleichzeitig sanken für diese Vermögensgruppe die Verbindlichkeiten, was wiederum seit Anfang 2023 das Nettovermögen stützte. Ebenfalls stützend wirkte zuletzt die kräftige Zunahme von Einlagen. Die Wachstumsraten für die beiden Gruppen der oberen Mitte der Verteilung (50 % bis 90 % und 90 % bis 99 %) zeigen insgesamt ein gleichlaufendes Muster. Für beide Gruppen sind die niedrigeren Wachstumsraten des Nettovermögens größtenteils auf einen bewertungsbedingten Rückgang des Immobilienvermögens zurückzuführen. Zudem dämpften ein phasenweiser Rückgang der Bestände an börsennotierten Aktien sowie an Investmentfondsanteilen die Wachstumsrate des Nettovermögens.
Die Wachstumsrate des Nettovermögens des vermögendsten Prozents der Verteilung fiel ähnlich stark wie die Wachstumsrate der vermögensärmeren Hälfte. Hier wirkte ein deutlicher Rückgang der Bestände an kapitalmarktbasierten Anlageformen sowie an Immobilienvermögen zunächst dämpfend. Seit Anfang 2023 haben die Bestände an Schuldverschreibungen und Investmentfondsanteilen jedoch spürbar zugenommen, sodass die Entwicklung des Finanzportfolios zuletzt zu einem deutlichen bewertungsbedingten Anstieg des Nettovermögens beitrug.
Während die Ungleichheit der Nettovermögen bis 2021 insgesamt leicht rückläufig war, stieg sie seit Ende 2022 wieder leicht an. Dies liegt vor allem daran, dass insbesondere die vermögenderen Haushalte zuletzt stark von positiven Bewertungsänderungen risikobehafteter Anlageformen, wie etwa börsennotierter Aktien und Investmentfondsanteilen, profitierten. Daneben dürften auch die negativen Bewertungsänderungen des Immobilienvermögens tendenziell die Vermögensungleichheit zusätzlich erhöht haben. 2 Erst die Informationen aus der verteilungsbasierten Vermögensbilanz ermöglichen hierbei einen genauen Blick auf die Rolle unterschiedlicher Anlageformen und Verbindlichkeiten in der Entwicklung der Nettovermögen verschiedener Haushaltsgruppen.
3 Eine disaggregierte Betrachtung der Vermögensverhältnisse aus geldpolitischer Perspektive
Mit der verteilungsbasierten Vermögensbilanz lassen sich vielfältige Fragestellungen untersuchen, darunter auch für die Geldpolitik relevante Aspekte. So bestimmen die individuellen Vermögensverhältnisse und -strukturen beispielsweise die Konsumentscheidungen der unterschiedlichen Haushaltstypen in Reaktion auf die Geldpolitik. Solche Konsumeffekte lassen sich gemäß der theoretischen Literatur in direkte und indirekte Effekte unterteilen. 8 Während die direkten Effekte die unmittelbaren Reaktionen der Konsumausgaben auf ein verändertes Zinsumfeld umfassen, wirken die indirekten Effekte über das Zusammenspiel von Angebots- und Nachfrageveränderungen auf den unterschiedlichen Teilmärkten einer Volkswirtschaft. 9 Zu den direkten Wirkungen zählen der Substitutionseffekt sowie der Zinseinkommenseffekt über veränderte Zinseinnahmen und -ausgaben. Während die direkten Wirkungen mit einer unmittelbaren Konsumreaktion der privaten Haushalte einhergehen, handelt es sich bei den indirekten Effekten um allgemeine Gleichgewichtseffekte, die eine mittelbare Konsumreaktion zur Folge haben. In diesem Fall wirkt eine geldpolitisch induzierte Zinserhöhung zunächst auf das allgemeine Gleichgewicht, was dann individuelle Anpassungen der Konsumausgaben auslöst. Hierzu gehören etwa Beschäftigungseffekte, Realwerteffekte des Nominalvermögens und Bewertungsänderungen bei Vermögenspreisen.
Die Bedeutung der verschiedenen Effekte für die Konsumentscheidungen der einzelnen Haushalte hängt von den individuellen Vermögensverhältnissen ab. Um die Relevanz der einzelnen Übertragungswege geldpolitischer Impulse besser einordnen zu können, nutzt die theoretische Literatur die folgende Klassifizierung der Haushalte: 10
Vermögensarme liquiditätsbeschränkte Haushalte: Diese Haushalte verfügen nicht über ein nennenswertes Nettovermögen. Ihr Haushaltseinkommen fließt nahezu vollständig in den Konsum. Einkommensschwankungen führen wegen nur geringer liquider Mittel unmittelbar zu Konsumschwankungen. 11 Sie können infolge der Liquiditätsbeschränkung typischerweise ihren Konsum nicht über die Zeit optimieren. Dies wiederum impliziert, dass Substitutionseffekte in diesem Fall irrelevant sind: Unerwartete Einkommensverluste zum Beispiel erfordern einen entsprechenden Konsumverzicht. Da diese Haushalte auch nicht über einen nennenswerten Aktien- und Immobilienbesitz verfügen, sind letztlich auch Vermögenspreiseffekte für sie unbedeutend.
Vermögende liquiditätsbeschränkte Haushalte: Diese Haushalte haben kaum Liquiditätspuffer, verfügen aber über ein nennenswertes, wenngleich illiquides Nettovermögen – typischerweise in Form von Immobilien oder Betriebsvermögen. Aufgrund der Liquiditätsbeschränkung sind für diese Haushalte Substitutionseffekte ebenfalls unbedeutend, allerdings sind für sie Vermögenspreiseffekte relevant.
