Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV: Krankenkassen und Gesundheitsfonds zusammen) verbuchte im Jahr 2023 nach ersten Angaben ein Defizit von 5 Mrd €. Das Defizit fiel 2 ½ Mrd € höher aus, als mit den Annahmen des GKV-Schätzerkreises vom Herbst 2023 zu erwarten war. 6 Dies lag im Wesentlichen an deutlich höheren Leistungsausgaben der Krankenkassen. Gegenüber dem Vorjahr verschlechterte sich das Finanzergebnis der GKV um 10 Mrd €. 7 Ursächlich waren im Wesentlichen geringere Sonderzuschüsse des Bundes. Anstelle dieser sollten die Kassen und der Gesundheitsfonds im Jahr 2023 teils umfangreiche Rücklagen einsetzen, um Defizite zu finanzieren. Die Verschlechterung war insoweit eingeplant.
Das Defizit fiel mit fast 3 ½ Mrd € zum größeren Teil beim Gesundheitsfonds an (2022: Überschuss gut 4 ½ Mrd €). Zum Jahresende 2023 errechnet sich eine Rücklage des Fonds von 9 ½ Mrd € (Untergrenze im Jahr 2023: 4 ½ Mrd €). 8 Die Krankenkassen schlossen mit einem Defizit von 2 Mrd € ab (Vorjahr: Überschuss ½ Mrd €). Ihre Rücklagen sanken zum Jahresende auf 8 ½ Mrd € (Untergrenze: 5 Mrd €).
Die GKV-Einnahmen sanken im Vergleich zum Vorjahr um 3 ½ %. Zwar wuchsen die Beitragseinnahmen mit gut 6 % kräftig. Dabei wirkten sozialabgabenfreie Inflationsausgleichsprämien sogar noch dämpfend. Etwa 1 Prozentpunkt des Anstiegs geht darauf zurück, dass die Zusatzbeitragssätze durchschnittlich um knapp 0,2 Prozentpunkte auf 1,5 % stiegen. Allerdings zahlte der Bund insgesamt 28 Mrd € weniger an den Gesundheitsfonds:
- Die Sondermittel des Bundes zur Beitragsstabilisierung reduzierten sich um 12 Mrd € (auf 2 Mrd €; das überjährige Darlehen des Bundes von 1 Mrd € ist nicht eingerechnet).
- Wegen weitgehend ausgelaufener pandemiebezogener Leistungen verringerte der Bund die diesbezüglichen Erstattungen um 20 Mrd € auf knapp 1 ½ Mrd €.
- Zusätzliche Mittel zahlte der Bund dagegen an Krankenhäuser, um sie von den gestiegenen Energiekosten zu entlasten (+ 4 Mrd €).
Die GKV-Ausgaben insgesamt gingen nur um ½ % zurück und damit weniger stark als die Einnahmen. Die Sonderzahlungen des Gesundheitsfonds sanken erheblich, da die gewichtigen pandemiebezogenen Zahlungen weitgehend entfielen. Im Gegenzug leitete der Fonds nun zwar neue energiepreisbezogene Mittel an Krankenhäuser weiter, die aber quantitativ deutlich geringer waren. Die Ausgaben der Krankenkassen stiegen hingegen deutlich.
Die Leistungsausgaben der Krankenkassen nahmen mit 5 ½ % kräftig zu. Dies übertraf die Erwartungen des GKV-Schätzerkreises vom Herbst 2023 um fast 1 Prozentpunkt (Mehrausgaben etwa 2 Mrd €). Vor allem die gewichtigen Ausgaben für Krankenhausbehandlungen stiegen mit 6 ½ % kräftig. Noch stärker legten die Zahlungen für Heil- und Hilfsmittel (+ 9 %) sowie für häusliche Krankenpflege zu (+ 13 %). Die Ausgaben für ärztliche Behandlungen (fast 2 %) und Arzneimittel (+ 3 %) entwickelten sich dagegen unterdurchschnittlich. Bei Letzteren wirkten sich offenbar die ausgabendämpfenden Maßnahmen aus, die für 2023 eingeführt worden waren.
