Monatsbericht – Oktober 2024

Monatsberichtsaufsatz

Das aktuelle Jahrzehnt könnte im historischen Rückblick einen Wendepunkt der internationalen Arbeitsteilung markieren. Nach Jahren wachsender realer und finanzieller Verflechtung gab es in den 2010er Jahren erste Hinweise, dass einige Länder sich vom Multilateralismus abwenden und stärker auf protektionistische Maßnahmen zur Förderung der heimischen Wirtschaft setzen könnten. Diese manifestierten sich 2016, als Donald Trump zum Präsidenten der USA gewählt wurde, und die Wähler des Vereinigten Königreichs für den Austritt ihres Landes aus der Europäischen Union votierten (Brexit-Referendum). Die Coronavirus-Pandemie im Frühjahr 2020 und der Überfall Russlands auf die Ukraine zwei Jahre später beeinträchtigten die internationalen Lieferketten dann in beispielloser Weise. Beide Ereignisse könnten die Produktionsbeziehungen nachhaltig ändern, die sich stärker als bisher nach geopolitischen Kriterien ausrichten dürften. Inwiefern sich dies bereits in den deutschen Direktinvestitionsbeziehungen mit dem Ausland zeigt, ist Gegenstand dieses Beitrags. Er spricht drei zentrale Fragen an und zieht ein vorläufiges Resümee: 1. Deutsche Unternehmen engagieren sich zuletzt wieder verstärkt in den USA, wobei sowohl geopolitische Gesichtspunkte als auch attraktive Produktionsbedingungen vor Ort eine Rolle spielen könnten. 2. Hohe reinvestierte Gewinne in China kaschierten in den vergangenen Jahren, dass sich die Dynamik neuer Direktinvestitionen in China verlangsamt hat und teilweise auch Kapital abgezogen wurde. 3. Deutschland steht als Standort multinationaler Unternehmen mit anderen Industrienationen in intensivem Wettbewerb um ausländische Direktinvestitionen; im Verhältnis zur jeweiligen Wirtschaftsleistung waren innerhalb des Euroraums Frankreich und Spanien zuletzt erfolgreicher dabei, ausländisches Beteiligungskapital anzuziehen.

1 Schlaglichter deutscher Direktinvestitionsbeziehungen mit dem Ausland

Die 2020er Jahre sind bislang von schwerwiegenden Krisen geprägt. Im ersten Halbjahr 2020 brach aufgrund der Coronavirus-Pandemie binnen weniger Wochen die Wirtschaftsleistung weltweit ein. Zwei Jahre später stiegen infolge des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine die Energiepreise, insbesondere in Deutschland. Die handels- und geopolitischen Spannungen zwischen den USA und China hatten bereits unter der Präsidentschaft Donald Trumps in den USA deutlich zugenommen und verschärften sich nun weiter. Die Ereignisse führten dazu, dass grenzüberschreitende Produktionsbeziehungen hinsichtlich ihrer Resilienz hinterfragt werden und geopolitische Kriterien als Standortfaktor an Bedeutung gewinnen könnten.

Deutsche Unternehmen sind von den globalen Spannungen in besonderer Weise betroffen. Sie setzen traditionell stark auf internationale Arbeitsteilung und verkaufen viele Produkte im Ausland. Politik und Wirtschaft diskutierten vor diesem Hintergrund kontrovers vor allem über drei Aspekte der deutschen Direktinvestitionsbeziehungen. 1. Geben deutsche Direktinvestitionen im Ausland Hinweise auf potenzielle Standortverlagerungen der deutschen Industrie ins Ausland? 2. Wie ist angesichts steigender geopolitischer Spannungen das anhaltend starke Engagement deutscher Unternehmen in China zu bewerten? 3. Sind die verminderten Zuflüsse ausländischer Direktinvestitionen nach Deutschland ein Indiz für eine nachlassende internationale Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland? Im Folgenden werden diese drei Themen aufgegriffen und anhand aktueller Zahlen zu den deutschen Direktinvestitionsbeziehungen beleuchtet.

2 Deutsche Direktinvestitionen im Ausland

2.1 Mögliche Standortverlagerungen im Verarbeitenden Gewerbe

Deutsche Unternehmen investierten seit Beginn der 2020er Jahre wie schon im vergangenen Jahrzehnt kräftig im Ausland. Abbildung 3.1 veranschaulicht, dass die deutschen Direktinvestition im Ausland zwischen Januar 2010 und Juni 2024 kumuliert um knapp 1 700 Mrd € stiegen. 1 Damit setzte sich die Dynamik der 2010er Jahre ungebrochen fort. Direktinvestitionen umfassen Beteiligungskapital und konzerninterne Kredite. Das Beteiligungskapital, insbesondere im Verarbeitenden Gewerbe, gibt einen realistischen Einblick in das grenzüberschreitende realwirtschaftliche Engagement deutscher Unternehmen. Es stieg über den gesamten Zeitraum hinweg recht konstant an und machte insgesamt rund zwei Drittel der erfassten Transaktionen bei deutschen Direktinvestitionen aus.

