Konjunktur in Deutschland Monatsbericht – August 2024

Monatsberichtsaufsatz

1 Deutsche Wirtschaftsleistung im zweiten Vierteljahr leicht gesunken

Die deutsche Wirtschaftsleistung ging im zweiten Vierteljahr 2024 entgegen den Erwartungen leicht zurück. Gemäß der Schnellmeldung des Statistischen Bundesamtes sank das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) um saisonbereinigt 0,1 % gegenüber dem Vorquartal. 1 Dieses vorläufige Ergebnis unterliegt einer erhöhten Revisionswahrscheinlichkeit. Denn wichtige Statistiken für den Handel und den Dienstleistungsbereich, die in die BIP-Schätzung einfließen, werden gegenwärtig verzögert veröffentlicht und liegen für die letzten Monate noch nicht vor. Im ersten Quartal hatte das BIP noch um 0,2 % zugelegt. Der Schnellmeldung zufolge nahmen insbesondere die Investitionen in Ausrüstungen und Bauten ab. Für die Bautätigkeit war infolge eines durch Witterungseinflüsse begünstigten Anstiegs im ersten Quartal eine Normalisierung erwartet worden. Aber auch darüber hinaus blieben wesentliche Belastungsfaktoren im zweiten Quartal bestehen. So war die Nachfrage nach Industrieprodukten aus dem Ausland weiter schwach. Die gestiegenen Finanzierungskosten und die erhöhte wirtschaftliche und politische Unsicherheit dämpften die Investitionen. Die privaten Verbraucherinnen und Verbraucher zeigten sich nach wie vor verunsichert, sodass die kräftigen Lohnsteigerungen sich weiterhin nicht in eine gleichermaßen schwungvolle Belebung der Konsumausgaben übersetzten.

Bruttoinlandsprodukt in Deutschland
Bruttoinlandsprodukt in Deutschland

2 Weiterhin schwache Industriekonjunktur und wohl nur verhaltene Belebung des Konsums

Industrieproduktion und Warenexporte nahmen ihren Abwärtstrend im zweiten Vierteljahr 2024 trotz sich stabilisierender Nachfrage wieder auf. Die Industrieproduktion ging im zweiten Quartal saisonbereinigt wieder zurück und setzte somit ihren lediglich im ersten Quartal unterbrochenen Negativtrend fort. Dabei gab die Herstellung von Vorleistungs- und Investitionsgütern stärker nach als die Produktion von Konsumgütern. Unter den Vorleistungsgütern sank erneut die Herstellung von elektrischen Ausrüstungen besonders stark. Dagegen lagen die energieintensiven Wirtschaftszweige, die ganz überwiegend den Vorleistungsproduzenten zugeordnet sind, wie schon im Vorquartal im Plus. Vor allem die Produktion in der Chemieindustrie stieg weiter kräftig an. Die energieintensiven Wirtschaftszweige überwanden damit den seit Anfang 2022 anhaltenden Abwärtstrend, der durch die zwischenzeitlich massiv gestiegenen Energiepreise hervorgerufen worden war. 2 Die Schwäche der Investitionsgüterproduktion war erneut stark vom Maschinenbau getrieben. Dagegen konnten die Hersteller von Kraftwagen und Kraftwagenteilen das erste Mal seit über einem Jahr wieder ein Produktionsplus vorweisen. Im Sog der schwachen Produktion gingen auch die realen Warenexporte im zweiten Quartal saisonbereinigt deutlich zurück. Die Industriekonjunktur leidet auch weiter unter einer schwachen Nachfrage. Die Auftragseingänge in der deutschen Industrie legten in ihrer Grundtendenz, das heißt ohne die volatilen Großaufträge, zwar merklich zu. Das Niveau ist aber nach wie vor niedrig. Und der Anteil der Betriebe, die unter einem Auftragsmangel leiden, stieg gemäß Umfrage des ifo Instituts im Juli erneut an – auf nunmehr 43,6 %.

