Welchen Einfluss hat die europäische Klimapolitik auf deutsche Direktinvestitionen? Monatsbericht – September 2024

Monatsberichtsaufsatz

Die Europäische Union verpflichtete sich in dem Kyoto-Protokoll von 1997 erstmals verbindlich, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren. 1 Als wesentliches Element der Klimaschutzpolitik führte sie 2005 das Europäische Emissionshandelssystem (European Union emissions trading system, EU-ETS) ein. Das EU-ETS wurde seitdem mehrfach reformiert. Größere Änderungen traten in den Jahren 2008, 2013, 2021 und zuletzt 2023 im Zuge des Maßnahmenpakets „Fit for 55“ in Kraft. Das Emissionshandelssystem beruht auf dem Prinzip „deckeln und handeln“ (cap and trade). Dabei legt die Europäische Union Emissionsobergrenzen (caps) an Treibhausgasen fest, und die Mitgliedstaaten geben entsprechende Emissionszertifikate aus, die am Markt handelbar sind (trade). Die Obergrenzen und damit die Berechtigungen, Treibhausgase zu emittieren, sinken im Zeitverlauf. Unter diesen Rahmenbedingungen stieg der Zertifikatepreis unter zum Teil starken Schwankungen auf zeitweise 100 € pro Tonne CO₂-Äquivalent und lag zuletzt bei circa 70 € pro Tonne. Die einzelnen Emittenten stehen angesichts steigender Emissionskosten vor der Wahl, ihre Emissionen durch Investitionen in emissionsärmere Technologien zu verringern, Zertifikate zu erwerben oder nicht mehr wettbewerbsfähige Produktionsstätten im Geltungsbereich des EU-ETS zu schließen. Sie können die Produktion dann möglicherweise in Regionen verlagern, in denen Emissionen günstiger sind (carbon leakage).

Mit unternehmensspezifischen Daten zu Direktinvestitionen und Treibhausgasemissionen lässt sich auswerten, ob sich die europäische Klimapolitik auf die Direktinvestitionsentscheidungen deutscher Unternehmen im Ausland auswirkt. Eine Analyse der Bundesbank untersucht empirisch, ob die Reformen, die 2013 und 2021 in Kraft traten, nachweisbare Effekte auf die Direktinvestitionsentscheidungen hatten. Bislang finden sich keine signifikanten Hinweise darauf, dass deutsche Unternehmen angesichts der verschärften Emissionsgesetzgebung verstärkt auf Produktionsstandorte mit einer weniger strengen Klimapolitik auswichen. Allerdings waren Unternehmen mit vergleichsweise hohen Treibhausgasemissionen schon vor den Reformen überdurchschnittlich im außereuropäischen Ausland präsent. Außerdem reduzierten Unternehmen, die vor allem innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) präsent sind, ihre Treibhausgasemissionen seit 2014 stärker als Unternehmen der gleichen Branche, die hohe Direktinvestitionsbestände außerhalb des EWR unterhalten.

Eine international koordinierte Klimapolitik, die auf weitgehend einheitliche Emissionspreise abzielt, könnte vermeiden, dass multinationale Unternehmen ihre ausländischen Standorte nutzen, um dort unter vergleichsweise milderen Emissionsvorgaben zu produzieren. Ein global abgestimmter Emissionspreis erscheint aber politisch unrealistisch. Als zweitbeste Lösung könnte die EU auf international unterschiedliche CO₂-Preise, die den Wettbewerb verzerren, wirtschaftspolitisch reagieren. Eine Maßnahme hierzu ist der im Oktober 2023 eingeführte Grenzausgleichsmechanismus. Wichtig ist darüber hinaus, Unternehmen auf ihrem Weg zu einer klimaneutralen Wertschöpfung stabile Rahmenbedingungen vorzugeben. Dafür sollten die EU und die Bundesregierung klare Meilensteine formulieren, die den Unternehmen ausreichend Spielraum lassen, um die Transformation in eigener Verantwortung zu vollziehen. Die Vollendung der Kapitalmarktunion könnte dabei gerade auch kleineren und innovativen Unternehmen zugutekommen, indem sie ihnen den Zugang zu Risikokapital ebnet.

1 Die europäische Klimapolitik

Die europäische Klimapolitik zielt darauf ab, auf europäischer Ebene die völkerrechtlich bindenden Übereinkommen der UN-Klimakonferenz umzusetzen. Diese ergeben sich im Wesentlichen aus dem 2005 beschlossenen Kyoto-Protokoll und dem Nachfolgevertrag von Paris, der 2018 in Kraft trat. 2 Die europäische Klimapolitik basiert auf zwei Säulen, die gemeinsam sicherstellen sollen, dass auf dem Gebiet der EU bis 2050 nicht mehr durch den Menschen verursachte Treibhausgase emittiert als absorbiert werden. Die erste Säule bildet das EU-ETS und umfasst das Verarbeitende Gewerbe, die Stromerzeugung sowie den innereuropäischen Luftverkehr, seit 2024 auch den Seeverkehr. Die zweite Säule beruht auf der „europäischen Lastenteilung“ (effort sharing). Sie gilt für alle Sektoren, die nicht dem EU-ETS unterliegen. Die EU gibt im Rahmen dieser Säule für jeden Mitgliedstaat Minderungsziele vor, welche die nationalen Regierungen in eigener Verantwortung umsetzen müssen.

