Stabilitätslage im deutschen Finanzsystem

Finanzstabilitätsbericht

1 Makrofinanzielles Umfeld und Lage im Realsektor

1.1 Das makrofinanzielle Umfeld hat sich im Verlauf des vergangenen Jahres spürbar verschlechtert

Die sprunghafte, protektionistische US-Handels- und Wirtschaftspolitik belastet die Weltwirtschaft. Bereits nach den US-Präsidentschaftswahlen im November 2024 stieg die Unsicherheit hinsichtlich der zukünftigen US-Handels- und Wirtschaftspolitik deutlich (Schaubild 1.1.1). Ab April 2025 erhoben die USA einen Mindestimportzollsatz von 10 % auf die meisten Waren aus fast allen Handelspartnerländern. Im weiteren Verlauf erreichte der durchschnittliche effektive US-Import-Zollsatz ein im historischen Vergleich hohes Niveau (Schaubild 1.1.1). In der Folge wurden die Prognosen für das Weltwirtschaftswachstum zunächst deutlich nach unten korrigiert. Unter anderem vor dem Hintergrund nachlassender handelspolitischer Spannungen wurden sie Mitte des Jahres wieder etwas angehoben (Schaubild 1.1.2). Ende Juli 2025 trafen die Europäische Union (EU) und die USA eine Handelsvereinbarung. Im Ergebnis stieg der durchschnittliche US-Zoll auf Einfuhren aus der Europäischen Union von 1,5 % vor Antritt der neuen US-Administration auf etwa 14 %. Bislang handelt es sich bei der Handelsvereinbarung jedoch nicht um ein rechtlich bindendes Abkommen. Damit bleibt das Risiko eines erneuten Aufflammens der Handelskonflikte bestehen, auch wenn sich die handels- und wirtschaftspolitische Unsicherheit vor allem durch die geschlossenen Handelsvereinbarungen seit Mitte 2025 verringert hat. Zudem herrscht weiterhin Unklarheit über die Rechtmäßigkeit vieler der US-Zölle. 1 Aus diesen Gründen bleibt die handels- und wirtschaftspolitische Unsicherheit über den weiteren Kurs der US-Politik signifikant und prägt das makrofinanzielle Umfeld auch perspektivisch. 2

Wirtschafts- und handelspolitische Unsicherheit und US-Zollsatz
Wirtschafts- und handelspolitische Unsicherheit und US-Zollsatz

Die deutsche Wirtschaft dürfte auch in diesem Jahr nur leicht wachsen. 3 Damit liegt die Wirtschaftsleistung deutlich unter den noch im Vorjahr im Durchschnitt erwarteten Werten (Schaubild 1.1.2). Das Wirtschaftswachstum in Deutschland verharrt voraussichtlich unter dem Durchschnitt des Euroraums. 4 Somit verzögert sich die wirtschaftliche Erholung erneut. Die Prognosen für das Jahr 2026 bleiben im Vergleich zu den Prognosen aus dem Vorjahr nahezu unverändert (Schaubild 1.1.2). 

Prognosen des realen Bruttoinlandsprodukts
Prognosen des realen Bruttoinlandsprodukts

Die Veränderungen im internationalen makrofinanziellen Umfeld sowie strukturelle Faktoren wirken sich negativ auf die deutsche Wirtschaft aus. Die erheblich gestiegenen US-Zölle treffen die exportorientierte deutsche Wirtschaft innerhalb der Europäischen Union überdurchschnittlich stark. Für Deutschland könnte der daraus entstehende Verlust im ersten Jahr etwa 0,13 % des BIP betragen. 5 Die direkten kurzfristigen Einbußen fallen demnach gering aus. Sollten die US-Zölle dauerhaft bestehen bleiben, könnte dies die Aussichten für die deutsche Wirtschaft auch strukturell und damit längerfristig beeinträchtigen. Gründe dafür sind ein Rückgang der Exporte in die USA, verschobene Investitionen und veränderte Lieferketten. Daneben üben nach wie vor eine Reihe von in- und ausländischen strukturellen Faktoren zusätzlichen Anpassungsdruck auf die deutsche Wirtschaft aus (siehe Abschnitt 1.5).

Das Fiskalpaket der Bundesregierung dürfte die Konjunktur stützen, die langfristigen Effekte auf die deutsche Wirtschaft und die Finanzstabilität bleiben jedoch abzuwarten. Prognosen der Bundesbank zufolge ist ab dem Jahr 2026 aufgrund höherer Verteidigungs- und Infrastrukturausgaben mit positiven Wachstumsimpulsen zu rechnen. Bis Ende 2027 könnten die dadurch ausgelösten Nachfrageeffekte das BIP-Wachstum um ungefähr ¾ Prozentpunkt erhöhen. 6 Die genaue Ausgestaltung der Mittelabflüsse ist derzeit allerdings weiterhin unklar, was die Abschätzung der Effekte erschwert. Die langfristige Wirkung des Fiskalpakets auf die Wirtschaft und Finanzstabilität wäre jedoch umso größer, je stärker die Ausgaben in Investitionen fließen, die zur Resilienz, Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft beitragen (siehe Abschnitt 1.5). Allerdings werden die neuen Verschuldungsmöglichkeiten in erheblichem Maße genutzt, um Haushaltsspielräume jenseits von Investitionen in die Verteidigungsfähigkeit und die Infrastruktur zu schaffen. 7 Insgesamt sind die Wachstumseffekte damit zwar mittelfristig voraussichtlich spürbar, die längerfristigen Effekte jedoch nicht hinreichend abzuschätzen.

Die Abwärtsrisiken für das BIP-Wachstum haben sich im Vergleich zum Vorjahr erhöht (Schaubild 1.1.3). Laut dem Bundesbank Growth-at-Risk-Modell sind besonders niedrige Wachstumsraten seit Ende des vergangenen Jahres wahrscheinlicher geworden. 8 So liegt das konditionierte 10 %-Quantil der BIP-Wachstumsrate aktuell bei etwa – 1,84 % im Vergleich zu – 1,56 % vor einem Jahr. Dennoch sind die geschätzten Abwärtsrisiken deutlich geringer als während der geldpolitischen Straffung von Mitte 2022 bis Ende 2023 oder der globalen Finanzkrise. Sollten sich geopolitische Spannungen zuspitzen oder der Handelskonflikt erneut aufflammen, könnten sich die Stimmung im Unternehmenssektor und die Finanzierungsbedingungen abrupt verschlechtern. Dadurch würde das Risiko besonders niedriger BIP-Wachstumsraten weiter steigen.

Growth-at-Risk für Deutschland
Growth-at-Risk für Deutschland

Die Finanzierungsbedingungen haben sich in der Breite im Vergleich zum Vorjahr kaum verändert. Die Inflationsrate sank seit Ende des Jahres 2024 weiter und dürfte sich gemäß den jüngsten Prognosen sowohl in Deutschland als auch im Euroraum bis 2027 beim Zielwert der Europäischen Zentralbank (EZB) von mittelfristig 2 % einpendeln. 9 Die längerfristigen Realzinsen in Deutschland – also die Differenz zwischen nominalen Zinsen für Bundesanleihen mit zehnjähriger Laufzeit und der über diesen Zeitraum erwarteten Inflation – stiegen im Vergleich zu Ende 2024 an und liegen aktuell bei etwa 0,6 %. 10 Zu Beginn des Jahres 2025 führte die Ankündigung deutlich steigender Staatsausgaben zu einem kurzfristigen Anstieg der Realzinsen. Zwischenzeitlich näherten sie sich der 1 %-Marke (siehe Abschnitt 1.2). Im Frühjahr verschärften sich auch die Finanzierungsbedingungen in der Breite. Der Gesamtindikator für finanzielle Bedingungen der Bundesbank verdichtet monatlich preisbasierte Marktdaten, mengenbasierte Kennzahlen sowie mehrere makrofinanzielle Indikatoren und erfasst so Informationen aus mehreren Bereichen des Finanzsystems. 11 Angesichts gestiegener Marktrisiken im Zuge des Handelskonflikts und der dadurch ausgelösten Verwerfungen an den Finanzmärkten erhöhte sich der Gesamtindikator (Schaubild 1.1.4). Seither liegt er jedoch wieder unterhalb des historischen Durchschnitts, etwa auf dem Niveau des Jahres 2024 (Schaubild 1.1.4). Die niedrigeren Werte zeigen, dass die finanziellen Bedingungen wieder lockerer sind und die Anspannungen im Finanzsystem abgenommen haben.

Gesamtindikator für finanzielle Bedingungen
Gesamtindikator für finanzielle Bedingungen

In der Gesamtschau hat sich das makrofinanzielle Umfeld im vergangenen Jahr spürbar verschlechtert, insbesondere angesichts hoher Unsicherheit und damit einhergehender Risiken. Zwar wird derzeit mit einer Erholung der deutschen Wirtschaft ab dem kommenden Jahr gerechnet. Dennoch bleiben sämtliche Projektionen aufgrund häufig wechselnder Rahmenbedingungen mit außergewöhnlich hoher Unsicherheit behaftet. 12 Insbesondere die protektionistische und sprunghafte US-Handels- und Wirtschaftspolitik sowie weiterhin erhöhte geopolitische Spannungen belasten das wirtschaftliche Umfeld. Das Risiko erneuter Handelskonflikte besteht fort, sodass die Wahrscheinlichkeit adverser Szenarien zugenommen hat. Geopolitische Spannungen erhöhen zugleich die Gefahr hybrider Bedrohungen und damit auch von Cyberangriffen, die die Finanzstabilität direkt gefährden könnten. Darüber hinaus bleiben strukturelle Herausforderungen für das Finanzsystem bestehen, insbesondere die fortschreitende Digitalisierung der Realwirtschaft und des Finanzsystems (siehe Exkurs: „Wie sich künstliche Intelligenz auf die Finanzstabilität auswirkt“), die Umsetzung von Maßnahmen zur Erreichung der Klimaneutralität sowie die Bewältigung der Folgen des demografischen Wandels.

Exkurs

Wie sich künstliche Intelligenz auf die Finanzstabilität auswirkt

Künstliche Intelligenz (KI) hat das Potenzial, die Entwicklungen im Finanzsystem und der Realwirtschaft erheblich zu beeinflussen. Die weitere Entwicklung ist allerdings schwer vorhersehbar, da sich die Technologie rasant entwickelt und Auswirkungen auf Produktionsprozesse in der Volkswirtschaft stark von den Anwendungsbereichen der KI-Systeme abhängen. KI-Systeme haben in kurzer Zeit bereits enorme Fortschritte erzielt. 1 Sie analysieren große Datenmengen, erstellen Texte und Bilder und entscheiden automatisiert. Im Finanzsystem kann KI Kreditvergabe- und Anlageentscheidungen unterstützen, kann zu Effizienzgewinnen sowie für die Kunden passenderen Finanzdienstleistungen führen. 2 Allerdings birgt die Nutzung von KI auch Risiken, die größtenteils noch nicht vollständig absehbar sind. Daher nehmen die Chancen und Risiken von KI einen zentralen Platz in der Diskussion über mögliche Auswirkungen auf die Finanzstabilität ein. 

Deutsche Finanzinstitute nutzen KI bereits verstärkt, bislang jedoch kaum in den Kernbereichen des Bankgeschäfts wie etwa der Kreditvergabe. Laut Umfragen der Bundesbank haben im Jahr 2024 rund 26 % der real- und finanzwirtschaftlichen Unternehmen KI genutzt, während im Jahr 2025 bereits 44 % KI nutzen. Weitere Unternehmen planen, KI ab dem Jahr 2026 zu verwenden. 3 Mit 54 % im Jahr 2025 setzt der Finanz- und Versicherungssektor KI überdurchschnittlich oft ein. Nur im Informations- und Telekommunikationssektor ist die Durchdringung größer. Kleine und mittelgroße Banken und Sparkassen in Deutschland (Less-Significant-Institutions, LSI) verwenden KI jedoch hauptsächlich für unterstützende Prozesse und nicht in den Kernbereichen ihres Geschäfts. 4 KI wird beispielsweise für automatisierte interne Anwendungen wie Texterstellung und interne Chatbots, zur Betrugserkennung und -prävention, sowie im Kundenkontakt eingesetzt. Dagegen wird KI bisher kaum zur Kreditwürdigkeitsprüfung und im Handel genutzt. Dieses Muster der Nutzung ähnelt anderen europäischen Ländern. 5

Wenn Finanzintermediäre KI-Systeme künftig im Kernbereich ihres Geschäfts einsetzen, kann das aus Finanzstabilitätssicht eine intensivere Überwachung erfordern. Eine Nutzung von KI außerhalb der Kerngeschäftsfelder, zum Beispiel bei Chatbots, birgt vergleichsweise wenige Risiken für Banken. Würden KI-Systeme aber verstärkt für Entscheidungen über Kreditvergabe oder über Anlagen an den Finanzmärkten eingesetzt werden, wirkt sich das sowohl risikomindernd als auch risikoverstärkend aus. Einerseits könnten Kredit- und Marktrisiken sinken, wenn KI-Modelle vorhandene Informationen schneller und systematischer verarbeiten können und dadurch die Bepreisung von Risiken verbessern. Andererseits könnte der Einsatz von KI-Modellen, die auf ähnlichen Datensätzen trainiert wurden, zu zunehmend gleichgerichtetem Verhalten führen. Dadurch könnten sich etwa Übertreibungen an Finanzmärkten verstärken und Volatilitäten ansteigen. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist umso größer, je autonomer die KI-Modelle entscheiden dürfen. Die Regulierung setzt hierfür Rahmenbedingungen. In Europa begrenzen die EU-Verordnung über künstliche Intelligenz (Artificial Intelligence Act, AI Act) und die EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) die Autonomie von KI-Modellen bei Entscheidungen über Privatpersonen. Sie erfordern in bestimmten Fällen, dass ein Mensch die Entscheidungen kontrolliert und im Bedarfsfall intervenieren kann. 6 Auch die makroprudenzielle Aufsicht kann KI-Systeme bei der Überwachung unterstützend einsetzen. Insofern muss KI selbst überwacht werden, aber kann auch bei der makroprudenziellen Überwachung helfen.

Neben den Auswirkungen auf das Handeln der Finanzintermediäre werden sich Konzentrationen und Abhängigkeiten innerhalb des Finanzsystems verändern. Die genauen Auswirkungen auf das System sind nicht eindeutig. Sie hängen unter anderem davon ab, wie hoch die Nutzungskosten und wie groß die Abhängigkeiten von den Anbietern der KI-Systeme sein werden. Je höher die Kosten der Verwendung von KI-Systemen oder die Investitionskosten zur Entwicklung eigener Modelle, desto größer ist die Tendenz zu zunehmender Konzentration von Marktmacht bei einzelnen Intermediären, wenn diese durch den Einsatz von KI einen Wettbewerbsvorteil haben. Außerdem könnten neue Konzentrationsrisiken entstehen, wenn weite Teile des Finanzsystems von den Produkten einiger weniger Anbieter von KI-Systemen abhängig sind. Ein breites und vorausschauendes Monitoring ist daher wichtig, um Entwicklungen frühzeitig zu erkennen und Risiken für die Finanzstabilität abzuschätzen.

KI kann auch indirekt über die Realwirtschaft auf die Finanzstabilität wirken. KI führt möglicherweise dazu, dass traditionelle Geschäftsmodelle unter Druck geraten und durch zunehmende Automatisierung in manchen Bereichen die Nachfrage nach Arbeitskräften sinkt. Während dieses realwirtschaftlichen Strukturwandels besteht die Gefahr, dass Finanzintermediäre die Ausfallrisiken bei schrumpfenden und aufstrebenden Branchen falsch einschätzen. Das könnte die Kredit- und Marktrisiken erhöhen. Bisherige Schätzungen zu den Auswirkungen von KI auf das Wirtschaftswachstum, die Arbeitslosigkeit und das Zinsniveau variieren stark. 7 Dies verdeutlicht die hohe Unsicherheit darüber, ob und wie substanziell sich KI auf die Realwirtschaft auswirkt. 8

Die Bundesbank arbeitet eng mit nationalen und internationalen Behörden zusammen, um die Auswirkungen von KI auf die Finanzstabilität zu untersuchen. Das globale Finanzsystem ist stark vernetzt und KI-Systeme kommen grenzüberschreitend zum Einsatz. Deshalb ist es wichtig, international zusammenzuarbeiten, um zu verstehen, wie sich KI auf die Finanzstabilität auswirkt. Der Finanzstabilitätsrat (Financial Stability Board, FSB) nimmt dabei eine zentrale Rolle ein. Das FSB hat unter Beteiligung der Bundesbank bereits erste Vorschläge erarbeitet, unter anderem zum Monitoring der Nutzung und Auswirkungen von KI im Finanzsystem. 9

1.2 Hohe Schuldenquoten in einigen Euroländern bergen Risiken für die europäische und deutsche Finanzstabilität

In einigen Euroländern sind die öffentlichen Schuldenquoten hoch und dürften in den kommenden Jahren zunächst weiter ansteigen (Schaubild 1.2.1). Gründe dafür sind unter anderem höhere Verteidigungsausgaben infolge gestiegener geopolitischer Spannungen sowie ein schwaches strukturelles Wachstum. Auch langfristige Herausforderungen wie der Klimawandel und die demografische Alterung werden sich fiskalisch spürbar auswirken. In einigen hochverschuldeten Euroländern wird erwartet, dass die Schuldenquoten in den kommenden Jahren zunächst weiter steigen, bevor sie sich allmählich zurückbilden. 13 Die perspektivische Reduktion der Schuldenquoten setzt jedoch auch voraus, dass sich die den mittelfristigen Fiskalplänen oftmals zugrundeliegenden optimistischen Wachstumsannahmen erfüllen. Trotz der unterstellten Konsolidierung weisen einige dieser Länder sehr hohe Defizite aus, die nur schrittweise sinken sollen. 14 In einigen hochverschuldeten Ländern bestehen nach wie vor Tragfähigkeitsrisiken. Auch in Deutschland steigt die Schuldenquote wegen der finanziellen Belastungen durch das Fiskalpaket, was jedoch vorübergehend verkraftbar sein dürfte. Allerdings sichert die Einhaltung der jüngst veränderten nationalen Fiskalregeln weder die langfristige Tragfähigkeit noch die Einhaltung der EU-Fiskalregeln in jedem Fall ab, sodass mittelfristig eine Anpassung der Fiskalpolitik erforderlich sein könnte. Insgesamt wird erwartet, dass die Zinsausgaben im Verhältnis zum BIP für einige Euroländer in den kommenden Jahren spürbar steigen. Der Anstieg ist auf das höhere Zinsniveau und die steigenden Schuldenstände zurückzuführen (Schaubild 1.2.1). Sollten sich die optimistischen Wachstumsannahmen nicht erfüllen oder sich das makroökonomische Umfeld verschlechtern, könnten Defizit- und Schuldenquoten noch ungünstiger ausfallen (siehe Abschnitt 1.1).

