Bei der staatlichen Defizit- und Schuldenquote sind derzeit nur moderate Änderungen angelegt; nach der Bundestagswahl sind aber neue Weichenstellungen zu erwarten.
Die Defizitquote dürfte 2024 leicht sinken (2023: 2,6 %), und auch für 2025 ist ohne neue Beschlüsse ein weiterer leichter Rückgang angelegt. Dahinter stehen stärkere, gegenläufige Entwicklungen.
Defizitsenkend wirkt, dass temporäre Hilfsmaßnahmen aus der Energiekrise entfallen. 2 Insgesamt erhöhten diese das Defizit im Jahr 2023 noch um rund 1½ % des BIP. Etwa die Hälfte dieser Lasten entfiel auf die Strom- und Gaspreisbremsen, die mit dem Jahr 2023 endeten. Ihr Ende dürfte nicht besonders restriktiv auf die konjunkturelle Entwicklung wirken, da die Preise für Gas und Strom auf den vorgelagerten Stufen wieder deutlich niedriger sind. Insoweit haben die Bremsen ähnlich wie ein automatischer Stabilisator gewirkt. Als zweitgewichtigster Posten entfällt zum Jahresende 2024 die Möglichkeit, vorübergehende Lohnbestandteile abgabenfrei auszuzahlen (Inflationsausgleichsprämien). Hierdurch kam es 2023 und 2024 zu deutlichen Mindereinnahmen des Staates.
Defiziterhöhend wirken hingegen Mehrausgaben in einigen Bereichen und die wirtschaftliche Schwächephase. So dürften aus den Sondervermögen Bundeswehrfonds und Klimafonds insgesamt deutlich mehr Mittel abfließen als 2023. Die genaue Entwicklung lässt sich dabei weiterhin schwer abschätzen. Die hohen Inflationsraten der letzten Jahre machen sich zeitverzögert vor allem noch in stark steigenden Personalausgaben bemerkbar, wobei der Öffentliche Dienst dem privaten Sektor nachläuft. Gleichzeitig verringern die niedrigere Preisdynamik sowie die realwirtschaftliche Schwäche für sich genommen die Zuwächse von Steuern und Sozialbeiträgen. Zudem steigen bedingt durch die Wirtschaftsschwäche vorübergehend die arbeitsmarktbedingten Aufwendungen. Außerdem wachsen die Ausgaben für Renten, Gesundheit und Pflege dynamisch. Insgesamt dürfte die Sozialversicherung ein Defizit aufweisen und ihre Rücklagen abbauen, und zwar trotz erheblich höherer Beitragssätze (vgl. auch den Exkurs "Sozialbeitragssätze steigen kräftig").
Die Schuldenquote könnte bis Ende 2025 moderat sinken (Ende 2023: 62,9 %). Der Rückgang verlangsamt sich gegenüber den beiden Vorjahren. Denn das nominale BIP im Nenner wächst deutlich langsamer, und die Defizitquote ist nur wenig niedriger. Ein kreditfinanziertes Generationenkapital würde für sich genommen die Schuldenquote erhöhen.
1.2 Finanzpolitik vor Herausforderungen
Die Perspektiven für die Staatsfinanzen hängen maßgeblich von Weichenstellungen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik ab. Einigkeit besteht darin, dass Deutschland vor bedeutenden Herausforderungen steht, insbesondere durch den demografischen Wandel, hohe Energiekosten sowie weltwirtschaftliche und geopolitische Entwicklungen. Der Staat ist dabei nicht zuletzt gefordert, adäquate Rahmenbedingungen für die soziale Marktwirtschaft zu gewährleisten. Hierbei kommt dem Bund eine wichtige Rolle zu. Aber auch Länder und Gemeinden sind in ihren jeweiligen Verantwortungsbereichen gefordert.
Aus Sicht der Bundesbank sind solide Staatsfinanzen und bindende Fiskalregeln zentral, um finanzpolitische und gesamtwirtschaftliche Resilienz zu gewährleisten und die aktuellen Herausforderungen zu bewältigen. Denn zu den adäquaten Rahmenbedingungen gehört hinzu, dass die Staatsschuldenquote in einem stabilitätskonformen Rahmen bleibt. Bindende Fiskalregeln haben die Aufgabe, dies abzusichern. Um die Staatsfinanzen auch angesichts der aktuellen Herausforderungen nicht zu überfordern, gilt es, Leistungen effizient zu erbringen sowie bestehende Ausgaben und abgabenrechtliche Sonderregeln zu überprüfen.
Bei einer niedrigen Schuldenquote sind dann moderat höhere Kreditspielräume stabilitätspolitisch gut vertretbar. Die Bundesbank hat für eine reformierte Schuldenbremse eine zweistufige Kreditgrenze vorgeschlagen, mit der sich investive Ausgaben begünstigen ließen. Zum Beispiel könnte die erste Grenze bei einer strukturellen Nettokreditaufnahme von ½ % des BIP liegen und die zweite Grenze bei 1½ % des BIP. Die zweite Stufe dürfte nur in dem Umfang ausgeschöpft werden, in dem Nettoinvestitionen vorliegen. 3 Die bindende Defizitobergrenze einschließlich der geschützten Ausgaben (hier 1½ %) ist wichtig, um die Schuldenquote zuverlässig zu begrenzen. Eine Defizitquote von 1½ % des BIP würde unter plausiblen Annahmen die Schuldenquote etwa beim 60 %-Referenzwert der EU-Regeln stabilisieren. Separat ist abzusichern, dass auch die Vorgaben aus den EU-Regeln eingehalten sind.
Welche Haushaltsgrenzen gemäß den neuen EU-Fiskalregeln für Deutschland ab 2025 gelten werden, ist noch nicht entschieden. 4 Deutschland selbst hat dazu noch keinen Anpassungsplan vorgelegt. Abschätzungen vom Juni deuteten bereits auf einen gewissen Konsolidierungsbedarf hin. 5 Und den vergleichsweise ungünstigen zwischenzeitlichen Entwicklungen ist zusätzlich Rechnung zu tragen. Der deutsche Plan sollte dies berücksichtigen und die neuen Fiskalregeln stringent umsetzen. Denn nur dann kann sich die Bundesregierung glaubwürdig dafür einsetzen, dass die Regeln in der EU insgesamt stabilitätsorientiert anzuwenden sind. Die Defizit- und Schuldenquoten in manchen Mitgliedstaaten sind persistent hoch. Die neuen Regeln sollen darauf abzielen, dies zu ändern. Es hat sich aber bereits gezeigt, dass die Anforderungen für die länderspezifischen Haushaltsgrenzen hoch kompliziert sind. Zudem ist das Verfahren recht intransparent, in dem Mitgliedstaat, Europäische Kommission und Ecofin die Haushaltsgrenzen festlegen. Es ist nunmehr nötig, im weiteren Verlauf klare Vorgaben festzulegen, nachvollziehbar zu begründen und umzusetzen. Um das Vertrauen in solide Staatsfinanzen im Euroraum zu stärken, ist es wichtig, dass die reformierten Regeln einen guten Start haben.