Das EU-ETS wurde 2005 in allen Ländern des EWR eingeführt und seitdem fortlaufend reformiert. Das erste Reformpaket, das Phase II begründete und 2008 in Kraft trat, bedeutete gegenüber Phase I vorwiegend Erleichterungen für die Industrie. So dürfen seitdem Emissionen im EWR mit Emissionsreduktionen in Drittländern verrechnet werden. Im April 2009 beschloss die Europäische Kommission weitere, substanzielle Reformen des europäischen Emissionshandels. Diese traten 2013 in Kraft und läuteten Phase III des europäischen Emissionshandels ein (EU-ETS III). Sie brachte wesentliche Änderungen mit sich: 1.) Seit 2013 gilt erstmals eine Obergrenze für Treibhausgasemissionen im gesamten EWR. 2.) Die Emissionszertifikate werden stetig knapper und müssen bei Auktionen grundsätzlich ersteigert werden. In den Jahren zuvor erhielten Unternehmen die Zertifikate überwiegend kostenlos zugeteilt. 3.) Vergünstigungen für besonders emissionsintensive Branchen orientieren sich seitdem nicht mehr an den historischen Emissionen der einzelnen Anlage. Vielmehr dienen die effizientesten Produktionsanlagen des jeweiligen Sektors als Maßstab. 3 Darüber hinaus werden seit Phase III neben Emissionen von Kohlendioxid auch andere Treibhausgase wie Lachgas in den europäischen Emissionshandel einbezogen. Ihre Klimawirkung wird in CO₂-Äquivalente umgerechnet. Im Folgenden werden die Begriffe Treibhausgasemissionen und CO₂-Emissionen synonym verwendet. Ein weiteres Reformpaket wurde 2018 beschlossen und mündete in Phase IV (EU-ETS IV). Als wesentliche Neuerung der seit 2021 geltenden Bestimmungen sinken die Emissionen der CO₂-Zertifikate seitdem jedes Jahr um 2,2 %. Zuvor hatte dieser jährliche Reduktionsfaktor 1,74 % betragen. 4 Die jüngsten Reformen wurden im April 2023 im Rahmen des „Fit for 55“-Pakets beschlossen. Sie bezogen den Seeverkehr in das bestehende EU-ETS ein und begründeten ein separates Emissionshandelssystem für den Gebäudesektor und Straßenverkehr sowie das weiter unten beschriebene Grenzausgleichssystem für Importe aus Ländern außerhalb des EWR. 5

Die Preise für CO₂-Zertifikate stiegen 2021 drastisch von anfangs rund 30 auf über 80 pro Tonne zum Jahresende. Dies deutet darauf hin, dass die Neuerungen eine bindende Wirkung entfalteten und die effektiven Kosten von Treibhausgasemissionen signifikant erhöht haben. Neben dem verknappten Angebot dürfte auch eine Rolle gespielt haben, dass sich die Wirtschaft in Europa 2021 nach dem starken Einbruch von 2020 wieder erholte und entsprechend die Nachfrage nach CO₂-Zertifikaten zunahm.

2 Standortdebatte und deutsche Direktinvestitionen

Die Europäische Union setzt darauf, den Transformationsprozess zu einer grünen Wirtschaft, den „European Green Deal“, in erster Linie durch marktwirtschaftliche Mechanismen zu vollziehen. Dies impliziert, dass der Preis für Treibhausgasemissionen über die kommenden Jahre spürbar steigen muss. Erst wenn emissionsarme Technologien in großem Umfang und kostengünstig zur Verfügung stehen, dürften die Preise für die Erlaubnis, Treibhausgase zu emittieren, wieder sinken. Werden die Preise aber global nicht oder weniger als im Geltungsbereich der eigenen Gesetzgebungskompetenz erhöht, gibt es Anreize für Unternehmen, ihre Produktion ins Ausland zu verlagern und dort mit weiterhin hoher oder sogar höherer Emissionsintensität zu produzieren. Dies gilt vor allem für energieintensive Unternehmen, die überdurchschnittlich viel CO₂ ausstoßen. Die angestrebte Reduktion der Treibhausgase findet dann aber nur im Geltungsbereich der europäischen Klimapolitik und nicht global statt. Die europäische Klimapolitik wäre weniger effektiv oder schlimmstenfalls sogar kontraproduktiv (carbon leakage).

Bisherige Arbeiten zu der Frage, ob die europäische Klimapolitik Standortentscheidungen deutscher Unternehmen beeinflusst und die deutschen Direktinvestitionsbeziehungen mit dem Ausland verändert hat, kommen nicht zu eindeutigen Ergebnissen. So finden Koch und Basse Mama (2019) keine Evidenz für die These, dass die Einführung des Zertifikatehandels in den Ländern des EWR 2005 die deutschen Direktinvestitionen in Ländern außerhalb des Geltungsbereichs gefördert hat. Böschemeier und Jochem (2024) stellen allerdings fest, dass die effektiven Kosten für CO₂-Emissionen im Ausland vor allem für Unternehmen mit hohen Energiekosten und hohem Wettbewerbsdruck durchaus ein Kriterium bei der Wahl des Standorts ihrer Direktinvestitionsunternehmen darstellen.

3 Einfluss des Europäischen Emissionshandels auf deutsche Direktinvestitionen im Ausland

Das Verarbeitende Gewerbe macht einen gewichtigen Anteil am deutschen Treibhausgasausstoß aus, ist nicht zwingend an Deutschland als Standort gebunden und reagiert möglicherweise sensitiv auf Verschiebungen im weltweiten CO₂-Preisgefüge. Das Verarbeitende Gewerbe war 2023 für 16 % der deutschen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Damit belegte es den dritten Platz unter den volkswirtschaftlichen Sektoren. Die meisten Treibhausgase emittierte die Energiewirtschaft (30 %), gefolgt vom Verkehr (22 %). Der Gebäudesektor war für 15 % der deutschen Treibhausgasemissionen verantwortlich und die Landwirtschaft für 9 %. 6

Ein Blick auf die regionale Verteilung deutscher Direktinvestitionen im Ausland zeigt, dass Länder außerhalb des EWR in den vergangenen Jahren für deutsches Beteiligungskapital im Verarbeitenden Gewerbe an Bedeutung gewonnen haben. Ende 2005 lag der Anteil des Beteiligungskapitals im Verarbeitenden Gewerbe, das außerhalb des EWR investiert war, bei 52 %. Ende 2022 betrug er 68 %. 7 Im geometrischen Mittel der Jahre 2005 bis 2022 stieg das Beteiligungskapital deutscher Direktinvestitionsunternehmen des Verarbeitenden Gewerbes in Nicht-EWR-Ländern jährlich um 10 %; die entsprechende Wachstumsrate betrug in Ländern des EWR lediglich 5 %. Diese Zahlen könnten auf eine schleichende Verlagerung deutscher Industriekapazitäten hindeuten, die allerdings nicht ohne Weiteres der europäischen Klimapolitik zuzuordnen ist. Tatsächlich berücksichtigen die Entscheidungen über Direktinvestitionen eine Vielzahl von Aspekten. Um Aussagen über kausale Zusammenhänge treffen zu können, ist es daher notwendig zu untersuchen, wie einzelne Unternehmen auf konkrete Veränderungen reagieren.