Staatsschuldenquoten und Zinszahlungen in ausgewählten Euro-Ländern
Staatsschuldenquoten und Zinszahlungen in ausgewählten Euro-Ländern

Die seit der Corona-Pandemie teils deutlich gesunkenen Renditedifferenzen vieler Länder gegenüber Deutschland könnten sich in Zukunft wieder ausweiten. Vergleichsweise hohe Wachstumsraten und günstige Wachstumserwartungen in einigen Ländern des Euroraums, insbesondere in Spanien, Griechenland und Portugal, haben zu dieser Einengung beigetragen. Auch teils günstige Haushaltsentwicklungen, stabile politische Verhältnisse und die europäischen Krisenvermeidungsmechanismen könnten eine Rolle gespielt haben. Sollten sich jedoch die Erwartungen an ein künftig hohes Wachstum nicht erfüllen, könnten die Renditedifferenzen wieder zunehmen. Darüber hinaus könnten ungünstige Entwicklungen auftreten, wie eine erneute Eskalation des Handelskonflikts, ein Anstieg der politischen Unsicherheit oder das Verfehlen von Fiskalplänen. In einem solchen Fall würden die Ausfallrisiken und Risikoprämien abrupt steigen.

Die expansive Fiskalpolitik in Deutschland dürfte für sich genommen das allgemeine Zinsniveau im Euroraum erhöhen und dadurch insbesondere höher verschuldete Mitgliedstaaten belasten, indem deren Zinsaufschläge steigen. So stiegen etwa mit der Ankündigung deutlich höherer Staatsausgaben in Deutschland Anfang März 2025 die Renditen länger laufender deutscher Staatsanleihen (Schaubild 1.2.2). In der Folge erhöhten sich auch die Staatsanleiherenditen anderer Euroländer. Der Renditeanstieg zehnjähriger deutscher Staatsanleihen hat sich teilweise, jedoch nicht vollständig, zurückgebildet. 15 Sollte sich das allgemeine Zinsniveau im Euroraum jedoch dauerhaft erhöhen, würden die Zinskosten in Deutschland und vor allem in den hochverschuldeten Euroländern nachhaltig steigen. Dies würde zusätzlichen Druck auf deren Zinsaufschläge ausüben.

Renditen und Renditedifferenzen zehnjähriger Staatsanleihen
Renditen und Renditedifferenzen zehnjähriger Staatsanleihen

Das deutsche Bankensystem ist aufgrund seiner starken Vernetzung mit anderen europäischen Finanzsystemen anfällig für plötzliche Zinsanstiege bei Staatsanleihen anderer europäischer Länder. Entwicklungen auf den Staatsanleihemärkten dieser Länder wirken sich über zwei Kanäle auf das deutsche Finanzsystem aus. Zum einen führt ein Anstieg der Zinsen auf Staatsanleihen zu Marktwertverlusten bei europäischen Finanzintermediären, die diese Staatsanleihen halten. Dies betrifft auch deutsche Finanzintermediäre, wobei deren unmittelbare Verluste begrenzt erscheinen (siehe Abschnitt 2.2). Zum anderen bleibt der Anteil heimischer Staatsanleihen in den Bilanzen europäischer Banken, Versicherer und Fonds hoch, insbesondere in Spanien und Italien (Schaubild 1.2.3). Aufgrund der engen Verflechtung des deutschen Bankensystems mit anderen europäischen Finanzsystemen könnten Ansteckungseffekte zu zusätzlichen Verlusten bei deutschen Banken führen (siehe Abschnitt 2.2). 

Anleihen des heimischen Staates in den Portfolios monetärer Finanzinstitute
Anleihen des heimischen Staates in den Portfolios monetärer Finanzinstitute

Auch für die USA mehren sich die Anzeichen für Bedenken hinsichtlich ihrer Refinanzierungsrisiken. Die neue Administration beschloss erhebliche Steuererleichterungen und zusätzliche Staatsausgaben. Trotz der positiven Effekte der Zölle auf die US-Staatseinnahmen ist ein weiterer Anstieg der US-Schuldenquote und des Zinsdienstes wahrscheinlich. 16 Neben höheren Zinsen auf US-Staatsanleihen würde dies auch die Zinskosten für Unternehmen, Haushalte und den Finanzsektor erhöhen. 17 Bereits in der Vergangenheit haben höhere Schulden und Defizite in den USA langfristige Zinssätze signifikant erhöht, insbesondere in Phasen mit bereits hohen Schuldenquoten. 18 Im Mai 2025 verabschiedete das Repräsentantenhaus das US-Steuer- und Ausgabengesetz. Daraufhin stiegen die Zinsen auf längerfristige US-Staatsanleihen vorrübergehen an, und der US-Dollar wertete zeitweilig ab. 19 Die Markreaktionen ähnelten damit qualitativ jenen von April 2025. 20 Diese Ereignisse deuten darauf hin, dass Investoren derzeit sensitiv auf höhere Staatsausgaben in den USA reagieren. Die zunehmende Verbreitung von Stablecoins und ihre Abhängigkeit von US-Staatsanleihen als Reserveinstrument könnten bei plötzlichen Liquiditätsengpässen durch Fire-Sales zusätzliche Risiken für den US-Staatsanleihemarkt schaffen (siehe Exkurs „Wie sich Stablecoins auf die Finanzstabilität auswirken“).

Entwicklungen auf dem US-Staatsanleihenmarkt beeinflussen das deutsche Finanzsystem. Zwar ist das direkte Engagement deutscher Banken in US-Staatsanleihen begrenzt. Dennoch haben Zinsanstiege bei US-Staatsanleihen in der Vergangenheit die globalen Finanzierungsbedingungen spürbar verschärft. Sollte es zu Anspannungen auf den US-Dollar-Refinanzierungsmärkten kommen, könnten sich die Liquiditätsrisiken im deutschen Bankensektor erhöhen (siehe Abschnitt 2.2).

Höhere Schuldenquoten können den fiskalischen Spielraum einschränken und dadurch in Krisensituationen Finanzstabilitätsrisiken aus dem Unternehmenssektor erhöhen. Simulationen auf Basis eines quantitativ strukturellen Modells deuten darauf hin, dass die Zinsaufschläge und der Verschuldungsgrad des nichtfinanziellen Unternehmenssektors nach einem negativen Schock steigen (siehe Abschnitt 5). Gleichzeitig fallen Bewertungsniveaus, wenn der Staat nicht antizyklisch reagiert, weil er beispielsweise fiskalisch eingeschränkt ist (Schaubild 1.2.4). 21 Die negativen Auswirkungen des Schocks auf die Kreditrisiken im Unternehmenssektor sind geringer, wenn ein Land antizyklisch gegensteuert. Umgekehrt ist der Unternehmenssektor stärker negativ betroffen, wenn der Schock durch staatliche Konsolidierungsmaßnahmen sogar noch verstärkt wird, beispielsweise aufgrund fehlenden fiskalischen Spielraums. Verwerfungen in den Unternehmenssektoren einzelner Länder im Euroraum können sich über realwirtschaftliche und finanzielle Verflechtungen letztlich im gesamten Euroraum auswirken, auch auf das deutsche Finanzsystem (siehe Abschnitt 2.2). 

Effekte eines negativen Schocks auf nichtfinanzielle Unternehmen im Euroraum
Effekte eines negativen Schocks auf nichtfinanzielle Unternehmen im Euroraum
Exkurs

Wie sich Stablecoins auf die Finanzstabilität auswirken

Der wachsende globale Markt für Stablecoins wird von wenigen US-Dollar-denominierten Stablecoins dominiert und könnte vor dem Hintergrund regulatorischer Entwicklungen in den USA weiter an Relevanz gewinnen. Stablecoins sind eine Unterkategorie von Kryptowerten. 1 Im Unterschied zu anderen Kryptowerten soll ihr Wert im Verhältnis zu einer Zentralbankwährung oder anderen Vermögenswerten stabil bleiben. Emittenten von Stablecoins sichern üblicherweise die Rückzahlung zum Nennwert zu. Hierzu investieren sie angenommene Mittel in einen Deckungsstock, in diesem Kontext als „Reserve“ bezeichnet, in traditionelle Vermögenswerte wie Geldmarktinstrumente und Bankeinlagen. Stablecoins haben sich zu einem wichtigen Bestandteil des Kryptosystems entwickelt. 2 Rund 99 % des Stablecoin-Marktes entfallen auf US-Dollar-denominierte Stablecoins. Die Kryptowerte USDT (Tether) und USDC (Circle) dominieren den Markt (Schaubild 1.2.5). Der Markt für Euro-denominierte Stablecoins ist bislang unbedeutend. Er verzeichnet jedoch seit der Anwendbarkeit des europäischen Regulierungsrahmens für Kryptowerte (Markets in Crypto-Assets Regulation, MiCAR) im Jahr 2024 einen signifikanten Anstieg. 3 Zunehmende rechtliche Klarheit und politische Unterstützung, insbesondere in den USA, könnten die Nachfrage nach Stablecoins zusätzlich erhöhen. 4

Marktkapitalisierung von Stablecoins
Marktkapitalisierung von Stablecoins

Stablecoin-Reservevermögen verknüpfen bereits heute das Kryptosystem mit dem traditionellen Finanzsystem, was im Falle von Runs zu Ansteckungseffekten führen kann. Wenn Zweifel bestehen, ob Stablecoin-Emittenten ihre Rückzahlungsversprechen erfüllen können, kann dies zu einem Run führen. Gründe für solche Zweifel können Wertschwankungen, unsichere Qualität sowie Höhe und Verfügbarkeit des Reservevermögens sein. 5 Infolgedessen könnten Notverkäufe in Wertpapiermärkten sowie plötzliche Abzüge von Stablecoin-Reservevermögen bei Banken zu Ansteckungsrisiken für das traditionelle Finanzsystem führen. Auf der anderen Seite können Schwierigkeiten bei Banken zu Ansteckungseffekten bei Stablecoins führen. Ein Beispiel war der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank (SVB), der dazu führte, dass der Stablecoin des Emittenten Circle kurzzeitig seine Wertbindung an den US-Dollar nicht mehr halten konnte, weil ein Teil des Reservevermögens bei der SVB gehalten wurde. Der Großteil des globalen Stablecoin-Reservevermögens fließt derzeit in kurzfristige US-Staatsanleihen. Dies hat zur Folge, dass einzelne Emittenten zu zunehmend bedeutenden Akteuren in diesem Markt aufsteigen. 6 In Europa sind die direkten Verflechtungen zwischen Stablecoin-Reservevermögen und dem traditionellen Finanzsystem bislang begrenzt. 

Wenn Stablecoins vermehrt außerhalb des Kryptosystems genutzt werden, könnten Risiken für die Finanzstabilität steigen. Aktuell kommen Stablecoins vorwiegend innerhalb des Kryptosystems zum Einsatz, da sie es Investoren erleichtern, Kryptowerte zu tauschen oder Transaktionen vorzunehmen. Künftig könnte jedoch die Nutzung außerhalb des Kryptosystems steigen, etwa im grenz-, und währungsraumüberschreitenden Zahlungsverkehr oder in der Wertpapierabwicklung. 7 Damit würden Stablecoins stärker in das globale Finanzsystem integriert. Dies würde bestehende Ansteckungskanäle verstärken. Zudem könnten sich strukturelle Auswirkungen auf Banken ergeben, etwa durch sinkende Erträge, insbesondere im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr, sowie durch volatilere oder rückläufige Bankeinlagen. Wenn Nicht-Euro-Stablecoins im Euroraum öfter verwendet würden, könnte schließlich die monetäre Souveränität beeinträchtigt werden.

MiCAR enthält Schutzinstrumente, deren wirksame Anwendung jedoch mit Herausforderungen verbunden ist. Die Europäische Union hat mit MiCAR einen umfassenden Rahmen für Stablecoins geschaffen. MiCAR soll Innovationen fördern und gleichzeitig Risiken für die Finanzstabilität begrenzen. 8 Aufgrund des grenzüberschreitenden Charakters von Stablecoins und globaler Regulierungsunterschiede ist eine kontinuierliche Überprüfung der MiCAR-Instrumente erforderlich, um deren Wirksamkeit sicherzustellen. Um eine weit verbreitete Nutzung nicht MiCAR-konformer Stablecoins zu verhindern, könnte es erforderlich sein, zusätzliche Maßnahmen zur Stärkung der Aufsicht zu ergreifen. Besondere Aufmerksamkeit sollte zudem auf Multi-Emittenten-Stablecoins gerichtet werden. 9 Dies ist relevant, damit zentrale Schutzinstrumente von MiCAR nicht umgangen werden können, und um unfaire Wettbewerbsbedingungen zulasten rein europäischer Emittenten sowie erhöhte Run-Risiken für das EU-Finanzsystem verhindern zu können. Der ESRB hat diesbezüglich die Empfehlung veröffentlicht, diese Modelle als nicht MiCAR-konform einzustufen, solange deren spezifische Risiken nicht regulatorisch angemessen adressiert sind. 10

Wenn Großbetragszahlungen zwischen Kreditinstituten künftig verstärkt über Stablecoins abgewickelt werden, könnten Risiken entstehen. Wenn kritische Interbankzahlungen nicht mehr in ausfallsicherem Zentralbankgeld, sondern vermehrt in Stablecoins erfolgen, entstehen unmittelbar neue Konzentrations-, Ausfall- und Liquiditätsrisiken. Gleichzeitig könnten sich Abhängigkeiten von ausländischen Zahlungsverkehrsinfrastrukturen erhöhen. Darüber hinaus können unterschiedliche Standards und mangelnde Interoperabilität zu einer Fragmentierung des Zahlungsverkehrs führen. 11 Letztendlich kann die Einheitlichkeit des Geldes beeinträchtigt werden, wenn Interbankzahlungen nicht mehr über ausfallsicheres Zentralbankgeld abgewickelt werden. Das Angebot einer Wholesale-Central Bank Digital Currency (wCBDC) kann die Resilienz stärken, indem es die Zentralbankgeldabwicklung von Distributed Ledger Technologie (DLT)-Transaktionen bietet. 12 Das Eurosystem weitet derzeit eine Initiative aus, um DLT-Transaktionen in Zentralbankgeld abzuwickeln. So soll Zentralbankgeld als Fundament des Finanzsystems gesichert bleiben. 13

1.3 Anzeichen eines Aufschwungs des Finanzzyklus, die weitere Entwicklung bleibt jedoch ungewiss

Kreditvergabe und Vermögenspreise zeigen erste Anzeichen einer Erholung, was auf einen beginnenden Aufschwung des Finanzzyklus hinweist. Bis 2024 gingen sowohl Kreditwachstum als auch Immobilienpreise im Jahresdurchschnitt noch zurück. In dieser Zeit bauten sich die während des vorangegangenen Aufschwungs des Finanzzyklus in der Niedrigzinsphase und während der Corona-Pandemie entstandenen Verwundbarkeiten geordnet ab. 22 Mittlerweile könnte der Tiefpunkt durchschritten sein, und der Finanzzyklus in einen Aufschwung übergehen. Sowohl die Kreditvergabe als auch die Vermögenspreise deuten auf eine Stabilisierung und eine moderate Belebung hin. Entsprechend begann der Frühwarnindikator der Bundesbank – ein Indikator, der die zyklischen Entwicklungen im deutschen Finanzsystem verdichtet – in der zweiten Jahreshälfte 2024 anzusteigen. Sein jüngster Zuwachs ging vor allem auf steigende Vermögenspreise zurück (Schaubild 1.3.1). Allerdings ist es derzeit ungewiss, ob die Aufschwungphase anhalten wird. Die Auswirkungen des verschlechterten makrofinanziellen Umfelds dürften sich erst in den kommenden Monaten zeigen. Sie könnten eine nachhaltige Erholung der Kreditvergabe und Vermögenspreise bremsen (siehe Abschnitt 1.1).