Nicht liquiditätsbeschränkte Haushalte: Diese Haushalte sind dadurch gekennzeichnet, dass sie zum einen ein Nettovermögen besitzen und zum anderen über Liquiditätspolster verfügen. Daher sind für sie prinzipiell alle Effekte von Bedeutung, insbesondere auch die Substitutionseffekte. Dieser Haushaltstyp richtet seine Konsumentscheidungen gemäß der ökonomischen Theorie am permanenten Einkommen aus, das heißt, er reagiert nicht sehr stark auf temporäre Einkommensveränderungen, sondern gleicht sie mit seiner Ersparnis aus.
Die verteilungsbasierte Vermögensbilanz kann genutzt werden, um zu bestimmen, welche Rolle die drei verschiedenen Haushaltstypen in Abhängigkeit ihrer individuellen Spar- und Finanzierungsmöglichkeiten spielen. Auf Ebene der einzelnen Haushalte können nun – statt bisher im drei- bis vierjährigen Rhythmus der Vermögensbefragung – die individuellen Vermögensverhältnisse in einer vierteljährlichen Frequenz betrachtet werden. Hierdurch kann dann näherungsweise jeder Haushalt einem der drei Haushaltstypen zugeordnet werden, das heißt vermögensarme und vermögende liquiditätsbeschränkte Haushalte sowie nicht liquiditätsbeschränkte Haushalte. Die vierteljährliche Betrachtung erlaubt dabei eine Analyse bis nahe an den aktuellen Rand, wodurch frühzeitig Veränderungen in den Vermögensstrukturen berücksichtigt und auch mögliche Folgen für die geldpolitische Transmission aufgedeckt werden können. Die Zuordnung erfolgt primär anhand der individuellen Bestände an liquidem und illiquidem Nettovermögen. 12 13 Hierbei verfügen vermögensarme liquiditätsbeschränkte Haushalte definitionsgemäß über kein liquides und illiquides Nettovermögen. 14 Vermögende liquiditätsbeschränkte Haushalte unterscheiden sich von den vermögensarmen liquiditätsbeschränkten Haushalten lediglich dadurch, dass sie per Definition über ein entsprechendes positives illiquides Nettovermögen verfügen. Die übrigen Haushalte, die von diesen Kriterien nicht erfasst werden, werden schließlich als nicht liquiditätsbeschränkt klassifiziert.
Mit Blick auf das liquide und illiquide Nettovermögen der Haushalte sind deutliche Unterschiede zu erkennen. Die nicht liquiditätsbeschränkten Haushalte verfügen im Vergleich zu den liquiditätsbeschränkten Haushalten jeweils über ein beträchtliches liquides und illiquides Nettovermögen – der Mittelwert liegt bei 127 000 € beziehungsweise 354 000 €. Vermögende liquiditätsbeschränkte Haushalte verfügen im Mittel ebenfalls über ein vergleichsweise hohes illiquides Nettovermögen (251 000 €). Gleichzeitig können sie jedoch definitionsgemäß wie die vermögensarmen liquiditätsbeschränkten Haushalte kein positives liquides Nettovermögen vorweisen. Die vermögensarmen liquiditätsbeschränkten Haushalte besitzen zudem per Annahme kein illiquides Nettovermögen (siehe hierzu auch Schaubild 2.4).
Das Immobilienvermögen stellt eine zentrale Vermögenskomponente der vermögenden liquiditätsbeschränkten sowie der nicht liquiditätsbeschränkten Haushalte dar (siehe Schaubild 2.5). Es fällt dabei für beide Haushaltstypen im Mittel ähnlich groß aus. Darüber hinaus befindet sich jeweils ein umfangreiches Betriebsvermögen in den Händen dieser Haushalte. Es umfasst sowohl finanzielles als auch nichtfinanzielles Betriebsvermögen; den größten Teil macht dabei das finanzielle Betriebsvermögen aus, das heißt Unternehmensbeteiligungen in Form nicht börsennotierter Aktien und sonstiger Anteilsrechte. Nennenswerte Bestände an börsennotierten Aktien und Investmentfondsanteilen halten lediglich die nicht liquiditätsbeschränkten Haushalte. Vermögensarme liquiditätsbeschränkte Haushalte besitzen keine der drei hier genannten Vermögensarten.
Mit Blick auf mögliche Zinsänderungsrisiken, also Zinseinkommenseffekte über veränderte Zinseinnahmen und -ausgaben, treten ebenfalls deutliche Unterschiede zutage. Aus bilanzieller Perspektive ergibt sich das zinssensitive Vermögen als Differenz zwischen fällig werdenden Aktiva und Passiva zuzüglich des Zuflusses an Haushaltsersparnissen. 15 Demnach sehen sich insbesondere vermögende liquiditätsbeschränkte Haushalte deutlich negativen Zinsänderungsrisiken ausgesetzt: Sie haben ein mittleres zinssensitives Nettovermögen von rund ‑ 40 900 €, sodass ihr Nettovermögen durch steigende Zinsen für sich genommen sinkt. Im Vergleich hierzu fallen die Zinsänderungsrisiken der vermögensarmen liquiditätsbeschränkten Haushalte zwar auch negativ, aber bei einem zinssensitiven Nettovermögen von etwa ‑ 8 800 € deutlich geringer aus. Das entsprechende Zinsänderungsrisiko der nicht liquiditätsbeschränkten Haushalte ist bei einem zinssensitiven Nettovermögen von rund 87 100 € deutlich positiv. Diese Unterschiede implizieren letztlich für sich genommen, dass sich im Falle eines Zinsanstiegs bei den liquiditätsbeschränkten Haushalten vor allem steigende Zinsausgaben bemerkbar machen; die nicht liquiditätsbeschränkten Haushalte können hingegen tendenziell steigende Zinseinnahmen vorweisen.
