| advers | unerwünscht, nachteilig |
| Ansteckungseffekt | Vom Ansteckungseffekt im Sinne der Finanzstabilität spricht man, wenn Schocks oder Verluste von einem Intermediär zu einem anderen übertragen und eventuell sogar verstärkt werden. Dies kann über direkte (zum Beispiel gegenseitige Vertragsbeziehungen über Kredite) oder indirekte Kanäle (zum Beispiel ähnliche Geschäftsmodelle, korrelierte Portfolios oder Marktpreisentwicklungen) erfolgen. Dabei kann es zu negativen Entwicklungen bei Marktteilnehmern kommen, die zunächst überhaupt nicht von dem initialen Schock betroffen waren.
Direkte Ansteckung erfolgt über direkte (gegenseitige vertragliche) Geschäftsbeziehungen von Finanzintermediären wie den Zahlungsausfall eines Kreditnehmers oder die Insolvenz eines Unternehmens. Ansteckung über Verkettung von Intermediären ist keine direkte Ansteckung.
Indirekte Ansteckung beschreibt adverse Effekte auf einen Markteilnehmer, ohne dass dieser über eine direkte Transaktion oder Interaktion beteiligt ist. Indirekte Ansteckung wird meist über adverse Preis- oder Informationseffekte ausgelöst und nicht über direkte Verflechtungen übertragen. Ansteckung über Dritte (Märkte, Intermediäre, Länder) und Verkettung von Intermediären sind auch indirekte Ansteckung. Indirekte Ansteckung über Preiseffekte findet zum Beispiel dann statt, wenn ein Intermediär aufgrund eines Verlustes gezwungen ist, Vermögenswerte zu verkaufen (siehe auch Notverkäufe) und dies zu einem Verfall der Preise für diese Vermögenswerte führt. Andere Intermediäre, die ähnliche Vermögenswerte halten, müssen dann aufgrund der gesunkenen Preise ebenfalls Abschreibungen oder Marktwertanpassungen vornehmen. Auch können indirekte Ansteckungseffekte resultieren, wenn ein Intermediär in Schieflage geraten ist und Marktakteure für andere Intermediäre mit ähnlichem Kreditportfolio oder Geschäftsmodell ebenfalls Probleme erwarten (Informationskanal). Dann könnten ein Abzug von Einlagen, Rückgabe von Fondsanteilen oder Kündigungen von Versicherungspolicen folgen und auch diese Intermediäre in Schwierigkeiten bringen. |
| Deleveraging | Deleveraging beschreibt den Abbau des Fremdkapitals, das für die Finanzierung von bilanziellen und außerbilanziellen Vermögenswerten verwendet wird. Der sogenannte Hebel (englisch Leverage; Fremdkapital geteilt durch Eigenkapital) wird also kleiner. Von Deleveraging spricht man auch, wenn das Volumen bilanzieller und außerbilanzieller Vermögenswerte abgebaut wird, um das Fremdkapital zu mindern.
Deleveraging kann, muss aber nicht, ein Derisking beinhalten. Deleveraging ist gleichzeitig Derisking, wenn das Fremdkapital gemindert wird, indem riskantere Vermögenswerte abgebaut werden. |
| Derisking | Derisking beschreibt, den Risikoabbau durch Reduktion bilanzieller und/oder außerbilanzieller Aktiva, um den Risikogehalt zu senken. Derisking kann, muss aber nicht, ein Deleveraging beinhalten. Derisiking ist gleichzeitig Deleveraging, wenn neben dem Risiko auch Fremdkapital abgebaut wird. |
Erstrundeneffekt | Erstrundeneffekte aus Sicht der Finanzstabilität sind die zeitlich unmittelbaren Auswirkungen eines Schocks oder negativen Szenarios auf die direkt betroffenen Finanzintermediäre, Märkte und Marktinfrastrukturen oder die Realwirtschaft. Diese ergeben sich insbesondere, wenn Kredit-, Markt-, Zinsänderungs- oder Liquiditätsrisiken eintreten. Negative Erstrundeneffekte äußern sich bei Intermediären üblicherweise in Marktwert- oder Bilanzverlusten und können deren Solvenz oder Liquidität gefährden. Ein wichtiges analytisches Tool, um Erstrundeneffekte abzuschätzen, sind Stresstests. |