Frühwarnindikator für Deutschland
Frühwarnindikator für Deutschland

Die Kreditvergabe des deutschen Bankensektors ist weiterhin verhalten; es zeichnet sich jedoch eine leichte Belebung ab. Die Jahreswachstumsraten des Bestands von Bankkrediten an private Haushalte und Unternehmen sind gegenüber dem Vorjahr spürbar gestiegen, bleiben aber im Vergleich zu früheren Jahren niedrig (Schaubild 1.3.2). Auch der Ausblick für die Kreditvergabedynamik ist tendenziell positiv. Die im Bank Lending Survey (BLS) befragten Banken erwarten per saldo, dass die Nachfrage nach Wohnimmobilienkrediten auch im vierten Quartal 2025 weiter zunehmen wird. In den vorangegangenen Quartalen wurde die steigende Nachfrage durch verbesserte Aussichten am Immobilienmarkt begünstigt sowie durch ein Kreditzinsniveau, das niedriger war als im Zeitraum 2023 bis Mitte 2024. Im zweiten und dritten Quartal 2025 berichteten die befragten Banken per saldo zudem von einer gestiegenen Kreditnachfrage seitens der Unternehmen. Gleichzeitig berichteten die befragten Banken auch im Jahr 2025 per saldo von restriktiveren Kreditvergaberichtlinien, insbesondere bei Unternehmenskrediten. Sie verweisen dabei auf ein gestiegenes Kreditrisiko infolge der allgemeinen Wirtschaftslage sowie branchen- und firmenspezifischer Faktoren. Dies spiegelt sich auch in einer gestiegenen Ablehnungsquote von Unternehmenskreditanträgen wider, wobei insbesondere kleine und mittlere Unternehmen von einem erschwerten Kreditzugang berichten. 23 Angesichts der wirtschafts- und handelspolitischen Unsicherheiten sowie der schwachen wirtschaftlichen Entwicklung bleibt abzuwarten, ob sich die Erholung der Kreditvergabe als robust erweist.

Beiträge zur Veränderung der Kredite deutscher Banken an den inländischen nichtfinanziellen Sektor
Beiträge zur Veränderung der Kredite deutscher Banken an den inländischen nichtfinanziellen Sektor

Am Wohnimmobilienmarkt zeigen sich mit wieder steigenden Preisen und Transaktionen Anzeichen einer Erholung. Die Überbewertungen auf dem deutschen Wohnimmobilienmarkt haben sich im Jahr 2024 größtenteils abgebaut. 24 Dadurch ist das Rückschlagpotenzial deutlich gesunken. Seit Ende 2024 verzeichnen sowohl die Transaktionen als auch die Preise im Jahresvergleich erstmals seit mehr als zwei Jahren wieder positive Wachstumsraten (Schaubild 1.3.3). Höhere Preisrückgänge sind laut einer Price-at-Risk-Analyse für deutsche Wohnimmobilienpreise weniger wahrscheinlich geworden. Das konditionierte 10 %-Perzentil des nominalen Wachstums der Wohnimmobilienpreise liegt im Zeitraum vom zweiten Quartal 2025 bis zum zweiten Quartal 2026 bei etwa 0,3 %. Damit liegt es deutlich höher als im Vorjahreszeitraum, als es bei – 1,4 % lag (Schaubild 1.3.4). 25  Zudem schätzen private Haushalte die Aussichten am Wohnimmobilienmarkt optimistischer ein: Umfragen zufolge erwarteten Haushalte zuletzt jährliche Preissteigerungen von gut 5 %, gegenüber 3 % Anfang 2024. 26

Immobilienpreise in Deutschland
Immobilienpreise in Deutschland

Die Preise am deutschen Gewerbeimmobilienmarkt haben sich zuletzt stabilisiert, jedoch bleibt die Lage insgesamt fragil (Schaubild 1.3.3). Die aktuelle Preisentwicklung basiert weiterhin auf einer geringen Anzahl von Transaktionen, was das Gesamtbild verzerren könnte. Der beobachtete Aufwärtstrend ist daher nur begrenzt aussagekräftig, und es bestehen weiterhin Risiken für einen erneuten Preisrückgang. Eine Price-at-Risk-Analyse für deutsche Gewerbeimmobilienpreise zeigt, dass das konditionierte 10 %-Perzentil des Preiswachstums für Gewerbeimmobilien im Zeitraum vom zweiten Quartal 2025 bis zum zweiten Quartal 2026 bei etwa – 9 % liegt. Im Vorjahreszeitraum lag dieses Perzentil nur geringfügig niedriger: bei etwas unter – 10 % (Schaubild 1.3.4). 27  Der Markt könnte unter Druck geraten, wenn deutsche Immobilienfonds aufgrund von Nettomittelabflüssen gezwungen wären, verstärkt Gewerbeimmobilien zu verkaufen, um ihre Liquidität sicherzustellen (siehe Abschnitt 3.2). Zudem ist der Gewerbeimmobiliensektor besonders zinssensitiv. 28 Weltweit steigende Langfristrenditen können daher auch in Deutschland die Preise für Gewerbeimmobilien belasten.

Price-at-Risk-Analyse für deutsche Immobilienpreise
Price-at-Risk-Analyse für deutsche Immobilienpreise

Anhaltend hohe und gestiegene Bewertungen an den Finanzmärkten bergen das Risiko plötzlicher Marktpreiskorrekturen. Die Finanzmärkte erholten sich nach den kurzlebigen Verwerfungen Anfang April 2025 zügig und vollständig (siehe Abschnitt 1.1). Zwar blieb die wirtschafts- und handelspolitische Unsicherheit bestehen. Die Volatilität an den Finanzmärkten ging jedoch in den folgenden Monaten im Trend weiter zurück. Sie sank im historischen Vergleich auf unterdurchschnittliche Niveaus. Merkliche Anstiege konnten seitdem nur punktuell beobachtet werden. Sie ereigneten sich beispielsweise vor dem Hintergrund des Israel-Iran-Konflikts im Juni 2025, des Auslaufens der Übergangsregelungen in der US-Zollpolitik Anfang August 2025 oder im Oktober 2025 im Zuge des Zollstreits zwischen den USA und China. Die Risikoprämien an den Aktienmärkten liegen weiterhin deutlich unter ihren langfristigen Durchschnitten, insbesondere in den USA (Schaubild 1.3.5). Dabei konzentriert sich ein im historischen Vergleich großer Anteil der Kapitalisierung des gesamten US-Aktienmarktes auf nur einige wenige besonders hoch bewertete Unternehmen aus dem Technologiesektor. Ähnlich wie an den Aktienmärkten sind auch an den Märkten für in Euro und US-Dollar denominierte Unternehmensanleihen die Risikoprämien nach den Anspannungen im April schnell wieder zurückgegangen und liegen nun in der Nähe langjähriger Tiefstände (Schaubild 1.3.5). 29 Angesichts der Herausforderungen im makrofinanziellen Umfeld sowie hoher öffentlicher Schuldenquoten in einigen Ländern (siehe Abschnitt 1.2) könnten Marktteilnehmer die Ausfallrisiken kapitalmarktaktiver Unternehmen unterschätzen. Die optimistischen Bewertungen haben die Verwundbarkeit des Finanzsystems weiter erhöht, da plötzliche Marktpreiskorrekturen erhebliche Verluste bei Finanzintermediären auslösen könnten. 

Risikoprämien an Aktien- und Unternehmensanleihemärkten
Risikoprämien an Aktien- und Unternehmensanleihemärkten

1.4 Die privaten Haushalte zeigen sich insgesamt robust

Die Schuldentragfähigkeit der privaten Haushalte in Deutschland hat sich insgesamt verbessert. Im bisherigen Verlauf des Jahres 2025 sank die aggregierte Verschuldung der privaten Haushalte im Verhältnis zum verfügbaren Einkommen um etwa 0,5 Prozentpunkte, auf rund 85 %. 30 Die Hauptursache hierfür war die weiterhin geringe Vergabe von Neukrediten (siehe Abschnitt 1.3). Während in den Vorjahren auch merkliche Nominallohnzuwächse die Verschuldungsquote dämpften, fielen diese im Jahr 2025 deutlich geringer aus. 31 Dennoch führten die in den letzten Jahren gestiegenen Nominallöhne zu einer realen Entschuldung der Haushalte. Diese Entwicklung stärkt deren Schuldentragfähigkeit langfristig. Haushalte mit Wohneigentum erhöhten ihr Verhältnis liquider Vermögenswerte zur Verschuldung, was auf eine höhere Widerstandsfähigkeit hinweist. 32

Das Zinsänderungsrisiko bleibt für die meisten Haushalte vorerst gering. Die Risiken im Zusammenhang mit Anschlussfinanzierungen erscheinen aufgrund überwiegend langfristiger Zinsbindungen überschaubar (Schaubild 1.4.1). 33 Bis zum Jahr 2027 müssen rund 20 % des ausstehenden Wohnimmobilienkreditvolumens refinanziert werden. Dabei könnten die Zinssätze für diese Kredite im Zuge der Umschuldung von derzeit etwa 2,5 % auf über 4 % steigen (Schaubild 1.4.1). Allerdings dämpfen zwischenzeitliche Tilgungen und gestiegene Nominaleinkommen die daraus resultierende zusätzliche Belastung. Aktuelle Umfrageergebnisse weisen darauf hin, dass diese Faktoren bei den meisten Haushalten mit ausstehenden Wohnimmobilienkrediten die zusätzliche Zinsbelastung in etwa ausgleichen. Entsprechend ist die Schuldendienstquote im Jahr 2023 im Median weiter leicht gesunken (Schaubild 1.4.1). 34

Zinsen, Schuldendienst und Zinsbindungsfristen privater Haushalte mit Hypothekarkrediten
Zinsen, Schuldendienst und Zinsbindungsfristen privater Haushalte mit Hypothekarkrediten

Die überwiegend robuste Arbeitsmarktlage trägt weiterhin zur Resilienz privater Haushalte bei. Trotz der konjunkturellen Schwäche stieg die Arbeitslosenquote in den letzten Jahren nur moderat an. Das Risiko, infolge eines Arbeitsplatzverlustes arbeitslos zu werden, bleibt zwar im Vergleich zu früheren Zeiträumen wirtschaftlicher Schwäche gering, zeigt jedoch eine anhaltend steigende Tendenz. Gleichzeitig sind die Chancen, Arbeitslosigkeit durch die Aufnahme einer neuen Beschäftigung zu beenden, historisch niedrig. 35

Eine protektionistische US-Handelspolitik sowie strukturelle Herausforderungen im Unternehmenssektor bergen Abwärtsrisiken für den Arbeitsmarkt, insbesondere in Regionen mit einem überdurchschnittlichen Industrieanteil. Die höheren US-Zölle treffen primär Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes, da diese tendenziell stark von Exporten abhängig sind (siehe Abschnitt 1.5). Die Auswirkungen von Zöllen auf den Arbeitsmarkt können sich regional erheblich unterscheiden, da der Anteil der Beschäftigten im Verarbeitenden Gewerbe je nach Region stark variiert (Schaubild 1.4.2). Außerdem ist die Beschäftigung in einigen Regionen stark auf einzelne oder wenige Bereiche des Verarbeitenden Gewerbes konzentriert. Beispielsweise zählt die Herstellung von Kraftfahrzeugen dazu. Beschäftigte im Verarbeitenden Gewerbe haben zudem häufiger ausstehende Wohnimmobilienkredite als andere Angestellte (Schaubild 1.4.2). Analysen auf Basis von Regionaldaten für Deutschland zeigen, dass ein Rückgang der Beschäftigung im Verarbeitenden Gewerbe in der Vergangenheit signifikante Anstiege bei Zwangsversteigerungen von Wohnimmobilien zur Folge hatten. Die protektionistische US-Handelspolitik sowie strukturelle Herausforderungen, wie gestiegene Energiekosten, Schwierigkeiten bei der Dekarbonisierung und wachsende Konkurrenz aus aufstrebenden Volkswirtschaften, dürften das Verarbeitende Gewerbe in Zukunft erheblich belastet (siehe Abschnitt 1.5). Dies könnte insbesondere in Regionen mit einem hohen Industrieanteil den Druck auf regionale Arbeitsmärkte verstärken und das Risiko steigender Arbeitslosigkeit erhöhen. In der Folge könnten mittelbar auch Finanzstabilitätsrisiken aus dem Haushaltssektor steigen. 

Regionale und sektorale Aspekte der Wohnimmobilienfinanzierung
Regionale und sektorale Aspekte der Wohnimmobilienfinanzierung

1.5 Risiken aus dem Unternehmenssektor dürften perspektivisch ansteigen

Die anhaltende konjunkturelle Schwäche wirkt sich zunehmend auf die Fundamentaldaten deutscher Unternehmen aus. Zwar sind die Kapitalisierung und die Liquiditätslage der Unternehmen in der Breite weiterhin solide, doch erscheint die Gewinnsituation deutscher Unternehmen zunehmend angespannt. Im Jahr 2024 sind erstmals seit dem Jahr 2020 die nominalen Gewinne der Unternehmen im Jahresvergleich zurückgegangen. 36 Im Gegensatz zum Aggregat aller Unternehmen sind die Gewinne börsennotierter Unternehmen weiterhin überwiegend robust. Große, börsennotierte Unternehmen in Deutschland sind stark von der Entwicklung der Weltwirtschaft abhängig, die sich bis zum Frühjahr robust zeigte. Im weiteren Verlauf dürfte die protektionistische Handelspolitik der USA die Weltwirtschaft – und damit auch börsennotierte Unternehmen – allerdings stärker belasten. Aktuell scheinen daher insbesondere die Gewinne kleinerer und mittelgroßer Unternehmen unter Druck zu stehen. Diese sind in der Regel abhängiger von der konjunkturellen Lage in Deutschland. Auch die aggregierte Schuldendienstquote deutscher Unternehmen hat sich aufgrund der schwächeren Gewinnentwicklung weiter erhöht. 37 Die Unternehmensinsolvenzen sind weiter gestiegen, wenngleich sich der Anstieg deutlich abgeschwächt hat. 38 Zwar hat sich die Stimmung der deutschen Unternehmen seit Jahreswende leicht aufgehellt, allerdings bleiben die Geschäftserwartungen angesichts der konjunkturellen Schwäche gedämpft. 39

Die im Vergleich zur Niedrigzinsphase bis zum Jahr 2022 höheren Zinsen belasten die Unternehmen auch in Zukunft. Die mittlere Verzinsung der im Jahr 2025 vergebenen Unternehmenskredite mit fixer Verzinsung liegt aktuell bei circa 3,9 % (Schaubild 1.5.1). 40 Damit liegen die Zinsen für neu vergebene Unternehmenskredite auf dem Niveau vom Vorjahr und sind gegenüber dem Jahr 2023 leicht rückläufig. Allerdings wurden über 40 % der ausstehenden Kredite deutscher Unternehmen vor der Zinswende 2022 aufgenommen (Schaubild 1.5.1). 41 Ein Teil der Unternehmen profitiert daher noch von sehr günstigen Finanzierungskosten, da vor der Zinswende aufgenommene Kredite im Schnitt eine Verzinsung von lediglich 1,7 % aufweisen. Sie sind somit deutlich niedriger verzinst als Kredite, die in den kommenden Jahren aufgenommen werden müssen (Schaubild 1.5.1). Höhere Zinsausgaben bei Anschlussfinanzierungen könnten die Fundamentaldaten deutscher Unternehmen weiter unter Druck setzen.

Jahrgänge von NFU-Krediten, Verzinsung und Zinsbindungsdauer
Jahrgänge von NFU-Krediten, Verzinsung und Zinsbindungsdauer

Die protektionistische US-Handelspolitik könnte die Finanzstabilitätsrisiken aus dem europäischen Unternehmenssektor erhöhen. Simulationsergebnisse eines strukturellen quantitativen Modells zeigen, dass der Verschuldungsgrad von Unternehmen in Europa sowie die Zinsaufschläge für Unternehmenskredite und -anleihen angesichts der höheren Zölle steigen könnten. Zudem könnten die Unternehmensbewertungen sinken (siehe Schaubild 1.5.2 und Abschnitt 5). 42 In einem adverseren Szenario mit reziproken Gegenzöllen der Europäischen Union auf US-Importe würden die Auswirkungen auf die betrachteten Variablen verstärkt (Schaubild 1.5.2). Sollte der Handelskonflikt erneut aufflammen, könnten die Auswirkungen mit jenen vergangener Krisen vergleichbar sein (Schaubild 1.5.2). Weitere Analysen zeigen, dass sich höhere Zölle in Deutschland sektoral und regional deutlich unterschiedlich auswirken. US-Zölle könnten das Ausfallrisiko deutscher Unternehmen insbesondere in der Automobilbranche, im Maschinenbau und bei Herstellern von Geräten für Elektronik, IT und Optik erhöhen, da diese Branchen besonders stark in die USA exportieren. 43 Indirekt dürften aufgrund von wirtschaftlichen Verflechtungen allerdings auch weitere Wirtschaftssektoren betroffen sein.

