Monatsbericht – März 2024

Der deutsche Leistungsbilanzüberschuss stieg 2023 im Verhältnis zum nominalen BIP um 1 ¾ Prozentpunkte auf knapp 6 %. Maßgeblich für die Zunahme nach dem erheblichen Rückgang 2022 war, dass sich der Saldo im Warenhandel durch die zurückgehenden Preise für importierte Rohstoffe (insbesondere Erdgas und andere Energieimporte) deutlich erholte. Das Defizit in der deutschen Dienstleistungsbilanz weitete sich demgegenüber aus. Hierzu dürften Nachholeffekte der grenzüberschreitenden Reisetätigkeit beigetragen haben. Die geldpolitische Straffung im In- und Ausland schlug sich auf der Aktiv- und Passivseite in etwa gleichem Maße in höheren Vermögenseinkommen nieder. Der Saldo der Primär- und Sekundäreinkommen blieb mehr oder weniger unverändert. Der gesamtwirtschaftliche Finanzierungssaldo stieg im Berichtsjahr relativ zum Bruttoinlandsprodukt (BIP). Zum einen normalisierten sich auf der Investitionsseite Vorratsbestände bei den nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften, die im Vorjahr preis- und krisenbedingt gestiegen waren. Zum anderen nahm die inländische Ersparnis vom gedämpften Vorjahresniveau wieder zu, da die Unternehmen weniger ausschütteten.

Spiegelbildlich zum höheren Leistungsbilanzsaldo stiegen auch die deutschen Netto-Kapitalexporte 2023 wieder an. Dabei gab es in einem Umfeld steigender Finanzierungskosten und geopolitischer Spannungen eine rege grenzüberschreitende Nachfrage nach verzinslichen Wertpapieren und bis in den Herbst hinein eine ausgeprägte Zurückhaltung bei Aktien und Investmentzertifikaten, die im Allgemeinen höhere Risiken bergen. Die Zurückhaltung betraf auch die deutschen Direktinvestitionen. Sowohl deutsche Direktinvestitionen im Ausland als auch ausländische Direktinvestitionen im Inland waren merklich niedriger als im Vorjahr. Im übrigen Kapitalverkehr sanken die deutschen TARGET-Forderungen infolge der strafferen Geldpolitik des Eurosystems deutlich. So beinhaltete die restriktivere Geldpolitik auch, dass seit Juli 2023 keine Reinvestitionen mehr im Rahmen des Programms zum Ankauf von Vermögenswerten (Asset Purchase Programme, APP) getätigt wurden. In den Vorjahren waren die Nettoankäufe im Rahmen der geldpolitischen Ankaufprogramme ein wichtiger Grund für die hohen TARGET-Forderungen Deutschlands gewesen. Gegen Jahresende sank die Inflation etwas kräftiger als erwartet. Entsprechend revidierten Marktteilnehmer die kurzfristigen Inflationsaussichten abwärts und sinkende Leitzinsen im Jahresverlauf 2024 wurden aus Marktsicht wahrscheinlicher. Das spiegelte sich auch in fallenden längerfristigen Zinsen am Kapitalmarkt. Bei weiterhin robuster Gewinnsituation waren die Aktien börsennotierter Unternehmen weltweit wieder stärker gefragt.

1 Leistungsverkehr

1.1 Grundtendenzen im Leistungsverkehr

Der deutsche Leistungsbilanzüberschuss nahm 2023 deutlich zu. Er stieg um 78½ Mrd € auf 243 Mrd €. Relativ zum nominalen BIP entsprach dies einem Anstieg des Saldos um 1 ¾ Prozentpunkte auf knapp 6 %. Der Zuwachs glich den Rückgang des Leistungsbilanzsaldos im Vorjahr, als die Energiepreise stark gestiegen waren, jedoch nur teilweise aus. Auch zum Jahresende lag der Saldo unter den Höchstwerten, die er in den Jahren vor Kriegsausbruch in der Ukraine und vor Ausbruch der Coronavirus-Pandemie erreicht hatte.

Maßgeblich für die Entwicklung der deutschen Leistungsbilanz 2023 war die deutliche Erholung des Warenhandelssaldos. Da die Preise für importierte Rohstoffe (insbesondere Erdgas und andere Energieimporte) sanken, verbesserten sich die Terms of Trade. Das Defizit in der Dienstleistungsbilanz weitete sich indes spürbar aus. Hier dürfte die noch aufgestaute grenzüberschreitende Reisetätigkeit eine Rolle gespielt haben. Zudem entfielen besondere Einnahmen durch Impfstoffe. Die geldpolitische Wende im In- und Ausland schlug sich auf der Aktiv- und Passivseite in etwa gleichem Maße in höheren Vermögenseinkommen nieder. Der Saldo der Primär- und Sekundäreinkommen blieb mehr oder weniger unverändert.

Die globalen Rahmenbedingungen waren 2023 angesichts gedämpfter Nachfrage nach Gütern insgesamt eher verhalten. Die Weltwirtschaft erholte sich weiter von den Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie und des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Die gestraffte Geldpolitik der Notenbanken trug zu rückläufigen Inflationsraten vieler Länder bei. Die Nachfrage litt jedoch unter den höheren Finanzierungskosten und darunter, dass fiskalische Unterstützungsmaßnahmen ausliefen und aufgehoben wurden. Das Welthandelsvolumen von Waren und Dienstleistungen legte 2023 im Vorjahresvergleich laut Schätzungen des Internationalen Währungsfonds nur geringfügig zu. Der Euro wertete deutlich auf und die deutsche preisliche Wettbewerbsfähigkeit ließ dementsprechend nach. Die Weltmarktpreise für Rohstoffe, insbesondere Erdgas und andere Energieimporte, waren 2023 nach dem Vorjahresanstieg im Gefolge des Ukrainekriegs rückläufig. Sie lagen im Mittel jedoch weiterhin deutlich über dem langfristigen Durchschnitt. 

Der deutsche Außenhandelsüberschuss stieg 2023 erheblich an. Ausschlaggebend waren die erwähnten abnehmenden Importpreise bei weitgehend unveränderten Exportpreisen. Die deutschen Terms of Trade verbesserten sich im Vorjahresvergleich um knapp 9 %. Mengenmäßig hingegen veränderte sich der Saldo kaum, denn sowohl Importe als auch Exporte gingen spürbar zurück.

In regionaler Betrachtung stieg der Leistungsbilanzüberschuss insbesondere gegenüber den Drittländern außerhalb des Euroraums, wo er um 1¼ Prozentpunkte auf 2¾ % des BIP zulegte. Vor allem der Überschuss im Warenhandel war größer, während das größere Defizit in der Dienstleistungsbilanz den Anstieg dämpfte. Gegenüber den Ländern des Euroraums stieg der Leistungsbilanzüberschuss dagegen nur um ¼ Prozentpunkt auf 3¼ % des BIP. Auch in diesem Fall weitete sich vor allem der Warenhandelsüberschuss aus.

Der gesamtwirtschaftliche Finanzierungssaldo, also der Saldo von Ersparnis und Investitionen, stieg im Berichtsjahr relativ zum BIP insbesondere aufgrund von Entwicklungen bei den nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften erheblich an. Den Ausschlag gab der Rückgang der Bruttoinvestitionen relativ zum BIP und hier vor allem, dass sich die im Vorjahr preis- und krisenbedingt erhöhten Vorratsbestände normalisierten. Die übrigen Investitionen der nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften blieben relativ zum BIP indes unverändert. Die Wohnungsbauinvestitionen gingen auch im Berichtsjahr zurück. Die inländische Ersparnis nahm 2023 vom gedämpften Vorjahresniveau wieder zu. Dabei trug vor allem die höhere Unternehmensersparnis zum Anstieg des gesamtwirtschaftlichen Finanzierungssaldos bei. Dies lag unter anderem an niedrigeren Ausschüttungen. Bei den Vermögenstransfers sank das Defizit des Staates, weil staatliche Hilfen ausliefen, die im Zuge der Coronavirus-Pandemie gewährt worden waren. Der Saldo der Vermögenstransfers bei den nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften schrumpfte. Auf den Finanzierungssaldo als Ganzes wirkte sich diese Verschiebung jedoch nicht aus. Im Vergleich zum Zeitraum vor der Coronavirus-Pandemie war der gesamtwirtschaftliche Finanzierungssaldo relativ zum BIP 2023 deutlich geringer. Dies ist im Wesentlichen auf die defizitäre Position des Staates zurückzuführen, der in den Jahren vor der Pandemie noch Überschüsse erzielt hatte.

1.2 Warenströme und Handelsbilanz

Der Außenhandel war im Jahresmittel preisbereinigt spürbar verhaltener als im Vorjahr. Die Warenexporte gaben preisbereinigt um 1 ¾ % nach und die Importe um 2 %. 1 Dem Wert nach gingen die Ausfuhren etwas stärker zurück als real. Die nominalen Einfuhren verminderten sich deutlich kräftiger als preisbereinigt, vor allem, weil sich Energieprodukte stark verbilligten. Im Ergebnis stieg der Außenhandelsüberschuss um 121 Mrd € auf 209 ½ Mrd €.

 

 

Tabelle 4.1: Außenhandel nach Regionen
in  %

Ländergruppe/LandAnteileVeränderung gegenüber Vorjahr
2023202120222023
Ausfuhr
 Euroraum

38,1   

18,1

17,3

-3,5

 übrige Länder

61,6   

12,0

14,2

-1,0

  darunter:
  Vereinigtes Königreich

5,0   

-3,1

13,5

6,2

  Mittel- und osteuropäische EU-Länder1)

12,8   

19,5

16,9

-3,5

  Schweiz

4,3   

7,8

16,4

-5,7

  Russland

0,6   

15,3

-45,4

-38,8

  USA

10,1   

17,9

28,1

1,1

  Japan

1,3   

4,9

12,4

-1,3

  Neue Industrieländer Asiens2)

2,8   

8,4

14,2

-5,6

  China

6,2   

8,1

3,1

-8,8

  Süd- und ostasiatische Schwellenländer3)

2,4   

15,5

14,3

5,4

  OPEC4)

1,6   

2,2

10,5

11,2

Alle Länder

100,0   

14,3

15,6

-2,0

Einfuhr
 Euroraum

35,0   

18,1

15,1

-6,6

 übrige Länder

64,9   

16,9

30,7

-12,0

  darunter:
  Vereinigtes Königreich

2,7   

-7,9

25,0

-8,8

  Mittel- und osteuropäische EU-Länder1)

15,0   

13,8

16,5

3,6

  Schweiz

3,8   

8,1

13,1

-7,1

  Russland

0,3   

54,2

9,8

-90,0

  USA

7,0   

6,8

29,1

1,1

  Japan

1,9   

9,6

8,2

0,5

  Neue Industrieländer Asiens2)

2,7   

11,6

27,8

-6,4

  China

11,5   

21,8

34,9

-19,2

  Süd- und ostasiatische Schwellenländer3)

4,2   

15,8

33,1

-7,5

  OPEC4)

1,4   

58,3

90,8

18,8

Alle Länder

100,0   

17,3

25,0

-10,1

1 Bulgarien, Polen, Rumänien, Tschechien, Ungarn. 2 Hongkong, Singapur, Südkorea, Taiwan. 3 Indien, Indonesien, Malaysia, Philippinen, Thailand, Vietnam. 4 Einschließlich Angola.

