Kurzberichte: Konjunkturlage und Öffentliche Finanzen Monatsbericht – April 2025
Veröffentlicht am 24.4.2025
Kurzberichte: Konjunkturlage und Öffentliche Finanzen Monatsbericht – April 2025
1 Konjunkturlage
1.1 Deutsche Konjunktur zuletzt leicht stabilisiert, Aussichten aber deutlich eingetrübt
Die Wirtschaftsleistung in Deutschland dürfte sich im ersten Quartal 2025 leicht erhöht haben, könnte im zweiten Quartal aber einen Rückschlag erleiden. Im ersten Quartal 2025 dürfte das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) nach dem Rückgang im Vorquartal saisonbereinigt 1 leicht zugenommen haben. Darauf deutet die zuletzt gestiegene Produktion in der Industrie und im Bau hin. Auch die Dienstleister dürften ihre Aktivität etwas ausgeweitet haben, möglicherweise gestützt durch einen geringfügig höheren privaten Konsum. So stiegen etwa die realen Umsätze im Einzelhandel im Januar und Februar weiter an. Die konjunkturelle Grundtendenz stellt sich aber insgesamt weiter schwach dar. Während sich die Nachfrage im Bau von einem sehr gedrückten Niveau aus zwar bereits erholte, blieb die Nachfrage nach deutschen Industrieprodukten aus dem In- und Ausland schleppend. Die niedrige Kapazitätsauslastung in der Industrie belastet die Investitionsneigung der Unternehmen. Der Arbeitsmarkt schwächt sich ab und dämpft die Konsumlaune der Verbraucherinnen und Verbraucher. Im März gab es zwar positive Signale von der Unternehmensstimmung. So stieg das ifo Geschäftsklima merklich und auf breiter Basis. Vor allem die Geschäftserwartungen hellten sich auf. Zudem lag der Einkaufsmanagerindex von S&P Global für März sowohl im Dienstleistungssektor als auch im Verarbeitenden Gewerbe über der Expansionsschwelle. Allerdings dürfte dabei die mit den Grundgesetzänderungen absehbare, deutlich expansivere Ausrichtung der künftigen Fiskalpolitik eine wichtige Rolle gespielt haben. Größere stützende Effekte der Fiskalpolitik sind für die Wirtschaftsleistung aber mit zeitlicher Verzögerung zu erwarten. Kurzfristig droht hingegen zusätzlicher Gegenwind für die Exportwirtschaft durch die US-Zollpolitik. Die jüngsten Entwicklungen und die daraus resultierenden starken Reaktionen an den Finanzmärkten waren in den März-Stimmungsindikatoren noch nicht berücksichtigt. Der Einkaufsmanagerindex von S&P Global sank im April spürbar. 2 Insgesamt ist aus heutiger Perspektive zu erwarten, dass die Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal wieder sinken wird.
1.2 Leichte Erholung der Industrieproduktion voraussichtlich nur vorübergehend
Die Industrieproduktion stieg im Mittel der ersten beiden Monate des laufenden Jahres im Vergleich zum Vorquartal etwas. Die Industrieproduktion ging im Februar im Vergleich zum Vormonat saisonbereinigt zwar leicht zurück. Sie lag jedoch im Durchschnitt von Januar und Februar etwas über dem schwachen Stand des vierten Quartals 2024. Hinter diesem Zuwachs steht eine recht heterogene Entwicklung in den einzelnen Bereichen. Die Produktion von Vorleistungsgütern lag zwar wie die Produktion insgesamt etwas über dem Vorquartal. Allerdings stieg die Produktion chemischer Erzeugnisse kräftig, während die Metallbranche deutlich hinter dem Durchschnitt des Vorquartals zurückblieb. Die Produktion von Konsumgütern erhöhte sich kräftig gegenüber dem Vorquartal. Dagegen wurden im Mittel von Januar und Februar etwas weniger Investitionsgüter hergestellt. Das gilt auch für die Produktion von Kraftfahrzeugen, die im Februar nicht weiter zulegte. Im Januar war es hier nach einem sehr schwachen Dezember zu einer positiven Gegenbewegung gekommen. Die vom Verband der Automobilindustrie für März gemeldeten Stückzahlen produzierter Personenkraftwagen lassen aber auf ein leicht verbessertes Quartalsergebnis für den Kraftfahrzeugsektor hoffen.