Effekte verschiedener US-Zoll-Szenarien und EU-Gegenzölle auf Finanzkennzahlen nichtfinanzieller Unternehmen (NFU) in der EU
Effekte verschiedener US-Zoll-Szenarien und EU-Gegenzölle auf Finanzkennzahlen nichtfinanzieller Unternehmen (NFU) in der EU

Zudem stehen die Unternehmen in Deutschland unter erheblichem Anpassungsdruck, der von strukturellen Belastungsfaktoren im In- und Ausland ausgeht. Zu den zentralen strukturellen Herausforderungen zählt der demografische Wandel, der das Arbeitsangebot verringert, die Konkurrenz um Fachkräfte verschärft und den Druck auf die Lohnkosten erhöht; hohe Bürokratielasten und Schwierigkeiten bei der Dekarbonisierung, besonders in der Automobilindustrie, sowie die seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine stark gestiegenen Energiekosten in Deutschland. Darüber hinaus stehen deutsche Unternehmen auf den Weltmärkten unter steigendem Druck durch zunehmenden Protektionismus und wachsende Konkurrenz aus aufstrebenden Volkswirtschaften, allen voran China. Dadurch verliert die Exportwirtschaft Marktanteile. 44 All dies schwächt die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und dämpft das Potenzialwachstum erheblich, das in den kommenden Jahren im Mittel bei nur 0,4 % pro Jahr liegen dürfte. Diese strukturellen Belastungen können die Kreditrisiken im Unternehmenssektor erhöhen, da schwaches Wachstum und nachlassende Ertragskraft die finanzielle Resilienz der Unternehmen und damit die Finanzstabilität beeinträchtigen könnten.

Umfassende Strukturreformen könnten den strukturellen Belastungsfaktoren entgegenwirken und damit die Finanzstabilitätsrisiken aus dem Unternehmenssektor mittelfristig verringern. Trotz der nachfrageseitige Wachstumsimpulse aus dem Fiskalpaket dürften dessen direkte Auswirkungen auf das Potenzialwachstum gering bleiben. 45 Um den in- und ausländischen Belastungsfaktoren zu begegnen, ist es entscheidend, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft durch notwendige Strukturreformen zu stärken. Dazu gehören Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen, unnötige Bürokratie abzubauen und eine insgesamt effizientere öffentliche Verwaltung. Gleichzeitig sollten steuerliche Anreize für private Investitionen erhöht und Bedingungen für Start-ups sowie Forschung und Entwicklung verbessert werden. Mit Blick auf die Energiekosten sollte die Energiewende effizient vorangetrieben werden. Darüber hinaus bedarf es Maßnahmen, um das Potenzialwachstum der deutschen Wirtschaft insbesondere mit Blick auf die demografischen Herausforderungen nachhaltig zu stärken. 46

Zusammenfassend haben sich die Risiken im Unternehmenssektor im vergangenen Jahr erhöht und könnten perspektivisch weiter zunehmen. Die anhaltende Schwächephase der deutschen Wirtschaft setzt die Unternehmen zunehmend unter Druck. Dabei belasten die sich wandelnden Rahmenbedingungen im In- und Ausland das Potenzialwachstum Deutschlands. Umfassende Strukturreformen sind nötig, damit die deutsche Wirtschaft wieder auf einen höheren Wachstumspfad kommt. Andernfalls könnte sich die derzeitige Stimmungsaufhellung in der Unternehmenslandschaft als nicht nachhaltig erweisen. Die Zahl notleidender Kredite dürfte auch im kommenden Jahr weiter zunehmen (siehe Abschnitt 2).

2 Bankensystem: Verwundbarkeiten und Resilienz

Die Gesamtrisikolage hat sich für das deutsche Bankensystem im vergangenen Jahr insgesamt verschlechtert. In einem schwachen wirtschaftlichen Umfeld ist das Risiko von Kreditausfällen kontinuierlich angestiegen. Dabei haben die Banken vermehrt Wertberichtigungen im Kreditgeschäft vorgenommen. Zudem deuten Umfragen des ifo Instituts darauf hin, dass Unternehmen das Kreditvergabeverhalten der Banken als zunehmend restriktiv einschätzen (siehe Abschnitt 1.5). In der Finanzierung von Gewerbeimmobilien sind die Risiken weiterhin erhöht und könnten zu weiteren Wertberichtigungen im Kreditportfolio führen. Dagegen haben sich die in vergangenen Finanzstabilitätsberichten dargestellten Zinsänderungsrisiken in den Bilanzen der Banken weiter abgebaut. So haben sich die hohen, nicht realisierten (stillen) Verluste bei zinstragenden Wertpapieren nicht zuletzt aufgrund der Kurserholung im Aggregat nahezu vollständig aufgelöst. 

2.1 Die Risiken im Kreditgeschäft nehmen moderat zu

Beiträge notleidender Kredite an einzelne Wirtschaftssektoren und private Haushalte
Beiträge notleidender Kredite an einzelne Wirtschaftssektoren und private Haushalte

Die Quote notleidender Kredite 47 ist seit ihrem Tiefstand Ende 2022 deutlich gestiegen (Schaubild 2.1.1). Der größte Beitrag dazu kam zunächst von Krediten an die Immobilienwirtschaft. Mittlerweile ist aufgrund der konjunkturellen Schwäche eine breitere Zunahme der notleidenden Kredite zu beobachten. Anfang 2025 schien sich ein Rückgang der Quote notleidender Kredite abzuzeichnen, was aber auf den Abbau notleidender US-Immobilienkredite seitens einzelner großer Banken zurückzuführen ist. Im zweiten Quartal haben die notleidenden Kredite wieder zugenommen. 

Wahrscheinlich haben auch die höheren Kreditzinsen zu den steigenden Kreditausfällen beigetragen. So weisen vor allem Kredite älterer Jahrgänge, deren Zinsen während der Laufzeit an das aktuelle Zinsniveau anpasst wurden, erhöhte Ausfallraten auf (Schaubild 2.1.2). Beispielsweise zeigen Kredite des Jahrgangs 2021, dem Jahr vor dem Zinsanstieg, eine aggregierte Ausfallrate von circa 2 % auf. Kredite, die aktuell über 4 % verzinst werden, haben hingegen eine Ausfallrate von etwa 10 %. Auch die mittlere Zinsanpassung ist mit 0,8 Prozentpunkten gegenüber 0,2 Prozentpunkten bei diesen deutlich höher.

Anteil notleidender Kredite am aktuellen Kreditvolumen, aufgeschlüsselt nach Ausgabejahr und aktuellem Zinssatz
Anteil notleidender Kredite am aktuellen Kreditvolumen, aufgeschlüsselt nach Ausgabejahr und aktuellem Zinssatz

Viele ausgefallene Unternehmenskredite waren bereits zum Zeitpunkt der Kreditvergabe vergleichsweise riskant und wurden von den Banken als solche auch höher bepreist. Daher haben später ausgefallene Kredite typischerweise schon zu Beginn der Laufzeit eine deutlich höhere Ausfallwahrscheinlichkeit als der Durchschnitt der gesunden Kredite (Schaubild 2.1.3). Auch der Verschuldungsgrad der Unternehmen ist zum Zeitpunkt der Kreditvergabe leicht erhöht. Dies kann aber vermutlich nicht allein die erhöhten Ausfallrisiken erklären. Angesichts der überdurchschnittlich hohen Risiken sind die Kreditkonditionen für diese Unternehmen von Beginn an deutlich restriktiver als für gesunde Unternehmen.

Charakteristika notleidender Unternehmenskredite zum Zeitpunkt der Kreditvergabe
Charakteristika notleidender Unternehmenskredite zum Zeitpunkt der Kreditvergabe

Die US-Zölle werden sich wohl nur begrenzt auf das Kreditrisiko der Banken auswirken. Insbesondere exportorientierte Unternehmen in den Branchen Chemie & Pharmazie sowie Automobil- und Maschinenbau und IT, Optik & Elektronik sind verwundbar gegenüber den Folgen des neuen Zoll-Regimes. Gleichwohl ist der Anteil dieser Unternehmen am gesamten Kreditbestand deutscher Banken gegenüber nichtfinanziellen Unternehmen überschaubar (siehe Schaubild 2.1.4 und Abschnitt 5). Dies liegt auch daran, dass sich viele große Unternehmen nicht primär über Banken, sondern direkt über den Kapitalmarkt finanzieren. Insgesamt beträgt der Kreditbestand der Kreditinstitute gegenüber dem Verarbeitenden Gewerbe 9 % im zweiten Quartal 2025, bezogen auf die gesamten Unternehmenskredite.

Betroffenheit deutscher Industriebranchen von US-Zöllen und Kreditexposure deutscher Banken
Betroffenheit deutscher Industriebranchen von US-Zöllen und Kreditexposure deutscher Banken

Bei Gewerbeimmobilienkrediten sind die Ausfallrisiken weiterhin signifikant erhöht. Nach dem Zinsanstieg im Jahr 2022 ist die Quote notleidender Kredite bei Gewerbeimmobilien deutlich angestiegen. Vor allem systemrelevante Banken, die insgesamt stärker gegenüber dem besonders von Schieflagen betroffenen US-amerikanischen Immobiliensektor exponiert sind, weisen erhöhte Ausfallraten auf (Schaubild 2.1.5). Aber auch bei weniger bedeutenden Banken (Less Significant Institutions, LSI) war der Anstieg notleidender Kredite deutlich. Anfang 2025 schienen sich die Ausfallquoten abzuflachen, nachdem einzelne Banken Teile ihrer notleidenden US-Immobilienkredite abgebaut hatten (Schaubild 2.1.5, rechtes Panel). Im zweiten Quartal ist die Quote notleidender Kredite bei Gewerbeimmobilien aber wieder angestiegen. 

Quote notleidender Gewerbeimmobilienkredite
Quote notleidender Gewerbeimmobilienkredite

Vor allem das Segment der Projektentwickler ist verwundbar gegenüber teureren Anschlussfinanzierungen, was zu den steigenden Ausfallquoten beigetragen haben könnte. Kredite an Projektentwickler repräsentieren mit 16 % einen signifikanten Teil der Gewerbeimmobilienkredite. Der Anteil der Kredite an Projektentwickler, die zum Laufzeitende mit einer Anschlussfinanzierung weitergeführt werden, hat sich binnen vier Jahren fast verdoppelt und liegt nun bei 80 % (Schaubild 2.1.6). 48 Der Anstieg könnte darauf hindeuten, dass die Unternehmen Schwierigkeiten haben, ihre Objekte wie geplant zu verkaufen. 

Abgelöste Gewerbeimmobilienkredite mit Anschlussfinanzierung
Abgelöste Gewerbeimmobilienkredite mit Anschlussfinanzierung

Auch im Unternehmenskreditgeschäft im Allgemeinen dürften die Wertberichtigungen weiter moderat ansteigen. Darauf deuten Berechnungen der Bundesbank hin, die auf einem vektorautoregressiven Modell basieren (Schaubild 2.1.7). 49 Das Verarbeitende Gewerbe wird vermutlich von der konjunkturellen Schwäche und der US-Zollpolitik am stärksten betroffen sein. Die Wertberichtigungen werden aber im historischen Vergleich im nächsten Jahr insgesamt wohl nicht außergewöhnlich hoch ausfallen. Die erwarteten Verluste dürften für die Mehrheit der Banken beherrschbar und durch Gewinne oder Kapitalreserven gedeckt sein.

Wertberichtigungen bei Krediten an Unternehmen und Selbständige
Wertberichtigungen bei Krediten an Unternehmen und Selbständige

Bei privaten Haushalten sind die Kreditrisiken im Verlauf des Jahres 2025 ebenfalls gestiegen. So ist die Quote notleidender Kredite in diesem Sektor seit dem Tiefpunkt Ende 2022 moderat um circa 0,5 Prozentpunkte auf 1,6 % Ende des ersten Halbjahres 2025 angewachsen (Schaubild 2.1.8). Insbesondere Wohnimmobilienkredite, die rund 85 % des Kreditvolumens an private Haushalte ausmachen, haben zu diesem Anstieg beigetragen. Die Quote nicht bedienter Wohnimmobilienkredite ist aber weiterhin niedrig und betrug Ende Juni 2025 gut 1 %. Sie lag damit deutlich unter derjenigen der Konsumentenkredite mit etwa 4 %. 

Notleidende Kredite an private Haushalte
Notleidende Kredite an private Haushalte

Bei insgesamt wenig veränderten Kreditvergabestandards zeigen sich im Neugeschäft der Wohnimmobilienfinanzierungen moderate Verwundbarkeiten. Eigenen Berechnung zufolge, die auf Daten der Interhyp-Gruppe basieren und mit Daten aus dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) gewichtet wurden, brachten die privaten Haushalte im Durchschnitt des ersten Halbjahres 2025 etwas mehr als ein Fünftel Eigenkapitalanteil in neue Wohnimmobilienfinanzierungen ein. Der Schuldendienst im Verhältnis zum Einkommen belief sich durchschnittlich auf 31 %. Dabei gibt es einen substanziellen Anteil von Neukrediten, bei denen das Darlehensvolumen vergleichsweise hoch ist und 90 % des Immobilienwerts übersteigt (der Quotient wird mit Loan-to-Value-Ratio, LTV, bezeichnet). Im ersten Halbjahr 2025 lag der Anteil solcher Neukredite bei 25 %. Auch der Anteil von Neukrediten mit einem erhöhten Schuldendienst ist vergleichsweise hoch: Er beträgt 16 % für Kredite, bei denen der Schuldendienst 40 % des verfügbaren Einkommens übersteigt (Debt-Service-to-Income-Ratio, DSTI). 

DSTI und LTV haben sich seit 2020 unterschiedlich entwickelt. Während die durchschnittliche LTV nach einem deutlichen Rückgang zuletzt wieder etwas gestiegen ist, ist die DSTI nach einem starken Anstieg rückläufig (Schaubild 2.1.9). Zuerst führten höhere Hauspreise und Zinsen zu einem höheren Schuldendienst und die durchschnittliche DSTI nahm zu. Seitdem die Zinsen wieder gefallen und die Einkommen gestiegen sind, ist die DSTI rückläufig. Auch gingen im Zuge der Zinswende von 2022 gesunkenen Preise mit einer geringeren Kreditaufnahme durch die Haushalte und sinkenden LTVs einher. Seitdem sich die Wohnimmobilienpreise erholt haben, nimmt die Verschuldung in der Neukreditvergabe und damit die LTV wieder zu. Diese Entwicklung gilt es aufmerksam zu verfolgen, da sich die Dynamik auf dem Wohnimmobilienmarkt momentan verstärkt und es immer noch eine Unsicherheit um die Kreditvergabestandards gibt. Hieraus könnte sich eine veränderte Bewertung der Risiken aus der Wohnimmobilienfinanzierung ergeben.

Zusammenhang zwischen Wohnimmobilienpreisen, Zinsen und Kreditvergabestandards
Zusammenhang zwischen Wohnimmobilienpreisen, Zinsen und Kreditvergabestandards

Künftig soll die Datenerhebung WIFSta als Grundlage für die makroprudenzielle Überwachung der Wohnimmobilienfinanzierungen dienen. Seit dem Jahr 2023 melden Banken und Versicherungen im Rahmen der WIFSta ihre Kreditvergabestandards in der privaten Wohnimmobilienfinanzierung an die Bundesbank. Die Umsetzung verlief am Anfang jedoch nicht reibungslos, und die gelieferten Daten hatten deutliche Mängel. Die Bundesbank vereinbarte mit den meldepflichtigen Instituten daraufhin Maßnahmen, um die Mängel zu beheben. Seitdem haben die meldepflichtigen Institute die vorgegebenen Definitionen zwar insgesamt besser umgesetzt, weitere Anpassungen sind aber erforderlich. Dazu stehen die Bundesbank und die BaFin mit den Meldepflichtigen im Austausch.

2.2 Hohe Schuldenstände bei Staaten könnten sich in Marktwertverlusten im Anleiheportfolio niederschlagen

Die gegenwärtige Diskussion zur Schuldentragfähigkeit einiger europäischer Länder sowie der USA rückt die Marktrisiken bei deutschen Banken in den Fokus (siehe Abschnitt 1.2). Die deutschen Banken halten insgesamt circa 368 Mrd € in Staatsanleihen, was 3,6 % ihrer Bilanzsumme entspricht (Schaubild 2.2.1). Im Vergleich zum Mittelwert von 4 % der Banken der Europäischen Union ist dies unterdurchschnittlich. Das gesamte Wertpapierportfolio, einschließlich Unternehmensanleihen, Aktien und Fondsanteilen, beträgt 1 410 Mrd € (circa 14 % der Bilanzsumme). Der Anteil der Staatsanleihen an der Bilanzsumme erscheint zwar moderat. Jedoch treten Marktwertverluste häufig überraschend auf. Damit ist auch das Risiko von Ansteckungseffekten zwischen Finanzintermediären hoch. 

Seit Anfang 2019 ist der Anteil deutscher Staatsanleihen im Staatsanleihen-Portfolio deutscher Banken um 14 Prozentpunkte gesunken. Er betrug Ende 2024 nur noch 33 %. Während der Anteil von EU-Staatsanleihen (ohne Deutschland) mit 25 % und amerikanischen Staatsanleihen mit 12 % nahezu konstant geblieben ist, hat sich der Anteil der übrigen Staatsanleihen fast verdoppelt. Ende 2024 lag er bei circa 30 %. Damit haben Banken tendenziell den Anteil renditestärkerer Anleihen erhöht. Eine höhere Rendite bei Staatsanleihen ist aber vielfach mit einer geringeren Bonität verbunden, wodurch sich erhöhte Risiken für Spread-Änderungen ergeben. Spread-Risiken entstehen, wenn sich die Renditedifferenzen (Spreads) von Anleihen gegenüber risikoarmen Referenzwerten verändern. Renditedifferenzen können sich aufgrund einer schlechteren Bonität des Emittenten, geringerer Marktliquidität oder makroökonomischer Unsicherheiten ausweiten.