Unerwartete Anstiege des allgemeinen Preisniveaus entlasten über Realwertänderungen des Nominalvermögens vor allem liquiditätsbeschränkte Haushalte. Das Netto-Nominalvermögen fällt für die vermögenden liquiditätsbeschränkten Haushalte deutlich negativ aus (‑ 62 200 €). 16 Vermögensarme liquiditätsbeschränkte Haushalte weisen im Mittel hingegen ein wesentlich geringeres negatives Netto-Nominalvermögen in ihrer Bilanz aus (‑ 12 300 €). Demgegenüber verfügen die nicht liquiditätsbeschränkten Haushalte über ein spürbar positives Netto-Nominalvermögen (48 800 €). Folge dieser abweichenden Netto-Nominalpositionen ist, dass ein unerwarteter Preisniveauanstieg bei den nicht liquiditätsbeschränkten Haushalten mit realen Bewertungsverlusten einhergeht. Vermögende liquiditätsbeschränkte Haushalte erzielen wiederum durch die reale Entwertung ihrer nominalen Verbindlichkeiten Bewertungsgewinne in realer Rechnung.
Exkurs
Finanzstabilitätsanalyse mit der verteilungsbasierten Vermögensbilanz
Zur laufenden Bewertung von Risiken für die Finanzstabilität aus der Verschuldung des deutschen Haushaltssektors betrachtet die Bundesbank verschiedene Indikatoren. Bisher lag bei der Einschätzung der finanziellen Verwundbarkeiten der Fokus häufig auf aggregierten Kennzahlen aus der Finanzierungsrechnung. 1 Die Daten der verteilungsbasierten Vermögensbilanz ermöglichen nun eine granulare Analyse der finanziellen Situation des Haushaltssektors, also für einzelne Gruppen von Haushalten oder Kreditnehmertypen. So erlaubt es die Statistik zum Beispiel, die finanzielle Situation spezifisch für Immobilieneigentümer zu erfassen. Außerdem lässt sich die Verteilung der Verschuldung im Haushaltssektor betrachten und damit der Anteil der Haushalte mit hoher Verschuldung sowie deren Verschuldungsgrad bestimmen. Dies ist bei der Analyse von möglichen finanziellen Verwundbarkeiten im Haushaltssektor wichtig.
Eine wichtige Kennzahl der finanziellen Verwundbarkeit von Haushalten ist das Verhältnis aus liquidem Vermögen und Schulden. Dieser Indikator dient dazu, Risiken aus Liquiditätsengpässen zu identifizieren. Sollten Kreditnehmer unerwartete Einkommensverluste erleiden, könnten sie bei nur geringem liquiden Vermögen Schwierigkeiten haben, Zinsen und Tilgung rechtzeitig zu bedienen, ohne ihren Konsum stark einzuschränken. Das aggregierte Verhältnis von liquidem Vermögen zu Schulden aus der Finanzierungsrechnung gibt jedoch nur ein unvollständiges Bild der Liquiditätspuffer, weil dabei die Schulden der Kreditnehmer den liquiden Vermögen aller – also auch schuldenfreier – Haushalte gegenübergestellt werden.
Mit der verteilungsbasierten Vermögensbilanz können nun verschiedene Kreditnehmer analysiert werden, deren Vermögenssituation sich strukturell unterscheidet. Die Statistik ermöglicht es zum Beispiel, das Verhältnis von liquidem Vermögen zu Schulden separat für Immobilieneigentümer mit Immobilienschulden (Eigentümer) und Nichtimmobilieneigentümer mit Schulden (Mieter) zu analysieren. 2 Im Median haben Eigentümer ein liquides Vermögen in Höhe von 34 % ihrer Schulden (siehe Schaubild 2.6). Haushalte im dritten Quintil – welches den Medianhaushalt miteinschließt – haben dabei im Mittel Schulden in Höhe von rund 206 000 € und liquides Vermögen in Höhe von rund 71 000 €. Bei Mietern decken die liquiden Mittel im Median 52 % ihrer Schulden ab (siehe Schaubild 2.6). Sie haben ein deutlich geringeres liquides Vermögen von etwa 10 000 €, dem allerdings auch sehr viel niedrigere Schulden von rund 20 000 € gegenüberstehen. Neben dieser strukturellen Heterogenität von Eigentümern und Mietern zeigt die Statistik auch, dass bei rund 30 % der verschuldeten Haushalte das liquide Vermögen weniger als 15 % der Schulden abdecken würde (siehe Schaubild 2.6). Diese Haushalte dürften bei Verlusten ihres Einkommens vergleichsweise verwundbar sein. Zudem zeigt sich, dass Mieter ab dem 30. Perzentil über ein höheres liquides Vermögen relativ zu ihrer Verschuldung als Eigentümer verfügen. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass Eigentümer nicht nur durch die Bildung von liquidem Vermögen aktiv sparen, sondern auch, indem sie ihren Kredit tilgen und damit ihre Schulden reduzieren. Eine weitere mögliche Erklärung ist, dass der mittlere Eigentümer vermögender ist als der mittlere Mieter und dass vermögende Haushalte tendenziell stärker in illiquiden Kapitalanlagen sparen als weniger vermögende Haushalte.