Die Nachfrage nach Industrieerzeugnissen stagniert in der Grundtendenz nur noch auf niedrigem Niveau. Der industrielle Auftragseingang verharrte im Februar auf dem niedrigen Niveau des Vormonats. Damit lag er im Mittel der ersten beiden Monate spürbar unter dem Stand des Vorquartals. Dies gilt sowohl für Bestellungen aus dem Ausland als auch aus dem Inland. Die leichten Erholungstendenzen des vergangenen Jahres erlitten damit einen Rückschlag. Dabei spielte zwar eine Rolle, dass sich die zuvor reichlich eingehenden Großaufträge abschwächten. Aber auch im Kern – also ohne die volatilen Großaufträge – war der Auftragseingang leicht rückläufig. In der Grundtendenz lässt sich somit lediglich eine Seitwärtsbewegung auf schwachem Niveau feststellen. Auch wenn die Nachfrage nach deutschen Industrieerzeugnissen aus dem Ausland insgesamt schwach war, stiegen die preisbereinigten Warenexporte im Februar deutlich und lagen auch im Mittel der ersten beiden Monate des Jahres merklich über dem Vorquartal. Kräftige Impulse kamen von den Ausfuhren in die USA. Hier könnten Vorzieheffekte aufgrund der Zollankündigungen durch die US-Regierung eine Rolle gespielt haben. Dies dürfte jedoch im zweiten Quartal entsprechende Rückschläge nach sich ziehen, soweit es aufgrund der für 90 Tage ausgesetzten, über den Basiszoll von 10 % hinausgehenden, zusätzlichen "reziproken Zölle" nicht erneut zu Vorzieheffekten kommt. Insgesamt bleibt der kurzfristige Ausblick für das Exportgeschäft und die Industrie angesichts der Zollpolitik der US-Regierung trüb.
1.3 Im Bau könnte Talsohle erreicht sein
Die Produktion im Bau sank im Februar im Vergleich zum Vormonat zwar kräftig, lag im Durchschnitt der ersten beiden Monate des Jahres jedoch deutlich über dem vierten Quartal 2024. Der Anstieg in den ersten beiden Monaten des ersten Quartals wird ausschließlich vom Ausbaugewerbe getragen. Im Hochbau sank die Produktion im Februar dagegen sogar auf den tiefsten Stand seit Februar 2018. Der Tiefbau lief nach wie vor deutlich besser als der Hochbau, aber auch hier sank die Produktion in den ersten beiden Monaten des Jahres im Vergleich zum Vorquartal etwas. Dem witterungsbedingt hohen Produktionswert im Januar folgte ein schwacher Februar.
Die verbesserte Auftragslage der letzten Monate lässt allerdings auf eine Bodenbildung hoffen. Die Aufträge im Tiefbau folgten im vergangenen Jahr durchweg einem Aufwärtstrend. In den letzten Monaten zeigte nun auch der Hochbau erste positive Tendenzen. Zudem nahmen die Baugenehmigungen im Wohnungsbau im Januar und Februar leicht zu und lagen im Mittel deutlich über dem Vorquartal, in dem sie bereits kräftig angestiegen waren. Die Stabilisierung im Wohnungsmarkt, die sich im vergangenen Jahr bereits im Gefolge der weniger restriktiven Geldpolitik bei den Wohnimmobilienpreisen und den Wohnungsbaukrediten zeigte, wird damit auch in den ersten Frühindikatoren für die Neubauaktivität sichtbar. 3 Allerdings dürfte es bis zu einer nachhaltigen Erholung der Bauproduktion noch etwas dauern. Kurzfristig könnte die Nachfrage im Wohnungsbau durch die seit Jahresbeginn wieder spürbar gestiegenen Angebotszinsen für Hypothekenkredite gedämpft werden. Die angestrebten Infrastrukturinvestitionen aus dem neuen Sondervermögen des Bundes dürften erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung zu mehr Auftrieb in der Bauwirtschaft führen und vor allem den Tiefbau betreffen. Insgesamt sind daher die kurzfristigen Perspektiven für den Bau noch recht verhalten.