Staatsanleihenbestand deutscher Banken
Staatsanleihenbestand deutscher Banken

Untersuchungen der Bundesbank zeigen, dass die direkten Verluste bei einem Anstieg der Renditedifferenzen bei Anleihen wohl begrenzt wären. Für das gesamte deutsche Bankensystem wurden hierfür zwei Stress-Szenarien untersucht. Das erste, engere Szenario beschreibt eine Situation, in der die Marktteilnehmer die Ausfallrisiken europäischer Staatsanleihen neu bewerten und sich die Renditedifferenzen je nach Risikogehalt entsprechend ausweiten. Für zehnjährige Staatsanleihen mit A-Rating steigt in diesem Szenario die Renditedifferenz gegenüber verhältnismäßig sicheren Bundesanleihen um 90 Basispunkte. Ein Anstieg in dieser Größenordnung war unter anderem während der Euro-Krise ab dem Jahr 2010 zu beobachten.

Im zweiten, erweiterten Szenario wird angenommen, dass sich die steigenden Finanzierungskosten nicht nur auf Staaten, sondern auch auf den europäischen Unternehmenssektor auswirken. Entsprechend weiten sich die Renditedifferenzen auch bei Unternehmensanleihen in Abhängigkeit von ihrem Rating aus, für fünfjährige Anleihen mit einem A-Rating um 150 Basispunkte. Alle Unternehmensaktien verlieren pauschal 30 % an Wert. 

Unter dem ersten, engeren Risikoszenario würden die entstehenden bilanziellen Verluste das Überschusskapital deutlich reduzieren (Schaubild 2.2.2). Als Überschusskapital gilt das harte Kernkapital der Banken abzüglich der Beträge aus den bindenden Kapitalanforderungen inklusive Kapitalpuffer und den Säule-2-Empfehlungen. In dem betrachteten Szenario wären circa 16 % der Banken, gewichtet nach Bilanzsumme, vergleichsweise schwach kapitalisiert, da sie weniger als 1 % ihrer risikogewichteten Aktiva als Überschusskapital vorweisen würden (Schaubild 2.2.2). In dem zweiten, erweiterten Szenario würde dieser Anteil auf 17 % steigen.

Mögliche Ansteckungseffekte unter Banken des Euroraums könnten die Erstrundeneffekte erheblich verstärken. In einem Szenario mit Ansteckung wurde berücksichtigt, dass Marktwertverluste bei einer Bank indirekt auch die Kapitalquoten anderer vernetzter Banken beeinträchtigen können. 50 In dem hier untersuchten Szenario steigen die Kapitalanforderungen von Gläubiger-Banken, wenn die Bonität der Schuldner-Bank sinkt, beispielsweise aufgrund von Verlusten im Wertpapierportfolio. Im engeren Szenario wären durch Einbeziehung solcher Ansteckungseffekte circa 32 % der Banken schwach kapitalisiert und verfügten nur noch über ein Überschusskapital von weniger als 1 % der risikogewichteten Aktiva (Schaubild 2.2.2). Im erweiterten Szenario wären 47 % der Banken schwach kapitalisiert, während 12 % sogar unterkapitalisiert wären. Die Ansteckungseffekte rühren vor allem von hohen Verlusten europäischer Banken, die umfangreiche Bestände an Staatsanleihen ihres Heimatstaates halten.

Überschusskapital im deutschen Bankensektor vor und nach Stress
Überschusskapital im deutschen Bankensektor vor und nach Stress

2.3 Die Liquiditätsausstattung der Banken ist insgesamt gut, weist jedoch Verwundbarkeiten auf

Die Liquiditätsausstattung der Banken ist gut, und die Verwundbarkeiten gegenüber Liquiditätsengpässen sind insgesamt niedrig. Die Verfügbarkeit hinreichender liquider Mittel ist neben einer stabilen Finanzierung eine Grundvoraussetzung für ein stabiles Bankensystem. Damit wird sichergestellt, dass Banken zahlungsfähig bleiben, selbst wenn in Krisenzeiten Teile der Anleger ihre Mittel abziehen. Regulatorische Vorschriften zur Einhaltung einer angemessenen Liquiditätsdeckungsquote (Liquidity Coverage Ratio, LCR) sehen vor, dass die Institute einen ausreichenden Liquiditätspuffer in Form hochliquider Aktiva (HQLA) vorhalten, um in einem aufsichtlich definierten Stressszenario 30 Tage lang zahlungsfähig zu bleiben. Mit einem Wert von 163 % liegt die aggregierte Liquiditätsdeckungsquote des deutschen Bankensystems deutlich über der geforderten Mindestquote von 100 %. 

Die Finanzierung des US-Geschäfts unterscheidet sich hierbei deutlich von der des sonstigen Geschäfts. Die systemrelevanten Banken refinanzieren sich in dem für sie wichtigen US-Markt vergleichsweise stark bei finanziellen Gegenparteien, wie Banken, Fonds und ähnlichen Institutionen (Schaubild 2.3.1). Diese neigen dazu, ihre Einlagen in Krisensituationen schnell abzuziehen. Dagegen ist der Anteil von als stabiler geltenden Einlagen im Mengengeschäft (Privatpersonen, Kleinunternehmen) gering. Den Banken entstehen daraus jedoch keine höheren Verwundbarkeiten, sofern Finanzierungsmärkte ungestört funktionieren. Denn im Fall eines plötzlichen Mittelabzugs verfügen die Banken neben den hochliquiden Aktiva über weitere liquide Mittel in US-Dollar, die zur Deckung des Liquiditätsbedarfs genutzt werden können.

Refinanzierungsstruktur der systemrelevanten deutschen Banken
Refinanzierungsstruktur der systemrelevanten deutschen Banken

Wie die Marktturbulenzen Ende Februar 2020 gezeigt haben, sind deutsche und europäische Banken aber verwundbar gegenüber Störungen an den US-Dollar-Finanzierungsmärkten. Damals trugen wechselseitige Währungsvereinbarungen zwischen den Zentralbanken entscheidend zur Beruhigung der Märkte bei. 51 Die vorhandenen liquiden Mittel in US-Dollar würden auch derzeit möglicherweise allein nicht ausreichen, um im Stressfall die Abflüsse von Finanzierungsmitteln in US-Dollar vollumfänglich bedienen zu können. Werden beispielsweise die unter regulatorisch vorgegebenen Stressszenarien ermittelten Liquiditätsflüsse der LCR herangezogen, so zeigt sich eine währungsspezifische Liquiditätslücke deutscher Banken für den US-Markt von gut 70 Mrd US-$ (Schaubild 2.3.2). Die vorhandenen HQLA in US-Dollar würden somit im betrachteten Stressszenario nicht ausreichen, um die Abflüsse von Finanzierungsmitteln in US-Dollar bedienen zu können. 52 Die Liquiditätslücke ist jedoch rückläufig, nachdem sie Mitte 2023 noch bei gut 100 Mrd US-$ lag. Zusätzlich zu den regulatorisch zulässigen HQLA verfügen Banken über weitere liquide Aktiva, die sie zur Deckung von Finanzabflüssen einsetzen können. Diese können die dargestellte Liquiditätslücke im Stressfall senken, sodass die hier gezeigten Ergebnisse eher eine Obergrenze eines potenziellen Liquiditätsbedarfs in US-Dollar für den Stressfall darstellen.

US-Dollar-Liquiditätslücke der großen systemrelevanten Banken
US-Dollar-Liquiditätslücke der großen systemrelevanten Banken

2.4 Resilienz und Ertragslage der Banken haben sich weiter positiv entwickelt, doch könnten Risiken unterschätzt werden

Steigende Kreditzinsen haben die Erträge der Banken gestützt, doch die zunehmenden Wertberichtigungen könnten diese positive Tendenz abschwächen. Der Zinsanstieg im Jahr 2022 hat sich positiv auf den Zinsüberschuss der Banken ausgewirkt (Schaubild 2.4.1). Während die Zinseinnahmen aus der Kreditvergabe deutlich zugenommen haben, stiegen die Zinsaufwendungen weniger stark als erwartet. 53 Die Zinsspanne der Banken ist weiterhin hoch, könnte aber perspektivisch aufgrund der gesunkenen Leitzinsen wieder fallen. Der Anstieg im zweiten Quartal 2025 resultiert aus einem verbesserten Ergebnis der systemrelevanten Banken, die vermutlich stärker von gesunkenen Kurzfristzinsen in der Refinanzierung profitiert haben. Gleichzeitig wachsen die Verluste im Kreditgeschäft kontinuierlich. So übertraf das Verhältnis der Einzelwertberichtigungen zum Kreditvolumen seinen Tiefstand Mitte 2022 um mehr als 0,1 Prozentpunkte, liegt aber immer noch auf einem relativ niedrigen Niveau von gut 0,6 %. Der Anstieg der Pauschalwertberichtigungen hat früher eingesetzt als der der Einzelwertberichtigungen (Schaubild 2.4.2). Seit Ende 2024 sind sie wieder leicht rückläufig. Während Einzelwertberichtigungen in der Regel erst bei leistungsgestörten Krediten gebildet werden, decken die nicht kreditspezifischen Pauschalwertberichtigungen latente Kreditrisiken ab.

Zinsentwicklung und Zinsüberschuss deutscher Banken
Zinsentwicklung und Zinsüberschuss deutscher Banken
Risikovorsorge für das Kreditgeschäft deutscher Banken
Risikovorsorge für das Kreditgeschäft deutscher Banken

Die regulatorische Eigenkapitalausstattung des Bankensystems ist gut; insbesondere die systemrelevanten Banken haben dabei aber von niedrigen Risikogewichten profitiert. Auch dank der Kapitalpuffer, insbesondere CCyB und sSyRB, liegen die Eigenkapitalquoten deutlich über den Mindestanforderungen, sowohl bei systemrelevanten Banken als auch bei Sparkassen und Genossenschaftsbanken und den übrigen Banken (Schaubild 2.4.3). Die regulatorische Eigenkapitalquote wird dabei als das Verhältnis von regulatorischem Eigenkapital zu risikogewichteten Aktiva berechnet. Die systemrelevanten Banken ermitteln die Risikogewichte für ihre Aktiva mit einem fortgeschrittenen Ansatz, der es ihnen erlaubt, eigene Risikomodelle zu verwenden. Die Berechnungen dieser Risikomodelle fußen auf tatsächlich realisierten Ausfällen der Vergangenheit. Da diese jedoch recht niedrig waren, könnten die daraus abgeleiteten Risikogewichte niedrig ausfallen. 

Hartes Kernkapital (CET1) deutscher Banken
Hartes Kernkapital (CET1) deutscher Banken

Schon in früheren Stabilitätsberichten hat die Bundesbank darauf hingewiesen, dass die Risikogewichte bei systemrelevanten Banken aus Sicht der Finanzstabilität möglicherweise zu niedrig sind. So betragen die durchschnittlichen Risikogewichte, gemessen als das Verhältnis von risikogewichteten Aktiva zum ungewichteten Gesamtengagement, bei den systemrelevanten Banken derzeit knapp 30 %. 54 Im Median aller Banken belaufen sie sich auf 65 %. Bei einer Mindesteigenkapitalquote von 8 % müssen die systemrelevanten Banken daher im Schnitt nur 2,4 % der Risikopositionen mit Eigenmitteln unterlegen. Die durchschnittlichen Risikogewichte sind in den vergangenen Jahren leicht gefallen, obwohl steigende Kreditausfälle eigentlich zunehmende Kreditrisiken indizieren (Schaubild 2.4.4). Dabei ist zu berücksichtigen, dass mit Einführung der neuen Kapitaladäquanzverordnung (CRR III) auch kompensierende Effekte wirksam wurden, wie etwa der Wegfall des Skalierungsfaktors in der Risikogewichtsfunktion des IRB -Ansatzes, wodurch die Risikogewichte für einen Teil der Banken um 6 % gefallen sind. 55

Niedrige Risikogewichte ermöglichen es Banken, sich stärker zu verschulden, dies kann zu einer prozyklischen Kreditvergabe beitragen. Gegeben, dass Banken eine bestimmte Höhe ihrer regulatorischen Eigenkapitalquote anstreben, führen niedrigere Risikogewichte dazu, dass sie ihre Positionen mit weniger Eigenkapital unterlegen müssen. Das hat zur Folge, dass die Verschuldungsquote – also das Verhältnis von Kernkapital zum ungewichteten Gesamtengagement (Leverage Ratio) – niedriger ist. Die deutschen Banken weisen eine große Streuung hinsichtlich ihrer Leverage Ratio und ihrer durchschnittlichen Risikogewichte auf (Schaubild 2.4.5). Bei systemrelevanten Banken lag die Leverage Ratio beispielsweise im zweiten Quartal 2025 bei 5,5 %, während sie im Median aller Banken knapp 11 % betrug.

Eine niedrige Verschuldungsquote macht Banken anfälliger gegenüber Verlusten und steigenden Eigenkapitalanforderungen. Bei einer niedrigen Leverage Ratio reicht ein geringer Eigenkapitalverlust aus, dass Banken ihre Risikopositionen deutlich reduzieren müssen, sofern sie ihre Eigenkapitalquoten stabil halten wollen. Ein ähnliches Deleveraging tritt auch auf, wenn die Kreditausfallrisiken und damit die durchschnittlichen Risikogewichte steigen. Unter der Annahme einer Eigenkapitalquote von 17 % und durchschnittlichen Risikogewichten von 30 % würde ein Eigenkapitalverlust von nur 0,5 % (bezogen auf die Risikopositionen) bewirken, dass die Bank ihre Risikoposition um 10 % abbauen müsste. Den gleichen Effekt hätte ein Anstieg der durchschnittlichen Risikogewichte um 3 Prozentpunkte. In einem wirtschaftlichen Abschwung könnten beide Effekte gleichzeitig auftreten – ein Eigenkapitalverlust und ein Anstieg der Risikodichte. Dies würde das Deleveraging noch verstärken. 

Eigenkapitalpuffer helfen, die Zyklizität der Kreditvergabe zu reduzieren. Denn anders als strikt bindende Mindesteigenkapitalanforderungen können Eigenkapitalpuffer von der BaFin im Bedarfsfall reduziert werden. Zwar ist es den Banken erlaubt, ihre Pufferanforderungen auch ohne Freigabe zu unterschreiten, allerdings dürfen Banken dann nicht uneingeschränkt Gewinne ausschütten. In der Praxis könnten Banken jedoch aus Reputationsgründen vermeiden, ihre Puffer freiwillig zu unterschreiten. Wenn die Kapitalpuffer hingegen freigegeben werden, sind Banken möglicherweise eher bereit, eine niedrigere Eigenkapitalquote zu akzeptieren und ihre Kreditvergabe aufrechtzuerhalten.

Durchschnittliches Risikogewicht und Quote notleidender Kredite
Durchschnittliches Risikogewicht und Quote notleidender Kredite
Durchschnittliche Risikogewichte und Leverage Ratio deutscher Banken
Durchschnittliche Risikogewichte und Leverage Ratio deutscher Banken

3 Nichtbank-Finanzintermediäre: Verwundbarkeiten und Resilienz

3.1 Der Versicherungssektor zeigt sich robust trotz materieller stiller Lasten

Der deutsche Versicherungssektor ist, gemessen an den Kapitalanlagen, nach Großbritannien und Frankreich der drittgrößte in Europa. Versicherer bieten privaten Haushalten und Unternehmen Schutz vor finanziellen Risiken. Dieser Risikoausgleich im Kollektiv gehört zu den Kernfunktionen des Finanzsystems. Zusätzlich tragen Erst- und Rückversicherer durch ihre Expertise im Risikomanagement zur angemessenen Allokation und Bepreisung von Risiken im Finanzsystem bei. Weiterhin sind Lebensversicherer bedeutsam für die Ersparnisbildung der Haushalte. Sie halten zum zweiten Quartal 2025 knapp die Hälfte der Kapitalanlagen der deutschen Versicherer. 

Lebensversicherer können das Finanzsystem durch antizyklisches Handeln stabilisieren, allerdings sind sie durch Zinsgarantien und garantierte Rückkaufswerte verwundbar gegenüber Zinsänderungen. Durch ihren langfristigen Anlagehorizont können sie bei Schocks eine stabilisierende Rolle innerhalb des Finanzsystems einnehmen. Allerdings haben Lebensversicherer in der Vergangenheit Zinsen und Rückkaufswerte garantiert. Das macht sie gegenüber makrofinanziellen Entwicklungen, insbesondere gegenüber Zinsänderungen, verwundbar. Diese Verwundbarkeiten können ihre Fähigkeit einschränken, antizyklisch zu agieren, und das Risiko von Liquiditätsengpässen erhöhen.