Die Gesamtdynamik schwächte sich im Einklang mit einem weltweiten Rückgang der grenzüberschreitenden Direktinvestitionsströme seit 2022 etwas ab. 2 Dieser Dämpfer betraf in erster Linie konzerninterne Kredite, die häufig finanzielle Transaktionen abbilden. 3

Gemessen an den Bestandszahlen sind die USA und der Euroraum die wichtigsten Standorte für deutsche Direktinvestitionen im Verarbeitenden Gewerbe. Dies zeigen detaillierte Zahlen der Mikrodatenbank Direktinvestitionen (MiDi) der Bundesbank (Abbildung 3.2, links). 4 Beide Wirtschaftsräume zusammen vereinten Ende 2022 mehr als die Hälfte des über Direktinvestitionen gehaltenen deutschen Beteiligungskapitals im Verarbeitenden Gewerbe. Bis 2014 war der Euroraum der bevorzugte Standort deutscher Konzerne. Seit 2015 haben die USA den Euroraum als wichtigste Partnerregion abgelöst.

Die Industrieproduktion in Deutschland stagniert seit 2022, in den energieintensiven Wirtschaftszweigen brach sie mit dem Anstieg der Energiepreise sogar stark ein. 5 Abbildung 3.3 verdeutlicht, dass die Industrieproduktion von energieintensiven Unternehmen im Jahr 2022 um circa 15 % sank. Dieser negative Trend hielt bis Ende 2023 an, sodass das Niveau um insgesamt 20 % fiel. Gleichzeitig stieg der Industriestrompreis für Deutschland temporär um bis zu 40 % an. Im Juni 2024 lag er noch 27 % über dem Niveau von Ende 2021.

Die Bestände des Beteiligungskapitals deutscher Direktinvestitionen in energieintensiven Wirtschaftszweigen stiegen zwischen Ende 2020 und Ende 2022 in den USA besonders stark (Abbildung 3.2, rechts). Dies könnte in Verbindung mit dem Einbruch der Industrieproduktion hierzulande darauf hindeuten, dass energieintensive Unternehmen ausländische Standorte auch aufgrund vergleichsweise günstiger Produktionskosten nutzen.

2.2 Präsenz deutscher Unternehmen in China

China und andere G20-Schwellenländer gewannen zwischen 2020 und 2022 als Standorte deutscher Direktinvestitionsunternehmen im Verarbeitenden Gewerbe noch stärker als in den Jahren zuvor an Bedeutung. Das Beteiligungskapital deutscher Direktinvestitionen stieg 2022 sowohl in China (von 62 Mrd € auf 79 Mrd €) als auch in den übrigen G20-Schwellenländern (von 53 Mrd € auf 61 Mrd €) überdurchschnittlich stark an. Im selben Jahr ging das deutsche Beteiligungskapital in den USA leicht zurück (von 160 Mrd € Ende 2021 auf 157 Mrd € Ende 2022). Diese gegenläufigen Entwicklungen vollzogen sich allerdings in unterschiedlichen Wirtschaftssektoren innerhalb des Verarbeitenden Gewerbes: Während in China vor allem Direktinvestitionen im Kraftfahrzeugsektor zulegten, sanken in den USA insbesondere die Direktinvestitionsbestände bei den pharmazeutischen Erzeugnissen und im Maschinenbau im starken Gegensatz zu den Investitionen in energieintensiven Bereichen. Daraus lässt sich schließen, dass die beiden Phänomene weitgehend unabhängig voneinander waren und zumindest keine direkten Substitutionseffekte abbilden. Dafür spricht auch, dass die drei erwähnten Ländergruppen (USA, China, übrige G20-Schwellenländer) eine relativ konstante Anzahl ausländischer Tochtergesellschaften aufwiesen. Es dominierten also weder Werksschließungen oder Verkäufe noch Neugründungen oder Übernahmen.