Regional betrachtet gaben sowohl die Erlöse der Ausfuhren in die Drittländer als auch diejenigen in den Euroraum nach. Die deutsche Exportwirtschaft verzeichnete spürbare und teilweise kräftige Erlöseinbußen bei ihren Lieferungen an bedeutende Absatzmärkte im Euroraum, in anderen Regionen Europas sowie in Süd- und Ostasien. Sehr stark gingen die Ausfuhren nach China zurück, wobei auch geringere Kraftfahrzeug-Lieferungen von Bedeutung waren. Die Exporte nach Russland sanken erneut ganz beträchtlich, nicht zuletzt als Folge der Sanktionen der EU. Die Ausfuhren verminderten sich allerdings nicht gegenüber allen Regionen. Beispielsweise weiteten sich die Verkäufe in die Vereinigten Staaten, gestützt durch die lebhafte Konjunktur dort, leicht aus. Stark stiegen die Lieferungen ins Vereinigte Königreich, auch im Bereich Kraftfahrzeuge. Die Ausfuhren in die Ukraine expandierten ganz erheblich. Ausschlaggebend dafür waren die im Zusammenhang mit dem Krieg gelieferten Waren. 2  

Mit Blick auf das Warensortiment gingen die Exporte preisbereinigt in der Breite zurück, aber die Ausfuhren von Kfz nahmen zu. Die Ausfuhren von Konsumgütern verbuchten in preisbereinigter Rechnung ein kräftiges Minus. Dabei sanken die Lieferungen von Pharma-Produkten besonders stark. Mit dem Abebben der Coronavirus-Pandemie ging der weltweite Bedarf an Corona-Impfstoffen zurück. Zudem gab es beträchtliche Abstriche bei Exportwaren wie Metall- und vor allem Chemie-Erzeugnissen. Deren energieintensive Herstellung litt unter den weiterhin hohen Energiekosten. Sehr kräftig verminderten sich zudem die Exporte von Energieprodukten wie Strom oder Gas. 3 Es mangelte auch an Nachfrageimpulsen für klassische Ausrüstungsgüter wie Maschinen, und die Lieferungen von Investitionsgütern wie Computer und Kommunikationstechnik gingen deutlich zurück. Demgegenüber expandierten die Ausfuhren von Kraftwagen und Kraftwagenteilen im Jahresmittel stark. 4 Im Jahresverlauf 2023 entwickelten sie sich allerdings nur verhalten. Außerdem liefen die Geschäfte der deutschen Kraftfahrzeug-Exporteure auf wichtigen Absatzmärkten im Jahresmittel unterschiedlich. Die Ausfuhren in den Euroraum und ins Vereinigte Königreich stiegen beträchtlich. Die Lieferungen in die USA hielten den massiv gestiegenen Stand des Vorjahres. Dahingegen verbuchten deutsche Exporteure in China erhebliche Abstriche. Insbesondere im Wachstumssegment der Elektromobilität wurde die chinesische Kraftfahrzeug-Nachfrage verstärkt durch Produktion vor Ort bedient.

Bei den Einfuhren gingen in regionaler Perspektive die Lieferungen aus den Drittländern nominal erheblich stärker zurück als diejenigen aus dem Euroraum. Außer gesunkenen Energiepreisen entlasteten deutlich niedrigere Preise für Vorleistungsgüter die deutschen Importeure. Dem Wert nach schlugen bei den Produzenten in Drittländern insgesamt beinahe doppelt so starke Erlöseinbußen zu Buche wie bei den Lieferanten im Euroraum. Dabei spielte auch eine Rolle, dass die Einfuhren aus China breit gefächert kräftig zurückgingen. 5 Zudem fielen die Importe aus Russland, bei denen Energieprodukte den Löwenanteil ausmachen und die Sanktionen der EU wirkten, auf sehr niedrigen Stand. Darüber hinaus verbilligten sich Einfuhren von Erdöl und Erdgas, die zum Großteil aus Drittländern stammen. Dem Wert nach verminderten sich die Lieferungen aus Norwegen beträchtlich. Sie bestehen zu fast drei Fünfteln aus Erdgas. Hier wirkte sich der Preisrückgang und auch das geringere Volumen des importierten Erdgases aus. Dagegen stiegen die Einfuhren von Rohöl und Ölprodukten aus den OPEC-Staaten kräftig. Hier glich der mengenmäßige Anstieg die rückläufigen Ölpreise mehr als aus. 

Die Einfuhren sanken preisbereinigt für eine umfangreiche Produktpalette, die Importe von Kraftfahrzeugen stiegen jedoch kräftig. Beträchtlich verminderten sich in preisbereinigter Rechnung die Importe von Konsumgütern. Auch die Einfuhren von Pharma-Produkten gaben nach, wobei unter anderem der gesunkene Bedarf an Coronavirus-Impfstoffen eine bedeutende Rolle spielte. Da die Industriekonjunktur in Deutschland schwach war, gingen die Lieferungen ausländischer Hersteller von wichtigen Vorleistungs- und Investitionsgütern wie Metallen und Metallerzeugnissen, Computern und Kommunikationstechnik sowie Maschinen deutlich zurück. Die Importe von Elektrotechnik flauten im Jahresverlauf spürbar ab, nachdem sie 2022 stark zugelegt hatten. Ganz erheblich verminderten sich die Einfuhren von chemischen Erzeugnissen, die im Vorjahr massiv gestiegen waren. Zudem gaben die Importe von Energieprodukten volumenmäßig deutlich nach. Denn der Energieverbrauch in Deutschland ging zurück, was vor allem mit der schwächeren heimischen Wirtschaftsleistung, insbesondere in den energieintensiven Branchen, in Verbindung stand. 6 Dabei wurde erheblich weniger Erdgas aus dem Ausland bezogen. 7 Darüber hinaus sanken die Einfuhren von Rohöl und Steinkohle kräftig. Dem wirkte nur teilweise der beträchtliche Anstieg der Importe von Mineralölerzeugnissen und insbesondere von Strom entgegen. 8 Sehr stark nahmen die  Einfuhren von Kraftwagen und Kraftwagenteilen zu. Dabei spielten auch Vorziehkäufe eine Rolle. Im Spätsommer wurde der staatliche Umweltbonus für den Erwerb von Elektroautos eingeschränkt.

Der Transithandel und die Warenergänzungen zum Außenhandel dämpften den Warenhandel per saldo. Die übrigen Komponenten des Warenhandels, zu denen die Ergänzungen zum Außenhandel, die Nettoausfuhr von Waren im Transithandel und der Handel mit Nicht-Währungsgold zählen, minderten den Anstieg des Warenhandelssaldos insgesamt deutlich. 9 Im Ergebnis erhöhte sich der Warenhandelsüberschuss um 101 Mrd € auf 227 Mrd €.

 

 

Exkurs

Zur Rolle von regionalen Handelsabkommen für internationale Warenströme

Diese Analyse basiert auf einem Forschungspapier von Nagengast und Yotov (2024).

Regionale Handelsabkommen rückten jüngst verstärkt in den Fokus. Seit Ausbruch der globalen Finanzkrise von 2008/09 verlor der Welthandel deutlich an Schwung. 1 In den letzten Jahren dürften protektionistische Bestrebungen wie Zölle und nichttarifäre Handelshemmnisse den Welthandel gebremst haben. 2 Die Lieferkettenstörungen infolge der Coronavirus-Pandemie und potenzieller geopolitischer Spannungen lenkten zudem in jüngster Zeit die Aufmerksamkeit vermehrt auf die Diversifizierung von Vorleistungen. 3 In diesem Kontext können regionale Freihandelsabkommen einen Beitrag leisten, den internationalen Handel sowie Wachstum und Beschäftigung zu stärken. Zudem könnten sie es Unternehmen erleichtern, ihre Handelspartner zu diversifizieren. Dementsprechend strebt die Europäische Union eine neue Generation von Freihandelsabkommen insbesondere mit Wachstumsregionen an. 4

Die Auswirkungen von regionalen Handelsabkommen auf internationale Handelsströme gehören zu den am meisten untersuchten und kontrovers diskutierten Themen in der internationalen Handelsliteratur. Die Schätzwerte empirischer Analysen dazu, wie sich regionale Handelsabkommen auf internationale Warenströme auswirken, werden mitunter als unrealistisch klein angesehen. Regionale Handelsabkommen führen schätzungsweise zu einem Anstieg des Handels zwischen den Mitgliedsländern von einem Fünftel, wenn herkömmliche Schätzverfahren für sogenannte Gravitationsmodelle verwendet werden. 5 Darüber hinaus gibt eine Reihe von Arbeiten Hinweise auf erhebliche Unterschiede der Auswirkungen von regionalen Handelsabkommen, die je nach Abkommen stark variieren können. 6 Eine neuere ökonometrische Literatur zeigte, dass die herkömmlich verwendeten Schätzer sogenannter zweiseitiger fixer Effekte jedoch stark verzerrt sein können, wenn die Auswirkungen von Politikmaßnahmen tatsächlich stark variieren. 7 Sie schlägt dahingehend robuste Alternativen vor. 8

Ein neuer Schätzansatz legt deutlich größere und länger anhaltende Effekte von regionalen Handelsabkommen auf internationale Warenströme nahe. 9 Dieser Ansatz passt denjenigen von Wooldridge (2023) an die Gegebenheiten von Gravitationsmodellen an und ist nicht von großen Wirkungsunterschieden bei Handelsabkommen beeinflusst. 10 Demnach führen regionale Handelsabkommen zu einem Anstieg des Handels zwischen den Mitgliedsländern von rund 46 %. Dieser Wert ist mehr als doppelt so groß wie durch herkömmliche Verfahren ermittelt. 11 Zudem ist das Ergebnis im Hinblick auf eine Reihe von Robustheitsüberprüfungen stabil. 12 Eine Event-Studien-Variante des herkömmlichen Ansatzes – welche eine Analyse der Effekte über die Zeit ermöglicht – legt zudem nahe, dass die positiven Auswirkungen von regionalen Handelsabkommen nach etwa sechs Jahres relativ schnell erschöpft sind. Ergebnisse gemäß dem neuen Schätzansatz zeigen hingegen, dass die Auswirkungen von regionalen Handelsabkommen über die Jahre relativ gleichförmig wachsen und noch mehr als 15 Jahre nach Unterzeichnung spürbar sind. 