Im Unterschied zu den Banken sind die stillen Lasten bei deutschen Lebensversicherern weiterhin materiell. Insbesondere bei festverzinslichen Wertpapieren liegen die Marktwerte seit dem Ende der Niedrigzinsphase im Jahr 2022 oftmals unter den Buchwerten in den Handelsbilanzen der Lebensversicherer. Im zweiten Quartal 2025 betrugen die stillen Lasten deutscher Lebensversicherer durchschnittlich 9 % ihrer handelsrechtlichen Bilanzsumme. Insgesamt weisen 87 % der Lebensversicherer stille Lasten auf (Schaubild 3.1.1). Aus Finanzstabilitätssicht sind stille Lasten relevant, weil sie die stabilisierende Funktion der Versicherer im Finanzsystem beeinträchtigen können. Versicherer versuchen Veräußerungsverluste zu vermeiden und schränken dadurch ihre Handelsaktivität ein. Analysen der Bundesbank zeigten infolge des Zinsanstiegs im Jahr 2022 eine Abnahme antizyklischen Handelns des deutschen Versicherungssektors, die maßgeblich von Lebensversicherern getrieben war. 56

Stille Reserven und stille Lasten der Kapitalanlagen deutscher Lebensversicherer
Stille Reserven und stille Lasten der Kapitalanlagen deutscher Lebensversicherer

Das Risiko einer Kündigungswelle bei deutschen Lebensversicherern ist derzeit begrenzt, könnte aber bei steigenden Zinsen relevant werden. Eine Umfrage der Bundesbank aus dem Jahr 2023 legt nahe, dass dieses Risiko ab einem Zinsniveau von etwa 6 % substanziell ist. 57 Darüber hinaus wurden in den vergangenen Jahren weniger klassische Lebensversicherungen mit garantierter Verzinsung und festen Rückkaufswerten abgeschlossen, sodass das Risiko einer Kündigungswelle mittlerweile einen kleineren Teil des Lebensversicherungsbestandes betrifft. Seit Beginn dieses Jahres bieten einzelne Lebensversicherer jedoch wieder vermehrt klassische Lebensversicherungen an. Eine Möglichkeit zur Verringerung des Risikos einer Stornowelle besteht darin, Lebensversicherern gesetzlich zu ermöglichen, Verträge mit zinssensitiven Rückkaufswerten anzubieten. Eine Kündigungswelle stellt zwar ein Extremszenario dar, aus Sicht der Finanzstabilität ist es jedoch wichtig, dieses Szenario im Blick zu behalten. 

Die Auswirkungen einer Kündigungswelle bei deutschen Lebensversicherern wären besonders hoch, wenn Kapitalanlagen eine geringe Liquidität aufweisen und zusätzliche Liquiditätsabflüsse stattfinden. Versicherer erscheinen aufgrund ihres langen Anlagehorizonts als prädestiniert, auch in illiquidere Vermögenswerte zu investieren. Allerdings bestehen auch bei Versicherern Liquiditätsrisiken, beispielsweise durch Kündigungsmöglichkeiten. Daher muss die Liquidität ihrer Kapitalanlagen überwacht werden. Seit 2018 ist bei deutschen Lebensversicherern der Anteil von Kapitalanlagen mit sehr geringer Liquidität von 14 % auf zuletzt rund 25 % gestiegen (Schaubild 3.1.2). Im Verlauf der Niedrigzinsphase gewannen weniger liquide Vermögenswerte aufgrund einer Suche nach Rendite an Bedeutung. Dies betrifft auch das Anlagesegment Private Credit im Bereich der alternativen Vermögenswerte. 58 Seit dem Anstieg der Zinsen ist jedoch keine rückläufige Entwicklung erkennbar. Deutsche Lebensversicherer sichern sich zudem verstärkt mit Derivaten gegen Fremdwährungsrisiken ab. Damit verringern sie das Verlustpotenzial aus Währungsschwankungen. Jedoch kann ein verstärkter Einsatz von Derivaten über Marginzahlungen zu einer höheren Belastung der Liquiditätssituation führen. 59

Liquidität der Kapitalanlagen deutscher Lebensversicherer
Liquidität der Kapitalanlagen deutscher Lebensversicherer

Das Wechselkursrisiko durch US-Dollar-Anlagen erscheint für deutsche Lebens- und Rückversicherer insgesamt beherrschbar, auch wenn ein Vertrauensverlust in US-Assets zusätzliche Risiken bergen könnte. Vor allem deutsche Rückversicherer halten signifikante Kapitalanlagen in US-Dollar. Ende 2024 betrugen diese Anlagen etwa 60 Mrd €, was durchschnittlich 11 % ihrer gesamten Kapitalanlagen ausmachte (Schaubild 3.1.3). Per saldo sind ihre Forderungen und Verbindlichkeiten in US-Dollar nahezu ausgeglichen. Bei deutschen Lebensversicherern hingegen stehen den Kapitalanlagen in Höhe von rund 20 Mrd US-$ keine signifikanten Verbindlichkeiten in US-Dollar gegenüber. Das liegt an ihrer Geschäftsausrichtung auf zumeist nationale oder europäische Märkte. Wenn der US-Dollar stark abwerten würde, hätte dies bei Lebensversicherern den größten negativen Effekt. Die zunehmende Absicherung gegen Währungsrisiken mildert diesen Effekt jedoch ab. Angesichts des niedrigen Anteils von US-Dollar-Anlagen von durchschnittlich 2 % der Bilanzsumme scheint ein solches Szenario verkraftbar. Über die Wechselkursrisiken hinaus könnten bei einem breiteren Vertrauensverlust in US-Assets, zum Beispiel US-Staatsanleihen, Spread-Risiken relevant werden. Insbesondere Rückversicherer wären davon negativ betroffen, weil sie höhere US-Dollar-Forderungen halten.

Forderungen und Verbindlichkeiten deutscher Versicherer in US-Dollar
Forderungen und Verbindlichkeiten deutscher Versicherer in US-Dollar

Die Solvenzquoten deutscher Lebensversicherer bewegen sich derzeit auf einem hohen Niveau. Der Median der regulatorischen Solvenzquote deutscher Lebensversicherer stieg seit Ende 2024 um 25 Prozentpunkte. Im zweiten Quartal 2025 lag er bei 351 %. Damit übertrafen die Solvenzquoten die aufsichtlich geforderten 100 % im Median deutlich. Der Anstieg der Solvenzquoten seit dem Jahr 2022 ist insbesondere auf das gestiegene Zinsniveau zurückzuführen. Dadurch sank der Wert der Verbindlichkeiten stärker als der der Vermögenswerte.

Eine Regulierungsinitiative der Europäischen Kommission könnte die Resilienz der Versicherer schwächen. Im Kontext der Spar- und Investitionsunion (Savings and Investments Union, SIU) sollen unter anderem Investitionen von Versicherern in Eigenkapitalinstrumente gefördert werden (siehe Abschnitt 4). Dazu plant die Europäische Kommission eine erleichterte Einstufung solcher Investitionen als langfristige Eigenkapitalinvestitionen (Long-Term Equity Investments, LTEI). 60 Aufgrund des unterstellten langfristigen Anlagehorizonts müssen die Versicherer nach Solvency II für LTEI weniger Eigenmittel vorhalten als für andere Investitionen in Eigenkapital. Wenn deutsche Versicherer ihre bestehenden Investitionen in Eigenkapital als LTEI umklassifizieren, würden ihre regulatorischen Eigenmittelanforderungen nach Schätzungen der Bundesbank um bis zu 6 Mrd € sinken. 61 Das entspricht einer durchschnittlichen Absenkung um etwa 7 %. Dadurch könnte die Resilienz der Versicherer künftig überschätzt werden. Außerdem würden so Anreize entstehen, in weniger liquide Vermögenswerte zu investieren, beispielsweise Private Equity. Aus Sicht der Finanzstabilität ist die geplante Reform zu LTEI kritisch zu bewerten. Bislang liegt keine Evidenz für gesunkene Risiken von Investitionen der Versicherer in Eigenkapitalinstrumente vor, die die geplanten Änderungen bei LTEI und die damit einhergehende Absenkung der Eigenmittelanforderungen für Versicherer rechtfertigen würde. 62

3.2 Der deutsche Fondssektor bleibt trotz vorübergehendem Liquiditätsstress stabil

Der deutsche Fondssektor ist im europäischen Vergleich bedeutsam und besteht vor allem aus offenen Fonds. Er ist nach Luxemburg und Irland der drittgrößte in Europa und verwaltete Ende 2024 ein Vermögen von 2 925 Mrd €. Das entspricht rund 13 % der Aktiva des deutschen Finanzsystems. Von diesem verwalteten Vermögen entfallen 97 % (2 831 Mrd €) auf offene Fonds. Der übrige Teil ist geschlossenen Fonds zuzurechnen. Anders als in geschlossenen Fonds können Anleger in offenen Fonds ihre Anteilscheine oft täglich an den Fonds zurückgeben. 63 Offene Fonds werden in Deutschland entweder als Publikumsfonds oder als Spezialfonds aufgelegt. Publikumsfonds richten sich sowohl an Haushalte als auch an institutionelle Anleger. Spezialfonds sind hingegen institutionellen Anlegern vorbehalten. Außerdem wird nach der Anzahl der Investoren zwischen Mehr- und Ein-Anleger-Fonds unterschieden (Schaubild 3.2.1).

Überblick zum deutschen Fondssektor
Überblick zum deutschen Fondssektor

Innerhalb der offenen Fonds stehen Mehr-Anleger-Fonds aufgrund ihrer inhärenten Liquiditätsrisiken im Fokus des makroprudenziellen Risikomonitorings. Diese Fonds verwalten mit 1 266 Mrd € knapp die Hälfte des Vermögens aller offenen Fonds. Anleger in diesen Fonds können ihre Anteilsscheine typischerweise täglich zurückgeben. Die Anteilsscheine werden üblicherweise zum aktuellen Nettoinventarwert ausbezahlt. Dieser Nettoinventarwert berücksichtigt aber nicht notwendigerweise alle anfallenden Kosten, die durch Liquidationen oder Umschichtungen zur Bedienung von Anteilsscheinrückgaben entstehen. 64 So kann es für Investoren vorteilhaft sein, Anteilsscheine früher als andere zurückzugeben (First-Mover-Advantage), weil potenzielle Liquidationskosten des Fonds auf die noch im Fonds verbliebenen Anleger umgelegt werden. 65 Je höher die Mittelabflüsse bei einem Fonds sind, desto höher können die Liquidationskosten ausfallen, insbesondere wenn illiquidere Aktiva veräußert werden müssen. Dadurch verstärkt sich der Vorteil einer frühen Anteilsscheinrückgabe, was die Liquiditätsrisiken bei Fonds weiter erhöht. In Stressphasen kann diese Dynamik Schocks verstärken, andere Marktakteure anstecken und das Finanzsystem belasten. 66 Das Ausmaß der Anteilsscheinrückgaben hängt auch von der Art der Investoren ab. Fonds, die Anteilsscheine an anderen Fonds halten, geben in unruhigen Marktphasen oft schneller und in größerem Umfang Anteilsscheine zurück als andere Fondsinvestoren (siehe Exkurs „Direkte Vernetzung verstärkt Liquiditätsrisiken bei europäischen Fonds“). 67

Die Ankündigung umfangreicher US-Zölle am 2. April 2025 verschlechterte die Liquiditätssituation im offenen deutschen Publikumsfonds-Sektor zeitweise merklich. Publikums-Wertpapierfonds verzeichneten plötzliche Renditeeinbrüche und hohe Netto-Mittelabflüsse. 68 Einige Fonds mussten Wertpapiere verkaufen, weil ihre Bankguthaben die Netto-Mittelabflüsse nicht vollständig abdecken konnten. Die beobachteten Renditeschocks sowie das Ausmaß und die Dynamik der Netto-Mittelabzüge waren bei diesen Fonds Anfang April 2025 ähnlich wie zu Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020. Vor der US-Zoll-Ankündigung verzeichneten circa 6 % der Publikums-Wertpapierfonds Netto-Mittelabflüsse, die ihre Bankguthaben überstiegen (Schaubild 3.2.2). Dieser Anteil verdreifachte sich binnen weniger Tage nach Ankündigung der US-Zölle auf über 16 %. Somit war fast jeder sechste Fonds zu Portfolioanpassungen und Wertpapierverkäufen gezwungen. Die Ankündigung einer 90-tägigen Zollpause führte allerdings zu einer Beruhigung des Marktes. Die Ende Juli 2025 erzielten Einigungen im Zollstreit haben das unmittelbare Risiko für Netto-Mittelabflüsse trotz anhaltend hoher Unsicherheit verringert. Es können sogar wieder flächendeckende Netto-Mittelzuflüsse beobachtet werden, die die Netto-Mittelabflüsse während der Stressphase im April übertreffen. Bis zum zweiten Quartal 2025 belaufen sich die aggregierten Netto-Mittelzuflüsse auf etwa 0,5 % des Fondsvermögens zum 1. April 2025. Trotz überwundenem Liquiditätsstress aus der Ankündigung von Zöllen bleiben Verwundbarkeiten bestehen. Zum zweiten Quartal 2025 hält etwa ein Drittel der Wertpapierfonds im deutschen Publikumsfonds-Sektor weniger als 1 % ihres Netto-Fondsvermögens als Bankguthaben. Bei erneuten Finanzmarktturbulenzen könnten sich die Liquiditätsrisiken im Fondssektor schnell wieder verschärfen. Aus Sicht der Finanzstabilität sind niedrige Liquiditätspuffer vor dem Hintergrund drohender Netto-Mittelabflüsse relevant, da der Verkauf von Aktiva bei sinkender Liquidität Negativspiralen aus fallenden Vermögenspreisen und weiteren Mittelabzügen auslösen kann. 69  

Liquiditätsstress deutscher Publikums-Wertpapierfonds im April 2025
Liquiditätsstress deutscher Publikums-Wertpapierfonds im April 2025

Trotz anhaltender Netto-Mittelabflüsse sind die Liquiditätsrisiken bei offenen deutschen Publikums-Immobilienfonds aufgrund bislang ausreichender liquider Mittel sowie langer Mindesthalte- und Ankündigungsfristen begrenzt. Das verwaltete Vermögen des deutschen Publikums-Immobilienfondssektors beläuft sich Ende 2024 auf etwa 123 Mrd € (circa 17,5 % des deutschen Publikumsfonds-Sektors). Seit Anfang 2025 flossen netto rund 4 % des verwalteten Fondsvermögens ab. Dennoch halten Publikums-Immobilienfonds rund 10 % ihres Vermögens als Bankguthaben. 70 Damit liegt der Anteil der liquiden Mittel trotz der Abflüsse weiterhin über den gesetzlich vorgeschriebenen 5 %. 71 Außerdem begrenzen die im Jahr 2013 in Deutschland eingeführten Mindesthalte- und Kündigungsfristen in Publikums-Immobilienfonds die Liquiditätsrisiken. 72 Fondsanleger müssen ihre seitdem neu erworbenen Anteilsscheine mindestens 24 Monate halten und die Rückgabe ein Jahr im Voraus ankündigen. Diese Vorgaben tragen der Illiquidität der Aktivseite von Immobilienfonds Rechnung und verringern den First-Mover-Advantage. Dadurch sind Mittelabflüsse für Fondsmanagerinnen und Fondsmanager besser planbar und Immobilienverkäufe lassen sich mit zeitlichem Vorlauf abwickeln.

Preisbasierte Instrumente zur Liquiditätssteuerung könnten bei Mehr-Anleger-Fonds das Anreizproblem einer möglichst frühen Anteilsscheinrückgabe (First-Mover-Advantage) verringern. Diese Instrumente verteilen die bei Rückgaben entstehenden Kosten verursachergerecht auf die Anleger, die ihre Anteile zurückgeben. Der Preis pro Anteil wird dafür um einen Abschlag, den Swing-Faktor, reduziert. Dieser Abschlag entspricht den möglichen Liquidationskosten und soll die Effekte einer Anteilsscheinrückgabe internalisieren. 73 Empirische Untersuchungen zeigen, dass Swing Pricing und ähnliche preisbasierte Instrumente die Internalisierung fördern und den First-Mover-Advantage verringern können. 74 Der FSB aktualisierte im Jahr 2023 seine Empfehlungen, wie strukturelle Liquiditätsinkongruenzen in offenen Fonds adressiert werden können. 75 Ein zentrales Element der FSB-Empfehlungen ist die Einteilung von Fonds in verschiedene Liquiditätskategorien. Jede Kategorie beinhaltet bestimmte Vorgaben für das Liquiditätsmanagement. In Deutschland beabsichtigt der Gesetzgeber, Teile dieser Empfehlungen im Rahmen der Umsetzung der europäischen Investmentfondsrichtlinien durch das Fondsrisikobegrenzungsgesetz im Jahr 2026 einzuführen. 76  Das betrifft vor allem den verstärkten Einsatz von Liquiditätsmanagementinstrumenten, einschließlich preisbasierter Liquiditätsmaßnahmen. Die entsprechenden Anpassungen der europäischen Investmentfondsrichtlinien sollen dabei inhaltsgleich in deutsches Recht übernommen werden. 

Exkurs

Direkte Vernetzung verstärkt Liquiditätsrisiken bei europäischen Fonds

Die Widerstandsfähigkeit offener Fonds hängt zu einem großen Teil von der Stabilität ihrer Finanzierungsseite ab. Offene Fonds bieten ihren Investoren die Möglichkeit, erworbene Anteilsscheine kurzfristig zurückzugeben. Gleichzeitig investieren sie eingesammeltes Kapital jedoch in Vermögenswerte, die sie nicht immer mit kurzer Frist und ohne größere Preisabschläge veräußern können. Damit sind sie inhärent fragil und strukturell verwundbar gegenüber großen unerwarteten Mittelabzügen (siehe Abschnitt 3.2).