| Finanzintermediär | Finanzintermediäre sind Institutionen oder Unternehmen, die als Vermittler zwischen Kapitalgebern und Kapitalnehmern fungieren, indem sie Geld von Sparern oder Investoren sammeln und es an Kreditnehmer oder Unternehmen weiterleiten. Finanzintermediäre wie Banken, Fonds und Versicherer tragen so dazu bei, im Finanzsystem Liquidität bereitzustellen, Risiken zu diversifizieren und die Effizienz der Kapitalallokation zu verbessern. |
| Finanzstabilität | Die Stabilität des Finanzsystems, kurz: Finanzstabilität, bezeichnet einen Zustand, in dem Finanzintermediäre (wie Banken, Fonds und Versicherungen), Märkte und Marktinfrastrukturen auch in Stressphasen ihre volkswirtschaftlichen Funktionen erfüllen. Die volkswirtschaftlichen Funktionen umfassen vor allem die Kreditvergabe und das Investieren von Ersparnissen, eine angemessene Verteilung von Risiken sowie die Abwicklung von Zahlungen, Wertpapier- und Derivategeschäften. Dies soll das Finanzsystem auch in Stress-Situationen, zum Beispiel dem Platzen einer Spekulationsblase, und in strukturellen Umbruchphasen – wie dem Ausstieg aus der fossilen Energie – leisten können. Makroprudenzielle Politik soll die Stabilität des Finanzsystems sicherstellen. Die Zusammenarbeit der beteiligten Behörden wird in Deutschland im Ausschuss für Finanzstabilität (AFS) koordiniert und gestärkt. |
| Finanzsystem | Das Finanzsystem umfasst die Finanzmärkte, die Finanzintermediäre (zum Beispiel Banken, Versicherer und Fonds), den Zahlungsverkehr und die Marktinfrastrukturen (zum Beispiel zentrale Gegenparteien). Im weiteren Sinne werden auch die Ausgestaltung der Finanzaufsicht und der rechtliche Rahmen einschließlich der Rechnungslegungsvorschriften dazugezählt. Über das Finanzsystem werden Ersparnisse und Investitionen koordiniert, Risiken umverteilt sowie Zahlungen, Wertpapier- und Derivategeschäfte abgewickelt. Dies sind die zentralen volkswirtschaftlichen Funktionen des Finanzsystems. Öffentliche Institutionen, wie zum Beispiel Zentralbanken, Aufsichtsbehörden und Ministerien, sind im Rahmen der makroprudenziellen Politik dafür zuständig, die Stabilität des Finanzsystems (Finanzstabilität) zu sichern. |
| Finanzzyklus | Der Finanzzyklus beschreibt mittelfristige, gemeinsame Schwankungen von finanz- und realwirtschaftlichen Größen. Zu diesen zählen insbesondere die gesamtwirtschaftliche Kreditvergabe oder die Immobilienpreise. Der Finanzzyklus unterscheidet sich vom Konjunkturzyklus, welcher kürzere Schwankungen der gesamtwirtschaftlichen Wirtschaftstätigkeit misst. Der Kreditzyklus ist der Teil des Finanzzyklus, der sich nur auf die Kreditvergabe bezieht. Ein starker Aufschwung des Finanzzyklus kann die Verwundbarkeit des Finanzsystems erhöhen und zu einem Aufbau systemischer Risiken führen. Die Entwicklung des Finanzzyklus kann nicht direkt beobachtet werden, weswegen hilfsweise verschiedene Indikatoren dafür herangezogen werden. In der Regulierung wird unter anderem das Verhältnis von gesamtwirtschaftlichen Krediten zum Bruttoinlandsprodukt als Indikator herangezogen. Steigt dieses Verhältnis stark an und übersteigt den langfristigen Trend der vergangenen Jahre, ist dies ein Indiz dafür, dass der Finanzzyklus in einer expansiven Phase ist und sich daraus Verwundbarkeiten für das Finanzsystem aufbauen können. |
| Kalibrierung | Kalibrierung eines Modells beschreibt das Festlegen von Schätzparametern, mit dem Ziel realistische und zuverlässige Wahrscheinlichkeiten oder Ergebnisse für Vorhersagen zu liefern. Eine Kalibrierung kann methodisch beispielsweise auf Basis historischer (extremer) Verluste, von Stresstestergebnissen, Modellansätzen oder Experten-Bewertungen erfolgen. |