2 Haushalte der Gebietskörperschaften
2.1 Steuereinnahmen
2.1.1 Drittes Quartal 2024
Die Steuereinnahmen stiegen im dritten Quartal um 1½ % (+ 3 Mrd €). Dabei überlagerte ein starker Rückgang bei der Einkommensteuer auf Dividenden (- 6 Mrd €) die sonst solide Entwicklung. Der Rückgang beruhte auf unterjährigen Verschiebungen gegenüber dem Vorjahr und einer nun entfallenen größeren Ausschüttung. Stützend wirkten dagegen nicht zuletzt Einnahmen aus dem EU-Energiekrisenbeitrag. Dies ist eine Sonderabgabe auf Gewinne von Unternehmen aus dem Sektor der fossilen Energien, die diese im dritten Quartal abführten. 6
Die Einnahmen aus der Lohnsteuer stiegen um 6½ %. Der Zuwachs war damit stärker als im ersten Halbjahr (vgl. Tabelle 5.1). Dabei dürfte eine Rolle gespielt haben, dass steuerpflichtige reguläre Entgeltanpassungen steuerfreie Inflationsausgleichsprämien nach und nach ersetzten. Steuersenkungen zu Jahresbeginn ‒ insbesondere zum Ausgleich der kalten Progression des Vorjahres ‒ bremsen aber weiter deutlich den Zuwachs.
Das Aufkommen der Gewinnsteuern ging aufgrund eines Sondereffekts bei den Steuern auf Dividenden um 8 % zurück. Ohne diese stieg es dynamisch. Der Einbruch der Einkommensteuern auf Dividenden liegt daran, dass eine hohe Dividendenzahlung eines Logistikunternehmens im Vorjahr nun entfiel. Zudem konzentrierten sich Dividendenausschüttungen im laufenden Jahr stärker im zweiten Quartal ‒ 2023 wies das dritte Quartal ein höheres Aufkommen auf. Die Abgeltungsteuer auf Zins- und Veräußerungserträge stieg hingegen weiter kräftig. Der Anstieg dürfte hauptsächlich darauf zurückzuführen sein, dass sich die Zinserträge deutlich erhöhten. Denn das durchschnittliche Zinsniveau bei den Einlagen war noch spürbar höher als im Vorjahr. Die Einnahmen aus der veranlagten Einkommensteuer stiegen deutlich. Zwar bremste die Kompensation der kalten Progression auch hier, allerdings weniger als bei der Lohnsteuer. Das Aufkommen aus der Körperschaftsteuer ging hingegen deutlich zurück. Dabei sanken die gewichtigen Vorauszahlungen für das laufende Jahr moderat.
Die Einnahmen aus der Umsatzsteuer stagnierten. Bereinigt um ein überhöhtes Vorjahresniveau dürften sie aber deutlich um etwa 5 % gestiegen sein. Im August des letzten Jahres gab es hohe Nachzahlungen für weiter zurückliegende Zeiträume. Das um diesen Effekt bereinigte Wachstum der Umsatzsteuer stützte sich wohl auch auf ausgelaufene Steuersenkungen: So endete der ermäßigte Steuersatz für Speisen in der Gastronomie zum Jahresende 2023. Für Erdgas und Fernwärme liefen die Senkungen zum Ende des ersten Quartals 2024 aus.
Tabelle 5.1: Steueraufkommen
Steuerart
1. bis 3. Vierteljahr
Schätzung für 2024 1)
3. Vierteljahr
2023
2024
2023
2024
Mrd €
Veränderung gegenüber Vorjahr
Veränderung gegenüber Vorjahr
Mrd €
Veränderung gegenüber Vorjahr
in Mrd €
in %
in %
in Mrd €
in %
Steuereinnahmen
insgesamt 2)
608,5
626,0
+ 17,5
+ 2,9
+ 3,1
208,7
212,0
+ 3,2
+ 1,6
darunter:
Lohnsteuer 3)
171,6
179,8
+ 8,2
+ 4,8
+ 5,3
56,4
60,1
+ 3,7
+ 6,5
Gewinnabhängige Steuern
120,6
122,6
+ 2,0
+ 1,6
+ 1,4
42,5
39,0
- 3,5
- 8,2
davon:
Veranlagte Einkommensteuer 4)
52,2
52,7
+ 0,5
+ 1,0
+ 0,2
17,0
18,8
+ 1,8
+ 10,4
Körperschaftsteuer 5)
33,0
29,2
- 3,8
- 11,5
- 9,9
9,9
8,7
- 1,2
- 12,2
Nicht veranlagte Steuern vom Ertrag
29,8
26,7
- 3,0
- 10,2
- 8,9
13,4
7,3
- 6,0
- 45,1
Abgeltungsteuer auf Zins- und Veräußerungserträge
5,7
13,9
+ 8,3
+ 146,5
+ 117,7
2,2
4,2
+ 2,0
+ 90,4
Steuern vom Umsatz 6)
216,9
221,2
+ 4,4
+ 2,0
+ 2,6
76,1
76,4
+ 0,3
+ 0,4
Übrige verbrauchsabhängige Steuern 7)
66,2
66,6
+ 0,4
+ 0,6
+ 0,4
22,9
22,7
- 0,2
- 0,8
Quellen: Bundesministerium der Finanzen, Arbeitskreis Steuerschätzungen und eigene Berechnungen. 1 Laut offizieller Steuerschätzung vom Oktober 2024. 2 Umfasst die gemeinschaftlichen Steuern sowie die Bundes- und Ländersteuern. Einschließlich EU-Anteilen am deutschen Steueraufkommen, einschließlich Zöllen, ohne Erträge aus Gemeindesteuern. 3 Kindergeld und Altersvorsorgezulage vom Aufkommen abgesetzt. 4 Arbeitnehmererstattungen und Forschungszulage vom Aufkommen abgesetzt. 5 Forschungszulage vom Aufkommen abgesetzt. 6 Umsatzsteuer und Einfuhrumsatzsteuer. 7 Energiesteuer, Tabaksteuer, Versicherungsteuer, Kraftfahrzeugsteuer, Stromsteuer, Alkoholsteuer, Luftverkehrsteuer, Kaffeesteuer, Schaumweinsteuer, Zwischenerzeugnissteuer, Alkopopsteuer sowie Rennwett- und Lotteriesteuer, Biersteuer, Feuerschutzsteuer.
2.1.2 Offizielle Steuerschätzung
Nach der aktualisierten offiziellen Steuerschätzung wachsen die Steuereinnahmen im laufenden Jahr um 3 % gegenüber dem Vorjahr. Rechtsänderungen senken den Zuwachs leicht. 7 Insgesamt erwarten die Schätzerinnen und Schätzer ein etwas stärkeres Steuerwachstum, als dies die gesamtwirtschaftlichen Annahmen der Bundesregierung und die Rechtsänderungen nahelegen. Maßgeblich hierfür ist die bisherige Kassenentwicklung ‒ vor allem der starke Anstieg bei den Steuereinnahmen aus Zinserträgen.