Die Ausrüstungsinvestitionen bremsten die Wirtschaftsaktivität im zweiten Quartal merklich. Wie in den Vorquartalen belasteten hohe Finanzierungskosten und die wirtschaftspolitische Unsicherheit die Investitionstätigkeit deutscher Unternehmen. Zudem wirkt sich der Auftragsmangel im Verarbeitenden Gewerbe zunehmend negativ auf den Auslastungsgrad aus. So sank die Kapazitätsauslastung im Verarbeitenden Gewerbe laut Umfragen des ifo Instituts auf nur noch 77,5 % im Juli. 3 Sie liegt damit jetzt 6 Prozentpunkte unter ihrem langfristigen Mittelwert. Auf merklich schwächere Ausrüstungsinvestitionen deuten auch die preisbereinigten Inlandsumsätze der Investitionsgüterproduzenten hin. Ihr Rückgang beschleunigte sich im Vorquartalsvergleich saisonbereinigt noch einmal und war über die Branchen hinweg breit verteilt. Die preisbereinigten Importe von Investitionsgütern stagnierten den bis Mai verfügbaren Angaben zufolge. Sie bildeten damit keinen Ausgleich zu den rückläufigen Inlandsumsätzen.

Neben den Bauinvestitionen ging auch die Wertschöpfung im Baubereich zurück. Nach einer leichten Expansion im Vorquartal sank die Bauproduktion im zweiten Quartal saisonbereinigt nämlich wieder etwas und lag auf einem ähnlichen Niveau wie im Schlussquartal 2023. Diese Auf- und Abwärtsbewegung wurde wesentlich von Witterungseinflüssen geprägt. So hatte die Bauproduktion im ersten Quartal noch von einer außergewöhnlich milden Witterung profitiert. Im zweiten Quartal dürfte dann eine entsprechende Gegenbewegung zum Rückgang der Erzeugung beigetragen haben. Hierauf deutet etwa die ifo Umfrage zur Behinderung der Bautätigkeit durch Witterungseinflüsse hin. Die Divergenz in der wirtschaftlichen Dynamik von Hoch- und Tiefbau setzte sich im zweiten Quartal nicht weiter fort. Beide Sektoren wiesen einen ähnlich starken Produktionsrückgang aus. Gleichzeitig verzeichnete der Hochbau eine etwas günstigere Entwicklung der Nachfrage und schloss – gemessen am Auftragseingang – wieder etwas zum Tiefbau auf. In letzterem stagnierte der Auftragseingang im Vorquartalsvergleich lediglich. Wie die Industrie leidet auch das Baugewerbe unter einer schwachen Nachfrage. Hier schlagen sich die nach wie vor hohen Bau- und Finanzierungskosten nieder. So lag der durchschnittliche Effektivzins für private Wohnungsbaukredite im Juni mit 4,0 % sogar leicht höher als im Vorquartal. Im Bauhauptgewerbe insgesamt erhöhte sich der Auftragseingang im Mittel von April und Mai gegenüber dem Vorquartal zwar etwas. Er blieb allerdings immer noch ganz erheblich hinter seinem Stand vom ersten Quartal 2022 zurück. Auch im Wohnungsbau, in dem die Nachfrage zuvor besonders stark eingebrochen war, gingen im April und Mai deutlich mehr Aufträge ein als noch im ersten Quartal. Gleichwohl blieb der Anteil der Unternehmen im Bauhauptgewerbe, die von einem Auftragsmangel berichten, laut Umfragen des ifo Instituts mit 38 % im Juli nur knapp unter den jüngsten Höchstmarken. Außerdem ging die Anzahl der Baugenehmigungen im zweiten Quartal insgesamt wieder kräftig zurück, auch im Wohnungsbau.

Produktion in der Industrie und im Baugewerbe
Produktion in der Industrie und im Baugewerbe