Mithilfe detaillierter Datensätze, die bis Ende 2022 reichen, kann auf der Ebene einzelner deutscher Unternehmen analysiert werden, in welchem Ausmaß das EU-ETS bereits Höhe und Struktur der deutschen Direktinvestitionen in Drittländern beeinflusst haben. Die Studie wertet die weltweiten Treibhausgasemissionen deutscher Unternehmen auf Konzernebene aus. 8 Dies bedeutet, dass die Emissionen aller Unternehmenseinheiten im Konzernverbund weltweit erfasst und aggregiert werden. Diese Informationen lassen sich mit der Mikrodatenbank Direktinvestitionen (MiDi) der Bundesbank verknüpfen. Damit kann auf der Ebene einzelner deutscher Unternehmen analysiert werden, ob die bisherige Mengenbeschränkung der zulässigen Emissionen im EWR bereits Höhe und Struktur der deutschen Direktinvestitionen in Drittländern verändert hat.

Die Einführung von EU-ETS und spätere Reformen des Emissionshandelssystems hatten bislang keinen nachweisbaren Einfluss auf die Direktinvestitionen deutscher Unternehmen im Ausland. Allerdings waren Konzerne des Verarbeitenden Gewerbes mit hohen Treibhausgasemissionen bereits zu Beginn des EU-ETS stärker mit Töchtern im nicht-europäischen Ausland vertreten als Unternehmen mit vergleichsweise niedrigeren Emissionen. 9 Offenbar haben energieintensive Unternehmen bereits zuvor vorzugsweise in Ländern mit niedrigeren Energiepreisen produziert. Denkbar ist auch, dass diese Unternehmen im Vorgriff auf das EU-ETS frühzeitig Produktionskapazitäten im Ausland aufgebaut hatten. Die Anpassungen von 2008 brachten eher Erleichterungen im EU-ETS mit sich, dürften also keinen zusätzlichen Anreiz zu Standortverlagerungen geboten haben. Die Reformen des EU-ETS von 2013 und 2021 induzierten empirischen Untersuchungen der Bundesbank zufolge keine signifikante Reaktion der deutschen Direktinvestitionen im Ausland (siehe Exkurs „Wie beeinflusst der Europäische Emissionshandel die deutschen Direktinvestitionen?“). 10

Exkurs

Wie beeinflusst der Europäische Emissionshandel die deutschen Direktinvestitionen?

Die folgende Analyse untersucht den unmittelbaren Einfluss des EU-ETS auf deutsche Direktinvestitionen im Ausland; sie findet keine Hinweise darauf, dass die europäische Klimapolitik bereits zu Standortverlagerungen ins nicht-europäische Ausland geführt hat. Die Einführung von EU-ETS und nachfolgende Reformen machen sich in den deutschen Direktinvestitionen noch nicht signifikant bemerkbar. Allerdings unterhielten besonders emissionsintensive Konzerne schon zu Beginn des Zertifikatehandels höhere Direktinvestitionsbestände in Ländern außerhalb des EWR als Unternehmen, die weniger Treibhausgase ausstießen.

Die Untersuchung basiert auf zwei Mikrodatensätzen, die miteinander verknüpft werden und so unternehmerische Entscheidungen auf deutscher Konzernebene aufzeigen. Der erste Datensatz ist die Mikrodatenbank Direktinvestitionen (MiDi) der Bundesbank. Sie liefert Daten zu Direktinvestitionsbeständen deutscher Unternehmen im Ausland. Die Schätzung verwendet das Beteiligungskapital deutscher Konzerne aller Wirtschaftszweige, deren ausländische Tochtergesellschaften im Verarbeitenden Gewerbe tätig sind. In dieser Kennziffer schlägt sich am deutlichsten nieder, wenn Firmen ihre Produktion verlagern, um Emissions- oder Investitionskosten zu vermeiden. MiDi weist auch Zahlen zum Umsatz der deutschen Muttergesellschaft aus. Diese Variable dient dazu, für die Größe eines Unternehmens zu kontrollieren. Der zweite Datensatz ist die Datenbank ESG von Institutional Shareholder Services (ISS). Sie enthält Angaben zu den Treibhausgasemissionen auf Konzernebene, das heißt aggregiert für alle Unternehmenseinheiten weltweit. Die Analyse verwendet Scope 1-Emissionen in CO₂-Äquivalenten aller erfassten Treibhausgase. 1 Für die nachfolgenden Untersuchungen werden zwei Samples (2011 bis 2014 sowie 2019 bis 2022) verwendet, jeweils für 82 Länder und 22 Branchen des Verarbeitenden Gewerbes.

Die Untersuchung unterscheidet deutsche Unternehmen danach, ob sie über- oder unterdurchschnittlich hohe Emissionen aufweisen. Als Referenzjahr für die Einteilung der Emissionsintensität dient 2012, also das Jahr, bevor die Reform 2013 in Kraft trat und Phase III des EU-ETS begann. In einem ersten Schritt werden alle Unternehmen mit Tochtergesellschaften im Verarbeitenden Gewerbe als Gesamtheit betrachtet und in eine Gruppe mit überdurchschnittlich hohen und eine Gruppe mit unterdurchschnittlich hohen Treibhausgasemissionen eingeteilt. 2 In einem zweiten Schritt wird diese Unterscheidung für jeden zweistelligen NACE 2-Sektor separat getroffen. Die verschiedenen Sektoren unterscheiden sich deutlich in ihren mittleren Treibhausgasemissionen. Interessieren vor allem unterschiedliche Anpassungen vergleichbarer Unternehmen an die europäische Klimapolitik, kann eine branchenspezifische Betrachtung sinnvoll sein.