Die Lohnsteuereinnahmen steigen um 5½ % und damit ähnlich wie die Bruttolöhne und -gehälter. Die Kompensation der hohen kalten Progression des Vorjahres senkt zwar die Zuwachsrate um 4½ Prozentpunkte. Dies entspricht aber in etwa den Mehreinnahmen aus der preisbedingten zuzüglich der realen Steuerprogression im laufenden Jahr. 8
Die Gewinnsteuern insgesamt steigen leicht, was allein am kräftigen Zuwachs der Abgeltungsteuer auf Zins- und Veräußerungserträge liegt. Ohne diesen würde das Aufkommen spürbar sinken, weitgehend im Einklang mit den gesamtwirtschaftlichen Annahmen zur Gewinnentwicklung. Die Entwicklung der Gewinnsteuern ist dabei heterogen: Starke Rückgänge gibt es bei der Körperschaftsteuer wie auch der Einkommensteuer auf Dividenden. Die veranlagte Einkommensteuer und die Gewerbesteuer entwickeln sich hingegen seitwärts.
Die Einnahmen aus der Umsatzsteuer wachsen trotz ausgelaufener Ermäßigungen nur um 2½ %. Der maßgeblich zugrunde gelegte nominale private Verbrauch aus der Herbstprojektion der Bundesregierung steigt dabei nur moderat.
2025 steigen die Steuereinnahmen gemäß der Projektion um 4½ %. Aus der unterstellten gesamtwirtschaftlichen Entwicklung leitet sich eigentlich ein Zuwachs von lediglich 3 % ab. Es entfällt aber insbesondere die Möglichkeit, vorübergehende Lohnbestandteile steuerfrei auszuzahlen (Inflationsausgleichsprämie). Dies erhöht den Einnahmenzuwachs bei der Lohnsteuer für sich genommen um 3 Prozentpunkte. 9
Für 2026 projiziert die Steuerschätzung einen Zuwachs von 4½ %, in den Folgejahren bis 2029 sind es durchschnittlich 3½ %. Die Anstiege folgen im Wesentlichen aus den gesamtwirtschaftlichen Annahmen und der Steuerprogression. Rechtsänderungen erhöhen den Zuwachs 2026 leicht. In den Jahren 2028 und 2029 verlangsamen Rechtsänderungen das Aufkommenswachstum spürbar: Insbesondere höhere Beitragssätze der Sozialversicherung bewirken Mindereinnahmen bei der Lohn- und Einkommensteuer. Die übliche Kompensation der kalten Progression ist nicht eingerechnet, weil die Schätzung auf geltendem Steuerrecht basiert.
2.1.3 Zusätzliche Steuersenkungen angelegt
Die Bundesregierung hatte (über die Ansätze der Steuerschätzung hinaus) noch Steuersenkungen auf den Weg gebracht oder geplant. 10 So sollte insbesondere die Lohn- und Einkommensteuer gesenkt werden. Konkret sollte sich der Tarif 2025 verschieben, um die kalte Progression aus 2024 zu kompensieren. Eine solche Kompensation ist seit längerer Zeit üblich und politisch eigentlich unumstritten. Die konkrete Ausgestaltung und der Zeitpunkt der Rechtsänderung sind derzeit aber unklar. Bereits vom Bundestag beschlossen und nun im Bundesrat anhängig ist, die einkommensteuerlichen Freibeträge 2024 rückwirkend anzuheben. Damit sollen die für die Fortschreibung der Regelbedarfe relevanten Preis- und Lohnanstiege berücksichtigt werden. Dies soll im Dezember 2024 umgesetzt werden, was die Lohnsteuereinnahmen ab Januar 2025 senken würde. Insgesamt dürften die Steuermindereinnahmen gegenüber der Steuerschätzung etwa 1 % des Steueraufkommens betragen ‒ wenn neben den beiden genannten (noch nicht endgültig verabschiedeten) Maßnahmen zudem unterstellt wird, dass auch 2025 die kalte Progression grob kompensiert wird.
Zusätzliche Ausfälle in den Folgejahren ergeben sich, wenn die kalte Progression des Vorjahres weiter kompensiert wird. Die Regierung hatte außerdem vorgesehen, die Abschreibungsmöglichkeiten erneut zu beschleunigen. Dies wird nun zwar nicht weiter verfolgt ‒ aber auch bei einer neuen Regierung dürfte die Verbesserung von Investitionsanreizen auf der Agenda stehen.
Grundsätzlich bestehen darüber hinaus rechtliche Unsicherheiten nicht zuletzt bezüglich der Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag (Jahresaufkommen: ¼ % des BIP). Gegen den Solidaritätszuschlag ab dem Jahr 2020 läuft eine Verfassungsbeschwerde. Hieraus ergeben sich Einnahmerisiken: Die Erhebung des Solidaritätszuschlags könnte ab einem Stichtag untersagt und gegebenenfalls zusätzlich eine Rückzahlung angeordnet werden. Für die ab 2025 grundlegend reformierte Grundsteuer ist wie in den Vorjahren ein leichter Zuwachs veranschlagt (Aufkommen von ⅓ % des BIP). Die konkrete Umsetzung, insbesondere die Festsetzung der Hebesätze, bleibt allerdings abzuwarten, und auch hier bestehen teils rechtliche Risiken.
2.1.4 Deutliche Abwärtskorrektur gegenüber Mai
Im Vergleich zur Steuerschätzung vom Mai 2024 ergibt die neue Steuerschätzung spürbare Mindereinnahmen. Dies liegt neben der schwächeren Entwicklung im laufenden Jahr an ungünstigeren gesamtwirtschaftlichen Annahmen.Im laufenden Jahr liegen die Ausfälle per saldo bei 8½ Mrd €. Im nächsten Jahr steigen sie auf 13 Mrd € und bleiben dann in etwa auf diesem Niveau. Die Schätzungen für die Jahre 2024 bis 2028 liegen damit jeweils um ¼ % des BIP unter denen vom Mai 2024. Grund ist zum einen die schwächere Kassenentwicklung im laufenden Jahr. Zum anderen schlagen sich vor allem die ungünstigeren gesamtwirtschaftlichen Annahmen nieder, in erster Linie bei den gewinnabhängigen Steuern. Zwischenzeitlich beschlossene Rechtsänderungen senken das Aufkommen nur leicht.