Der neue Schätzer legt zudem nahe, dass die jüngsten Handelsabkommen seit den 2000er Jahren den internationalen Handel weniger steigerten als frühere Abkommen. 13 Denn eine Aufteilung des durchschnittlichen Effekts von Handelsabkommen nach Abschlussdatum zeigt, dass die Effekte in den 1990er Jahren am größten und meist überdurchschnittlich waren. Hierfür gibt es einige mögliche Gründe. Erstens wurden diejenigen Handelsabkommen, die hinsichtlich geographischer Faktoren und zuvor bereits bestehender grenzüberschreitender Wertschöpfungsketten besonders nahe lagen, bereits in den 1980er und 1990er Jahren unterzeichnet. Das wirtschaftliche Potenzial der jüngeren Abkommen aus den 2000er Jahren war somit geringer und begrenzter. 14 Zweitens waren die ersten beiden Jahrzehnte der 2000er Jahre von erheblichen Wirtschaftskrisen wie dem Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2000 und der globalen Finanzkrise geprägt. Drittens sanken die durchschnittlich angewandten Meistbegünstigungszölle während des Untersuchungszeitraums erheblich. 15 Dadurch blieb weniger Spielraum für handelsfördernde Auswirkungen von Zollsenkungen durch Handelsabkommen.

Unter dem Strich sind die Effekte von regionalen Handelsabkommen basierend auf den Auswertungen des neuen Schätzers deutlich größer als bisher angenommen. Sie bieten damit auch für verbleibende Länderpaare ohne Handelsabkommen einen positiven Ausblick. Dies ergibt sich aus einem Szenario, das auf einer weiteren Schätzung beruht und in dem alle Länderpaare ohne Handelsabkommen ein solches unterzeichnen würden. 16 Die Ergebnisse liefern vorläufige Hinweise darauf, dass Handelsabkommen zwischen verbleibenden Länderpaaren den Handel im Gegensatz zu den Ergebnissen für die jüngsten Handelsabkommen deutlich ankurbeln würden, wenn auch in geringerem Maße als im historischen Durchschnitt. Für die Zukunft bieten die Ergebnisse somit die ermutigende Botschaft, dass weitere und insbesondere tiefere und umfassendere Handelsabkommen den internationalen Handel weiter steigern und einen wichtigen Beitrag zur Diversifizierung von Lieferanten und Abnehmern leisten können. 17

1.3 Die „unsichtbaren“ Leistungstransaktionen

Das Defizit in der Bilanz grenzüberschreitender Dienstleistungen erhöhte sich im Berichtsjahr 2023 gegenüber dem Vorjahr erheblich auf 63 Mrd €. Das ist das höchste Defizit in dieser Bilanz seit mehr als zwei Jahrzehnten. Zu diesem Ergebnis trugen sowohl gesunkene Einnahmen als auch gestiegene Ausgaben bei. Die Dienstleistungsexporte gingen geringfügig um ½ % auf 407 Mrd € zurück, nachdem sie in den beiden Vorjahren merklich angestiegen waren. Für den Rückgang war in erster Linie verantwortlich, dass zwei Sondereffekte des Vorjahres entfielen. Zum einen gingen die Frachtraten bei deutschen Transportleistungen von ihrem außergewöhnlich hohen Niveau des Jahres 2022 zurück. Zum anderen entfielen einige Einnahmen im Bereich des geistigen Eigentums in der Pharmabranche. Die Importe von Dienstleistungen wuchsen um gut 5 % auf nunmehr 470 Mrd €, nachdem sie in den beiden Vorjahren bereits massiv zugelegt hatten. Insbesondere stiegen die grenzüberschreitenden Reiseverkehrsausgaben. Auch in anderen Dienstleistungsbereichen erhöhten sich die Aufwendungen jedoch teilweise deutlich. Dem wirkte nur teilweise entgegen, dass die Ausgaben deutscher Auftraggeber für den Gütertransport bei ausländischen Anbietern sanken.

Den mit Abstand größten Beitrag zum hohen Defizit der Dienstleistungsbilanz leistet die Reiseverkehrsbilanz. Mit 69 Mrd € erreichte diese Teilbilanz im Jahr 2023 erneut den höchsten nominalen Fehlbetrag seit ihrer Erfassung. Damit erhöhte sich das Defizit um etwa 14 Mrd € gegenüber dem Jahr 2022. Die Reiseverkehrseinnahmen – Deutschland erwirtschaftet diese vor allem mit Messe-, Veranstaltungs- und Geschäftsreisen – legten zwar um etwa ein Siebtel zu. Sie unterschritten jedoch weiterhin das Vorpandemieniveau. Dagegen liegen die von Urlaubsreisen geprägten Reiseverkehrsausgaben von in Deutschland gebietsansässigen Personen im Ausland bereits seit 2022 über ihrem Vorpandemieniveau. Diese stiegen 2023 nochmal um mehr als ein Fünftel auf nunmehr 103 ½ Mrd €. Stärker als vor der Pandemie fließen diese Gelder nunmehr in andere EU-Länder, während die Ausgaben für Fernreisen, insbesondere nach Asien, sich noch nicht in diesem Maß erholten. 

Grenzüberschreitende Transportleistungen bildeten 2023 einen umsatzmäßig erheblichen Teilposten in der Dienstleistungsbilanz. Nach massiven Anstiegen insbesondere der Frachtraten in den beiden Jahren 2021 und 2022 sanken die Preise im Berichtsjahr wieder. Angesichts der schwachen Außenhandelsentwicklung können jedoch auch Mengeneffekte eine dämpfende Rolle gespielt haben. Sowohl Einnahmen – dazu zählen neben Erlösen inländischer Transportunternehmen aus See-, Land- und Lufttransporten ebenfalls der Betrieb von Pipelines und Stromweiterleitung – als auch Ausgaben von Inländern für Transportleistungen gingen um ein Sechstel zurück. Im Vergleich zum Vorjahr sank das Defizit in diesem Bereich geringfügig um 1 ½ Mrd €. Weitere, dem Güteraustausch nahestehende Teile der Dienstleistungsbilanz – die Fertigungs-, Instandhaltungs- und Reparaturdienstleistungen – wiesen einen leicht verringerten Überschuss aus.

Der Überschuss in der Position "Gebühren für die Nutzung von geistigem Eigentum" ging 2023 um 8 Mrd € gegenüber dem Vorjahr zurück. Der wichtigste Grund für diese Entwicklung war, dass hohe Einnahmen im Zusammenhang mit der Entwicklung von Impfstoffen, die in den Jahren 2021 und 2022 zu hohen Sondereinnahmen geführt hatten, entfielen. 

Die Umsätze für weitere wissensbasierte und sonstige unternehmensbezogene Dienstleistungen erhöhten sich im Berichtsjahr merklich. Die Teilbilanz der grenzüberschreitenden EDV-, Telekommunikations- und Informationsdienstleistungen blieb dabei ähnlich defizitär wie im Vorjahr. Die Bilanz der sonstigen unternehmensbezogenen Dienstleistungen, die Forschung und Entwicklung, freiberufliche, technische und kaufmännische Dienstleistungen sowie Managementberatungsleistungen umfassen, verschlechterte sich hingegen spürbar um 4 Mrd €. Dies lag in erster Linie an erhöhten Aufwendungen für Forschungs- und Entwicklungsleistungen aus dem Ausland. Der Saldo bei grenzüberschreitenden Versicherungs-, Altersvorsorge- und Finanzdienstleistungen erhöhte sich kaum. 

Die Primäreinkommensbilanz wies im Berichtsjahr einen massiven, praktisch unveränderten Aktivsaldo von 144 Mrd € aus. Der Überschuss war nur etwa 2 Mrd € höher als 2022, nachdem er in den beiden Jahren zuvor kräftig angestiegen war. Somit entsprachen allein die Nettoerträge der Primäreinkommen etwa 3 ½ % des BIP

Der hohe Primäreinkommenssaldo ist in erster Linie das Resultat der Nettoerträge aus Vermögensanlagen. Die Zahlungen inländischer Akteure an ausländische Kapitalgeber kletterten gegenüber dem Vorjahr substanziell. Aufgrund des erheblichen Netto-Auslandsvermögens von in Deutschland Gebietsansässigen erlösten inländische Investoren und Kapitalgeber aus grenzüberschreitenden Vermögenseinkommen viel mehr, als sie an Aufwendungen leisteten. Die Erträge schwollen gegenüber dem Vorjahr deutlich an. Auf beiden Bilanzseiten ist dieser Anstieg in erster Linie dem höheren Zinsniveau zuzuschreiben. 

Der in den letzten Jahren gewachsene Fehlbetrag in der Bilanz der grenzüberschreitenden Sekundäreinkommen sank 2023 geringfügig. Die Ausgaben überstiegen im Berichtsjahr die Einnahmen um 65 ½ Mrd €, 1 ½ Mrd € weniger als ein Jahr zuvor. Sowohl die Einnahmen (+ 6 ½ Mrd €) wie auch die Ausgaben (+ 5 Mrd €) erhöhten sich moderat. Zu Umsatzsteigerungen bei wenig verändertem Saldo kam es in erster Linie im Bereich der nichtstaatlichen grenzüberschreitenden Sekundäreinkommen. Bei den dahinterstehenden Zahlungsströmen handelt es sich überwiegend um Beiträge beziehungsweise Regulierungen international tätiger Versicherungsunternehmen. Die Höhe der Heimatüberweisungen blieb dagegen stabil. Die staatlichen Zahlungsströme blieben im Aggregat auf Vorjahresniveau. Dies betrifft auf der Einnahmenseite unter anderem die Steuern von Nicht-Gebietsansässigen auf in Deutschland erzielte Einkommen und Vermögen. Auf der Ausgabenseite sanken zwar die Aufwendungen für Beiträge Deutschlands an den EU-Haushalt, die sich an der Wirtschaftsleistung bemessen. Andere Zahlungen im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit kompensierten diesen Rückgang jedoch überwiegend, zum Beispiel durch staatliche Hilfen an die Ukraine. 