1.4 Arbeitsmarkt schwächt sich ab
Die Beschäftigung ist im Februar wie schon zu Jahresbeginn geringfügig gesunken. Saisonbereinigt gingen etwa 10 000 Personen weniger einer Erwerbstätigkeit nach als im Januar. Hinter der – angesichts der konjunkturellen und strukturellen Herausforderungen – moderaten Beschäftigungsreduktion steht in erster Linie ein Minus bei den Selbstständigen, während die Zahl der Arbeitnehmer nahezu konstant blieb. Die Zahl der ausschließlich geringfügig Beschäftigten stabilisierte sich nach einem Rückgang im Herbst zuletzt. Dagegen verringerte sich der aktuellen Hochrechnung zufolge, die sich allerdings auf Januar bezieht, die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nennenswert. Im Verarbeitenden Gewerbe gingen im Januar der ersten Schätzung zufolge besonders viele Arbeitsplätze verloren. Auch in der Arbeitnehmerüberlassung, deren Beschäftigte häufig in der Industrie eingesetzt werden und die bereits seit nahezu drei Jahren Stellen abbaut, sank die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung spürbar. Die ausgeprägte Dichotomie zwischen den Wirtschaftssektoren hielt an. In einigen Dienstleistungsbranchen wurde weiter eingestellt, insbesondere im Gesundheits- und Pflegebereich sowie in der Energieversorgung. Die Kurzarbeit verharrte, von saisonüblichen Schwankungen abgesehen, auf ihrem nur leicht erhöhten Niveau. Ein massiver Einsatz ist aufgrund der eher strukturellen Probleme der Unternehmen auch nicht zu erwarten.
Eine baldige Erholung am Arbeitsmarkt lässt sich aus den Frühindikatoren der Beschäftigung nicht ableiten. Das ifo Beschäftigungsbarometer, welches die Personalplanungen der gewerblichen Wirtschaft für die nächsten drei Monate abbildet, fiel im März erneut und befindet sich weit im negativen Bereich. Es überwiegen die Personalabbaupläne. Das betrifft weiterhin vor allem das Verarbeitende Gewerbe und den Handel. Das IAB-Barometer Beschäftigung – welches stärker auf die Gesamtwirtschaft ausgerichtet ist – hielt sich im neutralen Bereich. Demnach dürfte die Beschäftigung insgesamt weitgehend stabil bleiben. Der Zugang neuer gemeldeter Stellenofferten stabilisierte sich auf dem erreichten niedrigen Niveau. Die Einstellungsrate dürfte weiter niedrig bleiben. Insbesondere die Wahrscheinlichkeit, aus der Arbeitslosigkeit in Beschäftigung zu wechseln, ist weiterhin sehr gering.
Die Arbeitslosigkeit stieg im März stärker als im Durchschnitt der vorangegangenen Monate. Saisonbereinigt gab es mit 2,92 Millionen Arbeitslosen rund 26 000 mehr registrierte Arbeitslose als im Februar. Die Arbeitslosenquote stieg um 0,1 Prozentpunkte auf 6,3 %. Die von der BA ausgewiesene Zahl der Unterbeschäftigten, welche Personen in entlastenden Arbeitsmarktmaßnahmen einschließt, erhöhte sich weniger deutlich. Somit dürfte zumindest ein Teil des vergleichsweise starken Anstiegs einer geringeren Zahl an arbeitsmarktpolitisch entlastenden Maßnahmen oder Integrations- und Sprachkursen zuzuordnen sein. Gleichwohl wächst langsam das Risiko, aus Beschäftigung heraus arbeitslos zu werden. Das trägt für sich genommen zu einer steigenden Arbeitslosigkeit bei. Allerdings ist das Niveau der Entlassungswahrscheinlichkeit im langfristigen Vergleich immer noch eher niedrig. Das IAB-Barometer Arbeitslosigkeit sank auch im März weiter und befindet sich tief im negativen Bereich, der für eine steigende Arbeitslosigkeit in den nächsten drei Monaten steht.
1.5 Energierohstoffpreise zuletzt auf breiter Front merklich gesunken
Die Energierohstoffpreise gaben zuletzt auf breiter Front merklich nach. Maßgeblich dafür waren vor allem Nachfragesorgen infolge der jüngsten Zollankündigungen der US-Regierung. So kostete Rohöl der Sorte Brent zum Abschluss dieses Berichts 70 US-$ und damit rund 9 % weniger als noch im Februar. Hierzu trug auch die Entscheidung einiger OPEC-Staaten bei, ihre Förderung stärker als zuvor angekündigt auszuweiten. Gas in Europa kostete zuletzt 35 € je Megawattstunde und damit rund ein Drittel weniger als noch im Februar. Auch andere Rohstoffpreise gaben zuletzt spürbar nach.
1.6 Inflationsrate sank im März auf 2,3 %
Auf den vorgelagerten Wirtschaftsstufen zeigt sich der Rückgang bei den Energierohstoffpreisen bisher nur teilweise. Nachdem die Einfuhrpreise zu Jahresbeginn kräftig angestiegen waren, zogen sie im Februar im Vormonatsvergleich nur noch leicht an. Die Verteuerung beruhigte sich sowohl insgesamt als auch ohne Energie. Im gewerblichen Inlandsabsatz, für den bereits Angaben zum März vorliegen, gingen die Preise insgesamt getrieben von einem kräftigen Preisrückgang bei Energie spürbar zurück. Ohne Energie stiegen die Preise leicht an. Gegenüber dem Vorjahr lagen die Preise bei den Einfuhren um rund 3,5 % höher, im gewerblichen Inlandsabsatz dagegen geringfügig niedriger.