Das starke Engagement deutscher Unternehmen in China war in den vergangenen Jahren und im ersten Halbjahr 2024 maßgeblich auf reinvestierte Gewinne zurückzuführen. 6 Darin unterschieden sich deutsche Unternehmen von anderen ausländischen Konzernen. Diese zogen mehrheitlich einbehaltene Gewinne früherer Jahre ab und reduzierten auf diese Weise ihr Beteiligungskapital in China. 7 Die anhaltend hohen deutschen Direktinvestitionen in China werden bisweilen kritisiert, da sie einer – auch aus Sicht des einzelnen Unternehmens eigentlich gebotenen – stärkeren Diversifizierung der Wirtschaft entgegenstünden und bestehende Abhängigkeiten zementierten. 8 Allerdings prägen einige wenige deutsche Konzerne, deren Töchter in China hohe Gewinne erzielen, die Gesamtentwicklung. 9 Diese vermittelt somit nicht unbedingt ein repräsentatives Bild für die Vielzahl deutscher Unternehmen, die in China aktiv sind.

Mit neuen Direktinvestitionen in China hielten sich deutsche Unternehmen laut Zahlungsbilanzdaten zuletzt eher zurück, während in den USA wieder stärker investiert wurde. Die in der Zahlungsbilanz ausgewiesenen Investitionen in grenzüberschreitendes Beteiligungskapital bestehen im Wesentlichen aus Mittelzuführungen in Beteiligungskapital im engeren Sinne und reinvestierten Gewinnen. Bleiben die reinvestierten Gewinne unberücksichtigt, zeigt ein Blick auf das Beteiligungskapital im engeren Sinne, dass einige deutsche Investoren seit 2017 Kapital aus China abzogen: Die Liquidation bestehenden Kapitals überstieg in den vergangenen Jahren die Zuführung neuen Beteiligungskapitals. Demgegenüber waren die Desinvestitionen aus den USA im Jahr 2023 wohl eher ein Ausreißer: Deutsche Unternehmen stockten ihr Beteiligungskapital dort im ersten Halbjahr 2024 wieder stark auf – hierbei dominierte das Beteiligungskapital im engeren Sinne und reinvestierte Gewinne spielten nur eine untergeordnete Rolle.

Weniger neue chinesische Tochtergesellschaften seit 2017 deuten darauf hin, dass China als Standort für neue Investitionen für deutsche Unternehmen an Attraktivität verloren haben könnte. 10 Dagegen investieren deutsche Unternehmen verstärkt in neue Anlagen in den USA. Hierbei dürfte neben anderen Faktoren gerade in letzter Zeit auch eine Rolle spielen, dass sich das Wirtschaftswachstum in China merklich abgekühlt hat und die amerikanische Regierung nicht zuletzt mit dem Inflation Reduction Act (IRA) starke Anreize für eine Produktion in den USA setzt. Es ist aber auch möglich, dass hiesige Unternehmen – entgegen der geäußerten Kritik – zunehmend auf das aktuelle geopolitische Umfeld reagieren.

3 Ausländische Direktinvestitionen in Deutschland

Seit Ende 2019 erhöhten ausländische Anleger ihr Beteiligungskapital in Deutschland bis Juni 2024 kumuliert um 163 Mrd €. Dabei handelte es sich mehrheitlich um Investitionen aus Ländern außerhalb des Euroraums (104 Mrd €). Wichtigstes Herkunftsland waren die USA mit 56 Mrd €, gefolgt von den Niederlanden (35 Mrd €) und dem Vereinigten Königreich (17 Mrd €). 11

Die Direktinvestitionszuflüsse nach Deutschland sind seit 2022 deutlich zurückgegangen. Zusätzliches Beteiligungskapital aus anderen Ländern des Euroraums wurde seit Ende 2021 per saldo kaum noch bereitgestellt. Die Zuflüsse aus Drittländern sind immer noch positiv, haben sich aber im Vergleich zu den Jahren zwischen Ende 2019 und Ende 2021 signifikant abgeflacht. Investierten ausländische Unternehmen in den beiden Jahren 2020 und 2021 zusammen knapp über 100 Mrd € Beteiligungskapital in Deutschland, flossen Deutschland anschließend bis Mitte 2024 nur noch 62 Mrd € an Beteiligungskapital zu. Tatsächlich lässt sich 2022 ein statistisch signifikanter Strukturbruch feststellen, der zu einem deutlich niedrigeren Aufkommen von Direktinvestitionen in Deutschland führte. 12 Während Direktinvestoren aus den USA und den Niederlanden sowohl vor als auch nach diesem Strukturbruch eine zentrale Rolle spielten, haben Mittelzuflüsse aus dem Vereinigte Königreich in den vergangenen zweieinhalb Jahren merklich an Bedeutung verloren. Dabei dürfte auch eine Rolle gespielt haben, dass das Land am 31. Januar 2020 die Europäische Union verließ.