 

 

Tabelle 4.2: Wichtige Posten der Zahlungsbilanz
Mrd €

Position2021 r)2022 r)2023 r)
I. Leistungsbilanz

+ 263,5 

+ 164,6 

+ 243,1 

 1. Warenhandel 

+ 196,5 

+ 125,9 

+ 226,8 

  Einnahmen

1 375,1 

1 580,0 

1 539,2 

  Ausgaben

1 178,6 

1 454,1 

1 312,4 

  nachrichtlich:
   Außenhandel 1)

+ 175,3 

+   88,6 

+ 209,6 

    Ausfuhr                                          

1 379,3 

1 594,0 

1 562,4 

    Einfuhr

1 204,0 

1 505,4 

1 352,8 

 2. Dienstleistungen 

+   1,6 

-   37,3 

-   63,0 

  darunter:
   Reiseverkehr

-  24,3 

-   54,9 

-   68,9 

 3. Primäreinkommen

+ 123,2 

+ 142,1 

+ 143,9 

  darunter:
   Vermögenseinkommen

+ 122,2 

+ 143,3 

+ 144,5 

 4. Sekundäreinkommen

-  57,8 

-   66,1 

-   64,6 

II. Vermögensänderungsbilanz

-   2,6 

-   21,6 

-   27,3 

III. Kapitalbilanz 2)

+ 209,0 

+ 198,2 

+ 232,6 

 1. Direktinvestitionen

+  81,5 

+ 112,2 

+   59,7 

 2. Wertpapieranlagen

+ 197,2 

+   10,7 

+    1,2 

 3. Finanzderivate 3)

+  47,9 

+   41,5 

+   40,0 

 4. Übriger Kapitalverkehr 4)

- 149,5 

+   29,3 

+ 130,9 

 5. Währungsreserve

+  31,9 

+    4,4 

+    0,9 

IV. Statistisch nicht aufgliederbare Transaktionen 5)

-  51,9 

+   55,2 

+   16,7 

1 Spezialhandel nach der amtlichen Außenhandelsstatistik (Quelle: Statistisches Bundesamt). 2 Zunahme an Netto-Auslandsvermögen: + / Abnahme an Netto-Auslandsvermögen: -. 3 Saldo der Transaktionen aus Optionen und Finanztermingeschäften sowie Mitarbeiteraktienoptionen. 4 Enthält insbesondere Finanz- und Handelskredite sowie Bargeld und Einlagen. 5 Statistischer Restposten, der die Differenz zwischen dem Saldo der Kapitalbilanz und den Salden der Leistungs- sowie der Vermögensänderungsbilanz abbildet.
Exkurs

Leistungsbilanzsalden – Einflussfaktoren über die Zeit und zwischen Ländern

Die Leistungsbilanz erfasst als Teil der Zahlungsbilanz vor allem die realwirtschaftlichen Transaktionen eines Landes mit dem Rest der Welt. Der Saldo der Leistungsbilanz wird durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst, die teils struktureller, teils zyklischer Natur sind. Für den Leistungsbilanzsaldo ist dabei immer relevant, wie sich die inländischen Einflussfaktoren relativ zu denen im Ausland darstellen. Zu den strukturellen Faktoren gehören zum Beispiel die Energieintensität einer Volkswirtschaft oder demografische Aspekte, sie sind typischerweise langfristiger Natur. Die zyklischen Einflussfaktoren verändern sich fortwährend und bilden beispielsweise ab, ob sich die Konjunktur im Inland besser oder schlechter entwickelt als die in anderen Ländern.

Der Fokus der hier vorgestellten Analyse liegt auf Faktoren, die den Leistungsbilanzsaldo über das Spar- und Investitionsverhalten im Inland und im Ausland beeinflussen. Für die Schätzung der Leistungsbilanzsalden wird dabei auf in- und ausländische Größen im Zeitverlauf abgestellt, die für das Spar- und Investitionsverhalten wichtig sind. Für die Schätzung wird eine Panel-Regression mit „Correlated Random Effects (CRE)“ angewendet. Diese Schätzmethode erlaubt es, beide, die Zeitreihen- und die Querschnittsvariation eines Panels, gleichzeitig, aber getrennt voneinander zu berücksichtigen. 1

Der Ansatz lehnt sich bei der Variablenauswahl an Schätzungen des Internationalen (IWF) von Leistungsbilanzsalden im Rahmen des External Balance Assessment an. 2 Unterschiede ergeben sich unter anderem dadurch, dass der IWF entsprechend seinem Mandat auch viele Schwellenländer in seine Analyse einbezieht. Das Panel der hier vorgestellten Schätzung umfasst ausschließlich fortgeschrittene Volkswirtschaften. 3 Es werden Jahresdaten von insgesamt 24 Ländern verwendet. Der Zeitraum umfasst die Jahre von 1999 bis 2022. Soweit nicht anders erwähnt, gehen alle Variablen als Differenzen zum Weltdurchschnitt in die Schätzung ein. 4 Auf diese Weise wird sichergestellt, dass allen Ländern gemeinsame Entwicklungen keine Auswirkungen auf die geschätzten Leistungsbilanzsalden haben. 5

Die zu erklärende Variable ist die Leistungsbilanzquote, definiert als der Leistungsbilanzsaldo in Relation zum nominalen Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die Normierung mit dem BIP ermöglicht den Vergleich zwischen Ländern und im Zeitverlauf. Da die nationalen Leistungsbilanzsalden im Aggregat – sieht man von statistischen Diskrepanzen ab – weltweit ausgeglichen sein müssen, wird diese Variable nicht als Differenz zum Weltdurchschnitt definiert. 6 Als Regressoren dienen die nachfolgend beschriebenen Variablen.

Die Netto-Auslandsposition in Relation zum BIP: Ein hohes Netto-Auslandsvermögen ermöglicht tendenziell höhere Vermögenseinkommen, die Bestandteil der Leistungsbilanz sind. Höhere Netto-Auslandspositionen dürften daher für sich genommen eine positive Wirkung auf die Leistungsbilanzsalden haben. Ein höheres Vermögen ermöglicht allerdings auch einen höheren Konsum, was dann einen niedrigeren Leistungsbilanzsaldo begünstigt. Angesetzt wird der Vorjahresendstand, um den Effekt auf die Netto-Vermögenseinkommen abzubilden. Auf die Differenzenbildung zum Weltdurchschnitt wird aus den gleichen Gründen verzichtet wie beim Leistungsbilanzsaldo.

Die Energiebilanz in Relation zum BIP: Da der Handel mit Energieträgern in der Handelsbilanz erfasst wird, geht die Energiebilanz unmittelbar in die Leistungsbilanz ein. Aufgrund von Zweitrundeneffekten übersetzt sich der Zusammenhang aber nicht zwangsläufig eins zu eins. Deshalb wird die Energiebilanz nicht einfach von der Leistungsbilanz abgezogen (dies entspräche einer Restriktion des zugehörigen Koeffizienten auf den Wert eins), sondern der Einfluss auf die Leistungsbilanz wird unrestringiert geschätzt. Zu erwarten ist dennoch ein positives Vorzeichen. Eine Differenzenbildung zum Weltdurchschnitt ist nicht erforderlich.

Das reale Wirtschaftswachstum enthält eine Nachfrage- und eine Angebotskomponente. Nachfragebedingt lassen eine höhere Konsum- und Investitionsnachfrage eher einen negativen Effekt auf die Leistungsbilanz erwarten. Dieser Effekt korreliert stark mit den unten beschriebenen Kontrollvariablen „Auslastungsgrad“ und „Kreditvergabe“. Angebotsseitig dürften mit zunehmender Produktion auch die Exporte steigen, was eher einen positiven Effekt auf die Leistungsbilanz erwarten ließe. Allerdings kommt beispielsweise eine hohe internationale Wettbewerbsfähigkeit nicht nur den Exporten der heimischen Wirtschaft zugute, sondern auch der Investitionstätigkeit vor Ort, sodass der Nettoeffekt auf die Leistungsbilanz a priori nicht eindeutig festgelegt ist.

Der Auslastungsgrad der Volkswirtschaft: Die prozentuale Abweichung des tatsächlichen realen BIP vom Produktionspotenzial ist eine typische zyklische Variable. Sie trägt der Beobachtung Rechnung, dass Volkswirtschaften im konjunkturellen Aufschwung aufgrund der erhöhten Inlandsnachfrage tendenziell Leistungsbilanzdefizite aufweisen. 7

Die Kreditvergabe an den Privatsektor in Prozent des BIP gibt Auskunft über die heimische Konsum- und Investitionsnachfrage. Sie ist ebenfalls stark zyklisch und ist gerade im Falle einer Überhitzung häufig für die Entstehung finanzieller und makroökonomischer Ungleichgewichte verantwortlich. 8 Zu erwarten ist aus dieser Perspektive als Wirkung auf die Leistungsbilanz über die Zeit ein negatives Vorzeichen.

Der Anteil vergleichsweise hoher Einkommen in einer Volkswirtschaft: Steigt der Anteil des obersten Zehntels der Einkommen am gesamten Volkseinkommen wird als unmittelbare Wirkung ein steigender Leistungsbilanzsaldo erwartet. Der Grund dafür ist, dass dieser Teil der Bevölkerung Einkommenszugewinne eher für zusätzliche Ersparnis und Vermögensbildung als für zusätzlichen Konsum nutzt. 9

Der Finanzierungssaldo des Gesamtstaats in Relation zum BIP repräsentiert die Ersparnisbildung des Staates abzüglich der öffentlichen Investitionen und steht somit für den Beitrag der öffentlichen Haushalte zum Leistungsbilanzsaldo eines Landes. Er geht wie die Energiebilanz unmittelbar in den Leistungsbilanzsaldo ein. Das Vorzeichen sollte daher positiv sein, der Koeffizient kann aber aufgrund von Zweitrundeneffekten von eins abweichen.