| Konjunkturzyklus | Ein Konjunkturzyklus beschreibt wiederkehrende, kurz- bis mittelfristige Schwankungen der gesamtwirtschaftlichen Aktivität. Ein Zyklus beinhaltet eine Aufschwungphase und eine darauffolgende Abschwungphase (Rezession). Bereinigt um den allgemeinen längerfristigen Wachstumspfad zeichnet erstere Phase positives und zweitere Phase negatives realwirtschaftliches Wachstum aus. |
| Kreditausfallrisiko | Das Kreditausfallrisiko (auch Adressrisiko oder Adressenausfallrisiko) bezeichnet die Gefahr, dass ein Kreditnehmer fällige Tilgungs- und Zinszahlungen nicht rechtzeitig, nicht vollständig oder überhaupt nicht leisten kann, er also „ausfällt“. Je schlechter die wirtschaftliche Situation des Kreditnehmers, desto höher ist dessen Kreditausfallrisiko. |
| Kreditzyklus | Der Kreditzyklus beschreibt die Schwankungen in der Vergabe von Krediten durch Banken und Nichtbanken über einen Zeitraum, der über die Länge eines Konjunkturzyklus hinausgeht. Der Kreditzyklus umfasst Phasen der Expansion, in denen Kreditgeber mehr Kredite vergeben und die Kreditbedingungen lockern, sowie Phasen der Kontraktion, in denen die Kreditvergabe zurückgeht und die Bedingungen strenger werden. Der Kreditzyklus ist der Teil des Finanzzyklus, der sich nur auf die Kreditvergabe bezieht. Diese Zyklen sind oft eng mit der gesamtwirtschaftlichen Lage verbunden und können die Konjunkturzyklen verstärken oder abschwächen. |
| Liquiditätsrisiko | Das Liquiditätsrisiko bezeichnet die Gefahr, fälligen Zahlungsverpflichtungen nicht uneingeschränkt, nicht fristgerecht oder nur zu unverhältnismäßig hohen Kosten nachkommen zu können. Liquidität ist vereinfacht betrachtet dann gegeben, wenn der Kassenbestand plus die Zuflüsse größer sind als die zeitgleich laufenden Abflüsse. |
| Marktrisiko | Das Marktrisiko (auch Marktpreisrisiko) beschreibt die Gefahr, bei der Vermögensanlage Geld zu verlieren, wenn sich die relevanten Marktwerte zum eigenen Nachteil verändern. Eine Änderung dieser Marktpreise könnte zum Beispiel durch eine Änderung der Marktzinsen, der Börsenkurse beziehungsweise der Wechselkurse hervorgerufen werden. Diese Änderungen sind nicht zuverlässig vorhersehbar. Marktpreise unterliegen ständigen Schwankungen; sie können sich für die Marktteilnehmer sowohl in Gewinnen (Chance) als auch Verlusten (Risiko) materialisieren. |
| Notverkäufe („Fire Sales“) | Verkäufe von Vermögenswerten bei abrupt höherem Liquiditätsbedarf unter Zeitdruck, die Preis-Liquiditäts-Spiralen auslösen können: Fallende Preise können eine geringere Marktliquidität, weitere Verkäufe und Preisrückgänge zur Folge habe. Diese Dynamik kann sich selbst verstärken und auf andere Märkte übergreifen, was zu einem allgemeinen Vertrauensverlust und Marktstörungen führen kann. Auslöser für solche Notverkäufe könnte einerseits ein signifikanter, abrupter Abzug von Passiva sein, der einen Intermediär dazu zwingt, liquide Aktiva zu veräußern, um die Zahlungsmittelabflüsse zu bedienen. Andererseits kann ein Intermediär auch zu Notverkäufen gezwungen sein, wenn die Gefahr besteht, dass seine Eigenkapitalquote ansonsten unter eine aufsichtlich oder vom Markt geforderte Schwelle sinkt. Dann könnten Notverkäufe zu einer Reduzierung der risikogewichteten Aktiva und somit zur Verbesserung der Kapitalquote beitragen. Weitere mögliche Auslöser sind Margin Calls. |
| Prozyklizität | Prozyklizität sind Verhaltensweisen von Finanzintermediären, Märkten und Marktinfrastrukturen oder Maßnahmen von Aufsichtsbehörden, Zentralbanken oder dem Staat, die zyklische Entwicklungen im Finanzsystem und/oder in der Realwirtschaft verstärken. Prozyklische Verhaltensweisen können sowohl konjunkturelle Aufwärts- (zum Beispiel Aufbau von Verwundbarkeiten) als auch Abwärtsbewegungen (zum Beispiel Auswirkung von Schocks) verstärken.