Die Inflationsrate sank im März erneut. Der Harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI) erhöhte sich im März saisonbereinigt gegenüber dem Vormonat um 0,2 %, nach 0,3 % im Februar. Infolge der niedrigeren Ölpreise und der Aufwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar gaben die Preise für Energie merklich nach. Der Preisanstieg bei Nahrungsmitteln schwächte sich ebenfalls ab. Zudem verteuerten sich Dienstleistungen weniger stark als in den Vormonaten. Dies lag aber vor allem an rückläufigen Preisen für Reisen. Bei den weniger volatilen Dienstleistungskomponenten blieb die Verteuerung spürbar. Bei Industriegütern ohne Energie zogen die Preise wieder stärker an als im langfristigen Durchschnitt. In den letzten beiden Monaten waren sie dagegen noch gesunken. In der Vorjahresbetrachtung fiel die Gesamtrate deutlich auf 2,3 %. 4 Die Kernrate ohne Energie und Nahrungsmittel sank erstmals seit Längerem unter 3 % und erreichte 2,8 %, nach 3,1 %.
Der Inflationsausblick ist momentan von besonderer Unsicherheit geprägt. Die Preise an den Energiemärkten sind in jüngerer Zeit – bei großer Volatilität – tendenziell gesunken, und der Euro hat gegenüber dem US-Dollar tendenziell aufgewertet. Legt man den aus Terminnotierungen abgeleiteten Ölpreispfad und den US-Dollar/Euro-Wechselkurs zum Abschluss dieses Berichts zugrunde, dürfte die Inflationsrate in nächster Zeit noch etwas niedriger ausfallen.
2 Öffentliche Finanzen
2.1 Zur Maastricht-Verschuldung Deutschlands
2024 sind die deutschen Staatsschulden um 57 Mrd € auf 2,69 Billionen € gestiegen. 5 Die Schulden des Bundes nahmen um 36 Mrd € zu. Der Schuldenzuwachs der Länder und Gemeinden lag bei 15 Mrd € beziehungsweise 14 Mrd €. Dabei stieg auch die Verschuldung zwischen den Teilsektoren des Staates. Da diese in der gesamtstaatlichen Betrachtung herausgerechnet (konsolidiert) wird, stieg der Gesamtschuldenstand weniger als die aufsummierten Schulden der einzelnen Ebenen.
Die deutsche Staatsschuldenquote lag 2024 mit 62,5 % etwas niedriger als im Vorjahr. Der Rückgang der Schuldenquote um 0,4 Prozentpunkte ist auf den Anstieg des nominalen BIP (im Nenner) zurückzuführen. Dieser senkte die Schuldenquote für sich genommen um 1,8 Prozentpunkte und überwog den Effekt der gestiegenen Schulden.
Der Schuldenanstieg um 57 Mrd € lag deutlich niedriger als das gesamtstaatliche Maastricht-Defizit (119 Mrd €). Ausschlaggebend dafür war, dass Deutschland einen großen Teil seines Defizits durch Rückgriff auf vorhandene Bankeinlagen finanzierte. Zudem konnte der Bund seine Schuldenaufnahme begrenzen, weil er Rückzahlungen von zuvor vergebenen Hilfskrediten erhielt (aus der Corona-Pandemie und zur Stützung des Energiesektors). Solche Rückzahlungen verändern das Maastricht-Defizit nicht (finanzielle Transaktionen), mindern aber den Bedarf für neue Schulden zu dessen Finanzierung. Spiegelbildlich hatte der Bund in den Vorjahren Schulden aufgenommen, um die Darlehensvergaben zu finanzieren. Dies erhöhte den Schuldenstand, ohne dass das Defizit betroffen war.
Exkurs
Wie sich die "Maastricht-Schulden" von den "finanzstatistischen Schulden" unterscheiden
Es gibt konzeptionelle Unterschiede zwischen dem "Maastricht-Schuldenstand" und dem vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten "finanzstatistischen Schuldenstand". Der finanzstatistische Schuldenstand entspricht den Schulden des Öffentlichen Gesamthaushalts gegenüber dem nicht öffentlichen Bereich. Diese Angaben werden vom Statistischen Bundesamt erhoben und veröffentlicht. 1 Der Maastricht-Schuldenstand baut auf diesem finanzstatistischen Schuldenstand auf, ist aber methodisch weiter abgegrenzt. 2024 lag der Maastricht-Schuldenstand um 180 Mrd € höher.