Für die in der verteilungsbasierten Vermögenbilanz vorgenommene Extrapolation der individuellen Haushaltsangaben wird angenommen, dass sich Sparverhalten und Anlagepräferenzen der Haushalte über die Zeit nicht wesentlich ändern. 3 In einem Umfeld mit signifikanten Krisenphasen – etwa der unerwartet starke Anstieg der Energiepreise im Jahr 2022 und der hohen Inflation nach der Pandemie – dürfte diese Approximation mit einer größeren Unsicherheit behaftet sein. In solchen Krisenphasen könnten Kreditnehmertypen unterschiedlich betroffen sein und deshalb unterschiedlich reagieren, beispielsweise bezüglich ihres Sparverhaltens. Diese Reaktion zeitnah zu beobachten kann wichtige Hinweise auf mögliche Finanzstabilitätsrisiken geben. Beispielsweise könnte eine niedrigere Sparquote auf eine verminderte Widerstandsfähigkeit der privaten Haushalte hindeuten. Zeitnahe verfügbare monatliche Informationen aus der Bundesbank-Haushaltsumfrage BOP-HH (Bundesbank Online Panel – Haushalte) können die Informationen aus der verteilungsbasierten Vermögensbilanz hinsichtlich möglicher Anpassungen beim Sparverhalten ergänzen, sind dabei aber weniger granular.
Daten aus dem BOP-HH zeigen, dass die Sparquoten, als ein Indikator für das aktuelle Sparverhalten der Haushalte, ab dem Jahr 2021 bis Ende des Jahres 2022 bei beiden Gruppen gefallen sind (siehe Schaubild 2.7). 4 Der allgemeine Rückgang dürfte zunächst an Nachholeffekten im Zuge wiederkehrender Konsummöglichkeiten nach der Hochphase der Corona-Pandemie gelegen haben. Der Rückgang der Sparquoten bei den verschuldeten Eigentümern von Wohnimmobilien ist größer, nicht zuletzt, weil ihre Konsummöglichkeiten durch die Corona-Pandemie stärker eingeschränkt wurden. Zudem haben die Eigentümer höhere Einkommen und können dadurch leichter Ersparnisse bilden. 5 Im weiteren Verlauf dürften die steigenden Lebenshaltungskosten die Sparfähigkeit gedämpft haben. Hier ist der Rückgang jedoch bei den Mietern größer, die einen größeren Anteil ihres Einkommens für Lebenshaltungskosten ausgeben. 6 Erst mit Beginn des Jahres 2023 haben sich die Sparquoten dann wieder erhöht. Die Sparquoten verlaufen trotz der genannten Unterschiede insgesamt recht parallel und deuten damit nicht auf ein grundlegend verändertes Sparverhalten bei einer der beiden Gruppen von Haushalten hin.
4 Die Bedeutung der individuellen Vermögensverhältnisse aus dem Blickwinkel der geldpolitischen Transmission
Unterschiede in den Vermögensstrukturen gehen mit unterschiedlichen Konsumwirkungen infolge eines geldpolitischen Impulses einher. Im Rahmen eines einfachen Anwendungsbeispiels können mithilfe der Angaben der verteilungsbasierten Vermögensbilanz individuelle Konsumanpassungen in Reaktion auf eine geldpolitisch induzierte Zinserhöhung aufgedeckt werden. Vor dem Hintergrund der oben skizzierten Vermögensstrukturen kann mithilfe weiterer Annahmen – zum Beispiel zu individuellen und gesamtwirtschaftlichen Beschäftigungsreaktionen sowie gesamtwirtschaftlichen Preisreaktionen –, näherungsweise bestimmt werden, wie stark im Zusammenspiel der zuvor erläuterten direkten und indirekten Effekte ein Haushalt auf eine geldpolitisch induzierte Zinserhöhung reagiert. Darüber hinaus lässt sich ableiten, welcher der genannten Effekte, also Substitutions- oder Zinseinkommenseffekt sowie Beschäftigungs-, Realwert- oder Vermögenspreiseffekt, auf aggregierter Ebene quantitativ besonders bedeutend ist (siehe hierzu auch die Ausführungen zur Quantifizierung der Effekte einer geldpolitisch induzierten Zinserhöhung auf den Konsum der privaten Haushalte). Die Konsumwirkungen hängen dabei wesentlich von den individuellen Vermögensverhältnissen ab, die in der verteilungsbasierten Vermögensbilanz ausgewiesen werden (siehe Schaubild 2.8).
Direkte Konsumwirkungen infolge einer hypothetischen geldpolitisch induzierten Zinserhöhung sind primär bei den nicht liquiditätsbeschränkten und den vermögenden liquiditätsbeschränkten Haushalten zu beobachten. Mit Blick auf Substitutionseffekte ist festzustellen, dass diese die Konsumreaktionen der nicht liquiditätsbeschränkten Haushalte weitestgehend dominieren. Diese Haushalte reagieren also auf einen restriktiven geldpolitischen Impuls in einem hohen Maße mit einer Verschiebung des Gegenwartskonsums in die Zukunft; die übrigen Übertragungswege sind quantitativ betrachtet eher von untergeordneter Bedeutung. Konsumdämpfende Einkommenseffekte über direkte Veränderungen bei den Zinseinnahmen und -ausgaben sind vor allem bei den vermögenden liquiditätsbeschränkten Haushalten zu beobachten. Der Grund ist, dass diese Haushalte im Vergleich zu den vermögensarmen liquiditätsbeschränkten und den nicht liquiditätsbeschränkten Haushalten im Mittel ein relativ großes Gesamtvolumen bestehend aus entweder kurzfristigen oder variabel verzinsten Verbindlichkeiten in ihren Bilanzen ausweisen. 17
Indirekte Arbeitseinkommenseffekte zeigen sich vor allem bei den vermögensarmen liquiditätsbeschränkten Haushalten. Diese Wirkungen stellen für die vermögensarmen liquiditätsbeschränkten Haushalte zugleich den bedeutendsten Effekt dar. Im Falle einer hypothetischen geldpolitisch induzierten Zinserhöhung werden die Konsumausgaben dieser Haushalte maßgeblich durch die geldpolitisch ausgelösten Beschäftigungswirkungen getrieben.