Tabelle 5.2: Ergebnisse der offiziellen Steuerschätzung und gesamtwirtschaftliche Projektionen der Bundesregierung
Position
2024
2025
2026
2027
2028
2029
Steuereinnahmen 1)
in Mrd €
941,6
982,4
1 024,9
1 063,2
1 097,1
1 133,8
in % des BIP
21,8
22,1
22,3
22,5
22,5
22,6
Veränderung gegenüber Vorjahr in %
2,8
4,3
4,3
3,7
3,2
3,3
Revision zur vorherigen Steuerschätzung in Mrd €
- 8,7
- 12,7
- 11,6
- 11,7
- 13,4
.
Nachrichtlich: Mindereinnahmen durch in Aussichtstehende Steuerentlastungen in Mrd €
Anstehende Steuerrechtsänderungen 2)
- 0,4
- 3,4
- 1,4
- 2,2
- 2,2
- 2,1
Mindereinnahmen, wenn kalte Progression ab 2025 wie bisher kompensiert wird 3)
.
- 5,4
- 9,9
- 14,1
- 18,7
- 23,6
Wachstum des realen BIP in %
Herbstprojektion Oktober 2024
- 0,2
1,1
1,6
0,9
0,9
0,9
Frühjahrsprojektion April 2024
0,3
1,0
1,0
1,0
1,0
.
Wachstum des nominalen BIP in %
Herbstprojektion Oktober 2024
3,0
3,0
3,5
2,9
2,9
2,9
Frühjahrsprojektion April 2024
3,0
2,8
3,0
3,0
3,0
.
Quellen: Arbeitskreis Steuerschätzungen und Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. 1 Einschließlich EU-Anteilen am deutschen Steueraufkommen, einschließlich Zöllen, einschließlich der Erträge aus Gemeindesteuern.2 Jahressteuergesetz 2024 und Gesetz zur steuerlichen Freistellung des Existenzminimums 2024. 3 Seit 2014 verschob der Gesetzgeber den Einkommensteuertarif Jahr für Jahr zumeist um die geschätzte Inflationsrate des Vorjahres. Gezeigt sind hier die Mindereinnahmen, die sich ergeben, wenn diese Praxis beibehalten wird. Die Berechnungen sind grob abgeschätzt; sie basieren auf der aktuellen Herbstprojektion der Bundesregierung und den Lohnsteuereinnahmen nach aktueller Steuerschätzung und in VGR-Abgrenzung. Der Grundfreibetrag wird dabei ebenfalls mit der Inflationsrate des Vorjahres verschoben.
2.2 Bundesfinanzen
2.2.1 Drittes Quartal 2024
Das Defizit des Bundes einschließlich Extrahaushalten fiel im dritten Quartal 2024 deutlich höher aus als im Vorjahr. Der Anstieg lag vor allem an Sondereffekten. Von 9 Mrd € stieg das Defizit auf gut 19 Mrd €. Ausschlaggebend war per saldo, dass das Defizit des Klimafonds stark zunahm.
Im Kernhaushalt sank das Defizit leicht. Die Einnahmen des Bundes stiegen dabei mit 7½ % kräftig. Die Steuereinnahmen wuchsen um 3½ %, wobei ein Rückgang der davon abgesetzten EU-Beiträge noch stützte. Die sonstigen laufenden Einnahmen wuchsen kräftig. So stieg die LKW-Maut stark (wegen des Aufschlags für Treibhausgasemissionen). Zusätzliche Einnahmen von 2 Mrd € ergaben sich daraus, dass der Digitalisierungsfonds aufgelöst und Rücklagen daraus dem Kernhaushalt übertragen wurden. Die Ausgaben legten nur leicht schwächer als die Einnahmen zu. Der Ausgabenzuwachs lag maßgeblich daran, dass die Zinsausgaben im Vorjahr aufgrund eines Sondereffekts niedriger waren: Zahlungen für Anfang Juli schlugen damals bereits im zweiten Quartal zu Buche, während sie in diesem Jahr wieder im dritten Quartal anfielen. Der Anstieg der Zinsausgaben gegenüber dem Vorjahresquartal um insgesamt 6 Mrd € gründete per saldo fast ausschließlich auf diesem Effekt.
Bei den Extrahaushalten stieg das Defizit wegen starker Mittelabflüsse und eines einnahmenseitigen Sondereffekts im Klimafonds stark.
Im Klimafonds fiel nach einem moderaten Überschuss im Vorjahresquartal ein hohes Defizit von 9 Mrd € an. Die in diesem Jahr vom Klimafonds finanzierten Subventionen für klimafreundlichen Strom belasteten das Ergebnis allein um 5 Mrd €. Die zudem geleisteten Investitionszuschüsse wuchsen recht kräftig um 2 Mrd €. Dagegen erlöste der Fonds aus Treibhausgaszertifikaten 3 Mrd € weniger. Dies ist letztlich auf einen Sondereffekt zurückzuführen, weil Zertifikatsverkäufe in das Schlussquartal verschoben wurden.
Beim Bundeswehrfonds stieg das Defizit um 2½ Mrd € auf gut 4 Mrd €. Der Anstieg gründet auf Mehrausgaben für Beschaffungen.
Der Digitalisierungsfonds wird aufgelöst, und die Rücklagen werden in den Kernhaushalt übertragen. Im dritten Quartal fiel deswegen ein Defizit von 2 Mrd € an (nach einem nur leichten Defizit im Vorjahreszeitraum).
Beim Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) entlastete dagegen, dass die Energiepreishilfen Ende 2023 ausgelaufen sind. Diese hatten das Ergebnis im Vorjahresquartal noch mit 3 Mrd € belastet. Aus etwas höheren Rückzahlungen von Corona- und Energiepreis-Hilfsdarlehen speiste sich nun ein Überschuss des WSF von 4½ Mrd €.
2.2.2 Gesamtjahr 2024
Aus heutiger Sicht dürfte das Defizit im Kernhaushalt beträchtlich unter dem Planwert von 49 Mrd € bleiben. Nach der Steuerschätzung vom Oktober liegen die Steuereinnahmen zwar um 3½ Mrd € unter den Haushaltsansätzen (nach Abzug der globalen Mindereinnahmen von 2 Mrd €). Dem stehen aber nicht veranschlagte Privatisierungserlöse von 3½ Mrd € gegenüber. 11 Auf der Ausgabenseite zeichnen sich trotz Mehrbelastungen beim Bürgergeld per saldo deutliche Entlastungen gegenüber der Planung ab. Hier dürften nicht zuletzt niedrigere Zins- und Personalausgaben zu Buche schlagen. Voraussichtlich entfallen nun zudem Darlehensvergaben von 12 Mrd € an das Generationenkapital, da das Rentenpaket vor dem Ende der Regierungskoalition nicht verabschiedet wurde. Insgesamt gesehen könnte das Defizit des Kernhaushalts somit um etwas mehr als diese 12 Mrd € günstiger ausfallen als geplant.