Die Abgrenzung des Maastricht-Schuldenstands wurde auf europäischer Ebene vereinbart, um diesen europaweit vergleichbar abzubilden. Daraus folgen zahlreiche Zusetzungen zum finanzstatistischen Schuldenstand. Dabei unterscheidet sich die Abgrenzung der einbezogenen staatlichen Schuldner nicht nennenswert. Unterschiede ergeben sich vor allem daraus, welche Sachverhalte schuldenrelevant sind und gegenüber welchen Gläubigergruppen Schulden berücksichtigt werden. Ausgewählte zuletzt gewichtigere Überleitungspositionen sind im Folgenden kurz erläutert. Detailliertere Informationen finden sich im Aufsatz "Die Maastricht-Schulden: methodische Grundlagen sowie die Ermittlung und Entwicklung in Deutschlands". 2
Im Gegensatz zur finanzstatistischen Abgrenzung werden dem Maastricht-Schuldenstand einzelne Transaktionen öffentlicher Einrichtungen oder Unternehmen zugerechnet, die selbst nicht im Staatssektor erfasst sind (sogenanntes Rerouting, Position (1) in der Tabelle). Dies ist der Fall, wenn der Staat diese Einheiten beauftragt, konkrete Kredite zu vergeben oder Beteiligungen zu erwerben und diese Transaktionen auch zu finanzieren. Dabei liegen die Risiken und somit letztlich das ökonomische Eigentum in der Regel beim Staat. Die mit 54 Mrd € umfangreichsten Rerouting-Verbindlichkeiten resultieren aus der Kreditvergabe der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (European Financial Stability Facility, EFSF) an Mitgliedstaaten der Währungsunion im Zuge der Staatsschuldenkrise. 3 Daneben handelt es sich bei den Rerouting-Verbindlichkeiten in den meisten Fällen um einzelne Transaktionen der Kreditanstalt für Wiederaufbau und der Förderbanken der Länder, die diese für den Staat unternehmen.
Tabelle 1.1: Vom finanzstatistischen Schuldenstand zur Maastricht-Verschuldung in Mio €
(5) nachträgliche Anpassungen aufgrund von Reklassifizierungen
25 822
24 803
- 98
0
(6) trägerfinanzierte Kredite kommunaler, aber nicht staatlicher Einheiten
11 566
11 828
11 584
11 584
(7) Münzumlauf
10 643
10 777
11 046
11 281
(8) ausgewählte Verwahrkonten
10 926
10 558
10 021
10 493
(9) ÖPP/EPC-Projekte
8 613
9 061
9 633
9 963
(10) sonstige Zusetzungen und Korrekturen
5 550
7 063
10 874
9 755
Maastricht-Schuldenstand
2 503 656
2 570 847
2 632 103
2 688 879
1 Aus den Statistischen Berichten "Schulden des Öffentlichen Gesamthaushalts" (2021 bis 2023) sowie "Vierteljährliche Schulden des Öffentlichen Gesamthaushalts" (2024) des Statistischen Bundesamtes. Die „Schulden beim nicht öffentlichen Bereich“ entsprechen dem finanzstatistischen Schuldenstand.
Ebenfalls im Maastricht-Schuldenstand enthalten sind staatliche Kreditverbindlichkeiten gegenüber sämtlichen öffentlichen Unternehmen, die nicht zum Staatssektor zählen ("sFEU" 4 , Position (2) in der Tabelle). Die finanzstatistischen Schulden enthalten dagegen keine Kreditverbindlichkeiten gegenüber öffentlichen nichtfinanziellen Gläubigern.
Der Maastricht-Schuldenstand fällt dagegen insoweit niedriger aus, als die staatlichen Wertpapiere konsolidiert (herausgerechnet) werden, die andere staatliche Einheiten halten – wenn zum Beispiel ein staatlicher Pensionsfonds eine Bundesanleihe hält (Position (3) in der Tabelle). Der finanzstatistische Schuldenstand ist dagegen nicht konsolidiert.
Die weiteren Überleitungspositionen umfassen insbesondere folgende Positionen, die dem Maastricht-Schuldenstand zugesetzt werden:
Kapitalindexierung inflationsindexierter Wertpapiere (Position 4): Inflation erhöht die Tilgungsverpflichtungen des Bundes für inflationsgesicherte Bundesanleihen. Die Maastricht-Verschuldung erhöht sich um solche bereits aufgelaufenen Tilgungsaufschläge.