Mithilfe einer Panelregression wird getestet, ob Unternehmen mit überdurchschnittlich hohen CO₂-Emissionen generell höhere Direktinvestitionsbestände im Ausland halten als Unternehmen mit vergleichsweise niedrigen Emissionen. Betrachtet werden nur Direktinvestitionsbestände (\( fdi \)) in Ländern außerhalb des EWR, da das EU-ETS im gesamten EWR gilt und dort in dieser Hinsicht die gleichen Rahmenbedingungen vorliegen wie in Deutschland. Außerdem wird überprüft, ob die Direktinvestitionsbestände in den ersten beiden Jahren von Phase III des EU-ETS (\( post_{2012} \)) im Vergleich zu den beiden Jahren zuvor stiegen und ob hier Unternehmen mit hoher CO₂-Intensität (\( high \)) besonders hervorstachen. Dies könnte auf eine mögliche Verlagerung von Produktion aufgrund höherer Kosten hindeuten.

Bei der Schätzung handelt es sich um eine Panelschätzung mit fixen Effekten, die alle branchenspezifischen Entwicklungen auf deutscher Seite abgreifen. Die Branchen werden nach der zweistelligen NACE 2-Klassifikation voneinander abgegrenzt. Des Weiteren wird für die Größe der deutschen Unternehmen kontrolliert, und zwar gemessen am Jahresumsatz (\( turnover \)). Um eine mögliche serielle Korrelation zu berücksichtigen, wird eine Varianz-Kovarianz-Matrix mit Clustern über jedes einzelne Unternehmen geschätzt.

Die Schätzgleichung der Untersuchung lautet:

$$ fdi_{i,t} = \alpha \cdot high_i + \beta \cdot post_{2012} + \gamma \cdot (post_{2012} \cdot high_i) + \delta \cdot turnover_{i,t} + sector_j + \varepsilon_{i,t} $$

mit \( i \) = Unternehmen, \( j \) = Sektor der deutschen Muttergesellschaft und \( t \) = Zeit. Die Variablen \( fdi \) und \( turnover \) gehen als Logarithmen in die Schätzung ein, bei \( high \) und \( post_{2012} \) handelt es sich um binäre Variablen, die Werte von null oder eins annehmen können.

Unternehmen mit vergleichsweise hohen Treibhausgasemissionen unterhielten im Untersuchungszeitraum 2011 bis 2014 signifikant höhere Direktinvestitionsbestände in Ländern außerhalb des EWR, doch hatten die Reformen von EU-ETS III hierauf keinen Einfluss. Darauf lassen die in Schaubild 2.4 oben links abgebildeten Ergebnisse schließen. Demnach haben sich die betrachteten Direktinvestitionsbestände deutscher Unternehmen in den Jahren nach Eintritt des EU-ETS in die dritte Phase nicht signifikant verändert. Dies gilt für emissionsstarke wie emissionsschwache Unternehmen gleichermaßen.

Weitere Reformen von Phase IV (EU-ETS IV) wurden im März 2018 beschlossen und traten zum 1. Januar 2021 in Kraft. Sie sahen insbesondere vor, die jährlich zulässigen Emissionsmengen stärker zu reduzieren. Analog zu dem oben beschriebenen Ansatz untersucht die Schätzung, ob diese Anpassung Spuren in den deutschen Direktinvestitionen von 2021 und 2022 im Vergleich zu den Jahren 2019 und 2020 hinterlassen hat.

In den Jahren vor und nach Beginn von Phase IV des europäischen Emissionshandels hielten emissionsintensive deutsche Unternehmen weiterhin überdurchschnittlich viel Beteiligungskapital im nicht-europäischen Ausland. Wie bereits bei den Reformen von Phase III acht Jahre zuvor ergeben sich keinerlei signifikante Effekte der neuen Regeln für den Zertifikatehandel (Schaubild 2.4, oben rechts).

Ein etwas anderes Bild ergibt sich, wenn Unternehmen nach ihren Treibhausgasemissionen innerhalb ihrer jeweiligen Branche geordnet werden. Ein branchenspezifisches Ranking erlaubt es, Unternehmen zu vergleichen, die angesichts der Energiewende mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert sind. Dafür werden die Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes zunächst in Branchen gemäß der zweistelligen NACE 2-Klassifikation unterteilt. Anschließend lassen sich innerhalb dieser Branchen Unternehmen mit überdurchschnittlichen von Unternehmen mit unterdurchschnittlichen Treibhausgasemissionen unterscheiden.

Bei branchenspezifischer Betrachtung gab es bei den Direktinvestitionen in Ländern außerhalb des EWR in der Zeit von 2011 bis 2014 keinen nachweisbaren Unterschied zwischen emissionsintensiven und emissionsarmen Unternehmen. Der entsprechende Koeffizient ist zwar auch in dieser Schätzung positiv, doch war die Streuung zwischen Direktinvestitionsbeständen der einzelnen Unternehmen eines Sektors so hoch, dass sich keine statistisch signifikanten Schlüsse ziehen lassen (Schaubild 2.4, unten links). Leicht positiv signifikant ist nun der generelle Anstieg deutscher Direktinvestitionen in Ländern außerhalb des EWR nach 2012, doch war diese Entwicklung unabhängig von der Emissionsintensität einzelner Unternehmen.

Nach Einführung von Phase III des EU-ETS senkten Unternehmen, die vor allem im EWR engagiert waren, ihre Treibhausgasemissionen stärker als Unternehmen mit hohen Direktinvestitionsbeständen in Drittländern. Anders als im Vierjahreszeitraum um die Einführung von EU-ETS III korrelierten überdurchschnittlich hohe Treibhausgasemissionen innerhalb einer Branche im Untersuchungszeitraum 2019 bis 2022 signifikant mit überdurchschnittlich hohen Direktinvestitionsbeständen außerhalb des EWR (vgl. Schaubild 2.4, unten rechts). Ein Vergleich der zugrunde liegenden Einzeldaten macht deutlich, dass diese Verschiebung auf unterschiedliche Entwicklungen der Treibhausgasemissionen während Phase III des EU-ETS zurückzuführen war: Unternehmen mit hohen Direktinvestitionen innerhalb des EWR reduzierten den Ausstoß von Treibhausgasen insbesondere ab 2016 stärker als Firmen mit hohen Direktinvestitionen außerhalb des EWR.