Der Anteil der Primärsparer an der Erwerbsbevölkerung: Für die Bevölkerungsgruppe zwischen 45 Jahren und 64 Jahren wird davon ausgegangen, dass sie typischerweise mehr spart als andere Altersgruppen der Bevölkerung. Sie wird hier als Gruppe der Primärsparer bezeichnet. Ein relativ hoher Anteil der Primärsparer an der Erwerbsbevölkerung dürfte daher eher mit höherer Ersparnis einhergehen. Bezüglich der Leistungsbilanz wird hierbei ein positiver Zusammenhang erwartet. 

Aber nicht nur der aktuelle Anteil, sondern auch die durchschnittliche Lebenserwartung der Primärspärer fließt in die Untersuchung ein. 10 Je höher die Lebenserwartung dieser Bevölkerungsgruppe ist, umso mehr dürfte sie für das Alter vorsorglich ansparen. Dies sollte für sich genommen den Leistungsbilanzsaldo erhöhen.

Die Relation der Bevölkerung über 64 Jahren zur Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter gibt umgekehrt die relative Bedeutung der älteren Personen bezogen auf die Erwerbstätigen an. Für diese Variable wird im Kontext der Leistungsbilanzschätzung ein negatives Vorzeichen erwartet, da davon ausgegangen wird, dass ältere Personen in einer Lebensphase sind, in der sie eher ihre Ersparnisse verbrauchen (entsparen) als zusätzlich weiter Vermögen anzusparen.

Das Bevölkerungswachstum dient als Näherungsgröße für den Einfluss weiterer Teile der Bevölkerung in der Volkswirtschaft, die zunächst noch keinen direkten Beitrag zur Ersparnisbildung in einem Land leisten. Es erlaubt, den Einfluss des Wachstums der Bevölkerung durch Geburt oder Migration abzubilden. Für diese Variable wird im Kontext der Leistungsbilanzschätzung ebenfalls ein negatives Vorzeichen erwartet.

Geschätzt wird folgende Panelregression mit einem CRE-Ansatz 11 :

$$ca\,gdp_{it}=(x_{it}-\bar{x}_{i})\beta_{1}+\bar{x}_{i}\beta_{2}+c+\mu_{i}+\gamma_{t}+\varepsilon_{it}$$

wobei \( ca\,gdp_{it} \) für die Leistungsbilanzquote definiert als der Leistungsbilanzsaldo in Relation zum nominalen BIP von Land \( i \) zum Zeitpunkt \( t \) steht und  \( x_{it} \) ein Vektor mit k Variablen ist, die den oben beschriebenen Determinanten entsprechen. \( \bar x_i \) ist ein Vektor der Zeitreihendurchschnitte der k Variablen von \( x_{it} \); \( c \) ist eine Konstante, \( \mu_i \) ist ein unbeobachteter länderspezifischer Zufallseffekt (random effect), \( \gamma_t \) steht für zeitspezifische fixe Effekte und \( \varepsilon_{it} \) ist der Fehlerterm. 

Die geschätzten Koeffizienten des Vektors \( \hat \beta_1 \) erfassen jeweils den Effekt der Zeitreihenvariation in den Daten eines Landes und werden daher als „Within Group“ bezeichnet; die geschätzten Koeffizienten des Vektors \( \hat \beta_2 \) geben die Effekte der Querschnittsvariation in den Daten wieder, entsprechen einem Between-Effects-Schätzer und werden als „Between Group“ bezeichnet. Beide Effekte zusammen bestimmen das Ergebnis der geschätzten Leistungsbilanzsalden. Das CRE-Modell erlaubt es, den Einfluss von Abweichungen über die Zeit innerhalb der einzelnen Länder (Within Group) und Abweichungen zwischen den Ländern (Between Group) gleichzeitig und separat zu schätzen. Das Verfahren ist somit allgemeiner als der übliche Fixed-Effects-Schätzer. 12 Normative Aussagen darüber, ob die so ermittelten Werte für die Leistungsbilanzsalden angemessen oder gleichgewichtig sind, werden auf Basis der hier vorgestellten Schätzung nicht getroffen.

Tabelle 4.3: Leistungsbilanzsaldo in Prozent des BIP: Schätzergebnis auf Basis des Correlated-Random-Effects-Ansatzes (CRE-Ansatz)

Position(1)(2)
Koeffizient

 

\( \hat \beta_1 \)

Within Group

\( \hat \beta_2 \)

Between Group

Netto-Auslandsposition in Relation zum BIP

0.016 ***

(0.006)

0.065 ***        

(0.005)

Energiebilanz in Relation zum BIP

0.008 ***

(0.001)

-0.001 *

(0.000)

Reales Wirtschaftswachstum 

0.045

(0.086)

1.915 ***

(0.397)

Auslastungsgrad der Volkswirtschaft 

-0.537 ***

(0.090)

-0.401 **

(0.200)

Kreditvergabe an den Privatsektor in Prozent des BIP 

-0.047 ***

(0.011)

0.033 ***

(0.006)

Anteil vergleichsweise hoher Einkommen (oberstes Zehntel)

0.385 ***

(0.084)

-0.096 **

(0.045)

Finanzierungssaldo des Gesamtstaates in Relation zum BIP 

0.282 ***

(0.062)

0.267 ***

(0.093)

Anteil der Primärsparer an der Erwerbsbevölkerung 

0.011

(0.096)

0.221

(0.168)

Durchschnittliche Lebenserwartung der Primärspärer 

0.086

(0.187)

0.328 ***

(0.058)

Relation der Bevölkerung über 64 Jahren zur Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter 

0.132 **

(0.058)

0.146 ***

0.033

Bevölkerungswachstum 

-1.185 **

(0.481)

-0.671

(0.448)

Konstante

-0.606

(1.093)

Beobachtungen

493

Jahre

1999-2022

0.72

Between Group R²

0.87

Within Group R²

0.44

Standardfehler in Klammern. *** (**) [*] kennzeichnen eine Signifikanzniveau von 1% (5%) [10%].

Die Ergebnisse der geschätzten Koeffizienten bestätigen die Überlegungen der Variablenauswahl weitgehend. In der Tabelle 4.3 zeigt Spalte (1) die Within-Group-Koeffizienten \( \hat \beta_1 \). Der Within-Group-Koeffizient gibt an, wie eine Variable über die Zeit hinweg auf ein Land wirkt. Die Wirkungsstärke ist über den gesamten Zeitraum und für alle Länder annahmegemäß gleich groß. Das Netto-Auslandsvermögen der Vorperiode, der Handelsbilanzsaldo mit Energieträgern, der Finanzierungssaldo des Staates und der Anteil vergleichsweise hoher Einkommen wirken wie erwartet positiv auf den Leistungsbilanzsaldo. 13 Der Auslastungsgrad und die Kreditvergabe an den Privatsektor – beide als zyklische Einflussfaktoren – wirken wie erwartet negativ. Von den demografischen Faktoren zeigt das Bevölkerungswachstum den erwarteten negativen Einfluss auf die Ersparnisbildung. Auch der Anteil der Bevölkerung im Rentenalter relativ zur Erwerbsbevölkerung bestimmt das Ergebnis, jedoch anders als unterstellt mit einem positiven Vorzeichen. Offenbar sparen ältere Menschen in Industrieländern oftmals weiterhin Vermögen an, statt es allmählich aufzubrauchen. Motive hierfür könnten in der Unsicherheit bezüglich der eigenen Lebenserwartung oder des künftigen Pflegebedarfs liegen, aber auch in der Ausgestaltung des Rentensystems und in dem Wunsch, Vermögen an kommende Generationen zu vererben.

Die Within-Group-Schätzung veranschaulicht zum Beispiel die Bedeutung des Handelsbilanzsaldos mit Energieträgern für den Rückgang des deutschen Leistungsbilanzsaldos von 2022 im Vergleich zum Vorjahr. Die Schätzung ergab im Panelansatz einen signifikant positiven Koeffizienten von 0,008 für diese Variable. Im Jahr 2022 betrug der deutsche Leistungsbilanzsaldo in Relation zum BIP 4,2 %, im Jahr davor lag er bei 7,3 %. Die Verschlechterung des deutschen Handelsbilanzsaldos mit Energieträgern fiel dabei besonders ins Gewicht und erklärte (bei dem geschätzten Koeffizienten von 0,008) für sich genommen einen Prozentpunkt (also rund ein Drittel) dieses Rückgangs. 

Im Ländervergleich – Spalte (2), Between-Group-Koeffizienten \( \hat \beta_2 \) – übt die landesspezifische durchschnittliche Lebenserwartung der Primärsparer den erwarteten positiven Einfluss auf die Leistungsbilanz aus. In der Querschnittsdimension bestätigt sich auch der positive Ersparnisbeitrag der älteren Bevölkerung. Darüber hinaus haben im Ländervergleich ebenfalls das Auslandsvermögen der Vorperiode und der Finanzierungssaldo des Gesamtstaats einen positiven Einfluss auf die Leistungsbilanz, während sich für den Auslastungsgrad wie erwartet ein dämpfender Einfluss ergibt.

Im Ländervergleich zeigt sich aber auch, dass Strukturmaßnahmen, die zum Beispiel die Wettbewerbsfähigkeit stärken, den Leistungsbilanzsaldo tendenziell positiv beeinflussen. Darauf deutet der positive Koeffizient für das Wirtschaftswachstum hin. A priori war der Effekt ungewiss, da eine hohe internationale Wettbewerbsfähigkeit nicht nur den Exporten der heimischen Wirtschaft zugutekommt, sondern auch der Investitionstätigkeit vor Ort. 

Die CRE-Schätzmethode zeigt, dass Unterschiede zwischen den Ländern eine bedeutende Rolle für die Erklärung der Leistungsbilanzsalden spielen. Das vergleichsweise hohe R² der Schätzung (0,72) geht zu einem großen Teil auf den Erklärungsgehalt der Between-Variation zurück; das entsprechende R² beträgt 0,87. Es ist damit höher als jenes der Within-Heterogenität (0,44). 

Das vorgestellte Modell, das mittels des CRE-Ansatzes geschätzt wurde, weist für die deutsche Leistungsbilanzquote in den zurückliegenden Jahren eine vergleichsweise hohe Erklärungsgüte auf. Das gilt sowohl für die lange Phase mit sehr hohen Leistungsbilanzüberschüssen in Relation zum BIP als auch für den Rückgang im Jahr 2022.