Den gegenwärtig nur mit großer Verzögerung vorliegenden Indikatoren zufolge blieb der private Konsum trotz günstiger Rahmenbedingungen wohl verhalten, während die Dienstleister weiter moderat zugelegt haben könnten. Gegenwärtig liegen wichtige Statistiken für den Handel und den Dienstleistungsbereich lediglich mit großer Verzögerung vor. Grund ist eine Überarbeitung des Meldewesens. 4 So reichen die veröffentlichten Umsätze im Einzel- und Großhandel sowie im Gastgewerbe bislang nur bis April. Für die Dienstleistungsproduktion sind noch gar keine Monatswerte für das zweite Quartal verfügbar. Dies erschwert die Konjunktureinschätzung in den betroffenen Bereichen erheblich. Auch die Schnellmeldung des BIP für das zweite Vierteljahr unterliegt aus diesem Grund einer erhöhten Revisionswahrscheinlichkeit. Gesichert ist gleichwohl, dass die zuvor schon wichtigen Stützen des privaten Konsums – der robuste Arbeitsmarkt sowie kräftige Realeinkommenszuwächse – auch im zweiten Quartal intakt waren. Die Konsumenten blieben trotzdem verunsichert. Darauf lässt etwa die laut GfK-Umfrage fortgesetzt hohe Sparneigung schließen. Die Einkommenserwartungen stiegen im zweiten Quartal zwar merklich an, die Anschaffungsneigung profitierte davon jedoch kaum. Gleichwohl wurden nach einem deutlichen Rückgang im Vorquartal wieder etwas mehr private Kraftfahrzeuge zugelassen. Dazu trug auch bei, dass sich die Neuzulassungen von Elektrofahrzeugen (von niedrigem Niveau aus) etwas erholten. Sie waren zum Jahreswechsel eingebrochen, nachdem eine Förderung für private Halter ausgelaufen war. Für den Einzelhandel deuten die bis April vorliegenden preisbereinigten Umsätze immerhin auf einen günstigen Start in das zweite Quartal hin. Die Umsätze im Gastgewerbe lagen dagegen im April etwas unter dem Vorquartalsdurchschnitt. Unter dem Strich dürfte der private Konsum etwas zugelegt haben. Er dürfte gleichwohl weiter hinter den realen Einkommenszuwächsen zurückgeblieben sein. Im Dienstleistungssektor könnte sich der moderate Aufwärtstrend aus dem ersten Quartal indes fortgesetzt haben. Darauf deuten der entsprechende ifo Geschäftslageindikator sowie der S&P Global Einkaufsmanagerindex hin. Zudem profitierte die Dienstleistungsproduktion im zweiten Quartal von einer günstigen Startposition, denn ihr Niveau lag im März deutlich über dem Durchschnitt des ersten Quartals.

3 Arbeitsmarkt mit wenig Dynamik

Der Arbeitsmarkt blieb trotz der stockenden konjunkturellen Erholung vergleichsweise stabil. Die Beschäftigung erhöhte sich im zweiten Quartal 2024 moderat. Der Anstieg war allerdings nicht kräftig genug, um die durch Zuwanderung steigende Zahl an Erwerbspersonen vollständig aufzunehmen. Deshalb stieg auch die Arbeitslosenzahl etwas an. Die anhaltende wirtschaftliche Schwäche drückte sich auch in moderat zunehmender Kurzarbeit und einem langsam sinkenden Stellenangebot aus. Kurzfristig dürfte sich an dieser Entwicklung nur wenig ändern.

Die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland vergrößerte sich im Frühjahr leicht. Im Durchschnitt waren saisonbereinigt 54 000 Personen mehr beschäftigt als im Winter 2024, ein Zuwachs von 0,1 %. 5 Der bereits länger anhaltende rückläufige Trend bei der Selbstständigkeit setzte sich fort, und die ausschließlich geringfügig entlohnte Beschäftigung veränderte sich kaum. Der Stellenzuwachs war in erster Linie den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen zuzurechnen.

Dabei hielt die sektorale Zweiteilung der vergangenen Quartale an. So profitierten durch den demografischen Wandel und den Umbau der Energieversorgung vor allem Bereiche der öffentlichen Grundversorgung von einer erhöhten Nachfrage nach sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Dazu zählen das Gesundheits- und Sozialwesen, der Öffentliche Dienst, der Bildungssektor und die Energie- und Wasserversorgung. In einigen weiteren Dienstleistungsbereichen war der Beschäftigungsstand ebenfalls höher als im Winter, vor allem in der Beherbergung und Gastronomie 6 und den qualifizierten Unternehmensdienstleistungen.