Realwerteffekte des Nominalvermögens erscheinen insgesamt betrachtet eher von untergeordneter Bedeutung. Da der restriktive geldpolitische Impuls die gesamtwirtschaftliche Preisentwicklung dämpft, steigt der Realwert sowohl der nominalen Aktiva als auch der nominalen Passiva. Hieraus resultiert primär für die vermögenden liquiditätsbeschränkten Haushalte eine konsumdämpfende Wirkung, da diese Haushalte über ein merklich negatives Netto-Nominalvermögen verfügen. In diesem Fall überwiegt die reale Wertsteigerung der nominalen Verbindlichkeiten die reale Wertsteigerung der Aktiva.
Vermögenspreiseffekte, die sich aus dem Aktienbesitz ergeben, sind vor allem bei den vermögenden liquiditätsbeschränkten Haushalten und bei den nicht liquiditätsbeschränkten Haushalten von Bedeutung. Bei Betrachtung der dargestellten Konsumreaktionen in Schaubild 2.8 fällt zudem auf, dass Bewertungseffekte des Immobilienvermögens nur eine sehr geringe konsumrelevante Wirkung mit sich bringen. In diesem Kontext legt die Empirie nahe, dass Bewertungseffekte des Immobilienvermögens für die Wirkung der Geldpolitik eher von untergeordneter Bedeutung sind. Entscheidend für die geldpolitische Transmission ist vielmehr, inwieweit ein geldpolitischer Impuls die Zinsausgaben ändert, die im Zusammenhang mit der Immobilienfinanzierung stehen. 18 Die Konsumwirkungen sind dabei umso größer, je höher der Anteil der Immobilienbesitzer mit Wohnungsbaukrediten ausfällt und je stärker eine Finanzierung über variabel verzinste Kredite verbreitet ist. Im Rahmen der vorliegenden Analyse werden diese Effekte über die direkte Reaktion der Zinseinkommen abgebildet.
Bewertungseffekte beim Betriebsvermögen könnten prinzipiell vor allem für vermögende liquiditätsbeschränkte Haushalte relevant sein. Neben den bisher genannten Vermögenspreisreaktionen dürften auch nennenswerte Bewertungsänderungen beim Betriebsvermögen auftreten. 19 Das Betriebsvermögen (überwiegend bestehend aus Unternehmensbeteiligungen in Form nicht börsennotierter Aktien und sonstiger Anteilsrechte) ist vor allem für sehr vermögende Haushalte eine zentrale Größe. Das reichste Prozent aller Haushalte verfügt in Summe davon über etwa 2 250 Mrd €. Das große Volumen dieser Vermögenskomponente am oberen Ende der Verteilung spiegelt auch die in den letzten Jahrzehnten gestiegene Bedeutung der Unternehmensersparnisse in der Vermögensentwicklung sehr vermögender Haushalte wider. Hierbei handelt es sich zwar typischerweise um einbehaltene Unternehmensgewinne; diese stehen jedoch letztlich den Anteilseignern zu. 20 Daher dürfte die Reaktion dieser Vermögenskomponente auf einen geldpolitischen Impuls prinzipiell ähnlich ausfallen wie die Reaktion von börsennotierten Aktien. 21 Potenzielle Konsumeffekte durch Bewertungsänderungen dürften vor allem für vermögende liquiditätsbeschränkte Haushalte und in etwas geringerem Umfang auch für die nicht liquiditätsbeschränkten Haushalte die Folge sein. Da insbesondere die Komponenten des finanziellen Betriebsvermögens nicht an organisierten Märkten gehandelt werden, unterliegen diese einerseits einem deutlich erhöhten Liquiditätsrisiko. Andererseits dürfte der Aufwand, diese Anlageform tatsächlich als Kreditsicherheit einzubringen, im Vergleich zu handelbaren Wertpapieren ungleich höher sein. 22 So betrachtet sollte es insgesamt deutlich schwieriger sein, Bewertungsgewinne beim Betriebsvermögen überhaupt in zusätzlichen privaten Konsum überführen zu können. Aus diesem Grund werden im Rahmen des vorliegenden Aufsatzes die möglichen Konsumreaktionen infolge geldpolitisch induzierter Bewertungsänderungen beim Betriebsvermögen weitestgehend vernachlässigt. 23
Ein steigender Anteil liquiditätsbeschränkter Haushalte verstärkt die Wirkung der Geldpolitik. Die Resultate des hier vorgestellten Anwendungsbeispiels illustrieren, dass sich die Konsumreaktionen der drei Haushaltstypen auf einen geldpolitisch induzierten Zinsanstieg in ihrer Gesamthöhe leicht und in ihren Komponenten deutlich unterscheiden. Über alle drei Gruppen betrachtet sinken die Konsumausgaben um etwa 0,4 % bis 0,7 %, wenn die Zinsen unerwartet um 1 Prozentpunkt steigen. Die liquiditätsbeschränkten Haushalte zeigen in der Tendenz den etwas größeren Effekt. Der gesamtwirtschaftliche Konsumeffekt fällt demzufolge immer dann leicht größer aus, wenn der Anteil (vermögender) liquiditätsbeschränkter Haushalte besonders hoch ist.