Im Verarbeitenden Gewerbe investierten ausländische Direktinvestoren vorzugsweise in die Herstellung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeugteilen, den Maschinenbau und die Herstellung von Datenverarbeitungsgeräten. Seit 2020 entfielen fast 60 % des gesamten zufließenden Beteiligungskapitals im Verarbeitenden Gewerbe auf diese drei Wirtschaftszweige. 13 Die Herstellung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeugteilen sowie der Maschinenbau zählen traditionell zum industriellen Kern der deutschen Volkswirtschaft. In die besonders energieintensiven Sektoren (vgl. Fußnote 5) wurde vergleichsweise wenig investiert (weniger als 10 % des zufließenden Beteiligungskapitals im Verarbeitenden Gewerbe).

Auch andere Industrienationen im Euroraum weisen Zuflüsse ausländischen Beteiligungskapitals auf. In Relation zur jeweiligen Wirtschaftsleistung waren Frankreich und Spanien beliebter bei ausländischen Direktinvestoren. In Italien haben sich die ausländischen Investitionen nach einer ausgeprägten Schwäche 2020 etwas erholt, die Dynamik ist aber weiterhin gedämpft. Besonders augenfällig waren demgegenüber die markanten Abzüge von Beteiligungskapital aus wichtigen Holdingstandorten des Euroraums. Die entsprechenden Bestände in Irland, Luxemburg und den Niederlanden sanken seit Ende 2021 beträchtlich und sorgten dafür, dass auch der Euroraum als Ganzes Desinvestitionen zu verzeichnen hatte. 14

Gründe für die verminderten Direktinvestitionszuflüsse nach Deutschland seit 2022 lassen sich noch nicht mit Gewissheit identifizieren. Allerdings könnten – wie bei den deutschen Direktinvestitionen im Ausland – hohe Energiepreise hierzulande eine Rolle spielen. Dabei kommen sowohl zyklische als auch strukturelle Faktoren zum Tragen. 15 Von Bedeutung ist sicherlich auch der intensive Standortwettbewerb um ausländische Investitionen, insbesondere in zukunftsträchtigen und strategisch bedeutsamen Branchen. Hier müssen Deutschland und Europa in den kommenden Jahren beweisen, dass sie international weiterhin wettbewerbsfähig und in der Lage sind, ausländisches Kapital anzuziehen.

4 Fazit

Die deutschen Direktinvestitionsbeziehungen mit dem Ausland wiesen seit 2020 einige charakteristische Entwicklungen auf, die Hinweise auf dauerhafte Veränderungen der internationalen Verflechtung geben könnten. Bei den deutschen Direktinvestitionen im Ausland gewinnen neben den Produktionsbedingungen zunehmend geopolitische Überlegungen bei der Standortwahl an Bedeutung. Besonders attraktiv für deutsche Unternehmen sind die USA, und zwar sowohl mit Blick auf die Produktionsbedingungen als auch als strategischer Partner. China ist weiterhin ein wichtiges Zielland deutscher Direktinvestitionen. Es zeigt sich aber, dass sich die Dynamik neuer Direktinvestitionen verlangsamt hat und teilweise Kapital abgezogen wurde. In umgekehrter Richtung steht der Standort Deutschland im Wettbewerb um ausländische Direktinvestitionen. Im Vergleich zu anderen Industrienationen im Euroraum wie Frankreich oder Spanien hat Deutschland hier zuletzt an Boden verloren. Eine gänzliche Abkehr internationaler Investoren von Deutschland kann aus den vorliegenden Zahlen nicht abgelesen werden.

Literaturverzeichnis

Deutsche Bundesbank (2024a), Risiken für Deutschland aus der wirtschaftlichen Verflechtung mit China, Monatsbericht, Januar 2024.

Deutsche Bundesbank (2024b), Zur Entwicklung der Unternehmensdynamik im Euroraum, Monatsbericht, März 2024.

Douglas, J. und W. Soon (2023), Foreign Firms Pull Billions in Earnings Out of China, The Wall Street Journal, 6. November 2023.

Price Waterhouse Cooper (2023), Ausschüttung von Gewinnen chinesischer Tochtergesellschaften nach Deutschland, März 2023.

Siebelt, F. (2024), Direktinvestitionen in China deutlich gestiegen, MarketScreener, 13. August 2024.

United Nations Conference on Trade and Development (2024), World Investment Report 2024.

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