Die Regierungskoalition ist im November zerbrochen. Ein zuvor geplanter Nachtragshaushalt für 2024 wurde nicht verabschiedet. Dies könnte nachgeholt werden. Der Regierungsentwurf liegt beim Bundestag, und dieser könnte ihn noch aktualisieren und auch darüber hinaus verändern. Ein Nachtragshaushalt müsste dabei die Vorgaben der Schuldenbremse einhalten.
Ein aktualisierter Nachtragshaushalt dürfte im Hinblick auf die Schuldenbremse gewisse Spielräume eröffnen. Wie zuvor beschrieben, zeichnet sich 2024 eine besser als geplante Haushaltsentwicklung ab. Im Hinblick auf die Schuldenbremse schlagen sich einige gewichtige Faktoren aber nicht nieder. So betreffen die Entlastungen gegenüber dem Haushaltsplan nicht zuletzt finanzielle Transaktionen. Die gegenüber den Planungen höheren Einnahmen aus Privatisierung und die geringeren Ausgaben an das Generationenkapital verbessern daher nicht die für die Schuldenbremse relevante strukturelle Nettokreditaufnahme. Allerdings erhöhen sich die Spielräume im Rahmen der Schuldenbremse beträchtlich, weil die anzurechnende konjunkturelle Belastung des Haushalts wegen der schwächer als veranschlagten Entwicklung des nominalen BIP deutlich höher ausfällt (auf Basis der Herbst-Schätzung der Bundesregierung um etwa 12 Mrd €).
Insgesamt erscheint es plausibel, dass damit 2024 die Obergrenze der Schuldenbremse um deutlich mehr als 10 Mrd € unterschritten wird. 12 Der Bundestag könnte diesbezüglich beschließen, dass weniger stark als ursprünglich geplant auf die Rücklage zurückgegriffen wird. Er könnte aber auch neue Maßnahmen im Nachtragshaushalt berücksichtigen, die den Spielraum ausschöpfen. So hatte beispielsweise der Nachtragsentwurf der Bundesregierung eine Zuführung von 10 Mrd € an den Klimafonds vorgesehen. Derzeit werden unter anderem zusätzliche Ukrainehilfen, Maßnahmen zur Förderung von Investitionen oder Subventionen der Energiekosten (Netzentgelte) diskutiert. Es könnten angesichts der für 2025 zu erwartenden vorläufigen Haushaltsführung auch investive Vorhaben vorgezogen werden, soweit sie mehrheitsfähig sind.
Bei den Extrahaushalten dürfte das Defizit etwas niedriger ausfallen als geplant.Dahinter stehen sehr unterschiedliche Faktoren.
Beim kreditfinanzierten Bundeswehrfonds zeichnet sich ein geringer als geplantes Defizit ab. So war nach den ersten drei Quartalen erst die Hälfte der veranschlagten Mittel abgeflossen. Die im Haushaltsabschluss 2023 ausgewiesenen Verpflichtungen aus Beschaffungsverträgen und übliche Verzögerungen bei Neuverträgen deuten darauf hin, dass das Plandefizit von 20 Mrd € deutlich unterschritten wird.
Beim Klimafonds dürfte das Defizit den Planwert etwas unterschreiten, auch ohne die zusätzlichen Bundeszuschüsse aus dem Nachtragshaushaltsentwurf der Regierung. Zwar lag das Defizit nach drei Quartalen bei 24 Mrd € und damit schon recht nah am Sollwert von 29 Mrd €. Allerdings standen bei veranschlagten Jahreseinnahmen von gut 20 Mrd € offenbar für etwa drei Viertel der Emissionszertifikate die Verkäufe noch aus. Somit zeichnet sich trotz weit höher als geplanter Ausgaben zur Förderung klimafreundlich erzeugten EEG-Stroms ein etwas günstiger als geplantes Ergebnis ab. So dürften nicht nur die im laufenden Jahr geplanten Zuschüsse von 4 Mrd € für eine Chipfabrik in Sachsen-Anhalt entfallen. Ohne weitere Bundeszuschüsse dürfte allerdings nur noch ein kleiner Teil der Rücklage von gut 29 Mrd € für bereits angelegte künftige Ausgaben übrigbleiben.
Schließlich fallen Überschüsse in Extrahaushalten an, für die es keine Planansätze gibt. Betroffen ist zunächst der WSF, bei dem Rückzahlungen von Hilfsdarlehen aus der Coronavirus-Pandemie sowie der Energiepreis-Krise anfallen. Nach den ersten drei Quartalen war hier bereits ein Überschuss von 8½ Mrd € angefallen. Darüber hinaus fehlen auch Planzahlen für die Pensionsvorsorge-Einheiten wie die Versorgungsrücklage und den Versorgungsfonds. Diese Extrahaushalte verzeichneten nach den ersten drei Quartalen einen Überschuss von 2½ Mrd €.
2.2.3 Planungen für 2025
Nach dem Ende der Regierungskoalition ist nicht absehbar, dass ein Haushalt für 2025 vor einer Neuwahl vom Bundestag verabschiedet wird. Die ursprünglich geplante Bereinigungssitzung bis zum Morgen des 15. November 2024 fand nicht statt.
Soweit bei Anbruch des neuen Jahres kein gültiger Haushaltsplan vorliegt, greifen die Regeln der vorläufigen Haushaltsführung. Danach ist die Regierung ermächtigt, alle Ausgaben zur Erfüllung gesetzlicher und vertraglicher Verpflichtungen zu leisten. Für zusätzliche Ausgaben bestehen dagegen wenig Spielräume. Allerdings besteht für unabsehbare und unabweisbare Bedarfe die Möglichkeit zu außerplanmäßigen Ausgaben. Zur Finanzierung der Gesamtausgaben steht neben den regulären Einnahmen auch ein Kreditspielraum zur Verfügung. Nach Artikel 111 Grundgesetz beläuft sich dieser auf ein Viertel der im Vorjahr geplanten Ausgaben, was einer Größenordnung von 120 Mrd € entspricht. Zu berücksichtigen bleibt aber, dass die Kreditgrenze der Schuldenbremse weiterhin gilt und bei der späteren Verabschiedung des Haushalts 2025 zu beachten ist.
Alles in allem gewährleistet die vorläufige Haushaltsführung eine stetige Haushaltspolitik und verpflichtet nicht zu einem restriktiven Sparkurs. So bestehen auch in den Extrahaushalten bereits umfangreiche Verpflichtungen für das Jahr 2025, die im Rahmen der vorläufigen Haushaltsführung gleichermaßen erfüllt werden können. In Notsituationen kann mit dem Instrument der außerplanmäßigen Ausgaben reagiert werden. Einen größeren politischen Gestaltungsspielraum bietet aber ein zeitnah verabschiedeter Bundeshaushalt 2025. Beiliegende Wirtschaftspläne schaffen dann auch zusätzliche Ausgabenermächtigungen für Extrahaushalte.