Arbeitsmarkt in Deutschland
Arbeitsmarkt in Deutschland

Vor allem im Verarbeitenden Gewerbe und im Baugewerbe beeinträchtigt die nunmehr seit über zwei Jahren anhaltende konjunkturelle Schwäche die Arbeitsnachfrage. Zunächst wurden zwar die Stammbelegschaften weitgehend gehalten und Anpassungen über den verringerten Einsatz von Leiharbeit aufgefangen. Seit etwa einem Jahr sinkt in beiden Wirtschaftsbereichen aber auch die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Der Rückgang ist gleichwohl moderat. Denn auch innerhalb des Verarbeitenden Gewerbes stehen einige Branchen gut da und bauen Beschäftigung auf. Disaggregierte, sektorale Daten liegen erst bis Ende 2023 vor. Demnach expandierte die Stellenzahl im Laufe des Jahres 2023 kräftig um 2½ % bis 5 % in der Herstellung von DV-Geräten und Elektronik, im sonstigen Fahrzeugbau, der Reparatur und Installation von Maschinen und bei pharmazeutischen Gütern. Zudem erhöhte sich die Beschäftigung im Maschinenbau nennenswert. Die energieintensiven Wirtschaftszweige waren hingegen von gewissen Beschäftigungsverlusten betroffen. Außerdem sank die Beschäftigung im abgelaufenen Jahr spürbar in der Herstellung von Metallerzeugnissen, Gummi- und Kunststoffwaren sowie einigen konsumnahen Industrien. Dabei dürften neben konjunkturellen auch strukturelle Gründe vorliegen. Insbesondere im Verarbeitenden Gewerbe wird zusätzlich Kurzarbeit als Anpassungsinstrument genutzt, um Nachfrageschwächen zu überbrücken. Hiervon waren im April 2,8 % aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in diesem Bereich betroffen. In der restlichen Wirtschaft spielte Kurzarbeit praktisch keine Rolle.

Die registrierte Arbeitslosigkeit erhöhte sich weiter leicht. In den drei Frühjahrsmonaten waren im Durchschnitt saisonbereinigt 2,76 Millionen Personen arbeitslos, rund 46 000 Personen mehr als im ersten Quartal 2024. Die entsprechende Arbeitslosenquote blieb unverändert bei 5,9 %, auch weil die Erwerbspersonenzahl stieg. Im Juli kamen gegenüber dem Vormonat weitere 18 000 Arbeitslose hinzu, und die zugehörige Quote erreichte damit 6,0 %. Die Zunahme der letzten Monate liegt mehrheitlich an Zugängen in das konjunkturreagible Versicherungssystem des SGB III. Dagegen trugen die Geflüchteten aus der Ukraine – die vor allem in das Grundsicherungssystem eingehen würden – kaum noch zum Anstieg der Arbeitslosigkeit bei. Bei ihnen schreitet die Arbeitsmarktintegration voran, die Übergänge in Beschäftigung haben sich in den letzten Monaten spürbar verbessert.

An der schwunglosen Arbeitsmarktentwicklung dürfte sich den Vorlaufindikatoren zufolge in den kommenden Monaten wenig ändern. Das IAB-Beschäftigungsbarometer für die Gesamtwirtschaft befindet sich weiterhin im leicht positiven Bereich. Das deutet auf einen leichten Beschäftigungsanstieg wie in den vergangenen Monaten hin. Die Einstellungsabsichten der gewerblichen Wirtschaft für die nächsten drei Monate, wie sie das ifo Institut in seinen Befragungen ermittelt, weisen zwar seit ein paar Monaten eine Bodenbildung auf. Sie befinden sich allerdings im leicht negativen Bereich. Beides trifft vor allem auf das Verarbeitende Gewerbe zu. Im Handel ist die negative Trendentwicklung des Frühindikators noch nicht gebrochen. Die Dienstleistungsunternehmen (ohne Handel) planen hingegen in der Summe mit einem leichten Beschäftigungsplus. Die Zahl der bei der BA gemeldeten offenen Stellen ist weiterhin rückläufig. Insbesondere die Dynamik bei neu eingehenden Stellenangeboten ist überaus niedrig. Da die Unternehmen während der andauernden konjunkturellen Schwächephase weitgehend auf Entlassungen verzichtet haben, ist der Einstellungsbedarf nicht hoch. Das vom IAB in Betriebsbefragungen ermittelte gesamtwirtschaftliche Stellenangebot ist zwar in den letzten Quartalen ebenfalls gesunken, weist aber im historischen Vergleich noch immer ein ausgesprochen hohes Niveau auf. Dies deutet ebenso wie die hohe Vakanzdauer der offenen Stellen auf anhaltende Schwierigkeiten bei der Stellenbesetzung und eine relativ hohe Anspannung zumindest auf einigen Teilarbeitsmärkten für bestimmte Fachkräfte hin. Bei den Arbeitslosenzahlen könnte sich der Anstieg zumindest abschwächen. Das IAB-Barometer Arbeitslosigkeit hat sich zuletzt etwas erholt, befindet sich jedoch weiterhin leicht im negativen Bereich.