Die gesamtwirtschaftliche Konsumreaktion der privaten Haushalte dürfte sich unter Berücksichtigung der Vermögensstrukturen über die Zeit nicht grundlegend verändert haben. Die Darstellung im Zeitverlauf des gesamtwirtschaftlichen Konsumeffekts auf eine hypothetische geldpolitisch induzierte Zinserhöhung zum Zeitpunkt t erlaubt es, sich ändernde Vermögensstrukturen sowie zunehmende oder nachlassende Liquiditätsbeschränkungen angemessen in der geldpolitischen Einschätzung zu berücksichtigen. Konkret illustriert das Schaubild 2.9, wie die Haushalte insgesamt in einem gegebenen Quartal reagiert hätten, hätte es in dem betreffenden Quartal einen geldpolitisch induzierten Zinsanstieg um 100 Basispunkte gegeben. Über den hier betrachteten Zeitraum zeigen sich leichte Veränderungen in der Relevanz der einzelnen Effekte, die sich jedoch über die Zeit mehr oder weniger ausgeglichen haben. Auffällig ist vor allem die Abnahme der Nettozinseinkommensbeiträge. Grund hierfür dürfte der zu beobachtende Rückgang des Verschuldungsgrads sein, verbunden mit einer Abnahme der zinstragenden Nettoverbindlichkeiten. Insgesamt sind keine Anzeichen erkennbar, die darauf hindeuten, dass sich am aktuellen Rand die geldpolitische Transmission im Haushaltssektor in Deutschland hinsichtlich der Konsumreaktionen durch veränderte Vermögensstrukturen verstärkt hat. Hierfür spricht auch, dass sich die Anteile der vermögensarmen und vermögenden liquiditätsbeschränkten Haushalte aktuell – gemessen an der Entwicklung über den Beobachtungszeitraum – auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau befinden (siehe hierzu auch Schaubild 2.10). Gleichwohl besitzen zumindest Vermögenspreiseffekte bezüglich des Betriebsvermögens theoretisch das Potenzial, für sich genommen die Wirkung geldpolitischer Impulse insgesamt zu erhöhen.
5 Schlussbemerkungen
Mit der verteilungsbasierten Vermögensbilanz der privaten Haushalte in Deutschland existiert ein neuer Datensatz, der es ermöglicht, die Vermögenssituation einzelner Haushalte im vierteljährlichen Rhythmus zu untersuchen. Diese neue experimentelle Statistik verknüpft Einzeldaten der Bundesbank-Haushaltsbefragung mit gesamtwirtschaftlichen Statistiken. Die verteilungsbasierte Vermögensbilanz verfügt im Vergleich zur komplexen und aufwendigen Vermögensbefragung über einen merklichen Vorteil bei der zeitlichen Bereitstellung. Sie erlaubt Analysen auf Ebene der einzelnen Haushalte auf Quartalsbasis. In diesem Zusammenhang sei aber auch darauf hingewiesen, dass die Angaben der verteilungsbasierten Vermögensbilanz am aktuellen Datenrand aufgrund der extrapolierten instrumentenspezifischen Verteilungen nach der letzten verfügbaren Haushaltsbefragung aus dem Jahr 2021 mit einer gewissen Unsicherheit behaftet sind. So betrachtet erscheint es enorm wichtig, auch künftig Haushaltsbefragungen regelmäßig durchzuführen, um tiefgreifende strukturelle Änderungen angemessen berücksichtigen zu können.
Das oben skizzierte Anwendungsbeispiel auf Basis der verteilungsbasierten Vermögensbilanz verdeutlicht, wie heterogen der Konsum der Privathaushalte auf eine geldpolitisch induzierte Zinserhöhung reagiert. Die Angaben der verteilungsbasierten Vermögensbilanz zeigen, wie unterschiedlich sich die Vermögen der privaten Haushalte zusammensetzen: Die Vermögen der vermögensärmeren Haushalte bestehen in einem hohen Maße aus risikoarmen Anlageformen wie Einlagen und Versicherungsansprüchen. Die Vermögen der vermögenderen Haushalte umfassen dagegen in einem deutlich größeren Umfang Kapitalmarktinstrumente und vor allem Immobilien- und Betriebsvermögen. 24 Diese Unterschiede in den Vermögensstrukturen bedingen wiederum, wie einzelne Haushalte aufgrund von Liquiditätsbeschränkungen ihre individuellen Konsumentscheidungen zum Beispiel in Reaktion auf eine geldpolitisch induzierte Zinserhöhung anpassen. Während der klassische Substitutionseffekt, also die Verschiebung des Gegenwartskonsums in die Zukunft infolge einer geldpolitisch induzierten Zinserhöhung, vor allem bei den nicht liquiditätsbeschränkten Haushalten eine wichtige Rolle spielt, dominieren bei vermögenden liquiditätsbeschränkten Haushalten Zinseinkommens- und Vermögenspreiseffekte. Bei vermögensarmen liquiditätsbeschränkten Haushalten wirkt eine geldpolitisch induzierte Zinserhöhung hingegen primär über indirekte Arbeitseinkommens- und Beschäftigungseffekte.
Die relative Bedeutung direkter und indirekter Konsumreaktionen infolge eines geldpolitischen Impulses hängt unter anderem von den individuellen Vermögensverhältnissen ab. Vermögensstruktur, Vermögensverteilung und Änderungen dieser Größen können somit die Wirksamkeit der Geldpolitik beeinflussen. Daher ist es bei der Analyse geldpolitischer Maßnahmen grundsätzlich hilfreich, die individuellen Vermögensverhältnisse und mögliche Liquiditätsbeschränkungen der privaten Haushalte stärker im Blick zu haben. Vor diesem Hintergrund ist es für eine Notenbank von besonderem Interesse, künftig die vierteljährliche verteilungsbasierte Vermögensbilanz für geldpolitische Analysen zu erstellen und zu nutzen. Veränderungen in den Vermögensverhältnissen der privaten Haushalte und mögliche Folgen für die Transmission der Geldpolitik können somit schneller erkannt werden. Die vorliegende Untersuchung zeigt in diesem Zusammenhang, dass sich die geldpolitische Transmission im Haushaltssektor in Deutschland aktuell nicht grundsätzlich geändert haben sollte.