Ein rechtliches Risiko betrifft die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag. Das Bundesverfassungsgericht verhandelte am 12. November 2024 über eine Verfassungsbeschwerde gegen den Solidaritätszuschlag. 13 Das Urteil folgt üblicherweise in einigen Monaten, also voraussichtlich im Jahr 2025. Die nach der Steuerschätzung im Jahr 2025 zu erwartenden Einnahmen von 13 Mrd € sind insoweit mit einem erhöhten Risiko behaftet. Das Bundesverfassungsgericht könnte auch auferlegen, Einnahmen aus Vorjahren zurückzuzahlen.
2.3 Länderhaushalte
Die Kernhaushalte der Länder schlossen das dritte Quartal mit einem leichten Überschuss von ½ Mrd € ab. Damit verschlechterte sich der Saldo deutlich um knapp 6 Mrd € im Vergleich zum Vorjahresquartal. Hierzu trug ein Sondereffekt in Hessen maßgeblich bei. 14 Die Einnahmen stiegen um 2½ %, darunter die Steuern mit 3 %. Die Ausgaben wuchsen kräftig um 7 % (+ 8 Mrd €). Die gewichtigen Personalausgaben legten um 5 % zu. Noch stärker wuchs der laufende Sachaufwand, wohl nicht zuletzt verzögert aufgrund von Preissteigerungen.
Im ersten Halbjahr verschlechterten die Kern- und Extrahaushalte der Länder ihr Ergebnis deutlich um 7 Mrd €. Sie wiesen damit ein Defizit von 3½ Mrd € auf. Zwar stiegen die Steuern deutlich mit 4½ %. Jedoch wuchsen die Einnahmen insgesamt nur langsam um 1½ %. Nicht zuletzt sanken die Einnahmen aus wirtschaftlicher Tätigkeit deutlich: In Hamburg entfiel eine sehr hohe Dividendenzahlung aus dem Vorjahr. 15 Wesentlich stärker wuchsen die Ausgaben mit 4½ %. Dies lag maßgeblich daran, dass die Personalausgaben stark zulegten. Im ersten Halbjahr waren nicht zuletzt Inflationsausgleichsprämien ausgezahlt worden.
Für das Gesamtjahr ist zu erwarten, dass sich das Ergebnis gegenüber 2023 deutlich verschlechtert (2023: Defizit von gut ½ Mrd €). Die Steuereinnahmen wachsen gemäß aktueller Steuerschätzung im Gesamtjahr nur moderat um 2½ %, was ein deutlich gedämpftes Wachstum im Schlussquartal erwarten lässt. Die Ausgaben dürften deutlich schneller wachsen als die Einnahmen, nicht zuletzt infolge der stark gestiegenen Preise. Das gilt auch für die gewichtigen Personalausgaben ‒ wobei sie im zweiten Halbjahr langsamer zulegen dürften als im ersten.
Für das nächste Jahr zeichnet sich aus heutiger Sicht eine leicht verbesserte Finanzlage der Länder ab. Zwar dürften die Personalausgaben infolge der Entgeltanpassungen weiterhin spürbar wachsen. Die angespannte Haushaltslage dürfte es aber mit sich bringen, dass sich andere Ausgabenkategorien ‒ nicht zuletzt die Zuweisungen an die Gemeinden ‒ nur gedämpft entwickeln. Gleichzeitig könnten die Steuereinnahmen wieder etwas schneller steigen. In der Summe könnten die Einnahmen dann etwas stärker zunehmen als die Ausgaben.
3 Sozialversicherung
3.1 Rentenversicherung
3.1.1 Ausblick auf 2024
Die gesetzliche Rentenversicherung verbuchte im dritten Quartal ein Defizit von 4½ Mrd €. Damit war es 1 Mrd € höher als im Vorjahr. Die Einnahmen stiegen mit 5½ % kräftig. Ohne die Mittelkürzung des Bundes wäre es knapp ½ Prozentpunkt mehr gewesen. Mit 6 % wuchsen die Ausgaben noch stärker: Zur Jahresmitte 2024 stiegen die Renten um 4½ %. Gegenüber dem Vorjahr nahm zudem die Rentenzahl um ½ Prozentpunkt beschleunigt zu. Gut ½ Prozentpunkt des Ausgabenanstiegs entfällt auf neue pauschale Zuschläge für Personen, deren Erwerbsminderungsrente zwischen 2001 und 2018 begann. 16
Im Gesamtjahr 2024 könnte die Rentenversicherung mit einem Defizit abschließen. Im Vorjahr entstand noch ein Überschuss von 1½ Mrd €. Nach den ersten drei Quartalen verzeichnet die Rentenversicherung kumuliert ein Defizit von 4½ Mrd € (Vorjahr: gut - 2½ Mrd €). Im vierten Quartal entsteht saisonüblich ein deutlicher Überschuss, weil mit Beitragseingängen aus Sonderzahlungen zu rechnen ist. Zudem ersetzen beitragspflichtige Entgelte zunehmend abgabenfreie Inflationsausgleichsprämien; die Beiträge dürften dadurch noch etwas stärker zunehmen als im bisherigen Jahresverlauf. Die freie Rücklage (Nachhaltigkeitsrücklage) würde mit etwa 44 Mrd € weiter den Mindestwert von 0,2 Monatsausgaben (etwa 5½ Mrd €) erheblich überschreiten.
3.1.2 Ausblick auf die kommenden Jahre
Im Jahr 2025 Jahr dürfte sich das Defizit deutlich ausweiten. 17 Die Beitragseinnahmen dürften zwar spürbar wachsen, nicht zuletzt, weil beitragspflichtige Entgelte abgabenfreie Inflationsausgleichsprämien ersetzen. Allerdings dürften die Ausgaben dynamischer steigen: Die Renten dürften Mitte 2025 weiter deutlich erhöht werden, die Rentenzahl demografiebedingt noch weiter beschleunigt zunehmen. Hinzu kommen nochmals fast 1½ Mrd € Zusatzausgaben für die Mitte 2024 eingeführten Zuschläge für Erwerbsminderungsrenten.
Nach Mitte der 2020er Jahre belastet die Demografie die Rentenfinanzen erheblich stärker. Ausgabenseitig nimmt der Druck zu, weil dann besonders starke Geburtenjahrgänge ihr Rentenalter erreichen. Dies belastet auch einnahmenseitig. Die Beitragssätze müssen dann erheblich steigen (vgl. auch den Exkurs "Sozialbeitragssätze steigen kräftig").
3.2 Bundesagentur für Arbeit
Die Bundesagentur für Arbeit (BA) erzielte einen ausgeglichenen Saldo im dritten Quartal, nach einem Überschuss von 1 Mrd € im Vorjahr. 18 Ursächlich für das schlechtere Ergebnis war ein kräftiger Ausgabenanstieg (+ 17 %), vor allem beim Arbeitslosengeld (+ 19 %). Dieser geht im Wesentlichen auf eine deutlich höhere Empfängerzahl zurück (+ 13 %). Auch die Aufwendungen bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik nahmen kräftig zu (+ 14 %). Die Verwaltungsausgaben stiegen um 10½ %: Die BA hob die Zuweisungen zum Versorgungsfonds für ihre Beamten stark an. Die BA-Einnahmen wuchsen mit 6 % zwar deutlich, aber wesentlich schwächer als die Ausgaben.