In der Finanzmarktregulierung wird versucht, prozyklische Effekte zu minimieren. |
| Resilienz/Widerstandsfähigkeit (des Finanzsystems beziehungsweise Finanzintermediärs) | Resilienz/Widerstandsfähigkeit ist die Fähigkeit des Finanzsystems oder eines Finanzintermediärs, einen Schock zu absorbieren oder der Verstärkung des Schocks (zum Beispiel durch Ansteckung oder Rückkopplung) entgegenzuwirken (ihn also abzufedern). |
| Schock | Unerwartete, abrupte Veränderung, die Auswirkungen auf eine oder mehrere für die Finanzstabilität relevante endogene (das heißt innerhalb des Systems bestimmte) Größen hat. |
| systematisch | einem System folgend |
| systemisch | für das System bedeutsam |
| Systemisches Risiko | Das systemische Risiko bezeichnet im Zusammenhang mit der Finanzstabilität die Gefahr, dass Schwierigkeiten eines oder mehrerer Marktteilnehmer oder deren Anpassungsreaktionen auf einen Schock oder geänderte Rahmenbedingungen die Stabilität des gesamten Finanzsystems gefährden können. |
| systemweit | das ganze System betreffend |
| Überschusskapital | Das harte Kernkapital (CET1) oberhalb der aufsichtlichen Anforderungen und Empfehlungen. Anforderungen und Empfehlungen beinhalten die Kapitalanforderungen und -empfehlungen (1) der risikobasierten Komponente (RWA), (2) der Leverage Ratio und (3) des Abwicklungsrahmenwerks (MREL, TLAC) |
| Unsicherheit | Unbekannte Zustände, für die keine Eintrittswahrscheinlichkeiten vorliegen (unknown unknowns). |
| Verwundbarkeiten (des Finanzsystems beziehungsweise Finanzintermediärs) | Der Begriff Verwundbarkeit beschreibt im Zusammenhang mit der Finanzstabilität die Exponiertheit des Finanzsystems gegenüber Schocks, das heißt wie stark das System bei Eintritt eines Schocks betroffen wäre. Je höher die Verwundbarkeit, desto höher die potenziellen Verluste bei Eintritt eines Schocks. Das Ausmaß der Verwundbarkeit bestimmt zusammen mit der Schwere des Schocks und der Höhe der Resilienz/Widerstandsfähigkeit, ob ein systemisches Risiko droht. |
| Volatilität | Die Volatilität beschreibt das Ausmaß der Schwankungen einer Zufallsgröße (zum Beispiel Renditen, Preise et cetera) um ihren Erwartungswert herum. Sie wird gemessen durch die Berechnung der Standardabweichung (ein statistisches Maß für die durchschnittliche Abweichung vom Mittelwert der Zufallsgröße). |
| Zinsänderungsrisiko | Barwertige Zinsänderungsrisiken entstehen, wenn sich der Marktwert aller zukünftigen Zahlungsströme infolge von Änderungen des Zinsniveaus unmittelbar verändert. Ertragsseitige Zinsänderungsrisiken betreffen die Gefahr, dass sich der laufende Zinserfolg (Zinsüberschuss) durch Zinsänderungen negativ entwickelt. |
| Zweitrundeneffekt | Aus Sicht der Finanzstabilität können sich Erstrundeneffekte in einer weiteren Runde auf andere Finanzintermediäre, Märkte und Marktinfrastrukturen oder die Realwirtschaft, auswirken welche ursprünglich nicht oder nicht so stark durch Stresseffekte in der Erstrunde betroffen waren. Dies wird dann als Zweitrundeneffekt bezeichnet. Auf diese Weise können sich Schocks verstärken. Zweitrundeneffekte materialisieren sich etwa über vertragliche Beziehungen wie Kredite (Ansteckungseffekte) oder werden durch Betätigung im gleichen Markt oder Anpassungsreaktionen wie Deleveraging hervorgerufen. |