4 Löhne steigen im Trend noch immer kräftig

Die Tarifverdienste stiegen auch im Frühjahr 2024 deutlich. Die Tarifverdienste einschließlich der Nebenvereinbarungen erhöhten sich im zweiten Quartal um 3,1 % gegenüber dem Vorjahr, nach 6,2 % zuvor. Dies lag vor allem an den Effekten hoher abgabenfreier Inflationsausgleichsprämien aus dem Vorjahr, die die Rate im ersten Quartal erheblich anhoben und im zweiten Quartal stark dämpften. 7 Ohne Berücksichtigung dieser Sonderzahlungen nahmen die Tarifverdienste im Frühjahr mit 4,2 % gegenüber dem Vorjahr spürbar stärker zu als im Winter (3,0 %). Die dauerhaften Lohnsteigerungen gewinnen an Bedeutung.

Die Effektivverdienste legten ebenfalls stark zu. Darauf deuten die bis einschließlich Juni 2024 verfügbaren kräftig erhöhten Brutto-Monatsverdienste aus der Verdiensterhebung des Statistischen Bundesamtes hin. 8 Das im langfristigen Vergleich hohe Wachstum der Effektivverdienste setzt sich fort.

Arbeitsentgelte und Lohndrift
Arbeitsentgelte und Lohndrift

In den jüngsten Tarifabschlüssen wurden zudem hohe Lohnsteigerungen vereinbart. Das auf zwölf Monate umgerechnete Lohnplus lag in fast allen Branchen, die sich im zweiten Vierteljahr auf einen neuen Tarifvertrag einigten, zwischen 4 % und 6 %. 9 Dabei lag die Chemische Industrie (mit den Privatbanken) am unteren und das Bauhauptgewerbe am oberen Rand. Hervorzuheben ist, dass die jüngsten und im längerfristigen Vergleich hohen Abschlüsse in diesen drei Branchen ausschließlich dauerhafte Lohnanhebungen und keine Inflationsausgleichsprämien mehr vorsehen. Im Einzelhandel sowie im Groß- und Außenhandel wurden nach fast einjährigen Verhandlungen kräftige Lohnsteigerungen vereinbart (5,0 % beziehungsweise 4,8 % per annum). Die vereinbarten Inflationsausgleichsprämien und die Nachzahlungen rückwirkender Tarifanhebungen werden allerdings erst im dritten Quartal ausgezahlt und tragen dann zu einer hohen gesamtwirtschaftlichen Zuwachsrate der Tarifverdienste bei.

Auch in den anstehenden Verhandlungen zeichnen sich hohe Neuabschlüsse ab. Die Lohnforderungen der Gewerkschaften sind weiterhin hoch und bewegen sich derzeit zwischen 7 % und 19 % für eine Laufzeit von zwölf Monaten. Dabei liegt die IG Metall für die Metall- und Elektroindustrie in der aktuellen Tarifrunde am unteren Rand dieses Spektrums, die Systemgastronomie am oberen Rand. Gegenwärtig stechen die Lohnforderungen in den Dienstleistungen besonders heraus. 10 In den vergangenen drei Jahren sind sowohl im Produzierenden Gewerbe als auch in den Dienstleistungen Reallohnverluste aufgelaufen. Daher streben die Gewerkschaften einen nachhaltigen Reallohnausgleich an. Vor dem Hintergrund, dass die Inflationsausgleichsprämien nur noch bis zum Jahresende 2024 abgabenfrei sind, legen die Gewerkschaften den Fokus nunmehr auf dauerhafte Lohnsteigerungen. Die bis zuletzt hohe Streikbereitschaft und die immer noch verbreitete Arbeitskräfteknappheit sprechen für auch künftig vergleichsweise hohe Lohnanhebungen.