2 Kapitalverkehr

2.1 Grundtendenzen im Kapitalverkehr

Die deutschen Netto-Kapitalexporte beliefen sich 2023 auf 232 ½ Mrd € und waren damit deutlich höher als im Jahr zuvor (198 Mrd €). Diese Entwicklung entsprach dem merklich gestiegenen Leistungsbilanzüberschuss, fiel aber geringer aus. Die Vermögensänderungsbilanz als dritte Komponente der Zahlungsbilanz schloss mit einem Defizit von 27 ½ Mrd €. Hier werden Vermögensübertragungen sowie Transaktionen von nicht produzierten Sachgütern verbucht, zu denen beispielsweise der Handel mit Emissionszertifikaten oder Transaktionen in bestimmten Kryptowährungen zählen. 10 Die verbleibende Differenz zwischen den Salden von Leistungsbilanz und Vermögensänderungsbilanz einerseits sowie Kapitalbilanz andererseits erklärt sich durch den statistischen Restposten (16 ½ Mrd €), der die statistisch nicht aufgliederbaren Transaktionen enthält.

Die straffe Geldpolitik, mit der die Notenbanken auf die hohe Inflation reagierten, sorgte an den internationalen Finanzmärkten bis in den Herbst hinein für steigende Finanzierungskosten der Unternehmen. Zu Jahresbeginn lasteten zeitweilig starke Anspannungen auf den Finanzmärkten, da einige Kreditinstitute in den USA und Europa durch die steigenden Zinsen unter Druck gerieten. Die Anspannungen im Bankensektor waren aber institutsbezogen und zogen keine weiteren Kreise. 

Gegen Jahresende entwickelte sich die Inflation unerwartet günstig, sodass sinkende Leitzinsen im Jahresverlauf 2024 wahrscheinlicher wurden. In den USA stärkten robuste Konjunkturdaten die Zuversicht, dass der Wirtschaft bei rückläufiger Inflation eine weiche Landung gelingen könne. Diese Aussicht erhöhte den Risikoappetit der Investoren und schlug sich unter anderem in weltweit steigenden Aktienkursnotierungen nieder. 

Im deutschen Wertpapierverkehr machte sich über das ganze Jahr hinweg die restriktivere Geldpolitik bemerkbar. Zum einen stiegen die Zinsen, sodass verzinsliche Papiere wieder attraktiver wurden. Zum anderen stellte das Eurosystem im Jahresverlauf 2023 die Reinvestitionen im Rahmen des APP ein. In der Vergangenheit hatten die geldpolitischen Nettoankäufe des Eurosystems einen wesentlichen Anteil daran gehabt, dass die im Ausland gehaltenen Bestände europäischer Schuldverschreibungen zurückgegangen waren. Unter den geänderten monetären Rahmenbedingungen nahmen deutsche Anleger im Jahr 2023 wieder deutlich mehr Papiere aus anderen Ländern des Euroraums in ihre Portfolios auf als in den Jahren zuvor. Auch in umgekehrter Richtung stießen deutsche Schuldverschreibungen wieder auf reges Interesse im Ausland. Der Bruttoumsatz aller Wertpapiertransaktionen in der deutschen Zahlungsbilanz belief sich auf 47 Billionen € und bewegte sich damit in etwa auf dem Niveau der beiden Vorjahre. Nach 2020 waren die Umsätze rapide angestiegen, als das Vereinigte Königreich die Europäische Union verlassen hatte und einige Banken gruppeninterne Geschäfte verlagerten. 11 Dieser Prozess scheint zumindest im Hinblick auf die Handelsaktivitäten aktuell abgeschlossen zu sein.

Die Direktinvestitionsströme Deutschlands gingen angesichts der eingangs beschriebenen, vielfachen Herausforderungen massiv zurück. Dies betraf sowohl zufließende als auch abfließende Direktinvestitionsmittel. Entgegen diesem Trend waren allerdings die deutschen Direktinvestitionsströme nach China weiterhin recht hoch. Dies ist umso bemerkenswerter, als in der wirtschaftspolitischen Diskussion eine starke Abhängigkeit von China kritisch gesehen wird und andere westliche Länder ihr Engagement in China eher einschränkten. Allerdings ist dabei zu beachten, dass das Gros der Direktinvestitionen aus Deutschland im vergangenen Jahr in andere europäische Länder floss. 

Per saldo fanden die gestiegenen Netto-Kapitalexporte Deutschlands ihren Niederschlag im übrigen Kapitalverkehr. Dabei fallen vor allem die zunehmenden Forderungen von Unternehmen und Privatpersonen in Form von Einlagen bei ausländischen Kreditinstituten und Bargeld auf. Dieser Befund ist bezeichnend für einen geringen Risikoappetit der Akteure, der über weite Strecken des Jahres 2023 vorherrschte. Die Netto-Auslandsposition der Bundesbank im übrigen Kapitalverkehr war hingegen rückläufig. Ursächlich waren die im Vorjahresvergleich niedrigeren TARGET-Forderungen gegenüber der EZB. Diese sanken infolge der gestrafften Geldpolitik und der dadurch bedingten rückläufigen Überschussliquidität im Eurosystem. 

2.2 Wertpapierverkehr

Der Wertpapierverkehr wurde im Jahresverlauf wie erwähnt stark von der Geldpolitik in den großen Volkswirtschaften geprägt. Daneben beeinflussten die divergierenden Konjunkturaussichten in den großen Währungsräumen das allgemeine Finanzmarktgeschehen. Die ersten drei Quartale im Jahr 2023 waren die Preissteigerungsraten auf beiden Seiten des Atlantiks überraschend persistent. Die amerikanische Fed erhöhte die Untergrenze der Federal Funds Target Rate von 4,25 % auf 5,25 %, wobei sie die bislang letzte Zinserhöhung am 27. Juli 2023 beschloss. Das Eurosystem erhöhte die Leitzinsen ebenfalls, und zwar bis Ende September in sechs Zinsschritten um weitere 2 Prozentpunkte. Damit straffte es die geldpolitischen Zügel seit Juli 2022 stärker als je zuvor seit Einführung der gemeinsamen Währung. Seit dem 20. September 2023 liegt der Zinssatz der Einlagefazilität bei 4 %. 12 Das Eurosystem erhöhte zudem den Restriktionsgrad der Geldpolitik, indem es die Reinvestitionen im Rahmen des Wertpapierankaufprogramms APP bis Ende Juni sukzessiv auslaufen ließ. In Verbindung mit einem geringen Risikoappetit der Anleger führten die genannten Maßnahmen in Deutschland und im Rest der Welt zu steigenden Finanzierungskosten der Unternehmen. Im letzten Quartal des Jahres 2023 entwickelte sich die Inflation unerwartet günstig, was Erwartungen weckte, dass die Leitzinsen im Jahresverlauf 2024 schneller sinken würden als zuvor angenommen. Diese Zuversicht, in Verbindung mit guten Konjunkturdaten aus den USA und einer robusten Ertragslage, trieb die Aktienmarktindizes weltweit in die Höhe. 

Im grenzüberschreitenden Wertpapierverkehr Deutschlands führten diese Faktoren 2023 im Ergebnis zu nur niedrigen Netto-Kapitalexporten von 1 Mrd €, nach 10 ½ Mrd € im Jahr zuvor. Dahinter verbarg sich jedoch ein deutlicher Anstieg der grenzüberschreitenden Käufe und Verkäufe von Wertpapieren, die von einem belebten Handel mit langfristigen Schuldverschreibungen geprägt waren.

Deutsche Anleger erwarben ausländische Wertpapiere für 149 ½ Mrd €, wovon 131 Mrd € auf Schuldverschreibungen entfielen. Der Schwerpunkt lag hier bei Anleihen (122 Mrd €), vor allem aus anderen Ländern des Euroraums. Die Beliebtheit dieser Schuldverschreibungen mit längerer Laufzeit gründete darin, dass sie angesichts vergleichsweise hoher Zinsen an Attraktivität gewannen. 13 Zudem ersetzte das Eurosystem fällig gewordene Schuldverschreibungen aus seinem APP-Portfolio nicht mehr in vollem Umfang mit neu erworbenen Papieren. Ab Juli 2023 stellte es diese Ersatzinvestitionen sogar vollständig ein. 14 An die Stelle des Eurosystems traten unter anderem Geschäftsbanken als Halter öffentlicher Schuldtitel. 15 Hinzu kam, dass die Europäische Kommission und einige Mitgliedstaaten des Euroraums in erheblichem Umfang Neuemissionen auf den Markt brachten. Entsprechend erwarben auch deutsche Anleger in größerem Umfang öffentliche Anleihen der Europäischen Kommission (13 ½ Mrd €), Frankreichs (9 Mrd €) und Italiens (6 Mrd €). Unter den außereuropäischen Papieren waren Staatsanleihen der USA besonders gefragt (6 ½ Mrd €). Schuldverschreibungen mit einer Laufzeit bis zu einem Jahr wurden ebenfalls gekauft (für netto 9 ½ Mrd €), sie profitierten von dem Zinshoch jedoch weniger als Langläufer. Die Nachfrage nach anderen Vermögenstiteln war verhalten. So investierten deutsche Anleger per saldo nur 23 ½ Mrd € in ausländische Investmentzertifikate, bei Aktien überwogen unter dem Strich sogar die Verkäufe (5 ½ Mrd €). Betroffen waren vor allem Dividendenwerte aus den USA und Irland (jeweils 8 ½ Mrd €). Offenbar hatten Anleger in den Jahren der Niedrigzinsphase Anleihen unterproportional gehalten und nutzten nun die steigenden Renditen, um ihre Portfolios mehr auf zinstragende Papiere auszurichten. 

In umgekehrter Richtung erwarben ausländische Investoren deutsche Wertpapiere für netto 148 Mrd €, und zwar ebenfalls vor allem Schuldverschreibungen. Gefragt waren in erster Linie öffentliche Anleihen (120 ½ Mrd €). Das war mehr als die gesamten Netto-Emissionen von Anleihen der öffentlichen Hand im Jahr 2023 (82 Mrd €). Offenbar gab es auch hier mit der zu Ende gehenden Niedrigzinsphase aus Sicht internationaler Anleger einen großen Nachholbedarf an deutschen Wertpapieren. Auf private Anleihen entfielen weitere 39 Mrd €, wobei vor allem ab Jahresmitte auch Bankanleihen gefragt waren. Die Unsicherheit bezüglich des Bankensektors nach der Regionalbankenkrise in den USA und der Schieflage einer Schweizer Großbank zu Jahresbeginn hinterließen hier keine bleibenden Spuren. Auf Kurzläufer übertrug sich das generelle Interesse für zinstragende Wertpapiere allerdings nicht. Die Nettoankäufe ausländischer Anleger summierten sich bei diesem Instrument im Jahresverlauf auf moderate 4 Mrd €. Ausländische Investoren nahmen deutsche Aktien (13 Mrd €) und Investmentzertifikate (2 Mrd €) mehrheitlich aus ihren Depots und schichteten per saldo in Rentenwerte um – auch hier zeigte sich also ein spiegelbildliches Muster zum Verhalten der deutschen Akteure.