Fußnoten
  1. Scope 1-Emissionen umfassen die Treibhausgasemissionen, die das bilanzierende Unternehmen selbst emittiert und kontrolliert. Die Emissionen vorgelagerter Lieferketten und nachgelagerter Verbraucher sind nicht enthalten.
  2. Dieses Vorgehen stellt insofern eine gewisse Vereinfachung dar, als nicht danach differenziert wird, inwiefern die einzelnen Konzerne mit ihren Treibhausgasemissionen tatsächlich dem EU-ETS unterliegen und wie hoch gegebenenfalls der Anteil frei zugeteilter Zertifikate ist. Eine solche, an sich wünschenswerte Differenzierung ist jedoch nicht möglich, da die Treibhausgasemissionen in der ISS-Datenbank nur auf Konzernebene vorliegen.

Die empirischen Untersuchungen deuten darauf hin, dass der europäische Zertifikatehandel Firmen innerhalb des EWR dazu veranlasst haben könnte, ihre Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Deutsche Unternehmen insgesamt reduzierten ihre Treibhausgasemissionen seit 2015 kontinuierlich. Demgegenüber stiegen die Treibhausgasemissionen deutscher Unternehmen mit Direktinvestitionsstandorten im Verarbeitenden Gewerbe bis Mitte 2018 stetig an und gingen erst anschließend merklich zurück (Schaubild 2.5). Diese Diskrepanz ist allein auf Unternehmen mit hohen Direktinvestitionen außerhalb des EWR zurückzuführen. Unternehmen, die mit ihren Tochterunternehmen vornehmlich im EWR präsent waren, stießen bereits ab 2016 weniger Treibhausgase aus als in den Jahren zuvor. Eine mögliche Erklärung könnte darin liegen, dass sie verstärkt in treibhausgassenkende Technologien investiert haben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Verläufe der Treibhausgasemissionen in erheblichem Maße durch wenige große Unternehmen getrieben wurden.

Das Ergebnis legt nahe, dass die europäische Klimapolitik geeignet ist, die Treibhausgasemissionen in ihrem Geltungsbereich zu senken. Andere Studien, welche die Treibhausgasemissionen einzelner Unternehmen untersuchten, die am EU-ETS teilnehmen, bestätigen diese These. Colmer et al. (2024) schätzen, dass der EU-ETS die betroffenen französischen Firmen veranlasste, ihre Treibhausgasemissionen um rund 15 % zu reduzieren – ohne zugleich die Produktion einzuschränken. Zu einem etwas kritischeren Ergebnis kommen Böning et al. (2023). Die Autoren bestätigen zwar, dass Unternehmen im Geltungsbereich des EU-ETS die Emission von Treibhausgasen in Relation zur produzierten Gütermenge senkten; allerdings konstatieren sie auch einen gewissen carbon leakage, da die Emissionsintensität außerhalb der EU im Gegenzug anstieg.

Künftige Kapazitätsverlagerungen deutscher Unternehmen aufgrund international divergierender Emissionskosten sind nicht auszuschließen. 11 Mit Beginn von Phase IV des europäischen Emissionshandels wurden die verfügbaren Verschmutzungsrechte so deutlich verknappt, dass der Preis für die Emission einer Tonne CO₂ im Mai 2021 erstmals auf über 50 stieg und damit zu einem relevanten Kostenfaktor wurde. Allerdings sind Produktionsverlagerungen ebenfalls mit Kosten verbunden und nicht bei jedem Produktionsprozess immer möglich. Die Anreize zu einem solchen Schritt dürften deshalb in dem Maße nachlassen, wie innovative Technologie hilft, die Höhe der Emissionen kostengünstig zu reduzieren.

4 Klimapolitik und internationale Wettbewerbsfähigkeit

Theoretische Überlegungen legen nahe, dass eine Klimapolitik in Europa, bei der die Preise für CO₂-Emissionen höher sind als im Rest der Welt, die internationale Wettbewerbsfähigkeit hiesiger Unternehmen beeinträchtigen könnte. Dies wäre dann der Fall, wenn in anderen Teilen der Welt die externen Kosten des Klimawandels weniger oder gar nicht internalisiert werden, sodass Unternehmen außerhalb Europas mit niedrigeren betriebswirtschaftlichen Kosten produzieren könnten.

Die beste Lösung, um Treibhausgasemissionen weltweit zu begrenzen, ist eine koordinierte Klimapolitik, die auf einen einheitlichen Preis für Emissionen in möglichst vielen Ländern der Welt abzielt. 12 Dieses Ziel verfolgen die jährlich stattfindenden Klimakonferenzen der Vereinten Nationen. Eine solche Politik trüge außerdem dazu bei, die Wettbewerbsfähigkeit der in Europa produzierenden Unternehmen zu erhalten. Sie könnte verhindern, dass Treibhausgasemissionen dorthin verlagert werden, wo sie nicht oder nur gering bepreist werden. Allerdings ist es im derzeitigen geopolitisch fragmentierten Umfeld fraglich, ob es gelingt, weltweit geltende Preise für den Ausstoß von Treibhausgasen auszuhandeln.

Als zweitbeste Lösung beschloss die EU daher, Importe aus Ländern außerhalb des EWR mit einer Klimaabgabe zu belasten. Als Instrument dient der CO₂-Grenzausgleich (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM). Er soll heimische Produzenten vor möglichen emissionsbedingten Wettbewerbsnachteilen gegenüber ausländischen Anbietern schützen und zugleich Anreize setzen, die eigene Produktion im Land zu halten. Er trat im Oktober 2023 in Kraft, sieht aber eine Übergangszeit vor. Diese wird als notwendig erachtet, weil der CBAM für Importeure umfangreiche Berichtspflichten vorsieht, die gerade kleine und mittlere Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen stellen. 13 Erst ab 2026 sollen bestimmte energieintensive Erzeugnisse schrittweise entsprechend den mit ihrer Herstellung verbundenen Emissionen besteuert werden, wenn sie in den EWR eingeführt werden. 14 Dies setzt nach den Statuten der Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO) allerdings voraus, dass die entsprechenden Industriezweige in Europa keine kostenlosen Emissionszertifikate mehr zugeteilt bekommen. Die Verordnung enthält keine Bestimmungen zu Exporten aus dem EWR, die für Drittländer bestimmt sind und dort mit Anbietern konkurrieren, die keine vergleichbaren Kosten tragen. 15 In der Konsequenz bedeutet dies, dass die Anreize zu Standortverlagerungen durch den CBAM nicht gänzlich ausgeräumt werden. 16