Exkurs
Zur Quantifizierung der Effekte einer geldpolitisch induzierten Zinserhöhung auf den Konsum der privaten Haushalte
Die Effekte einer geldpolitisch induzierten Zinserhöhung auf den Konsum der privaten Haushalte lassen sich mithilfe modelltheoretischer Zusammenhänge berechnen. Hierzu wird ein hypothetisches Szenario einer einmaligen, unerwarteten geldpolitisch induzierten Zinserhöhung um 100 Basispunkte betrachtet. Im Rahmen eines heterogenen Agentenmodells maximieren Haushalte ihren Nutzen und unterliegen dabei Budgetbeschränkungen. Infolge des geldpolitischen Impulses reagieren Haushalte mit Anpassungen ihrer Konsumausgaben. Der Gesamteffekt kann hierbei unterteilt werden in direkte und indirekte Effekte (siehe hierzu auch Schaubild 2.11):
Bei den direkten Effekten ist zunächst der Substitutionseffekt zu nennen: Private Haushalte reagieren auf einen geldpolitisch induzierten Zinsanstieg, indem sie Konsum in die Zukunft verschieben und in der Gegenwart mehr sparen. Dahinter steht die Vorstellung, dass Zinsänderungen die relative Attraktivität des Gegenwartskonsums beeinflussen. Dabei hängt das Ausmaß der Substitution davon ab, inwieweit ein Haushalt bereit und in der Lage ist, sein Konsumverhalten solchermaßen zu ändern.
Als weiterer direkter Effekt ist der Zinseinkommenseffekt über veränderte Zinseinnahmen und ‑ausgaben zu nennen. So dürften Haushalte, die zum Beispiel in einem großen Umfang zinstragende, kurzfristige Aktiva halten, zunächst von einem Zinsanstieg profitieren: Ihr Nettozinseinkommen steigt. Private Haushalte, deren Bilanz jedoch ein großvolumiger, variabel verzinster Kredit dominiert, würden für sich genommen hingegen Verluste erleiden: Ihr Nettozinseinkommen sinkt. In beiden Fällen wird hierdurch letztlich das Haushaltseinkommen beeinflusst, das für Konsumzwecke zur Verfügung steht. 1
Während die direkten Effekte eine unmittelbare Konsumreaktion der privaten Haushalte zur Folge haben, handelt es sich bei den indirekten Effekten um allgemeine Gleichgewichtseffekte. Hier löst der geldpolitische Impuls nur mittelbar eine Konsumreaktion aus. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn das Lohneinkommen über eine geldpolitisch induzierte Abschwächung der gesamtwirtschaftlichen Aktivität sinkt und damit die Einkommen und schließlich auch die Konsumausgaben dämpft.
Ein weiterer indirekter Effekt resultiert beispielsweise aus Veränderungen des Realwerts des nominalen Vermögens. Haushalte mit einem positiven Netto-Nominalvermögen, das heißt, die nominalen Aktiva übersteigen die nominalen Verbindlichkeiten, erleiden Verluste in realer Rechnung bei unerwarteten Preisniveauerhöhungen; Haushalte mit einem negativen Netto-Nominalvermögen, also klassische Schuldner-Haushalte, profitieren hingegen von einer realen Entwertung ihrer nominalen Schulden. Während im ersten Fall in realer Betrachtung weniger konsumiert werden kann, stehen im letztgenannten Fall schließlich mehr Konsummöglichkeiten zur Verfügung.
Zusätzlich zu den bisher genannten indirekten Übertragungswegen sind abschließend noch Bewertungseffekte anzuführen, die im Zusammenhang mit Vermögenspreisen wie Aktien und Immobilien stehen. Demnach bedeuten steigende Vermögenspreise zum Beispiel ein Mehr an Kreditsicherheiten, die zur Finanzierung zusätzlicher Konsumausgaben eingebracht werden können.