5 Disinflationsprozess stockt vorübergehend

Der Preisauftrieb ging im zweiten Vierteljahr 2024 gegenüber dem Vorquartal nicht weiter zurück. Die Verbraucherpreise (HVPI) stiegen im Frühjahr wie schon im Winterquartal saisonbereinigt merklich um 0,8 % gegenüber dem vorangegangenen Quartal. Maßgeblich hierfür war die weiterhin kräftige Verteuerung der Dienstleistungen. Die Preise einiger Dienstleistungen, wie solche im Sozialwesen oder von Versicherungen, wurden wohl mit einiger Verzögerung an über einen längeren Zeitraum aufgelaufene Kostenanstiege angepasst. Auch die Mieten wurden erneut stärker als im langfristigen Durchschnitt angehoben. Nahrungsmittel verteuerten sich ebenfalls ähnlich wie in den letzten Quartalen und damit insgesamt moderat. Bei den Industriegütern ohne Energie kam der Preisauftrieb dagegen zum Erliegen. Dies gilt auch, wenn man Bekleidung und Schuhe, deren Preise üblicherweise stark schwanken, herausrechnet. Dies wurde dadurch ausgeglichen, dass die Preise für Energie wieder merklich stiegen. In den beiden Vorquartalen waren sie hingegen noch zurückgegangen. Zum einen zogen die Ölpreise wieder an. Und die Auswirkung dieses Anstiegs wurde durch die Abwertung des Euro noch etwas verstärkt. Zum anderen lief die vorübergehende Senkung des Mehrwertsteuersatzes auf Gas und Fernwärme zum April aus.

In der Vorjahresbetrachtung verlangsamte sich der Disinflationsprozess weiter. Die Inflationsrate insgesamt ging von 2,7 % im Winter nur leicht auf 2,6 % im Frühjahr zurück. 11 Auch die Rate ohne Energie und Nahrungsmittel sank nur leicht von 3,4 % auf 3,2 %. Der Rückgang wurde hier allerdings durch einen Basiseffekt gebremst: Im Mai 2024 entfiel der dämpfende Effekt auf die Vorjahresrate infolge der Einführung des Deutschlandtickets im Mai 2023.

Im Juli stieg die Inflationsrate im Vorjahresvergleich sogar leicht, während die Kernrate unverändert blieb. Letztere betrug weiterhin 3,3 %. Die Inflationsrate insgesamt erhöhte sich dagegen leicht von 2,5 % auf 2,6 %. 12 Gegenüber dem Vormonat zogen die Verbraucherpreise im Juli saisonbereinigt moderat an. Dabei stiegen die Preise für Energie zwar an, aber weniger stark, als die spürbare Verteuerung der Rohölnotierungen nahelegen würde. Dies könnte an einer Kompression der Gewinnmargen bei Mineralölprodukten gelegen haben. Industriegüter ohne Energie sowie Nahrungsmittel verteuerten sich ebenfalls lediglich im üblichen Rahmen. Bei Dienstleistungen blieb der Preisanstieg dagegen überdurchschnittlich.

Gegen Jahresende ist aus heutiger Sicht vorübergehend wieder mit etwas höheren Inflationsraten zu rechnen. Die zuvor negativen Teuerungsraten bei Energie kehren sich dann ins Positive. Dies liegt vor allem an den rückläufigen Energiepreisen im Schlussquartal 2023. Aber auch die gegenwärtig gedrückten Gewinnmargen bei Mineralölprodukten könnten allmählich wieder steigen. Die Kerninflation dürfte aufgrund des weiterhin starken Lohndrucks ebenfalls noch auf erhöhtem Niveau verbleiben.

Gesamt- und Kerninflation in Deutschland
Gesamt- und Kerninflation in Deutschland

6 Deutsche Wirtschaft kämpft weiterhin mit Gegenwind

Im dritten Quartal 2024 könnte die Wirtschaftsleistung leicht zulegen. Der private Konsum dürfte – ebenso wie die Dienstleister – wachsen. Zwar scheint die Zurückhaltung der Verbraucherinnen und Verbraucher anhaltender zu sein als etwa in der Deutschland-Prognose vom Juni 2024 angenommen, und die Sparquote dürfte im dritten Quartal noch steigen. 13 Gleichwohl sollten sich die günstigen Rahmenbedingungen durch preisbereinigt deutlich steigende verfügbare Einkommen zunehmend in steigenden Ausgaben der privaten Haushalte niederschlagen. Dagegen dürfte die Schwäche in der Industrie – und auch im Baugewerbe – noch anhalten. Vor dem Hintergrund der jüngsten Eintrübung der globalen Industriekonjunktur könnte die Auslandsnachfrage schwach bleiben. Außerdem befinden sich die Industrieunternehmen in einem schwierigen Wettbewerbsumfeld. Daher dürften auch die Exporte und die Ausrüstungsinvestitionen hinter den Erwartungen aus der letzten Deutschland-Prognose zurückbleiben. Insgesamt dürfte die Wirtschaftsleistung wohl nur leicht expandieren. Damit zögert sich die erwartete, langsame Belebung der Konjunktur weiter hinaus. Eine Rezession im Sinne eines deutlichen, breit angelegten und länger anhaltenden Rückgangs der Wirtschaftsleistung ist aus heutiger Sicht aber nicht zu erwarten, solange keine neuen negativen Schocks auftreten.