Exkurs

Höhere inländische CO₂-Preise tragen im EMuSe-Modell dazu bei, dass mehr emissionsintensive Vorleistungen importiert werden

Das in der Bundesbank entwickelte „Environmental Multi-Sectoral(EMuSe)-Modell (Hinterlang et al. (2023)) kann die Auswirkungen einer in Europa eingeführten CO₂-Bepreisung mit und ohne Grenzausgleichsmechanismus auf Vorleistungsimporte bebildern. Die Ergebnisse können Hinweise darauf geben, ob deutsche Unternehmen Direktinvestitionen im Ausland nutzen, um emissionsintensive Vorleistungsgüter verstärkt im Ausland zu produzieren und anschließend zu importieren. Auf diese Weise könnten sie vergleichsweise hohe Emissionskosten im Inland vermeiden. Um dies zu untersuchen, wird hier die Mehr-Regionen-Variante des Modells von Ernst et al. (2023) genutzt.

EMuSe ist ein makroökonomisches Modell mit drei Regionen und multisektoraler Produktionsstruktur. Neben ökonomischen Schlüsselgrößen, wie Produktion, Konsum und Investitionen, enthält es auch klimabezogene Variablen wie etwa CO₂-Emissionen. Die Regionen bilden Deutschland, Europa (ohne Deutschland) sowie den Rest der Welt (ohne Europa) ab. 1 Die Kalibrierung beruht auf Hinterlang (2024). Auf der Produktionsseite sind elf Wirtschaftssektoren modelliert. 2 Diese unterscheiden sich in ihrer Größe, ihrem Einsatz von Kapital, Arbeit und Vorleistungsprodukten sowie in ihren Emissionsintensitäten während der Produktion. Unternehmen können in jeder Periode Emissionsminderungstechnologien kaufen und tun dies je nach CO₂-Preis und Minderungskosten. Durch die hohen weltweiten CO₂-Emissionen und den damit steigenden Bestand an CO₂ in der Atmosphäre kommt es über den Klimawandel zu Schäden, die auch die Produktivität reduzieren. CO₂-Bepreisung ist das Hauptinstrument einer marktorientierten Klimapolitik. Preise für CO₂-Emissionen können sich entweder direkt (durch eine CO₂-Steuer) oder indirekt (durch Vorgabe der zulässigen Gesamtemissionen) ergeben (siehe auch: Deutsche Bundesbank (2022, 2024)). Wir simulieren im Modell zwei Politik-Szenarien:

  1. Europa führt einen CO₂-Preis ein.
  2. Europa führt einen CO₂-Preis und einen Grenzausgleichsmechanismus ein. Darunter fällt eine Grenzausgleichssteuer auf Importe gegenüber dem Rest der Welt an, während Exporte vom CO₂-Preis befreit sind. 3

Basierend auf NGFS (2022) unterstellen wir dabei, dass der CO₂-Preis bis zum Jahr 2050 im Vergleich zu 2020 um circa das 25-fache steigt, danach wieder sinkt und konstant beim 13-fachen des ursprünglichen Niveaus bleibt (Net Zero Szenario). Der CO₂-Preis gilt in ganz Europa für alle Sektoren. Die Grenzausgleichssteuer wird in Höhe des inländischen CO₂-Preises auf den geschätzten Emissionsgehalt von Importen aus dem Rest der Welt erhoben.

Führt Europa eine CO₂-Bepreisung ein, erleiden zunächst alle europäischen Regionen gesamtwirtschaftliche Verluste. Sie holen im Verlauf aber wieder auf. Schaubild 2.6 zeigt die Effekte auf ausgewählte Größen in den drei Regionen. Die Verluste ergeben sich, weil die Produktionskosten steigen und die Produkte relativ zu denen aus dem Rest der Welt teurer werden. Höhere Preise reduzieren das reale Einkommen und die Nachfrage, da der Konsum fällt. Gleichzeitig sinken die Emissionen durch den gestiegenen CO₂-Preis. In der Folge verringert sich der ökonomische Schaden weltweit, da die globale Produktivität steigt. Der Rest der Welt ohne CO₂-Preis profitiert mittel- bis langfristig durch sinkende Emissionen und positive Handelseffekte. Ein Teil der im Inland eingesparten CO₂-Emissionen verlagert sich ins Ausland (carbon leakage). Kurzfristig überwiegt jedoch der Einkommenseffekt, da die Wertschöpfung auch im Rest der Welt leicht zurückgeht.

Besonders negativ betroffen von einem CO₂-Preis sind die vergleichsweise CO₂-intensiven Sektoren, die auch das europäischen Emissionshandelssystem umfasst (siehe Schaubild 2.7). Dazu zählen Energie (B, C19, D) sowie einzelne Sektoren aus dem Verarbeitenden Gewerbe (CETS) und Transport (HETS). Der Grenzausgleichsmechanismus verändert die Handelseffekte nur geringfügig, denn der daraus resultierende relative Preisanstieg für ausländische Güter ist eher klein. Carbon leakage wird durch ihn zwar verringert aber nicht verhindert (siehe auch: Ernst et al. (2023)) für eine ausführliche Diskussion). Inländische CO₂-intensive Sektoren profitieren mehr vom Grenzausgleichsmechanismus als saubere Sektoren.

Vorleistungsimporte steigen mittel- bis langfristig infolge des CO₂-Preises. Grund dafür ist, dass heimische Produkte relativ teurer werden, sodass sie eher im Ausland gekauft werden. Soweit deutsche Unternehmen Produktionskapazitäten im Ausland aufbauen, um bestimmte Vorleistungsgüter weiterhin günstig zu beziehen (aus dem Ausland statt wie zuvor dem Inland), steigen also die deutschen Direktinvestitionen durch den CO₂-Preis. Dies gilt insbesondere für emissionsintensive Sektoren wie den Energiesektor (B, C19, D) oder das unter EU-ETS fallende Verarbeitende Gewerbe (CETS). Kurzfristig sind sinkende Vorleistungsimporte zu beobachten, da die gesamtwirtschaftliche Produktion durch die gestiegenen CO₂-Preise zurückgeht. Die Nachfrage nach Vorleistungen sinkt dementsprechend über die gesamte Produktionspalette und damit absolut. 4 Da die Vorleistungsimporte weniger stark zurückgehen als die Produktion, steigt deren Anteil jedoch bereits in der kurzen Frist. Ab circa 2050 nimmt die Produktion infolge von Produktivitätssteigerungen durch weniger Emissionsschaden wieder zu. Außerdem unterstellen wir gemäß dem Net Zero Szenario des NGFS einen abfallenden CO₂-Preispfad nach 2050. Parallel dazu nimmt die Vorleistungsimportquote ab, weil wieder stärker auf heimische Vorleistungen zurückgegriffen wird.