Die Relevanz der einzelnen Effekte ergibt sich aus den individuellen Vermögensstrukturen, wie etwa dem Umfang an gehaltenen zinstragenden Aktiva und Passiva, nominal denominierten Vermögenswerten oder Sachvermögen. Diese Vermögensverhältnisse gehen mit unterschiedlichen Konsumreaktionen einher. So zeigt in diesem Kontext die empirische Literatur, dass liquiditätsbeschränkte Haushalte typischerweise eine vergleichsweise hohe Konsumsensitivität aufweisen. 2 Ursächlich hierfür sind relativ geringe Bestände an liquiden Mitteln in den Händen dieser Haushalte. Infolgedessen kann beispielsweise ein geldpolitisch ausgelöster Einkommensrückgang schlechter durch den Abbau von Liquiditätspolstern abgefedert werden. 3 Neben den individuellen Vermögensangaben werden aber auch Informationen über die Konsumsensitivität, individuelle und gesamtwirtschaftliche Beschäftigungsreaktionen/Arbeitseinkommensreaktionen sowie gesamtwirtschaftliche Preisreaktionen benötigt. Die für die Privathaushalte in Deutschland spezifischen Informationen sind in der Tabelle 2.1 entsprechend zusammengefasst. 4
Unterschiede in den Vermögensstrukturen gehen zugleich einher mit Unterschieden in der Konsumsensitivität. Für die Konsumsensitivität der liquiditätsbeschränkten Haushaltstypen wird ein Wert von 0,5 unterstellt. 5 Bei den nicht liquiditätsbeschränkten Haushalten wird, der Theorie und Empirie entsprechend, mit 0,05 hingegen ein deutlich geringerer Wert angesetzt. 6 Bei einem durchschnittlichen Anteil der liquiditätsbeschränkten Haushalte an den Gesamthaushalten von etwa 27 % impliziert dies eine durchschnittliche Konsumsensitivität über alle Haushalte hinweg von etwa 17 %. Dieser Wert deckt sich mit den Angaben einer Online-Befragung der Bundesbank, die ebenfalls auf eine durchschnittliche Konsumsensitivität von 17 % hindeutet. 7 Bei den vermögensbasierten marginalen Konsumneigungen legt die empirische Evidenz für den Euroraum für die Haushalte im Aggregat Werte zwischen 0,01 und 0,03 nahe. 8 Wird für die nicht liquiditätsbeschränkten Haushalte das Minimum von 0,01 festgesetzt, so leitet sich hieraus als Residualgröße eine vermögensbasierte marginale Konsumneigung für die liquiditätsbeschränkten Haushalte von etwa 0,07 ab. 9 Hinsichtlich der individuellen Einkommenselastizitäten, die angeben, in welchem Ausmaß die individuellen Arbeitseinkommen auf Schwankungen der gesamtwirtschaftlichen Bruttolöhne und -gehälter reagieren, zeigen sich für die drei Haushaltstypen ebenfalls deutliche Unterschiede. Die geschätzten länderspezifischen Reaktionen basieren auf den Angaben des European Union Labour Force Survey (EULFS) und des Household Finance and Consumption Survey (HFCS) und wurden Slacalek et al. (2020) entnommen. Hierbei deuten die Resultate für die Privathaushalte in Deutschland darauf hin, dass insbesondere die vermögensarmen liquiditätsbeschränkten Haushalte über eine hohe Elastizität verfügen. Demgegenüber fällt die Einkommenselastizität der nicht liquiditätsbeschränkten Haushalte etwas geringer aus. Die Einkommenselastizität der vermögenden liquiditätsbeschränkten Haushalte bleibt hingegen deutlich hinter dem Wert der beiden anderen Haushaltstypen zurück.
Tabelle 2.1: Annahmen für Konsumreaktionen 1)
Haushaltscharakteristika
Konsumsensitivität 2)
Individuelle Einkommenselastizität
Haushaltstyp
Einkommen
Immobilienvermögen
Anteilsrechte
vermögensarm & liquiditätsbeschränkt
0,50
–
–
1,7
vermögend & liquiditätsbeschränkt
0,50
0,07
0,07
0,3
nicht liquiditätsbeschränkt
0,05
0,01
0,01
1,1
Gesamtwirtschaftliche Reaktion auf einen geldpolitischen Impuls3)
Zins 4)
Einkommen 5)
Immobilienpreise 5), 6)
Aktienkurse 5)
Inflation 7)
Veränderung
+0,8
-0,5
-0,4
-27,0
-0,1
1 Basierend auf Slacalek et al. (2020). 2 Die Konsumsensitivität wird ausgedrückt durch die marginale Konsumneigung. Diese gibt an, wie hoch der Anteil eines zusätzlichen Einkommens beziehungsweise einer unerwarteten Wertsteigerung bei Immobilien oder Anteilsrechten ist, der für zusätzlichen Konsum (von Verbrauchsgütern) verwendet wird. 3 Geldpolitisch induzierte Zinserhöhung um 100 Basispunkte. 4 Durchschnittliche Reaktion über vier Quartale in Prozentpunkten. 5 Reaktion nach vier Quartalen in Prozent. 6 Gemäß den Ergebnissen von Nocera und Roma (2017) sowie eigener Schätzungen wird hier von der von Slacalek et al. (2020) unterstellten Nullreaktion abgewichen und eine geringfügige Reaktion der Immobilienpreise auf eine geldpolitisch induzierte Zinsänderung zugelassen. 7 Veränderung des Preisniveaus nach vier Quartalen in Prozent.
Neben den haushaltsspezifischen Reaktionen bedarf es für die indirekten Effekte auch Angaben zu den gesamtwirtschaftlichen Reaktionen auf einen geldpolitischen Impuls. Dies betrifft zum Beispiel gesamtwirtschaftliche Preis- und Beschäftigungseffekte, aber auch Bewertungseffekte von Immobilien und Aktien. 10 Die entsprechenden Resultate für Deutschland sind im unteren Teil der Tabelle 2.1 abgetragen. Demnach sinken die aggregierten Bruttolöhne und -gehälter im Verlauf eines Jahres um 0,5 % im Falle eines restriktiven geldpolitischen Impulses (Zinserhöhung um 100 Basispunkte). 11 Der Rückgang der Inflation um 0,1 Prozentpunkte im Jahresverlauf fällt dagegen deutlich niedriger aus. Aktienpreise zeigen wiederum einen deutlich ausgeprägten Rückgang um 27 %. Immobilienpreise gehen hingegen mit einer geringfügigen Reaktion einher (- 0,4 %). 12 Mithilfe all dieser zusätzlichen Informationen können schließlich die direkten und indirekten Konsumwirkungen der einzelnen Haushalte unter Berücksichtigung der individuellen Vermögensverhältnisse und -strukturen in Reaktion auf eine hypothetische geldpolitisch induzierte Zinserhöhung näherungsweise berechnet werden. 13
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