Die privaten Konsumausgaben und die Dienstleister dürften die Konjunktur leicht stützen. Die zunehmenden Ausgabenspielräume der privaten Haushalte sollten sich, wenn auch zögerlich, in höhere Konsumausgaben übersetzen. So lag das GfK-Konsumklima im Juli über dem Durchschnitt des Vorquartals und setzte damit seine Aufwärtstendenz der letzten Monate fort. Vor allem die Einkommenserwartungen stiegen erneut deutlich an. Auch die Anschaffungsneigung verbesserte sich – wenngleich von niedrigem Niveau aus. Spiegelbildlich ging die Sparneigung von hohem Niveau aus gegenüber ihrem Vorquartalsdurchschnitt leicht zurück. Die Verunsicherung bei den Verbrauchern dürfte die Belebung des privaten Konsums allerdings immer noch dämpfen. Die wirtschaftliche und politische Unsicherheit ist hoch und zu Beginn des dritten Quartals nochmals angestiegen. 14 Dies könnte dazu beigetragen haben, dass die Zulassungen von Kraftfahrzeugen im Juli gemäß Angaben des VDA gegenüber dem Mittel des zweiten Quartals deutlich zurückgingen. Gleichzeitig verschlechterten sich laut Umfragen des ifo Instituts die Geschäftslage und die Geschäftserwartungen der Einzelhändler. Im Gastgewerbe verbesserte sich dagegen zumindest die Geschäftslage etwas. Insgesamt dürfte der private Verbrauch im dritten Vierteljahr daher nur leicht expandieren. Auch der Dienstleistungssektor könnte im dritten Quartal moderat zulegen. So blieb die ifo Geschäftslage bei den Dienstleistern im Juli in etwa auf dem verbesserten Niveau des Vorquartals, und der entsprechende Einkaufsmanagerindex von S&P Global rangierte weiterhin oberhalb der Expansionsschwelle.

Dagegen dürfte vor allem die Industrie die Wirtschaftsaktivität zunächst weiter dämpfen. Sowohl die Geschäftslage als auch die Erwartungen der Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe verschlechterten sich im Juli laut Umfragen des ifo Instituts relativ deutlich. Zum Auftakt des dritten Quartals rangierten auch die kurzfristigen Exporterwartungen und Produktionspläne unter dem Vorquartal und weisen damit auf einen Fortgang der industriellen Schwächephase hin. Einen Hoffnungsschimmer lieferte allerdings der industrielle Auftragseingang. Er stieg nach fünf Monaten mit Rückgängen im Juni deutlich. Rechnet man die volatilen Großaufträge heraus, reichte es nach zwei Jahren negativer Wachstumsraten sogar für ein Plus im Vorquartalsvergleich. Positiv entwickelt sich auch die energieintensive Industrie. So verzeichneten die Hersteller chemischer Erzeugnisse im Vorquartalsvergleich das vierte Plus beim Auftragseingang. Insgesamt dürfte die deutsche Industriekonjunktur aber auch im dritten Quartal schwach bleiben.

Nachfrage nach Industriegütern und Bauleistungen
Nachfrage nach Industriegütern und Bauleistungen

Literaturverzeichnis

Baker, S., N. Bloom und S. Davies (2016), Measuring Economic Policy Uncertainty, The Quarterly Journal of Economics, Volume 131, Issue 4, S. 1593 – 1636.

Deutsche Bundesbank (2024), Deutschland-Prognose: Deutsche Wirtschaft fasst langsam wieder Tritt ‒ Perspektiven bis 2026, Monatsbericht, Juni 2024.