Anpassungen aufgrund von Reklassifizierungen (Position 5): Welche öffentlichen Einheiten zum Sektor Staat gehören, wird jährlich rückwirkend überprüft. 5 Wechseln Einheiten nachträglich in den Staatssektor, erhöhen ihre Schulden auch die Maastricht-Schuldenstände von Vorjahren. 6 Bei einem nachträglichen Wechsel aus dem Staatssektor heraus, vermindern sich die Maastricht-Schulden entsprechend. Die finanzstatistischen Schuldenstände ignorieren dagegen später vorgenommene Reklassifizierungen.
Trägerfinanzierte Kredite kommunaler Einheiten (Position 6): In einigen Fällen nehmen Kommunen Kredite für rechtlich unselbstständige Eigenbetriebe auf, die selbst nicht zum Staatssektor zählen. Wenn nur die Eigenbetriebe diese Kredite erfassen, schlagen sie sich auch nicht im finanzstatistischen Schuldenstand nieder. Im Maastricht-Schuldenstand sind solche Konstellationen dagegen berücksichtigt.
Münzumlauf (Position 7): In Deutschland hat der Bund das Recht zur Münzausgabe. Entsprechend gehen Verbindlichkeiten in Höhe des Münzumlaufs in den Maastricht-Schuldenstand ein.
Ausgewählte Verwahrkonten (Position 8): Hierbei handelt es sich um Verbindlichkeiten des Staates, soweit auf staatlichen Verwahrkonten Personen oder nicht zum Staatssektor zählende Einheiten Einlagen erbracht und damit einen Anspruch gegen den Staat haben (zum Beispiel Hinterlegungen bei Gerichten).
ÖPP/EPC-Projekte (Position 9): Hierbei handelt es sich um Schulden aus öffentlich-privaten Partnerschaften (ÖPP) und Energieleistungsverträgen (EPC). In beiden Fällen kommt es regelmäßig zu privaten (Ko-)Finanzierungen (Schuldenaufnahmen) staatlicher Investitionsprojekte. Unabhängig von der konkreten Fallgestaltung erhöhen auch die privat finanzierten Anteile den Maastricht-Schuldenstand Deutschlands.
2.2 Zum Anteil Deutschlands an der Verschuldung der EU-Institutionen 2024
Deutschland ist auch an Kreditaufnahmen auf EU-Ebene beteiligt, die sich nicht in seinen Maastricht-Schulden niederschlagen. Diese gemeinsame Verschuldung der EU-Mitgliedstaaten stieg 2024 weiter an. Dazu trug vor allem bei, dass die EU weitere Kredite für Transfers des Extrahaushalts Next Generation EU (NGEU) aufnahm. Zudem spielten gemeinsame Kredite (Makrofinanzhilfen) an die Ukraine eine zunehmende Rolle.
Für eine umfassende Analyse der nationalen Staatsfinanzen sind die gemeinsamen europäischen Schulden ebenso ins Bild zu nehmen wie die zuvor dargestellten nationalen Maastricht-Schulden. Denn die Mitgliedstaaten müssen gemeinsame Schulden ebenso wie nationale Schulden bedienen und dazu die nötigen Mittel aufbringen. Nach heutigem Stand werden sie dafür höhere Beiträge zum EU-Haushalt zahlen, die sich derzeit an ihren Anteilen am EU-BNE orientieren. Daher rechnet die Bundesbank Deutschland die gemeinsamen Schulden in Höhe seines Anteils am EU-BNE zu.
Als Maß für die gemeinschaftlichen Lasten verwendet die Bundesbank die um Forderungen gegenüber einzelnen Mitgliedstaaten konsolidierten Schulden der EU-Institutionen. 6 Dazu zählen vor allem Schulden für NGEU-Transfers oder für Kredite an Nicht-EU-Staaten (Makrofinanzhilfen). Hier nicht berücksichtigt sind hingegen Schulden, die die EU aufnimmt und als Kredite an einzelne Mitgliedstaaten weiterreicht, wie zum Beispiel NGEU-Kredite oder Kredite des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Diese Kredite erhöhen damit nur den nationalen Schuldenstand der kreditnehmenden Mitgliedstaaten, die auch den Schuldendienst leisten.