Unerwartete Mittelabflüsse, die die Finanzierungsseite offener Fonds destabilisieren können, werden oft durch Renditeschocks ausgelöst. 1 Die vergangene Performance stellt bei Fonds einen zentralen Auslöser von Mittelzu- und -abflüssen dar: Positive Fondsrenditen ziehen regelmäßig Mittelzuflüsse von Fondsinvestoren nach sich. Negative Fondsrenditen (Renditeschocks) hingegen können teils substanzielle Mittelabzüge verursachen. Die empirische Literatur bezeichnet diesen positiven Zusammenhang zwischen Rendite und Mittelflüssen als Flow-Performance-Beziehung. Sie beschreibt, wie sensitiv Fondsanleger auf die Performance ihrer Fondsinvestments reagieren. Die Performance-Sensitivität entscheidet also oftmals darüber, wie fragil ein Fonds ist. 

Anleger in europäischen Aktienfonds reagieren unterschiedlich stark auf Renditeschocks. Die Stärke der Flow-Performance-Beziehung wird in der Regel auf Fondsebene geschätzt. Sie beschreibt, wie stark die gemeinsame Reaktion aller Anleger eines Fonds auf dessen vorausgegangene Performance ist. Diese Art der Messung verdeckt jedoch, dass verschiedene Anlegergruppen eines Fonds, beispielsweise private Haushalte, Versicherer oder andere Fonds, vollkommen unterschiedliche Reaktionsmuster haben können. Außerdem verhindert sie die Identifikation jener Haltergruppen, deren Verhalten Mittelabzüge bei offenen Fonds besonders treiben und offene Fonds letztlich fragil werden lässt. Fricke, Jank und Wilke (2025) schätzen die Flow-Performance-Beziehung offener Fonds auf Ebene der einzelnen Haltergruppen der Fonds. Sie zeigen, dass Anleger in europäischen Aktienfonds unterschiedlich stark auf die Performance ihrer Fondsinvestments reagieren, insbesondere auf Renditeschocks. Diese treten vor allem während Marktstressphasen gehäuft auf.

Während private Haushalte und Versicherer tendenziell stabilisierend wirken, verstärken Fonds selbst die strukturelle Fragilität im offenen Fondssektor. Die Reaktionen verschiedener Anlegergruppen auf schlechte Fondsperformance unterscheiden sich signifikant. Es ist für die Stabilität offener Fonds somit äußerst bedeutsam, wer ihre Fondsanteile hält. Haushalte reagieren strukturell weniger stark auf die Fondsperformance als institutionelle Investoren. Dadurch stabilisieren sie tendenziell die Finanzierungsseite europäischer Aktienfonds. Versicherer als große institutionelle Anlegergruppe reagieren ähnlich begrenzt auf schlechte Performance wie Haushalte. Auf gute Performance reagieren sie jedoch wesentlich stärker. Damit könnten sie Boom-Phasen prozyklisch verstärken. In Marktstressphasen stabilisieren sie hingegen. Fonds, die in andere offene Fonds investieren, reagieren hingegen signifikant stärker auf schlechte Performance als Haushalte und Versicherer. Deshalb sind sie strukturell mitverantwortlich für die inhärente Fragilität im Fondssektor (siehe Abschnitt 3.2).

Strukturelle Liquiditätsrisiken und Risiken aus Vernetzung interagieren im offenen Fondssektor miteinander. Durch die stark gestiegene direkte Vernetzung im Fondssektor steigt in der Halterstruktur europäischer Fonds der Anteil hochsensitiver Anleger (siehe Abschnitt 3.3). Diese Fonds weisen ihrerseits eine fragile Finanzierungsseite auf. Dadurch wird die Finanzierung europäischer Aktienfonds insgesamt fragiler, und strukturelle Liquiditätsrisiken nehmen zu. Dies ist insbesondere in Marktstressphasen wie im April 2025 bedeutsam, wenn viele Fonds gleichzeitig einem Marktpreisschock ausgesetzt sind und stark negative Fondsrenditen verzeichnen.

3.3 Nichtbank-Finanzintermediäre sind mit Banken und untereinander eng vernetzt

Der NBFI-Sektor ist im vergangenen Jahrzehnt weltweit und auch in Deutschland gewachsen. Der Sektor ist heterogen und umfasst Fonds, Versicherer und Pensionseinrichtungen sowie sonstige Finanzinstitute. NBFI halten global und im Euroraum mittlerweile etwa die Hälfte der finanziellen Aktiva. 77 Deutsche NBFI halten rund 40 % der finanziellen Aktiva des deutschen Finanzsystems. NBFI tragen zur Finanzierung der Realwirtschaft bei, indem sie Kredite vergeben oder Wertpapiere erwerben. Im internationalen Vergleich ist die Finanzierung der Realwirtschaft in Deutschland trotz des Wachstums von NBFI weiterhin vorwiegend bankbasiert. 78 Gleichwohl haben die globale Finanzkrise und weitere Stressepisoden an den Märkten verdeutlicht, dass in- und ausländische NBFI Schocks auslösen oder verstärken können. 79 In diesem Kontext sind aus Sicht der Finanzstabilitätsanalyse Risiken für deutsche Banken und NBFI relevant, die sich aus der Vernetzung mit in- und ausländischen NBFI ergeben können.

Die Vernetzung im Finanzsystem ist durch direkte und indirekte Beziehungen geprägt. Direkte Vernetzung entsteht durch vertragliche Beziehungen, beispielsweise über Kredite oder Derivate. Fallen Schuldner aus, erleiden die Gläubiger unmittelbar Verluste und es kann zu Ansteckungseffekten weiterer Akteure kommen. Indirekte Vernetzung liegt vor, wenn Marktakteure gleiche oder ähnliche Wertpapiere halten. Preisrückgänge, die von einem Akteur ausgelöst werden, können so indirekt die Portfolios anderer beeinflussen. 80

Die direkte Vernetzung des deutschen Bankensystems mit Nichtbank-Finanzintermediären ist im europäischen Vergleich hoch und auf große, systemrelevante Banken konzentriert. Deutsche Banken sind über Forderungen und Verbindlichkeiten direkt mit in- und ausländischen NBFI vernetzt. Die Forderungen des europäischen Bankensystems gegenüber dem globalen NBFI-Sektor betragen rund 10 % der aggregierten Bilanzsumme. 81 Für das deutsche Bankensystem liegt der Anteil entsprechender Forderungen bei rund 13 % und ist seit dem Jahr 2020 um rund 2 Prozentpunkte gestiegen (Schaubild 3.3.1). Die Verbindlichkeiten deutscher Banken gegenüber in- und ausländischen NBFI stiegen seit dem Jahr 2020 um rund 1,5 Prozentpunkte auf circa 14 % der aggregierten Bilanzsumme. 82 Die Zunahme der direkten Vernetzung ist auch auf Banken zurückzuführen, die im Zuge des Brexit Geschäftsaktivitäten nach Deutschland verlagert haben. Mit jeweils rund 70 % konzentriert sich ein Großteil der Forderungen und Verbindlichkeiten gegenüber NBFI auf systemrelevante deutsche Banken (Anderweitig Systemrelevante Institute, A-SRI). 

Forderungen und Verbindlichkeiten deutscher Banken gegenüber in- und ausländischen NBFI
Forderungen und Verbindlichkeiten deutscher Banken gegenüber in- und ausländischen NBFI

A-SRI sind besonders stark grenzüberschreitend und über Derivate mit dem NBFI-Sektor vernetzt. Rund 86 % der Forderungen deutscher Banken gegenüber ausländischen NBFI werden von deutschen A-SRI gehalten. Schocks im ausländischen NBFI-Sektor würden daher primär über A-SRI ins deutsche Finanzsystem übertragen. Bei den ausländischen NBFI sind insbesondere die Sonstigen Finanzinstitute (Other Financial Institutions, OFI) relevant. Unter den OFI befinden sich diverse Finanzunternehmen, darunter beispielsweise Hedgefonds oder Verbriefungszweckgesellschaften. Auffallend ist auch, dass Derivate bei deutschen A-SRI eine wesentliche Rolle spielen (Schaubild 3.3.2). Dies spiegelt einerseits ihre Geschäftsmodelle wider und deutet andererseits auf eine erhöhte Komplexität der direkten Vernetzung systemrelevanter Banken mit NBFI hin. Diese Vernetzung kann mit erhöhten Risiken einhergehen. Der Fall des als Hedgefonds agierenden Vehikels Archegos Capital Management zeigte, dass Vernetzung über Derivate mit NBFI zu Ansteckungseffekten bei Banken führen kann. 83

Direkte Vernetzung deutscher Banken mit in- und ausländischen NBFI
Direkte Vernetzung deutscher Banken mit in- und ausländischen NBFI

Die übrigen deutschen Banken halten überwiegend Forderungen gegenüber inländischen NBFI, wovon rund zwei Drittel gegenüber Investmentfonds bestehen. Ein Großteil der gehaltenen Fondsanteile, nämlich rund 85 %, entfällt auf Ein-Anleger-Fonds. Bei diesen Fonds treten Banken, insbesondere Sparkassen und Genossenschaftsbanken, als einzige Investoren auf. Run-Risiken sind in diesen Konstruktionen begrenzt. Es gibt, anders als bei Mehr-Anleger-Fonds, keine Anreize, Fondsanteile in einer Stressphase möglichst vor anderen Anlegern zurückzugeben (siehe Abschnitt 3.2).

Verbindlichkeiten gegenüber NBFI sind zu einem relevanten Teil kurzfristig, was sie anfällig gegenüber unerwarteten Abzügen macht. NBFI sind für deutsche Banken eine wichtige Refinanzierungsquelle. Gemessen an der Bilanzsumme stellen NBFI deutschen Banken überwiegend Einlagen zur Verfügung (Schaubild 3.3.2). 84 Wenn Einlagen abgezogen werden, entsteht bei Banken ein Liquiditätsbedarf, den sie decken müssen. Um sich gegenüber einem breiten Abzug von Finanzierungsmitteln zu wappnen, halten Banken einen Teil ihrer Anlagen in liquiden Anlagen. Der Anteil der Einlagen von NBFI im Verhältnis zu den hochwertig liquiden Vermögenswerten (High-Quality-Liquid-Assets, HQLA) des Bankensystems liegt bei rund 40 %. Zu rund der Hälfte sind diese Einlagen täglich fällig. Die Einlagen, die NBFI gegenüber Banken halten, sind häufig Liquiditätspuffer der NBFI. 85 Sie könnten kurzfristig abgezogen werden, wenn etwa Investmentfonds Mittel benötigen, um Anteilsscheinrückgaben zu bedienen. Für sich genommen erscheint das Risiko von Mittelabzügen der NBFI bei Banken, gemessen am Anteil der HQLA, verkraftbar. Sollte sich jedoch auch bei anderen Einlegern eine Abzugsdynamik ergeben, könnte dies Banken unter Druck setzen und so den Liquiditätsstress verstärken. 

NBFI stellen deutschen Banken auch über Repurchase Agreements (Repos) und Schuldverschreibungen Kapital zur Verfügung. Repos sind im Aggregat weniger bedeutend als Einlagen, sind aber auf wenige Banken konzentriert, vor allem auf A-SRI. Ein großer Teil der Repos ist ebenfalls kurzfristig, woraus sich Refinanzierungsrisiken ergeben können, insbesondere in Stressphasen. 86 In diesen Repo-Geschäften verkaufen Banken hochwertige Wertpapiere an NBFI mit der Bedingung, sie nach dem Laufzeitende zurückzukaufen. Fallen NBFI als Finanzierungsgeber über den Repo-Markt weg, behalten die Banken die hochwertigen Wertpapiere, die sie zuvor als Sicherheiten hinterlegt haben. Diese Wertpapiere sind größtenteils notenbankfähig und können zur Refinanzierung bei der Zentralbank genutzt werden. Die Refinanzierungsrisiken erscheinen daher begrenzt. NBFI halten auch von Banken ausgegebene Schuldverschreibungen. Refinanzierungsrisiken erscheinen hier zum aktuellen Zeitpunkt begrenzt, da rund zwei Drittel des von NBFI gehaltenen Volumens eine Restlaufzeit von über einem Jahr aufweisen. 87 Bei ungünstigen Marktbedingungen können sich zum Ende der Restlaufzeit dennoch Refinanzierungsrisiken ergeben. 

Die direkte Vernetzung innerhalb des NBFI-Sektors nimmt zu. Deutsche Versicherer haben ihre Investitionen in Fondsanteile kontinuierlich auf 35 % ihrer gesamten Kapitalanlagen erhöht. Ein Großteil entfällt dabei auf deutsche Fonds und davon sind wiederum 74 % Ein-Anleger-Fonds. Da bei diesen Fonds keine Run-Risiken bestehen, sind Risiken aus diesen Forderungen begrenzt. Zu den Anlagen in ausländische Fonds, die mittlerweile einen Anteil von 11 % ausmachen, liegen jedoch keine granularen Daten vor, sodass eine Risikoeinschätzung nur eingeschränkt möglich ist (siehe Abschnitt 4). 

Die Zunahme der direkten Vernetzung innerhalb des Fondssektors erhöht dessen Verwundbarkeit und erschwert das Risikomonitoring. Mittlerweile entfällt rund ein Viertel der Anlagen deutscher Investmentfonds auf Anteile an anderen Fonds. Anteile gegenüber ausländischen Fonds sind dabei überproportional gewachsen. 88 Fonds halten Anteile an anderen Fonds mitunter als eine Form liquider Mittel, da diese oftmals kurzfristig zurückgegeben werden können und höhere Erträge als Einlagen versprechen. Direkte Fonds-zu-Fonds-Verbindungen können Liquiditätsrisiken im Fondssektor verstärken. Insbesondere Fonds reagieren stark auf Renditeeinbrüche und geben Anteile früher zurück als andere Investorengruppen (siehe Exkurs „Direkte Vernetzung verstärkt Liquiditätsrisiken bei europäischen Fonds“). 89 Im Gegensatz zu inländischen Fonds liegen der Bundesbank für ausländische Fonds allerdings keine granularen Daten zur Zusammensetzung der Portfolios vor. 90 Dies schränkt die Risikobewertung erheblich ein. Daher arbeitet die Bundesbank an Initiativen mit, um die grenzüberschreitende Datengrundlage zu verbessern (siehe Abschnitt 4). 91

Indirekte Ansteckungseffekte zwischen Akteuren können unter anderem durch überlappende Wertpapierportfolios entstehen. Deutsche NBFI sind besonders verwundbar gegenüber Notverkäufen bei Investmentfonds (inklusive Geldmarktfonds) aus Deutschland, Irland und Luxemburg. Rund 77 % des Wertpapierportfolios des deutschen Investmentfondssektors werden auch von Investmentfonds in Luxemburg gehalten (Schaubild 3.3.3). 92 Eine Überlappung von 59 % hat der deutsche Investmentfondssektor mit Investmentfonds in Irland (Schaubild 3.3.3). Gemeinsame Bestände in Aktien von nichtfinanziellen US-Unternehmen sind dabei besonders hoch. Deutsche Versicherer und Pensionseinrichtungen sind indirekt am stärksten mit Investmentfonds in Deutschland und Luxemburg verbunden. Die gemeinsamen Wertpapierportfolios bestehen zu einem überwiegenden Anteil aus Staatsanleihen und Anleihen des Finanzsektors. Aus indirekter Verflechtung deutscher NBFI mit Kreditinstituten im Euroraum ergibt sich nur eine vergleichsweise geringe Verwundbarkeit gegenüber Notverkäufen. Auch deutsche Kreditinstitute sind – im Vergleich zu deutschen NBFI – weniger anfällig gegenüber Notverkäufen anderer Sektoren im Euroraum.

Portfolioüberlappung deutscher Sektoren mit ausgewählten Sektoren im Euroraum
Portfolioüberlappung deutscher Sektoren mit ausgewählten Sektoren im Euroraum

Die Akteure in einem Finanzsystem sind auch technisch und organisatorisch miteinander vernetzt. Störungen dieser Verbindungen, beispielsweise aufgrund von Cybervorfällen, können Finanzströme unterbrechen und machen das Finanzsystem verwundbar. Geopolitische Spannungen können diese Verwundbarkeit verstärken. Ein Cyberangriff auf große, international vernetzte Kreditinstitute kann substanzielle realwirtschaftliche Auswirkungen entfalten. Ähnliche Wirkungen kann ein Angriff auf Dienstleister haben, die für Finanzakteure tätig sind. Investitionen in Cyberresilienz im Finanzsektor sind daher von zentraler Bedeutung. Auch die mikro- und makroprudenzielle Aufsicht legt einen Schwerpunkt auf die Stärkung von Cyberresilienz. 93

4 Implikationen für die makroprudenzielle Politik

Angesichts der Gesamtrisikolage bleibt das makroprudenzielle Maßnahmenpaket weiter angemessen. Das Paket wurde ursprünglich Anfang 2022 von der BaFin erlassen und vom Ausschuss für Finanzstabilität begrüßt. 94 Es umfasste eine Erhöhung des antizyklischen Kapitalpuffers, die Einführung eines sektoralen Systemrisikopuffers sowie eine ergänzende aufsichtliche Kommunikation zu Kreditvergabestandards. Zwar haben sich einige Verwundbarkeiten im deutschen Finanzsystem zuletzt abgebaut. Dennoch bleibt die Gesamtrisikolage angespannt. Vor diesem Hintergrund darf die Resilienz des Bankensystems nicht überschätzt werden. Zudem muss ein hinreichender makroprudenzieller Handlungsspielraum bewahrt werden. 