Auch im Gesamtjahr könnte die BA ein annähernd ausgeglichenes Ergebnis erzielen. Dieses wäre schlechter als im Vorjahr (2023: + 3 Mrd €). Im Haushaltsplan war ein Überschuss von 2 Mrd € veranschlagt. Nach den ersten drei Quartalen weist die BA ein kumuliertes Defizit von 1 Mrd € auf (Vorjahr: + 1½ Mrd €). Zwar entsteht im Schlussquartal regelmäßig wegen Beiträgen auf saisonale Sonderzahlungen ein Überschuss. Hinzu kommt, dass die Beiträge kräftig zulegen dürften, auch weil reguläre Lohnbestandteile abgabenfreie Inflationsausgleichsprämien zunehmend ersetzen. Allerdings zeichnen sich bei den Ausgaben keine schwächeren Zuwächse ab. Damit dürften diese weiter deutlich stärker wachsen als die Einnahmen.
Im nächsten Jahr ist ein Defizit angelegt, weil die Arbeitslosigkeit steigt und die Pro-Kopf-Leistungen im Durchschnitt mit den Löhnen zunehmen. Die Beitragseinnahmen der BA dürften zwar weiter spürbar wachsen, insbesondere da reguläre Arbeitsentgelte abgabenfreie Inflationsausgleichsprämien ersetzen. Allerdings dürften sich die Arbeitslosigkeit erhöhen und die durchschnittlichen Pro-Kopf-Leistungen wegen der bislang kräftigen Lohnentwicklung deutlich steigen. Hinzu kommt, dass der Bundesgesetzgeber beschloss, der BA weniger Verwaltungskosten für Bürgergeldbeziehende zu erstatten, um seinen eigenen Haushalt zu entlasten. Dies erhöht das Defizit nochmals. Vor dem Hintergrund der Annahmen zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der Bundesregierung vom Herbst 2024 plant die BA für nächstes Jahr mit einem Defizit von fast 1½ Mrd €.
Exkurs
Sozialbeitragssätze steigen kräftig
Die Sozialbeitragssätze steigen im nächsten Jahr kräftig. Auch im weiteren Verlauf ist infolge der demografischen Entwicklung mit deutlich steigenden Sätzen zu rechnen.
Entwicklung im Jahr 2025
Der durchschnittliche Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wird 2025 kräftig zunehmen. Ursächlich dafür sind stark steigende Leistungsausgaben. Der GKV-Schätzerkreis hat einen rechnerisch ausgabendeckenden Zusatzbeitragssatz 2025 von 2,5 % errechnet. Es erscheint angesichts weitgehend aufgebrauchter Kassenrücklagen plausibel, dass auch der tatsächliche durchschnittliche Zusatzbeitrag in etwa auf 2,5 % steigt. Das wäre ein Plus von 0,7 Prozentpunkten. Insgesamt läge der durchschnittliche Gesamtbeitragssatz der GKV damit bei rund 17 %.
Auch der Beitragssatz zur sozialen Pflegeversicherung steigt 2025 spürbar. Erst Mitte 2023 hatte der Gesetzgeber den allgemeinen Beitragssatz deutlich um 0,35 Prozentpunkte auf 3,4 % angehoben. 1 Weil die Ausgaben im laufenden Jahr dennoch stärker zulegen als die Beiträge, zeichnet sich für 2024 ein deutliches Defizit ab. Die Rücklage dürfte infolgedessen bereits in diesem Jahr nur noch ihr Mindestsoll erreichen. Im nächsten Jahr dürften sich die Ausgabenzuwächse zwar etwas abschwächen; sie dürften aber gleichwohl weiter stark sein. Daher hat die Bundesregierung beschlossen, den Beitragssatz um 0,2 Prozentpunkte anzuheben, um die Finanzierung zu sichern.
Sozialbeiträge zur Kranken- und zur Pflegeversicherung wirken wie Steuern und belasten damit die Arbeitsanreize. Dies liegt daran, dass die Beiträge mit dem Einkommen bis zur Beitragsbemessungsgrenze steigen, während die Leistungen weitgehend unabhängig von den eigenen Beiträgen sind. 2 Die Ausnahme bildet das Krankengeld (etwa 6½ % der GKV-Ausgaben), das im Bedarfsfall abhängig von den Beitragszahlungen geleistet wird.
Durch die höheren Beitragssätze zur Kranken- und Pflegeversicherung steigt 2025 auch der Gesamtsozialbeitragssatz. Nachdem er eine längere Periode weitgehend stabil war, dürfte er damit fast seinen früheren Höchststand erreichen. In den letzten Jahren milderten vor allem der starke Beschäftigungsaufbau, die demografische Pause (weitgehend stabile Rentenzahlen) und ausgabensparende Reformen den finanziellen Druck auf die Sozialversicherung deutlich. Die Beschäftigung profitierte dabei unter anderem von den Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt Anfang der 2000er Jahre. Die Beitragssätze der Arbeitslosen- und in geringerem Maße auch der Rentenversicherung sanken von ihrem jeweiligen Höchststand in den 2000er Jahren bis einschließlich 2024 um insgesamt fast 5 Prozentpunkte (vgl. Schaubild 5.7). Im gleichen Zeitraum legten die Beitragssätze der Kranken- und Pflegeversicherung aber kräftig um 4 Prozentpunkte zu. Grund waren zahlreiche Leistungsausweitungen und ein hoher Kostendruck.