Tabelle 1.2: Gesetzliche Krankenversicherung: Finanzierungsübersicht des Gesamtsystems in Mrd € |
Einnahmenseite | Ausgabenseite |
Position | 20221) | 20232) | Position | 20221) | 20232) |
Gesundheitsfonds (GF) |
Beiträge | 239,5 | 252,3 | Zuweisungen an KK3) | 285,2 | 299,6 |
Zusatzbeiträge | 21,8 | 25,3 | Verwaltung | 0,1 | 0,1 |
Bundeszuschüsse inkl. Corona-Mittel | 50,0 | 21,8 | Corona-Maßnahmen | 21,4 | 5,3 |
Vermögensabgabe | - | 2,5 | Sonstige Ausgaben 4) | 0,4 | 0,4 |
Sonstige Einnahmen | 0,0 | 0,1 | | | |
Defizit | - | 3,3 | Überschuss | 4,3 | - |
Insgesamt | 311,3 | 305,3 | Insgesamt | 311,3 | 305,3 |
|
Krankenkassen (KK) |
Zuweisungen des GF3) | 285,2 | 299,6 | Leistungsausgaben | 273,0 | 287,6 |
Sonstige Beiträge | 1,1 | 1,1 | Verwaltung | 12,4 | 12,8 |
Bundeszuschuss an LKV | 0,2 | 0,1 | Sonstige Ausgaben 5) | 3,4 | 3,4 |
Sonstige Einnahmen6) | 2,7 | 3,5 | Vermögensabgabe | | 2,5 |
Defizit | - | 1,9 | Überschuss | 0,4 | - |
Insgesamt | 289,2 | 306,2 | Insgesamt | 289,2 | 306,2 |
|
GKV-System insgesamt |
Beiträge | 262,4 | 278,7 | Leistungsausgaben | 273,0 | 287,6 |
Bundeszuschüsse inkl. Corona-Mittel | 50,2 | 21,9 | Verwaltung | 12,4 | 12,8 |
Sonstige Einnahmen | 2,7 | 3,7 | Corona-Maßnahmen | 21,4 | 5,3 |
Vermögensabgabe | - | 2,5 | Sonstige Ausgaben | 3,7 | 3,7 |
| | | Vermögensabgabe | - | 2,5 |
Defizit | - | 5,1 | Überschuss | 4,7 | - |
Insgesamt | 315,2 | 311,9 | Insgesamt | 315,2 | 311,9 |
1 Endgültige Jahresergebnisse (KJ 1). 2 Vorläufige Vierteljahresergebnisse (KV 45). 3 Einschließlich der zusätzlichen Mittel aus der Vermögensabgabe im Jahr 2023, die über den Gesundheitsfonds an die Kassen zurückfließen. 4 Einschließlich Zuweisungen an Innovations- und Strukturfonds 5 Einschließlich Zuweisungen an Innovationsfonds. 6 Einschließlich Differenz zu den vom Gesundheitsfonds ausgewiesenen Zuweisungen sowie der Differenz aus Forderungen und Verbindlichkeiten. |
Für 2024 ergibt sich mit den Annahmen des GKV-Schätzerkreises vom Herbst 2023 im GKV-System ein Defizit von 4 Mrd €. Es fällt vollständig beim Gesundheitsfonds an. Der Fonds überweist den Kassen Mittel von gut 2 ½ Mrd € aus seiner Rücklage, um den Anstieg der Zusatzbeitragssätze zu begrenzen. Außerdem erhalten die Kassen ½ Mrd € aus dieser Rücklage für bessere Leistungen bei der Geburtshilfe und der Pädiatrie. Schließlich dürfte der Gesundheitsfonds 1 Mrd € aus seiner Liquiditätsreserve an den Innovations- und Strukturfonds zahlen. 9 Bei den Krankenkassen ergibt sich ein weitgehend ausgeglichenes Ergebnis: Die Ausgaben sollen um 6 % gegenüber dem geschätzten Jahresergebnis 2023 steigen, unter anderem wegen nachlaufender Inflationswirkungen bei den Leistungsentgelten. Auf dieser Basis ermittelte das Bundesgesundheitsministerium einen um 0,2 Prozentpunkte höheren ausgabendeckenden rechnerischen Zusatzbeitragssatz von 1,7 %.
Aus heutiger Sicht dürfte das Ergebnis 2024 aber spürbar schlechter ausfallen, vor allem bei den Krankenkassen. Der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz stieg zwar zu Jahresbeginn auf das vom Bundesgesundheitsministerium als ausgabendeckend ermittelte Niveau. Die Entwicklung im laufenden Jahr setzt aber auf die deutlich höher als geschätzten Kassenausgaben des Vorjahres auf. Wird dieser Basiseffekt fortgeschrieben, ergibt sich statt des ausgeglichenen Ergebnisses bei den Kassen ein Defizit von fast 2 Mrd €. Mit einer Größenordnung von 6 Mrd € würde das Defizit im Gesamtsystem dann höher ausfallen als 2023.
Ab 2025 dürften die Zusatzbeitragssätze beträchtlich steigen, sofern die angekündigte grundlegende Reform nicht noch gegensteuert. Mit dem höheren Defizit 2024 wären die verfügbaren Rücklagen aufgebraucht. Allein dadurch besteht ab 2025 deutlicher Aufwärtsdruck beim durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz. Die angekündigten Reformvorhaben bei Krankenhäusern und hausärztlicher Versorgung würden diesen weiter deutlich erhöhen. Das Bundesgesundheitsministerium hat aber eine grundlegende Reform in Aussicht gestellt. Wichtig wäre, dass diese den trendmäßig starken Anstieg der Ausgaben dämpft.