Statistisches Bundesamt (2024a), Bruttoinlandsprodukt im 2. Quartal 2024 um 0,1 % niedriger als im Vorquartal, Pressemitteilung Nr. 289 vom 30. Juli 2024.

Statistisches Bundesamt (2024b), Verschiebung der monatlichen Statistiken im Handel und im Dienstleistungsbereich.

Statistisches Bundesamt (2024c), Erwerbstätigkeit im Juni 2024 leicht angestiegen, Pressemitteilung Nr. 293 vom 31. Juli 2024.

 

Fußnoten
  1. In nominaler Betrachtung stieg das BIP dagegen kräftig um 1,4 %. Die Saisonbereinigung umfasst hier und im Folgenden auch die Ausschaltung von Kalendereinflüssen, sofern sie nachweisbar und quantifizierbar sind. Mit der Schnellmeldung wurden auch die Vorquartale revidiert, aufgrund einer Generalrevision der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen teilweise ab 1991. Vgl.: Statistisches Bundesamt (2024a).
  2. Dennoch liegt das Produktionsniveau der energieintensiven Wirtschaftszweige weiterhin mehr als 10 % unter jenem vor Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine.
  3. Die entsprechende Frage wird in den Umfragen des ifo Instituts nur vierteljährlich gestellt. Die Ergebnisse werden stets im ersten Monat eines Quartals veröffentlicht.
  4. Vgl.: Statistisches Bundesamt (2024b).
  5. Im Rahmen der Generalrevision 2024 der VGR wurde die Erwerbstätigkeit am Arbeitsort seit 1991 nach oben revidiert. Mit der Veröffentlichung der Daten für den Monat Juni 2024 liegen die Erwerbstätigenzahlen im ersten Halbjahr 2024 etwa ¼ % höher als zuvor ausgewiesen. Die zugrunde liegende konjunkturelle Beschäftigungsentwicklung veränderte sich jedoch nicht nennenswert. Siehe: Statistisches Bundesamt (2024c).
  6. Die Fußballeuropameisterschaft der Männer in Deutschland spielt hierfür keine Rolle. Zum einen reichen die Daten zur sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung erst bis zum Mai 2024, zum anderen dürfte die Fußballeuropameisterschaft vor allem kurzfristige und geringfügig entlohnte Beschäftigungsverhältnisse in diesem Bereich geschaffen haben.
  7. Das Lohnwachstum im zweiten Quartal wurde vor allem durch einen negativen Basiseffekt im Öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen sowie in der Energieversorgung stark gedämpft. Im Vergleich zum Vorjahr minderten dort die hohen Inflationsausgleichsprämien vom Juni 2023 den Lohn.
  8. In diese Statistik gehen nur die Nominallöhne von Vollzeitbeschäftigten ein. Auch in dieser Erhebung schlug sich der Basiseffekt der Inflationsausgleichsprämien des Vorjahres im Öffentlichen Dienst und der Energieversorgung dämpfend in der Zuwachsrate nieder.
  9. Die Werte beziehen sich auf den Eckentgeltempfänger. In niedrigeren Entgeltgruppen kann der Anstieg aufgrund von Sockelbeträgen und Inflationsausgleichsprämien höher und in höheren Entgeltgruppen niedriger ausfallen.
  10. Neben den rund 19 % in der Systemgastronomie betragen sie beispielsweise 12,5 % bei den öffentlichen Banken und etwa 16 % im Gebäudereinigerhandwerk (bezogen jeweils auf das Eckentgelt).
  11. Beim nationalen Verbraucherpreisindex (VPI) betrug die entsprechende Rate 2,3 %, nach 2,5 %.
  12. Beim nationalen Verbraucherpreisindex stieg die Rate ebenfalls leicht von 2,2 % auf 2,3 %.
  13. Vgl.: Deutsche Bundesbank (2024).
  14. Wesentliche Unsicherheiten bestehen im Zusammenhang mit geopolitischen Konflikten, der Wirtschaftspolitik oder jüngst auch den Finanzmärkten. Vgl. zur Messung von wirtschaftspolitischer Unsicherheit etwa den von Baker et al. (2016) auf Zeitungsartikeln basierenden Index. Dieser ist im Juli nochmals deutlich angestiegen und befindet sich aktuell auf dem zweithöchsten Wert seit dem Start seiner Berechnung im Jahr 1993.