Die konsolidierte EU-Verschuldung lag Ende 2024 bei schätzungsweise 282 Mrd € oder knapp 1,6 % des EU-BNE (siehe Abbildung 1.5). 7 Darin enthalten sind 257 Mrd € an Krediten für NGEU-Transfers, 50 Mrd € an Makrofinanzhilfen und 45 Mrd € an Krediten für noch nicht ausgezahlte NGEU-Leistungen. Die Summe aus diesen Schulden (352 Mrd €) wird durch einen negativen Restposten geschmälert. Er umfasst vor allem Anleihebestände des ESM und des Bankenabwicklungsfonds (Single Resolution Fund, SRF) sowie Einlagen, die die Europäische Kommission direkt bei den Mitgliedstaaten hält. Da diesen Forderungen keine Verbindlichkeiten gegenüberstehen, mindern sie die konsolidierte EU-Verschuldung. Es gibt keine öffentlichen Angaben zur Höhe der im Restposten enthaltenen Positionen. Daher liegt der Bundesbank-Schätzung die Annahme zugrunde, dass der Restposten 2024 unverändert zum Vorjahr 70 Mrd € betrug. Seine tatsächliche Höhe wird sich erst mit den Eurostat-Zahlen zur EU-Verschuldung 2024 ermitteln lassen.
Gegenüber dem Vorjahr stieg die konsolidierte EU-Verschuldung 2024 damit um 113 Mrd €. Davon entfallen 97 Mrd € auf die Schuldenaufnahme für NGEU-Transfers und noch nicht ausgezahlte NGEU-Leistungen. Hinzu kamen zusätzliche gemeinsame europäische Kredite an die Ukraine von rund 17 Mrd € (Makrofinanzhilfen).
Der deutsche Anteil am konsolidierten EU-Schuldenstand belief sich 2024 auf schätzungsweise 70 Mrd € oder 1,6 % des deutschen BIP (siehe Schaubild 1.6). 8 Gemeinsam mit der nationalen Verschuldung (62,5 % des BIP) ergab sich damit eine erweiterte Schuldenquote von 64,1 %.Dieser Zuordnung liegt der deutsche Anteil am EU-BNE von aktuell 25 % zugrunde. Die zuzurechnende EU-Verschuldung ist durch die Schuldenaufnahme für NGEU-Transfers seit 2021 gestiegen. Damit sank die erweiterte deutsche Schuldenquote 2021 bis 2024 weniger stark als die Maastricht-Kennzahl. Bis Ende 2026 dürfte der deutsche Anteil am konsolidierten EU-Schuldenstand durch weitere Schuldenaufnahmen für NGEU-Transfers um bis zu 0,8 Prozentpunkte weiter zunehmen. Er könnte dann bei unverändertem BNE-Anteil rund 105 Mrd € betragen.
2.3 Kommunalfinanzen
2.3.1 Entwicklung in 2024
Die Kommunen (Kern- und Extrahaushalte) schlossen das Jahr 2024 stark verschlechtert mit einem sehr hohen Defizit ab. Das Defizit wuchs von 6½ Mrd € (2023) auf 25 Mrd €. Dabei stiegen wichtige Einnahmen angesichts der gebremsten Wirtschaftsentwicklung schwach. Gleichzeitig war der Ausgabendruck breit angelegt und hoch. Dabei dürften sich auch die zuvor hohen Inflationsraten noch zeitverzögert niedergeschlagen haben. Aufgrund eines statistischen Bruchs ist die Einnahmen- und Ausgabenentwicklung der Kommunen im Jahr 2024 nur begrenzt aussagefähig (vgl. nachstehenden Exkurs).
Exkurs
Statistische Umgruppierung des öffentlichen Personennahverkehrs zu den Kommunen mit starken Effekten auf Einnahmen- und Ausgabenzuwächse
Insgesamt ist die Analyse der Kommunalfinanzen durch einen Sondereffekt erschwert: Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs gehören seit dem zweiten Quartal 2023 als Extrahaushalte zum Staatssektor (zuvor gehörten sie zum Privatsektor). Diese Unternehmen werden dem Staatssektor zugeordnet, weil der Staat sie nun über die starke Subventionierung des Deutschlandtickets maßgeblich finanziert.
Infolge der Eingliederung in die kommunalen Extrahaushalte erhöhten sich insbesondere deren Einnahmen aus Gebühren sehr deutlich. Ausgabenseitig wuchsen die Personalausgaben, der laufende Sachaufwand und die Sachinvestitionen besonders stark.
Da die umgruppierten Einheiten wohl regelmäßig mehr oder weniger ausgeglichen abschließen, ändert sich das Defizit der Kommunen nur wenig. Schulden der Unternehmen in Höhe von 6 Mrd € erhöhen nunmehr aber den kommunalen Schuldenstand.
Auf der Einnahmenseite entwickelten sich sowohl die Steuern als auch die Schlüsselzuweisungen der Länder schwach. So erhöhten sich die Steuereinnahmen der Gemeinden nur um 1½ %. Ausschlaggebend dafür war, dass die gewichtige Gewerbesteuer kaum zunahm (+ ½ %). Das Niveau der Steuereinnahmen in Relation zur Wirtschaftsleistung lag aber nach wie vor vergleichsweise hoch. Auch die Schlüsselzuweisungen der Länder wuchsen mit 2 % schwach.