Der Grenzausgleichsmechanismus reduziert und verzögert diesen Effekt, da er Vorleistungen aus dem Rest der Welt durch die Importsteuer verteuert. Für die heimischen Unternehmen sinkt dadurch der Anreiz, Vorleistungsprodukte aus dem Ausland zu beziehen. Durch die Verteuerung von Importen verursacht der Grenzausgleichsmechanismus allerdings auch eine zusätzliche Verzerrung: Da Produkte insgesamt teurer werden, sinkt das reale Einkommen, und die Produktion fällt. Zudem kann der Mechanismus selbst bei der hier unterstellten Befreiung der Exporte vom CO₂-Preis die Wettbewerbsnachteile nicht vollständig ausgleichen, da weiterhin nur CO₂-Emissionen von Gütern und Dienstleistungen bepreist werden, die in Europa auf den Markt kommen oder dort produziert wurden. Der Effekt des Grenzausgleichsmechanismus auf die Makroaggregate ist daher verhältnismäßig klein.

Fußnoten
  1. Europa entspricht in der Analyse den 27 Ländern der Europäischen Union plus Großbritannien, Norwegen und die Schweiz. Alle diese Länder sind Teil des europäischen Emissionshandelssystems (ETS) oder haben vergleichbare Systeme implementiert.
  2. Die elf Sektoren umfassen Land- und Forstwirtschaft, Fischerei (A), Verarbeitendes Gewerbe, das unter ETS (CETS) oder nicht unter ETS fällt (CNETS), Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden, Kokerei und Mineralölverarbeitung, Energieversorgung (B, C19, D), Wasserversorgung (E), Baugewerbe (F), Handel, Verkehr und Lagerei außerhalb des ETS, Gastgewerbe (G,HNETS,I), Transport unter ETS (HETS), Information und Kommunikation (J), Freiberufliche, Wissenschaftliche und Technische Dienstleistungen (M, N), Sonstige wirtschaftliche Dienstleistungen (R, S). Zum CETS-Aggregat zählen hier die Herstellung von Papierprodukten (C17), chemischen Erzeugnissen (C20), von anderen nicht-metallischen Mineralien (C23) und Metalle, Roheisen und Stahl (C24).
  3. Gegenwärtig erhalten Exporteure im Rahmen des europäischen Grenzausgleichsmechanismus noch keine Kostenerstattungen für gezahlte CO₂-Zertifikate. Eine solche Regelung könnte jedoch in eine spätere Regelung aufgenommen werden und würde die internationale Wettbewerbsfähigkeit ansässiger Unternehmen stärken. Im Modell wird der effektive CO₂-Preis gemäß den sektoralen Exportanteilen reduziert. Das Modell nähert sich insofern einem „Idealszenario“ an.
  4. Das heißt, dass kurzfristig der Einkommenseffekt (weniger Produktion = weniger Nachfrage nach Vorleistungen) und mittel- bis langfristig der Substitutionseffekt (Vorleistungen aus dem Ausland relativ günstiger) überwiegt.

Das EMuSe-Modell der Bundesbank kann Effekte von CO₂-Bepreisung und Grenzausgleichsmechanismus simulieren. Da der CBAM erst im Oktober letzten Jahres in Kraft trat und zudem Übergangsfristen vorsieht, lassen sich seine Auswirkungen auf wirtschaftliche Aktivitäten und die Emission von Treibhausgasen noch nicht empirisch evaluieren. Sie können jedoch simuliert werden. Dazu verwendet die Bundesbank das „Environmental Multi-Sector(EMuSe)-Modell. Es kann verschiedene Regionen (hier: Deutschland, Rest von Europa, Rest der Welt) und Sektoren abbilden und illustrieren, wie sich steigende Emissionskosten auf Treibhausgasemissionen und wichtige wirtschaftliche Kennzahlen auswirken. 17

Steigende Preise für CO₂-Emissionen in Europa führen demnach für sich genommen zu weltweit sinkenden Treibhausgasemissionen, beeinträchtigen aber die internationale Wettbewerbsfähigkeit hierzulande. Mittelfristig führt dies dem Modell zufolge dazu, dass Unternehmen Vorleistungsgüter vermehrt importieren statt sie vor Ort zu produzieren. Das Modell bildet nicht ab, ob Firmen diese Waren von eigenen Tochterunternehmen im Ausland oder von Fremdanbietern beziehen.

Der CBAM kann diesem Verlust an internationaler Wettbewerbsfähigkeit wirksam begegnen; allerdings werden die Wettbewerbsnachteile europäischer Unternehmen bei seiner aktuellen Ausgestaltung nicht vollständig kompensiert. Dies liegt daran, dass – anders als in der vorgestellten Simulation – Exporte aus dem EWR dem EU-ETS unterliegen und auf dem Weltmarkt mit Produkten aus Drittstaaten konkurrieren. Auch aus Sicht der globalen Treibhausgasemissionen ist der CBAM einer weltweit koordinierten Klimapolitik unterlegen: Außerhalb des EWR blieben die Kosten des Klimawandels weitgehend unberücksichtigt. Hier werden tendenziell nur die Produkte teurer, die im EWR hergestellt wurden.