Die Finanzderivate, die in der Zahlungsbilanz nur in einer Position ausgewiesen werden, führten zu Netto-Kapitalexporten in ähnlicher Höhe wie im Vorjahr. Sie beliefen sich auf 40 Mrd €, nach 41 ½ Mrd € in den zwölf Monaten zuvor. Zu den Mittelabflüssen trugen vor allem Optionsgeschäfte bei. Sie sind für gut die Hälfte des Gesamtsaldos der Derivate verantwortlich. 16 Termingeschäfte blieben auch relevant. Der Terminhandel mit Gas verringerte sich allerdings um knapp die Hälfte im Vergleich zum Vorjahr, als er nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 erheblich an Bedeutung gewonnen hatte.

Tabelle 4.4:  Kapitalbilanz
Mrd €

Position2021 r)2022 r)2023 r)
Saldo der Kapitalbilanz 1)

+ 209,0 

+ 198,2 

+ 232,6 

 1. Direktinvestitionen

+  81,5 

+ 112,2 

+   59,7 

  Inländische Anlagen im Ausland 2)

+ 167,5 

+ 170,3 

+   74,7 

  Ausländische Anlagen im Inland 2)

+  86,0 

+   58,1 

+   15,0 

 2. Wertpapieranlagen

+ 197,2 

+   10,7 

+    1,2 

  Inländische Anlagen in Wertpapieren ausländischer Emittenten 2)

+ 178,7 

+    9,2 

+ 149,3 

   Aktien 3)

+  46,7 

-   15,3 

-    5,3 

   Investmentfondsanteile 4)

+ 122,9 

+   29,7 

+   23,5 

   Kurzfristige Schuldverschreibungen 5)

-   0,1 

+   16,2 

+    9,3 

   Langfristige Schuldverschreibungen 6)

+   9,3 

-   21,4 

+ 121,8 

  Ausländische Anlagen in Wertpapieren inländischer Emittenten 2)

-  18,5 

-    1,6 

+ 148,2 

   Aktien 3)

+   2,6 

-    5,8 

-   13,0 

   Investmentfondsanteile

-   8,4 

-    3,2 

-    2,0 

   Kurzfristige Schuldverschreibungen 5)

+  30,5 

-   32,7 

+    3,9 

   Langfristige Schuldverschreibungen 6)

-  43,2 

+   40,2 

+ 159,2 

 3. Finanzderivate 7)

+  47,9 

+   41,5 

+   40,0 

 4. Übriger Kapitalverkehr 8)

- 149,5 

+   29,3 

+ 130,9 

  Monetäre Finanzinstitute 9)

-  48,4 

-   93,5 

+   97,4 

   kurzfristig

-  15,9 

- 125,9 

+ 104,8 

   langfristig

-  32,8 

+   32,3 

-    7,4 

  Unternehmen und Privatpersonen 10)

+   6,1 

+   37,4 

+   60,2 

   kurzfristig

+  14,8 

+   33,3 

+   68,7 

   langfristig

-  27,3 

-   16,1 

-   15,7 

  Staat

-   3,8 

-   19,4 

+    7,3 

   kurzfristig

-   5,1 

-   20,2 

+    3,2 

   langfristig

+   1,3 

+    0,8 

+    3,9 

  Bundesbank

- 103,4 

+ 104,9 

-   34,1 

 5. Währungsreserven 

+ 31,9 

+    4,4 

+    0,9 

1 Zunahme an Netto-Auslandsvermögen: + / Abnahme an Netto-Auslandsvermögen:  -.  2 Zunahme: +. 3 Einschließlich Genussscheine. 4 Einschließlich reinvestierter Erträge. 5 Kurzfristig: ursprüngliche Laufzeit bis zu einem Jahr. 6 Langfristig: ursprüngliche Laufzeit von mehr als einem Jahr oder keine Laufzeitbegrenzung. 7 Saldo der Transaktionen aus Optionen und Finanztermingeschäften sowie Mitarbeiteraktienoptionen. 8 Enthält insbesondere Finanz- und Handelskredite sowie Bargeld und Einlagen. 9 Ohne Bundesbank. 10 Enthält finanzielle Kapitalgesellschaften (ohne die Monetären Finanzinstitute) sowie nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften, private Haushalte und private Organisationen ohne Erwerbszweck.

2.3 Direktinvestitionen

Weltweit sahen sich international tätige Unternehmen 2023 Unsicherheiten und Herausforderungen gegenüber, die die grenzüberschreitenden Direktinvestitionen dämpften. Die Wachstumsaussichten in den einzelnen Regionen der Welt entwickelten sich zwar unterschiedlich, waren aber in vielen Ländern verhalten. Hohe Inflationsraten und steigende Zinsen in wichtigen Währungsräumen prägten das Wirtschaftsumfeld. Geopolitische Konflikte, Sanktionen und teils zusätzliche Auflagen 17 für das internationale Wirtschaften beeinflussten Unternehmensentscheidungen. In diesem Umfeld blieben die grenzüberschreitenden Direktinvestitionen im Jahr 2023 weltweit schwach. Nach ersten vorläufigen Angaben der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) legten die Direktinvestitionen 2023 im Vergleich zum Vorjahr zwar weltweit um 3 % zu. 18 Allerdings weist die UNCTAD darauf hin, dass diese Zunahme vor allem durch Transaktionen in einigen wenigen europäischen Ländern (wie Luxemburg und den Niederlanden) geprägt wurde, die oftmals eher eine Durchleitungsfunktion bei grenzüberschreitenden Investitionen haben. 19 Würden diese Transaktionen aus der Gesamtentwicklung herausgerechnet, wären die ausgewiesenen weltweiten Direktinvestitionsströme 2023 um rund 18 % niedriger als 2022. Die Länder der Europäischen Union – ohne Luxemburg und die Niederlande – verzeichneten danach ebenfalls deutlich geringere Direktinvestitionszuflüsse (um 23 %) als 2022. In Nordamerika stagnierte nach den Angaben der UNCTAD das Engagement über ausländische Direktinvestitionen, während es in anderen entwickelten Volkswirtschaften und in den Entwicklungsländern 2023 gegenüber dem Vorjahr ebenfalls abnahm. Besonders deutlich unter dem Vorjahresniveau blieben weltweit die Volumina der grenzüberschreitenden Unternehmenszusammenschlüsse und -übernahmen nach den vorläufigen Angaben der UNCTAD. Gemäß dieser Quelle wurden 2023 überdies weniger Geschäfte in der internationalen Projektfinanzierung sowie für Investitionen in die Neuansiedlung von Unternehmen angekündigt.

Ein ähnliches Bild zeigte sich 2023 bei grenzüberschreitenden Investitionsvorhaben international tätiger deutscher Unternehmen. Nach einer Umfrage der DIHK war zu Jahresbeginn 2023 der Anteil der deutschen Industrieunternehmen, die Auslandsinvestitionen planten, spürbar geringer als im Durchschnitt der zehn Jahre davor. 20 Dabei hatte das Motiv der Kostenersparnis für im Ausland investierende Unternehmen 2023 wieder an Bedeutung gewonnen. Insgesamt blieben die Konjunkturerwartungen deutscher Unternehmen für das Ausland 2023 verhalten – mit Unterschieden je nach Standort. 21

In dem wirtschaftlich schwierigen Umfeld führten die grenzüberschreitenden Direktinvestitionsströme aus und nach Deutschland 2023 zu Netto-Kapitalexporten von 59 ½ Mrd €. Die deutschen Direktinvestitionen im Ausland waren im vergangenen Jahr deutlich verhaltener als 2022. Noch stärker schwächte sich der Zustrom ausländischer Direktinvestitionen nach Deutschland gegenüber dem Vorjahr ab. Direktinvestitionen sind in der Regel auf ein längerfristiges Engagement ausgerichtet. 22 In einem sich stark wandelnden wirtschaftlichen Umfeld bieten sie Unternehmen einerseits ein wichtiges Instrument, um auf Veränderungen zu reagieren. Andererseits stellen Direktinvestitionen Unternehmen auch vor besondere Herausforderungen, da die Firmenleitung Entscheidungen später nicht mehr ohne Weiteres oder zumindest nicht ohne erhebliche Kosten revidieren kann. 23  

Die deutschen Direktinvestitionen im Ausland beliefen sich 2023 auf 74 ½ Mrd €, das war spürbar weniger als im Vorjahr. 2022 hatten die deutschen Direktinvestitionen im Ausland 170 ½ Mrd € betragen – ein im historischen Vergleich recht hoher Wert. Die deutschen Direktinvestitionen flossen im vergangenen Jahr per saldo zu fast 85 % in Beteiligungskapital (62 ½ Mrd €). Der überwiegende Teil dieser Mittel wurde über Gewinne reinvestiert (46 Mrd €). Die reinvestierten Gewinne spielten damit im vergangenen Jahr erneut eine größere Rolle als das Beteiligungskapital im engeren Sinne, das sich als Saldo von Neuanlage und Liquidation bei den Direktinvestitionen ergibt. Grenzüberschreitende Unternehmensübernahmen durch in Deutschland ansässige Firmen spielten 2023 eine bedeutende Rolle. Trotz der in diesem Bereich weltweit verhaltenen Entwicklung tätigten hiesige Unternehmen im Vergleich zum Vorjahr und gemessen am Volumen deutlich mehr Übernahmen, während die Anzahl an Transaktionen etwas zurückging. 24 Über den konzerninternen Kreditverkehr stellten in Deutschland ansässige Firmen verbundenen Unternehmen im Ausland 12 Mrd € zur Verfügung. Dabei wurden Finanzkredite sowohl an Schwester- und Tochterunternehmen im Ausland vergeben als auch von in Deutschland ansässigen Tochtergesellschaften an ihre ausländischen Muttergesellschaften. Hingegen überwogen bei den Handelskrediten an verbundene Unternehmen im Ausland die Tilgungen.