Die Ausgaben wuchsen in allen größeren Bereichen stark. Dies galt auch für die Kernhaushalte, die von der statistischen Umgruppierung nicht betroffen waren. Bei den gewichtigen Personalausgaben schlug insbesondere die kräftige Tarifanhebung zum März 2024 zu Buche. Auch die Ausgaben für Sozialleistungen wuchsen kräftig. Dies hing unter anderem mit höheren Leistungssätzen, aber auch mit einem Kostenanstieg in Einrichtungen zusammen. Auch der laufende Sachaufwand und die Sachinvestitionen legten in den Kernhaushalten deutlich zu. Nicht zuletzt stiegen die Zinsausgaben wieder spürbar.
Die kommunalen Schulden erhöhten sich kräftig. Die Schulden beim nicht öffentlichen Bereich stiegen um 15 Mrd € auf 169 Mrd €. 9 Dämpfend schlug das Teilentschuldungsprogramm von Rheinland-Pfalz zu Buche. Das Land hatte von seinen Kommunen Kassenkredite von 3 Mrd € übernommen. 10 Ohne Rheinland-Pfalz stiegen die Kassenkredite der Kommunen um 5 Mrd €. Davon entfiel die Hälfte auf die Gemeinden in Nordrhein-Westfalen. Dort waren die landesdurchschnittlichen Kassenkredite mit 1 200 € pro Kopf am höchsten. 11
Der Schuldenanstieg fiel deutlich niedriger aus als das Defizit. Die Differenz in einer Größenordnung von 10 Mrd € lässt sich teilweise auf das Entschuldungsprogramm in Rheinland-Pfalz zurückführen. Generell lösen Gemeinden auch Rücklagen (Kassenmittel) auf, um ein Defizit zu finanzieren. Allerdings blieb der Einsatz dieser Finanzierungsform im letzten Jahr ausweislich der zusammengefassten Erhebungsbögen zu Einnahmen und Ausgaben eng begrenzt. Somit bleibt ein großer Teil der beobachteten Abweichung zwischen Defizit und Schuldenstandsentwicklung letztlich unerklärt.
2.3.2 Ausblick
Die Finanzlage der Gemeinden bleibt im laufenden Jahr angespannt. Das Defizit sollte zwar sinken, der Rückgang ist aber schwierig abzuschätzen. Die Steuereinnahmen der Gemeinden sollten nun etwas stärker zulegen. 12 Auch dürften die Personalausgaben angesichts der niedrigeren Tarifanhebungen vom April 2025 deutlich schwächer wachsen als im Vorjahr. 13 Und auch abgesehen davon sollten die Nachwirkungen der hohen Inflationsraten auf den Zuwachs der Gemeindeausgaben ausgelaufen sein. Die Gemeinden unterliegen zudem relativ engen Haushaltsregeln, die mit weiter hohen Defiziten schwer vereinbar scheinen. Daher wäre zu erwarten, dass die Gemeinden in den Ausgabenbereichen, in denen sie Spielräume haben, sparsamer sein werden. Dies betrifft kurzfristig insbesondere Investitionen und den laufenden Sachaufwand. Darüber hinaus können Gemeinden ihre Einnahmen weiter erhöhen, indem sie ihre Hebesätze von Grund- und Gewerbesteuer anheben. Umfassendere Auswertungen dazu liegen aber noch nicht vor.
Entscheidend mitverantwortlich für solide Finanzen ihrer Gemeinden sind die Länder. Zum Ersten kontrollieren sie deren Haushaltsplanungen und besitzen weitreichende Eingriffsrechte: Sie müssten deshalb darauf achten, dass die Gemeinden ihre Haushalte entsprechend den engen rechtlichen Vorgaben aufstellen. Zum Zweiten haben sie eine angemessene Finanzausstattung ihrer Gemeinden sicherzustellen. Insgesamt sind sie maßgeblich mitverantwortlich, dass strukturelle Haushaltsschieflagen vermieden werden. 14 Die höheren Neuverschuldungsspielräume für die Länder erleichtern zusätzliche Zuschüsse an die Gemeinden. Die Kredite des Infrastrukturfonds sollen allerdings zusätzliche Vorhaben finanzieren und nicht Haushaltslöcher stopfen. Andernfalls würden die Fondskredite das eigentliche Ziel einer Verbesserung der kommunalen Infrastruktur nicht erreichen.