Teile der Sozialversicherung werden aus dem Bundeshaushalt bezuschusst und verursachen damit eine zusätzliche Abgabenlast. Die Bundesmittel für die Sozialversicherung nahmen insgesamt seit Anfang der 2000er Jahre nur moderat stärker zu als die Beitragsbasis. 3
Entwicklung im weiteren Verlauf
Perspektivisch ist damit zu rechnen, dass der Gesamtsozialbeitragssatz weiter steigt.Denn die demografische Entwicklung führt dazu, dass die Ausgaben dynamisch wachsen. Die stärker besetzten älteren Geburtsjahrgänge erreichen zunehmend ihr Rentenalter und verlassen den Arbeitsmarkt. Für sich genommen dämpft dies die staatliche Einnahmenbasis. Gleichzeit nehmen durch den Renteneintritt vor allem die Rentenausgaben stark zu. Etwas verzögert betrifft die Verschiebung der Alterspyramide dann auch zunehmend die Ausgaben von Kranken- sowie Pflegeversicherung. Denn diese Ausgaben entfallen zum größeren Teil auf Versicherte mit hohem oder sehr hohem Alter. In der Krankenversicherung könnte der medizinisch-technische Fortschritt den Ausgabendruck zusätzlich erhöhen. 4
Zur langfristigen Entwicklung der Sozialbeitragssätze fehlen offizielle Vorausberechnungen. Der jährliche Rentenversicherungsbericht stellt dar, wie sich die Finanzen der Rentenversicherung samt Beitragssatz und Leistungsniveau in den nächsten 15 Jahren gemäß Vorausschätzung der Bundesregierung entwickeln. 5 Für eine Abschätzung von Leistungsanpassungen wäre allerdings eine deutlich weiter reichende Vorausschau über etwa 50 Jahre wünschenswert – wie etwa bei den Ageing Reports der Europäischen Kommission. 6 Zudem fehlen offizielle langfristige Vorausschauen für die Kranken- und Pflegeversicherung, die zumindest die Einflüsse der absehbaren demografischen Entwicklungen veranschaulichen. Dabei wäre es wichtig, dass die Beitragspflichtigen perspektivische Anstiege von Beitragssätzen vor Augen haben. Andernfalls droht, dass dieser Aspekt bei der Diskussion über Leistungsanpassungen und -ausweitungen nicht ausreichend berücksichtigt wird. Die Bundesregierung sollte daher die Transparenz erhöhen.
Geeignete Reformen können Ausgabenanstiege begrenzen und so dem Druck auf die Beitragssätze entgegenwirken. Ansatzpunkte gibt es in allen drei Zweigen, in denen erheblich steigende Beitragssätze absehbar sind.
Bei der Rentenversicherung lässt sich der demografische Finanzierungsdruck mindern: Hierzu könnten Anreize für einen vorgezogenen Rentenzugang abgebaut und das Rentenalter mit steigender Lebenserwartung erhöht werden. Die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren begünstigt den vorgezogenen Renteneintritt, und die regulären Abschläge bei vorgezogenem Renteneintritt könnten zu niedrig sein. Bei steigender Lebenserwartung ergeben sich positive Effekte auf die Rentenfinanzen, wenn das Rentenalter nach 2031 an die Lebenserwartung gekoppelt wird: Die Einnahmen der Rentenversicherung würden gestärkt, und der Anstieg der Rentenausgaben würde gedämpft. 7 Zudem könnte erwogen werden, zusätzliche Beitragsjahre aufgrund des höheren Rentenalters in die Berechnung des Versorgungsniveaus einfließen zu lassen. 8 Das bedeutet: Mit dem von 65 Jahre auf 67 Jahre steigenden Rentenalter errechnet sich das Standard-Versorgungsniveau aus sukzessive mehr Beitragsjahren. Beispielsweise lägen dem Versorgungsniveau ab 2031 statt 45 dann 47 Beitragsjahre zugrunde. Diese Verknüpfung könnte dann entsprechend einer künftigen Weiterentwicklung des gesetzlichen Rentenalters fortgeführt werden. 9
Strukturreformen und Effizienzsteigerungen könnten den trendmäßig starken Anstieg der Leistungsseite in der Krankenversicherung begrenzen. Beispielsweise könnte ein stärkerer Fokus auf Prävention und Gesundheitsförderung langfristig helfen, die Gesundheitsausgaben zu senken. 10 Im Bereich der ambulanten und stationären Versorgung ließen sich Ineffizienzen verringern, indem Fehlanreize und Koordinierungsprobleme abgebaut werden. 11 Auch eine verbesserte Digitalisierung und Nutzung von Behandlungsdaten zur wissenschaftlichen Evaluation der Behandlungen erscheinen wichtig. Insgesamt können die Maßnahmen dazu beitragen, unnötige Doppeluntersuchungen zu vermeiden und Behandlungen effizienter und zugleich effektiver zu gestalten. Auch das Kostenbewusstsein der Versicherten lässt sich stärken, etwa über eine Art Praxisgebühr oder über gewisse Selbstbehalte.
Bei der Pflegeversicherung ist vor allem über den Versicherungsumfang zu entscheiden: So könnte der Teilversicherungscharakter erhalten oder wieder gestärkt werden. Alternativ wird teils gefordert, die Pflegeversicherung zu einer recht weitgehenden Vollversicherung weiterzuentwickeln. Wenn Pflegebedürftige nicht mehr auf privates Vermögen und nur noch eng begrenzt auf ihr Einkommen zurückgreifen müssen, stehen dem erheblich höhere steuerähnliche Sozialbeiträge für alle Versicherten gegenüber. Bei einer Teilversicherung sind Pflegekosten bei Bedürftigkeit letztlich zielgenau über die Hilfe zur Pflege abgesichert. Diese greift derzeit, falls die eigenen Finanzmittel der Pflegebedürftigen nicht ausreichen.
Die Finanzlage des Bundes ist angespannt. Sie lässt höhere Bundesmittel für die Sozialversicherung nur zusammen mit zusätzlichen Steuererhöhungen oder Kürzungen an anderer Stelle zu. Mitunter werden zusätzliche Bundeszuschüsse als Ausweg aus den absehbaren Finanzierungslücken bei der Sozialversicherung gesehen. Der Bundeshaushalt hat aber gemäß den aktuellen Finanzplanungen keine Spielräume und steht vor großen Herausforderungen in anderen Bereichen. In jedem Fall wäre es wünschenswert, dass der Bund seine Zuschüsse zur Sozialversicherung transparenter und besser nachvollziehbar ausgestaltet. Dazu könnte er die Leistungen benennen und quantifizieren, die er als nicht beitragsbezogen einstuft und daher aus Bundesmitteln finanzieren will. Die langfristigen Vorausberechnungen für die Sozialversicherung (siehe oben) gäben dann zugleich Aufschluss über den diesbezüglichen Finanzbedarf des Bundes.
Literaturverzeichnis
Bundesministerium der Finanzen (2024), Sechster Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen.
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2023), Rentenversicherungsbericht 2023.
Deutsche Bundesbank (2024d), Abgabenlast auf Arbeitseinkommen im internationalen Vergleich: zum Unterschied von Rentenbeitrag und Steuerzahlung, Monatsbericht, Juni 2024.
Europäische Kommission (2024), 2024 Ageing Report. Economic & Budgetary Projections for the EU Member States (2022 ‒ 2070), Institutional Paper, No. 279, April 2024.
Karmann, A., F. Rösel und M. Schneider (2016), Produktivitätsmotor Gesundheitswirtschaft: Finanziert sich der medizinisch-technische Fortschritt selbst?, ifo Working Papers, No. 214, April 2016.
Reif, S., S. Schubert und A. Wambach (2024), Reformvorschlag für einen nachhaltigen Risikostrukturausgleich, ZEW Policy Brief, Nr. 24-03, März 2024.
Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (2018), Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung, Gutachten 2018, Juni 2018.
Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2018), Für mehr Strukturwandel in der Krankenhausversorgung, Gemeinsame Pressemitteilung des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, Dezember 2018.