Die soziale Pflegeversicherung erzielte im Jahr 2023 einen Überschuss von fast 2 Mrd €. 10 Im Jahr davor war noch ein Defizit von 2 Mrd € angefallen. 11 Das gegenüber 2022 stark verbesserte Ergebnis geht vor allem auf drei Faktoren zurück:
- Zur Jahresmitte stieg der Beitragssatz um 0,35 Prozentpunkte auf 3,4 %. 12 Insgesamt sind damit zusätzliche Einnahmen von 3 Mrd € verbunden.
- Die coronabezogenen Aufwendungen verringerten sich erheblich um gut 4 Mrd € (auf ½ Mrd €), während die Sondermittel des Bundes für diese Zwecke deutlich schwächer zurückgingen (um 2 ½ Mrd €). Dies entlastete die Finanzen der Pflegeversicherung gegenüber 2022 um gut 1 ½ Mrd €.
- Die Zuführungen an den Pflegevorsorgefonds von 1 ½ Mrd € entfielen (im Jahr 2024 werden sie nachgeholt).
Zum Jahresende zahlte die Pflegeversicherung ½ Mrd € an den Bund zurück. Sie tilgte damit die Hälfte eines Bundesdarlehens aus dem Jahr 2022. Insgesamt erhöhten sich die liquiden Mittel zum Jahresende auf 7 Mrd €; wegen der Rückzahlung etwas weniger, als durch den Überschuss angelegt. Die liquiden Mittel entsprachen etwa 1,4 durchschnittlichen Monatsausgaben (rund 2 Mrd € oberhalb ihrer Untergrenze).
Die Beitragseinnahmen legten mit 11 ½ % sehr kräftig zu. Dies lag zum größeren Teil daran, dass die Beitragssätze zur Jahresmitte stiegen. Darum überschlägig bereinigt wuchsen die Beitragseinnahmen mit 5 ½ % immer noch stark. Dabei dämpften sozialabgabenfreie Inflationsausgleichsprämien noch den Anstieg der Beitragsbasis. Es entfielen aber die Sonderzuschüsse des Bundes aus dem Vorjahr weitgehend (- 2 ½ Mrd €). Insgesamt wuchsen die Einnahmen damit um 5 ½ %.
Die regulären Leistungsausgaben der Pflegeversicherung stiegen weiter kräftig um 9 ½ % und damit wesentlich stärker als die Beitragsbasis. Unter den regulären Leistungsausgaben legten die gewichtigen Aufwendungen für stationäre Pflege mit 10 % anhaltend stark zu. Die Geldleistungen stiegen mit 9 % ebenfalls kräftig, bei unveränderten Leistungssätzen. Jenseits der regulären Leistungsausgaben entlastete dagegen stark, dass pandemiebezogene Leistungen weitgehend entfielen. Zudem verschob die Versicherung auf Beschluss des Bundes Zuführungen an den Vorsorgefonds auf das laufende Jahr (- 1 ½ Mrd €). Insgesamt sanken die Ausgaben um 1 ½ %.
Im laufenden Jahr 2024 dürfte die Pflegeversicherung ihren Überschuss weitgehend abbauen. Zwar dürfte gemäß Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung die Beitragsbasis weiter kräftig zulegen. Hinzu kommt, dass die Beitragssätze im Vorjahr erst zur Jahresmitte gestiegen sind. Deshalb ist nochmals mit Mehreinnahmen von gut 3 Mrd € gegenüber dem Vorjahr zu rechnen. Finanzneutral ist für den operativen Bereich, dass dieser seine reguläre Zuführung an den Pflegevorsorgefonds verringert und gleichzeitig der jährliche Bundeszuschuss von 1 Mrd € entfällt. Allerdings holt die Pflegeversicherung die Zahlung von 1 ½ Mrd € an den Vorsorgefonds nach, die sie im letzten Jahr aufgeschoben hatte. Zudem dürften die Kernausgaben weiter kräftig wachsen. Dies liegt vor allem an der letzten Pflegereform, die Leistungen im Ergebnis ausweitete. 13
In den Folgejahren setzen die reguläre Leistungsdynamisierung und zunehmend die demografische Entwicklung die Pflegefinanzen unter Druck. Dadurch dürfte der Beitragssatz sukzessive weiter deutlich steigen. Das Bundesgesundheitsministerium hat für das Frühjahr aber eine umfassende Reform angekündigt. Ebenso wie für die Krankenversicherung wäre auch für die Pflegversicherung naheliegend, den trendmäßig starken Anstieg der Leistungsseite zu dämpfen. Zumindest sollte nachvollziehbar sein, welche Kosten für die Beitragspflichtigen – in Form höherer Beitragssätze – mit Anpassungen an den Leistungen verbunden sind. Dies wäre durch längerfristige Vorausberechnungen transparent offenzulegen.