Für eine wirksame Klimapolitik sind günstige Rahmenbedingungen für Innovationen in emissionsarme Technologien entscheidend. 18 Die Bepreisung von Treibhausgasen selbst dürfte gewisse Anreize für Innovationen setzen, wovon das Modell abstrahiert. Wichtig sind überdies andere Faktoren wie zügige Genehmigungsverfahren und eine klare Linie der Wirtschaftspolitik, um den Unternehmen Planungssicherheit zu geben. Vor allem junge Unternehmen, die besonders innovativ sind, dürften zudem von Fortschritten bei der europäischen Kapitalmarktunion profitieren. Diese verspricht einen besseren Zugang zu europäischem Wagniskapital und eine geringere Abhängigkeit von gebietsfremden Geldgebern, insbesondere aus den USA. 19

5 Fazit

Bislang führte die europäische Klimapolitik noch nicht dazu, dass ansässige Unternehmen energieintensive Produktion in großem Umfang ins Ausland verlagerten. Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass international aufgestellte Konzerne die Treibhausgasemissionen innerhalb des EWR stärker zurückführten als in Ländern außerhalb des Geltungsbereichs des EU-ETS. Sollten die Preise für Treibhausgasemissionen in Europa dauerhaft deutlich höher sein als im Rest der Welt, könnten Anreize bestehen, besonders emissionsintensive Produktionsprozesse verstärkt in Länder mit einer weniger ambitionierten Klimapolitik zu verlegen.

Eine international koordinierte Klimapolitik würde solchen Ausweichreaktionen entgegenwirken. Allerdings stoßen die Bemühungen, möglichst viele Länder zu verbindlichen Zusagen zu bewegen, auf erhebliche Schwierigkeiten. Deshalb ist fraglich, ob dieser Weg alleine ausreichen wird, die auf den internationalen Klimakonferenzen von Kyoto und Paris formulierten Ziele zu erreichen.

Der europäische Grenzausgleichsmechanismus ist ein geeignetes Instrument, um carbon leakage zu vermeiden, ist aber im Hinblick auf die globalen Klimaziele weniger effizient. Dies liegt daran, dass letztlich nur die Waren mit einer CO₂-Abgabe belastet werden, die im EWR auf den Markt kommen. Zudem wären europäische Produzenten auf dem Weltmarkt weiterhin benachteiligt, da sie hier mit Anbietern konkurrieren müssten, welche keine Kompensation für die Emission von Treibhausgasen leisten müssten. Schließlich bringt der Grenzausgleich für europäische Importeure einen nicht unerheblichen bürokratischen Aufwand mit sich, da diese eingeführte Waren umfassend deklarieren müssen.

Aus ordnungspolitischer Sicht sollte sich Politik auf deutscher und europäischer Ebene darum bemühen, Innovationen in grüne Technologien durch geeignete Rahmenbedingungen zu erleichtern und internationalen wie nationalen Investoren auf diese Weise Investitionsanreize zu bieten. Idealerweise könnten dadurch teure Subventionen vermieden und stattdessen privates Kapital mobilisiert werden. Notwendige Voraussetzungen hierfür sind Planungssicherheit, zügige Genehmigungsverfahren und ein tiefer, harmonisierter Kapitalmarkt.

Literaturverzeichnis

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Verordnung (EU) 2023/956 des Europäischen Rates und des Europäischen Parlaments vom 10. Mai 2023 zur Schaffung eines CO₂-Grenzausgleichssystems.

 

Fußnoten
  1. Protocol to the United Nations Framework Convention on Climate Change. Das Protokoll trat am 16. Februar 2005 in Kraft. Die Europäische Union ratifizierte es am 31. Mai 2002.
  2. Conference of the Parties serving as the meeting of the Parties to the Protocol (CMP) sowie Conference of the Parties serving as the meeting of the Parties to the Paris Agreement (CMA).
  3. Als Richtwert werden die durchschnittlichen Emissionen der 10 % effizientesten Anlagen eines Sektors herangezogen.
  4. Vgl.: Richtlinie (EU) 2018/410.
  5. Vgl.: Rat der Europäischen Union (2023).
  6. Vgl.: Umweltbundesamt (2023).
  7. Die deutschen Direktinvestitionen in Form von Beteiligungskapital beliefen sich 2022 auf 1 743 Mrd ; davon entfielen 526 Mrd auf das Verarbeitende Gewerbe.
  8. Die Daten stammen von Institutional Shareholder Services (ISS): ISS-ESG.
  9. Emissionsdaten der ISS liegen erst ab 2012 vor. Aussagen für frühere Jahre können daher nur auf Basis der Emissionsdaten von 2012 gemacht werden. Die MiDi enthält Direktinvestitionsdaten ab 1999.
  10. Dies könnte auch daran liegen, dass energieintensive Unternehmen in der Vergangenheit einen Großteil der benötigten Verschmutzungszertifikate kostenlos erhielten. Die Mengenrestriktionen gingen daher nicht zwangsläufig mit gestiegenen Produktionskosten einher. Vgl.: Koch und Basse Mama (2019).
  11. Laut einer Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer planen mehr als die Hälfte der großen Industrieunternehmen, die Produktion im Inland aufgrund der hohen Energiepreise einzuschränken oder ins Ausland zu verlagern. Vgl.: Deutsche Industrie- und Handelskammer (2024).
  12. Vgl.: Hassler et al. (2021).
  13. Vgl.: Deutsche Industrie- und Handelskammer (2023). In einem gemeinsamen Positionspapier fordern der Bundesverband der Deutschen Industrie und die Deutsche Industrie- und Handelskammer darüber hinaus aber auch dauerhaft vereinfachte Erklärungspflichten zu den Treibhausgasemissionen, die bei der Produktion importierter Güter entstanden sind. Vgl.: Bundesverband der Deutschen Industrie und Deutsche Industrie- und Handelskammer (2024).
  14. Vgl.: Verordnung (EU) 2023/956.
  15. Verordnung (EU) 2023/956, (65) sieht lediglich eine Evaluation möglicher Ausweichreaktionen vor, die auch Exporte berücksichtigen soll: „Die Kommission sollte die Anwendung der vorliegenden Verordnung regelmäßig evaluieren und dem Europäischen Parlament und dem Rat darüber Bericht erstatten. […] Diese Berichte sollten ferner eine Bewertung der Auswirkungen des CBAM auf die Verlagerung von CO₂-Emissionen, auch im Zusammenhang mit Ausfuhren, sowie seiner wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Auswirkungen in der gesamten Union enthalten, […]“
  16. Vgl.: Marcu et al. (2022).
  17. Vgl.: Hinterlang et al. (2023).
  18. Vgl.: Hasna et al. (2023).
  19. Vgl.: Europäische Zentralbank (2024).