Die Bundesbank hält die aktuelle Höhe der Kapitalpuffer für adäquat, plädiert jedoch für eine Erweiterung des makroprudenziellen Instrumentariums um einkommensbezogene Instrumente, um potenzielle Risiken in der Wohnimmobilienfinanzierung gezielt adressieren zu können. Der antizyklische Kapitalpuffer (Countercyclical Capital Buffer, CCyB) von 0,75 % der inländischen Risikopositionen ist weiterhin angemessen. Den sektoralen Systemrisikopuffer auf mit Wohnimmobilien besicherte Kredite (Sectoral Systemic Risk Buffer, sSyRB) hat die BaFin im Mai 2025 von 2 % auf 1 % gesenkt. Die Verwundbarkeiten am deutschen Wohnimmobilienmarkt hatten sich zuvor geordnet, aber nicht vollständig abgebaut. Angesichts eines derzeit noch begrenzten Risikoaufbaus im Neugeschäft der privaten Wohnimmobilienfinanzierung spricht sich die Bundesbank dafür aus, das Instrumentarium der makroprudenziellen Aufsicht um einkommensbezogene Instrumente zu erweitern. Dazu zählt insbesondere die Möglichkeit, die Schuldendienst-Einkommen-Relation (Debt-Service-to-Income, DSTI) begrenzen zu können. Im Bedarfsfall kann dann die Aufsicht entstehenden Gefahren für die Finanzstabilität mit einem effektiven Instrumentarium begegnen. Sie muss dann nicht auf weniger geeignete Instrumente zurückgreifen.

Um die Finanzstabilitätsrisiken aus dem Unternehmenssektor mittelfristig zu reduzieren, sind umfassende Strukturreformen erforderlich. Eine Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, der Abbau unnötiger Bürokratie und eine insgesamt effizientere öffentliche Verwaltung sind wichtige Bausteine zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Private Investitionen könnten mittels steuerlicher Anreize gefördert werden. Daneben gilt es, die Bedingungen für Start-ups und Forschung und Entwicklung zu verbessern. Im Hinblick auf die Energiekosten sollte die Energiewende weiter vorangetrieben werden. Umfassende Strukturreformen können den strukturellen Belastungsfaktoren und damit Finanzstabilitätsrisiken aus dem Unternehmenssektor entgegenwirken.

Die Bankenregulierung ist über die Jahre komplex geworden und sollte gezielt vereinfacht werden. Die infolge der globalen Finanzkrise eingeführten Basel III-Reformen haben die Resilienz des Bankensystems zwar insgesamt deutlich gestärkt. Jedoch ist die Bankenregulierung komplexer geworden. Unter anderem müssen Banken viele Eigenkapitalanforderungen erfüllen, die unterschiedliche Ziele verfolgen. Die Meldeanforderungen stellen insbesondere für kleine, nicht-komplexe Institute eine große Herausforderung dar. Die Bundesbank setzt sich daher auf nationaler und europäischer Ebene für Vereinfachungen für diese Institute ein. Den betroffenen Instituten soll die Möglichkeit eingeräumt werden, auf die Erfüllung risikogewichteter Kapitalanforderungen zu verzichten. Im Gegenzug würden strengere ungewichtete Kapitalanforderungen eingeführt werden, um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Entlastung und Stabilität sicherzustellen. Darüber hinaus plädiert die Bundesbank für eine Vereinfachung der Kapitalanforderungen. Mit einem Abbau der gegenwärtigen Doppelanrechnung von regulatorischem Kapital für unterschiedliche Zwecke würden die makroprudenziellen Puffer effektiver und besser nutzbar. Zudem strebt die Bundesbank eine Zusammenlegung der makroprudenziellen Kapitalpuffer, nämlich des CCyB und des SyRB, zu einem einzigen, freigebbaren Kapitalpuffer an.

Um die Ziele der Spar- und Investitionsunion zu erreichen, sind Anpassungen am Rechtsrahmen für Kapitalmärkte und Nichtbank-Finanzintermediäre geplant. Dabei ist es wichtig, die Widerstandsfähigkeit des Finanzsystems zu erhalten. Die Spar- und Investitionsunion (Savings and Investment Union, SIU) ist aus Sicht der Bundesbank ein zentrales Element, um die Kapitalmarktfinanzierung in der Europäischen Union zu stärken und die europäischen Finanzmärkte besser zu integrieren. Mit der SIU sollen Finanzierungsmittel, beispielsweise für die digitale und nachhaltige Transformation, zuverlässig bereitstehen, auch in Stressphasen. In diesem Kontext ist unter anderem die Einführung makroprudenzieller Instrumente bei Versicherern im Rahmen von Solvency II zu begrüßen. 95 Kritisch sind aber Vorschläge der Europäische Kommission zu sehen, bei Versicherern die Kriterien zu lockern, nach denen Eigenkapitalinvestitionen als langfristig eingestuft werden (Long-Term Equity Investments, LTEI). Dadurch könnte die Resilienz des Versicherungssektors künftig überschätzt werden (siehe Abschnitt 3.1).

Im Fondssektor sollte der Datenaustausch und -zugriff von bereits erhobenen Daten verbessert werden, um systemische Risiken frühzeitig zu identifizieren. Aufgrund der zunehmenden grenzüberschreitenden Vernetzung innerhalb des Fondssektors (siehe Abschnitt 3.3) ist ein grenzüberschreitender Datenzugriff und -austausch unerlässlich. 96 Ohne detaillierte Portfolioinformationen zu im Ausland ansässigen Fonds können Risiken aus der Vernetzung im und mit dem Fondssektor nicht umfassend bewertet werden. Sowohl die aktuellen rechtlichen Regelungen als auch die operativen Prozesse des Datenzugangs und -austauschs zwischen Ländern sowie zwischen Zentralbanken und Aufsichtsbehörden erschweren derzeit eine umfassende Risikoanalyse. Die zuständigen Behörden sollten einen zentralen europäischen Mechanismus für Datenaustausch und -zugriff auf bereits erhobene Fondsdaten einführen, sowie die Bestimmungen zur Datenweitergabe und zum Datenzugriff anpassen. 97 Nationale Zentralbanken sollten an diesem Datenaustausch teilnehmen können. Dafür müsste Mitgliedern des Europäischen Systems der Zentralbanken im entsprechenden EU-Recht Zugang zu den Daten gewährt werden. Mit den Daten könnten Risiken aus grenzüberschreitenden NBFI-Aktivitäten besser bewertet und überwacht sowie die Wirksamkeit makroprudenzieller Maßnahmen präziser beurteilt werden. 98 Die Bundesbank unterstützt zudem den FSB, der sich für ein verbessertes Teilen von Daten zu Hedgefonds einsetzt.

5 Anhang

Dieser technische Anhang gibt detaillierte Einblicke in die Analysen des Berichts, die bisher nicht veröffentlicht wurden. Auf bereits publizierte Analysen der Bundesbank wird im Text in den Fußnoten verweisen.

Analysen zu US-Zöllen und zu fiskalischem Spielraum 99

Die Analysen untersuchen die Wirkung von US-Zöllen und den Einfluss von fiskalischem Spielraum auf externe Schocks. Sie beruhen auf verschiedenen Varianten des Zwei-Länder-SIGMA-Modell der Federal Reserve Bank. 100 Dieses Dynamic Stochastic General Equilibrium (DSGE)-Modell führt die Entwicklung makroökonomischer Variablen auf optimale Entscheidungen einzelner Agenten zurück. Haushalte entscheiden nutzenmaximierend über Konsum, Freizeit und Sparverhalten. Firmen wägen Produktionsfaktoren ab und setzen vorausschauend Preise. Dabei führen Preisrigiditäten à la Calvo (1983) zu nominalen Friktionen. Sie ermöglichen eine aktive Rolle der Geldpolitik. Das Modell umfasst zudem gängige Komponenten wie Anpassungskosten für Investitionen, rigide Lohnsetzung und nicht-ricardianische Haushalte. Die zwei Länder im Modell stehen über Handel miteinander im Austausch. In beiden Analysen werden die Blöcke als gleich groß angenommen und isomorph kalibriert.

Das Modell beinhaltet eine Finanzfriktion nach Bernanke, Gertler und Gilchrist (1999). Sie ermöglicht es, die Finanzkennzahlen Verschuldungsgrad, Bewertungen und Zinsaufschläge für nichtfinanzielle Unternehmen im Modell abzubilden. Hierbei bilden Unternehmensbewertungen den Wert der Eigenmittel \( n_t \) der Unternehmen ab. Der Verschuldungsgrad beschreibt das Verhältnis der Verschuldung \( (q_t k_t – n_t) \) zu den gesamten Vermögenswerten der Unternehmen, \( q_t k_t \). Zinsaufschläge sind die Differenz zwischen dem erwarteten Zinssatz \( E_t \{ r_{t+1}^k \} \), den Unternehmen für ihre Finanzierung zahlen, und dem risikolosen Zinssatz \( r_{t+1} \). Die Finanzfriktion von Bernanke, Gertler und Gilchrist (1999) lässt sich in einer dynamischen, log-linearisierten Akzelerator-Gleichung zusammenfassen. Gemäß dieser Gleichung reagieren die Zinsaufschläge auf die Entwicklung des Verhältnisses der Eigenmittel von Unternehmen zu ihren Vermögenswerten. 

$$ E_t \{ r_{t+1}^k \} – r_{t+1} = \nu (n_{t+1} – q_t – k_{t+1}) $$ 

Wichtig für die Wirkung dieses Finanzakzelerators ist hierbei die Größe der Elastizität \( \nu \) des Zinsaufschlags relativ zum Verhältnis der Eigenmittel zu den Vermögenswerten. Die Elastizität \( \nu \) hängt maßgeblich von den monitoring costs \( \mu \) der Unternehmen ab. Der Wert für \( \mu \) wird wie in Christiano, Trabandt und Walentin (2011) auf 0,53 gesetzt. Dies führt zu einem Zinsaufschlag von etwa 9 % per annum. Dies ist im Einklang mit empirischen Schätzungen des return on capital in den USA und in der Europäischen Union von 8 % bis 10 %. 101 Die restliche Kalibrierung des Modells folgt Lindé und Pescatori (2019).

Für die Analyse zu US-Zöllen werden die beiden Modellblöcke auf die USA und die Europäischen Union kalibriert. Im Modellrahmen wird angenommen, dass im zweiten Quartal 2025 die Zölle auf Warenimporte in die USA unerwartet auf dauerhaft 15 % steigen. 102 Die Zölle werden als Abweichung vom Gesetz des Einheitlichen Preises modelliert. 103 Zur Illustration der Finanzstabilitäts-Implikationen im Falle einer reziproken Zollreaktion der Europäischen Union sowie eines eskalierenden Handelsstreites werden zwei weitere Szenarien betrachtet: In einer zweiten Simulation erlässt die Europäische Union Gegenzölle in Höhe von 15 % auf US-Importe. In einer dritten Simulation werden beidseitig Zölle von 30 % verhängt. Analog zu oben ergibt sich daraus eine effektive Zolländerung von 21,2 %. Der Einfachheit halber werden EU-Zollanstiege in der gleichen Höhe wie die der US-Zölle modelliert. Die BIP-Effekte der Szenarien sind hierbei quantitativ vergleichbar mit denen anderer Bundesbank-Modelle. 104

Zölle führen zu höheren Preisen. Diese Preiserhöhungen führen über die geldpolitische Reaktionsfunktion zu höheren Zinsen in den USA. Zugleich wertet der US-Dollar auf. In der Europäischen Union senken die Zölle die Auslandsnachfrage und die Dollar-Aufwertung verteuert die Importe aus den USA. Gleichzeitig steigt jedoch die preisliche Wettbewerbsfähigkeit von Produkten aus der Europäischen Union. Dies dämpft die negativen Effekte der Zölle auf die Auslandsnachfrage der EU-Unternehmen. Da Zollanhebungen die stark exportorientierte deutsche Wirtschaft im europäischen Vergleich besonders stark treffen würden, können die dargestellten Effekte für die Europäische Union als mögliche Untergrenze für Auswirkungen auf deutsche NFU interpretiert werden. 

Für die Analyse zum Einfluss des fiskalischen Spielraums werden die zwei Blöcke des Modells auf den höher verschuldeten Teil (Süden) des Euroraums und den weniger stark verschuldeten Teil (Norden) des Euroraums kalibriert. Die Blöcke befinden sich damit in einer Währungsunion. In der Analyse werden die Effekte eines adversen Nachfrageschocks im höher verschuldeten Teil des Euroraums auf Unternehmensfinanzkennzahlen unter verschiedenen Annahmen zum fiskalischen Spielraum der jeweiligen Länder verglichen. Dabei wird der negative Nachfrageschock als persistenter Zeitpräferenzschock simuliert. Das mindert das BIP im Süden des Euroraums im Maximum um rund 2,7 %. Es wird angenommen, dass die Länder des Südens mit einer antizyklischen Fiskalpolitik in Form einer Erhöhung des Anteils der Staatsaugaben am BIP um rund 1,2 Prozentpunkte reagieren. Beide Werte orientieren sich an den empirischen Schätzungen von Schmitt-Grohé und Uribe (2017). Ist der fiskalpolitische Spielraum eingeschränkt, entfällt diese antizyklische Fiskalpolitik als Reaktion auf den Schock. Ist der fiskalische Spielraum komplett aufgebraucht, müssen die höher verschuldeten Staaten trotz des negativen Nachfrageschocks sogar konsolidieren. Dadurch verschärft sich die Krise prozyklisch. Die fiskalische Konsolidierung wird wie in Erceg und Lindé (2013) als Reduktion der staatlichen Verschuldungsquote um 25 Prozentpunkte in zehn Jahren durch Staatsausgabenkürzungen modelliert. 

Beschreibung der Methodik zur Analyse der Betroffenheit deutscher Industriebranchen von US-Zöllen und Kreditexposure deutscher Banken 105

Zur Bewertung der Betroffenheit einzelner Sektoren gegenüber der US-Zollpolitik nutzt die Analyse die Außenhandelsstatistik des Statistischen Bundesamts. 106 Für jedes Produkt, identifiziert durch eine achtstellige Warennummer, ist der Wert der Ausfuhren in Euro in die USA im Jahr 2024 verfügbar. Gemäß der Handelsvereinbarung zwischen der Europäischen Union und den USA vom 21. August 2025 gelten für Einfuhren von Stahl- und Aluminiumprodukte Zölle in Höhe von 50 % sowie 15 % auf Einfuhren anderer Warengruppen. Ausnahmen sind vorgesehen für in den USA nicht-verfügbare natürliche Rohstoffe (inklusive Kork), alle Flugzeuge und Flugzeugteile, Generika und ihre Bestandteile und chemische Vorläuferstoffe. 107 Die von den Zöllen ausgenommenen Produkte und deren Warennummern wurden in der Veröffentlichung des US-amerikanischen Handelsministeriums in Annex 1 aufgelistet. 108 Die Ausnahmen auf einzelne Produkte wurden bei der Berechnung der Zollbelastung der einzelnen Branchen in der Analyse berücksichtigt.

Um die von deutschen Unternehmen in die USA ausgeführten Produkte den jeweiligen Branchen zuzuordnen, wird eine Korrespondenztabelle vom Statistischen Bundesamt genutzt. Diese erlaubt eine Zuordnung der einzelnen Produkte zu den Wirtschaftsbranchen gemäß Güterverzeichnis für Produktionsstatistiken, deren zweistellige Abteilungen der europäischen Sektorklassifikation NACE (Nomenclature statistique des activités économiques dans la Communauté européenne) entspricht. Nach Abschluss der branchenspezifischen Zuordnung wird der Wert aller Ausfuhren in die USA, abzüglich der von Zöllen ausgenommenen Produkte, auf Branchenebene aggregiert. Die Normalisierung der absoluten Werte aller von US-Zöllen betroffenen Produkte erfolgt durch Bildung des Quotienten (in Prozent) relativ zum gesamten sektoralen Produktionswert gemäß Input-Output-Statistik des Statistischen Bundesamts. Anschließend werden für die weitere Auswertung nur Branchen herangezogen, die substanziell von den Zöllen betroffen sind. Als Schwellenwert wird hier eine Betroffenheit von US-Zöllen in Höhe von mindestens 2 % des Produktionswerts des einzelnen Sektors festgelegt.

Um den Anteil der Kreditexposures deutscher Banken gegenüber den betroffenen Branchen zu quantifizieren (Y-Achse der Abbildung), wird auf das Eurosystem-Kreditregister AnaCredit zurückgegriffen. Die Verknüpfung der von US-Zöllen betroffenen Sektoren mit AnaCredit erfolgt über die zweistelligen NACE-Codes. Die Auswertung nutzt die Daten zum Kreditexposure deutscher Banken gegenüber nicht-finanziellen Unternehmen am aktuellen Rand (Juli 2025). Für jedes in AnaCredit berichtete Instrument wird der Schuldneranteil am ausstehenden Kreditbetrag herangezogen. Als Kreditgeber berücksichtigt werden ausschließlich nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften mit Sitz im Inland.

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