Die mit Abstand wichtigste Zielregion deutscher Direktinvestitionen war im vergangenen Jahr Europa. Von den 74 ½ Mrd €, die per saldo in verbundene Unternehmenseinheiten im Ausland investiert wurden, flossen rund zwei Drittel in andere Länder der Europäischen Union. Besonders große Beträge gingen dabei nach Luxemburg (13 ½ Mrd €), das ein bedeutender Standort von Holdinggesellschaften ist. Auch in Frankreich (7 Mrd €), Belgien (5 ½ Mrd €) sowie Österreich, Spanien und Dänemark (jeweils 5 Mrd €) stockten Unternehmen mit Sitz in Deutschland ihre Direktinvestitionsbestände in größerem Umfang auf. Unter den europäischen Ländern außerhalb der Europäischen Union war das Vereinigte Königreich erneut ein wichtiges Zielland im Rahmen der konzerninternen Mittelbereitstellung (19 Mrd €). Dabei dominierte die Kreditvergabe, aber auch ihr Beteiligungskapital an verbundenen Unternehmen im Vereinigten Königreich stockten Firmen mit Sitz in Deutschland auf.

Die Direktinvestitionen außerhalb Europas waren 2023 stark durch entgegengesetzte Mittelbewegungen geprägt. Diese fielen mit Blick auf China und die USA anders aus, als die Einschätzung der wirtschaftlichen Perspektiven in den beiden Ländern vermuten ließe: In China tätigten Unternehmen mit Sitz in Deutschland im vergangenen Jahr vergleichsweise umfangreiche Direktinvestitionen (6 ½ Mrd €). Dabei spielte die Reinvestition von dort erwirtschafteten Gewinnen eine wesentliche Rolle. Größere Mittelrückflüsse nach Deutschland (18 Mrd €) gab es hingegen in den Direktinvestitionsbeziehungen mit den USA. Diese starke Abnahme der Direktinvestitionen in den USA im vergangenen Jahr spiegelt allerdings nicht die Einschätzung der dort tätigen deutschen Unternehmen zu den Perspektiven ihrer Geschäftsaussichten am Standort wider. Diese war durchaus positiv und auch günstiger als in manch anderen Regionen. 25 Umgekehrt nahmen die Direktinvestitionen in China zu, obwohl die gesamtwirtschaftlichen Perspektiven dort eher verhalten sind. 26 In den kommenden Jahren könnte sich das veränderte Stimmungsbild daher auch in den tatsächlich erfassten Direktinvestitionen niederschlagen.

Ausländische Firmen versorgten verbundene Unternehmen in Deutschland im vergangenen Jahr per saldo mit 15 Mrd €, dies war nur etwa ein Viertel so viel wie im Vorjahr (58 Mrd €). Damit waren die Zuflüsse ausländischer Direktinvestitionen nach Deutschland im dritten Jahr in Folge rückläufig. Inwieweit diese Entwicklung eher aktuelle konjunkturelle Einflüsse oder auch längerfristig angelegte strukturelle Faktoren am Standort Deutschland spiegelt, lässt sich bislang noch nicht eindeutig zuordnen. 27 Wie oben beschrieben wiesen die Direktinvestitionsdaten weltweit für viele Regionen und Länder im vergangenen Jahr auf Zurückhaltung hin. Dies dürfte sich auch in den nach Deutschland fließenden Direktinvestitionen niedergeschlagen haben. In den zehn Jahren zwischen 2013 und 2022 wurden im Jahresdurchschnitt 78 Mrd € von ausländischen Investoren in Form von Direktinvestitionen hierzulande investiert. Nur einmal, im Jahr 2014, lag der Wert mit knapp 14 Mrd € unter dem Wert von 2023. Damals war der Rückgang maßgeblich von der Transaktion einer ausländischen Gesellschaft beeinflusst, die hohe Summen im konzerninternen Kreditverkehr abgezogen hatte. Im Jahr 2023 lässt sich hingegen keine einzelne Transaktion ausmachen, die das Ergebnis dominierte. 

Ausländische Unternehmen stellten verbundenen Gesellschaften in Deutschland 25 Mrd € über eine Aufstockung des Beteiligungskapitals bereit, und zwar ganz überwiegend durch Beteiligungskapital im engeren Sinne. Im Kreditverkehr überwogen per saldo die Tilgungen die Gewährung neuer Kredite (10 Mrd €). Vor allem inländische Mutterunternehmen tilgten Finanzkredite, die sie von ausländischen Tochterunternehmen zuvor erhalten hatten. Demgegenüber erhielten inländische Schwester- und Tochterunternehmen über die konzerninterne Kreditgewährung zusätzliche Finanzmittel aus dem Ausland und tilgten ihrerseits teils bestehende langfristige Finanzkredite. Auch bei den grenzüberschreitenden Handelskrediten überwogen im Ergebnis die Rückzahlungen.

Vor allem Unternehmen mit Sitz in anderen europäischen Ländern stellten im vergangenen Jahr hiesigen Firmen Direktinvestitionsmittel bereit. Besonders umfangreiche Direktinvestitionen tätigten verbundene Unternehmen aus dem Vereinigten Königreich (38 ½ Mrd €), und zwar vor allem über den konzerninternen Kreditverkehr. Größere Mittelzuflüsse nach Deutschland wurden auch aus Belgien (7 Mrd €), der Schweiz (6 Mrd €), Schweden (4 Mrd €) und Frankreich (3 Mrd €) verzeichnet. Gegenüber den Ländern des Euroraums überwogen aber insgesamt die Mittelrückflüsse (32 ½ Mrd €), vor allem durch die grenzüberschreitende Tilgung zuvor in Anspruch genommener Kredite. Besonders groß waren die Rückflüsse in die Niederlande (29 ½ Mrd €) und nach Irland (10 Mrd €). Außerhalb Europas waren insbesondere in die USA höhere Mittelrückflüsse zu verzeichnen (7 ½ Mrd €). Auch hier prägte es das Ergebnis, dass in Deutschland ansässige Gesellschaften Kredite tilgten, die zuvor von verbundenen Unternehmen gewährt worden waren.

2.4 Übriger Kapitalverkehr

Der übrige Kapitalverkehr verzeichnete im Jahr 2023 Netto-Kapitalexporte von 131 Mrd €. Er umfasst sowohl Finanz- und Handelskredite (soweit diese nicht zu den Direktinvestitionen zu rechnen sind) als auch Bankguthaben und sonstige Anlagen. Im Jahr davor hatten sich im übrigen Kapitalverkehr Netto-Kapitalexporte von 29 ½ Mrd € ergeben. Größere Schwankungen – auch mit Vorzeichenwechsel – zeigen sich in den Salden des übrigen Kapitalverkehrs immer wieder. Im zurückliegenden Jahr stand hinter den höheren Netto-Kapitalexporten ein starker Rückgang der Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland um 135 ½ Mrd €, während die Forderungen um 5 Mrd € sanken.

Zu Netto-Kapitalexporten führten im vergangenen Jahr die Transaktionen der Monetären Finanzinstitute (ohne Bundesbank), von Unternehmen und Privatpersonen sowie des Staates. Die Netto-Kapitalexporte über die Konten der Monetären Finanzinstitute (ohne Bundesbank) betrugen 97 ½ Mrd €. Dabei stiegen sowohl die Forderungen aus Bargeld und Einlagen als auch aus Finanzkrediten im Vergleich zum Vorjahr an. In umgekehrter Richtung reduzierten ausländische Akteure die Einlagen bei hiesigen Instituten, vor allem gruppenangehörige Banken verringerten grenzüberschreitend ihre Einlagen in Deutschland. Dies könnte widerspiegeln, dass die Überschussliquidität innerhalb des Euroraums abnahm. Auch Unternehmen und Privatpersonen verzeichneten im Jahr 2023 Netto-Kapitalexporte aus ihren grenzüberschreitenden Aktivitäten im übrigen Kapitalverkehr (60 Mrd €). Sie weiteten ihre Forderungen durch Bargeld und Einlagen bei ausländischen Instituten deutlich aus, gleichzeitig stiegen auch ihre Verbindlichkeiten aus Krediten gegenüber dem Ausland. Aus den Transaktionen des Staates ergaben sich 2023 Nettoforderungen gegenüber dem Ausland von 7 ½ Mrd €.

Über die Konten der Bundesbank kam es hingegen zu Netto-Kapitalimporten von 34 Mrd €. Die Forderungen der Bundesbank sanken 2023 deutlich, vor allem durch den Rückgang der TARGET-Forderungen um 175 ½ Mrd €. Dies war unter anderem darauf zurückzuführen, dass fällige Wertpapiere aus dem APP-Bestand nicht mehr vollständig reinvestiert wurden. Seit Juli 2023 wurden sie überhaupt nicht mehr nachgekauft. Neuemissionen von nationalen und supranationalen Anleihen von Emittenten im Euroraum wurden daher in höherem Maße von Investoren außerhalb des Emittentenlandes erworben (siehe Kapitel 2.2 Wertpapierverkehr). Sofern diese Käufe über den Finanzplatz Frankfurt abgewickelt wurden, reduzierte dies den deutschen TARGET-Saldo. Diese Entwicklung verlief spiegelbildlich zu der Ankaufphase in der sich die TARGET-Forderungen aufgebaut hatten. 28 Auch die Verbindlichkeiten der Bundesbank sanken gegenüber dem Vorjahr, maßgeblich durch geringere Einlagen von Geschäftspartnern mit Sitz außerhalb des Euroraums. Zum Jahresende stiegen diese Einlagen zwar an – wie oftmals in den zurückliegenden Jahren – sie wurden aber insgesamt im Jahresverlauf reduziert. Die Verbindlichkeiten der Bundesbank aus der Verteilung des Euro-Banknotenumlaufs innerhalb des Eurosystems waren im vergangenen Jahr um 25 Mrd € höher als 2022.

2.5 Währungsreserven

Die Währungsreserven der Bundesbank stiegen 2023 transaktionsbedingt um 1 Mrd €. Dahinter stand im Ergebnis vor allem eine Zunahme der Sonderziehungsrechte, die gegen die Herausgabe von Euro entgegengenommen wurden.

Die Bestände an Währungsreserven werden auch durch die bilanziellen Anpassungen beeinflusst, die gemäß internationalen Standards nicht in der Zahlungsbilanz zu erfassen sind. Aus der Neubewertung ergab sich 2023 eine Zunahme um rund 15 Mrd €. Dies lag an einem gegenüber dem Vorjahr gestiegenen Goldpreis, während andere nicht transaktionsbedingte Veränderungen, zu denen auch Wechselkurseffekte zählen, dämpfend wirkten. Zum 31. Dezember 2023 betrug der Wert der deutschen Währungsreserven 292 ½ Mrd €.

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