Öffentliche Finanzen Monatsbericht – Mai 2025

1 Staatlicher Gesamthaushalt 1

1.1 Ausblick auf 2025 und die mittlere Frist

Mit der Lockerung der Budgetregeln ändert die deutsche Finanzpolitik ihren Kurs: Defizit- und Schuldenquote dürften in den nächsten Jahren deutlich steigen. Zum Ende der letzten Legislaturperiode hatte der Gesetzgeber die Kreditspielräume im Rahmen der Schuldenbremse erheblich erweitert. Zudem hatte er einen sehr umfangreichen Kreditrahmen für ein neues kreditfinanziertes Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaneutralität eingeräumt (vgl. Exkurs „Gelockerte Schuldenbremse stabilitätswahrend ausgestalten“).

Die neue Bundesregierung nutzt die zusätzlichen Spielräume und steuert gemäß Koalitionsvertrag auf eine expansive Finanzpolitik zu. 2 Der Koalitionsvertrag sieht erhebliche Mehrausgaben vor, insbesondere für Verteidigung und staatliche Infrastruktur. Zudem sind höhere Subventionen und Renten vereinbart. Hinzu kommt der demografisch bedingte Ausgabendruck. Alles in allem könnte die strukturelle Ausgabenquote in den kommenden Jahren deutlich über 50 % ansteigen. Auf der Einnahmenseite wird die Abgabenquote deutlich zunehmen. Die Beitragssätze zur Renten-, Gesundheits- und Pflegeversicherung werden perspektivisch weiter steigen, weil deren Ausgaben dynamisch wachsen. Im laufenden Jahr dürften die Beitragssätze zur Sozialversicherung zusammen genommen bei über 42 % liegen. Die steigenden Beitragssätze dürften die geplanten Steuersenkungen überwiegen.

Die Defizitquote könnte im laufenden Jahr aber zunächst noch etwas sinken, weil die Steuereinnahmen merklich wachsen und die Sozialbeitragssätze kräftig steigen (Defizitquote 2024: 2,8 %). Die realwirtschaftliche Schwäche lastet zwar auf den Steuereinnahmen, stützende Einflüsse sind aber ebenfalls gewichtig (vgl. Abschnitt zur offiziellen Steuerschätzung). Zudem erhöhten die Krankenkassen ihre Zusatzbeiträge zu Jahresbeginn stark, um Finanzierungslücken aus dem letzten Jahr zu schließen und Rücklagen wieder aufzufüllen. Daher dürfte das Defizit der Sozialversicherung sinken, trotz dynamisch wachsender Ausgaben. Die durch die neue Regierung angekündigte grundlegende fiskalische Neuausrichtung dürfte 2025 noch keine große Rolle spielen, da sie Vorlauf benötigt. 

Ab dem kommenden Jahr dürfte die Defizitquote dann deutlich steigen, hauptsächlich getrieben durch zahlreiche Maßnahmen des Bundes (siehe auch Abschnitt „Fiskalpolitik mit Koalitionsvertrag neu ausgerichtet“). Aber auch bei den Ländern einschließlich der Kommunen ist mit anhaltenden Defiziten zu rechnen. Die Länder dürften die neuen strukturellen Kreditspielräume nutzen. Auch die Sozialversicherung dürfte insgesamt bis etwa 2027 Defizite verzeichnen, vor allem durch Finanzierungslücken der Rentenversicherung. 3 Alles in allem könnte die gesamtstaatliche Defizitquote im Jahr 2027 in struktureller Betrachtung eine Größenordnung von 4 % erreichen. 

Die Maastricht-Schuldenquote lag 2024 mit 62,5 % nicht weit vom 60 %-Referenzwert entfernt. Sie wird in den kommenden Jahren spürbar steigen – wie auch die Zinsausgaben. Die Schuldenquote könnte bis 2027 über 65 % anwachsen. Hinzu kommt der deutsche Anteil an den EU-Schulden. 4 Durch die schuldenfinanzierten NGEU-Transfers dürfte dieser bis zum Ende des jetzigen Programms auf 2½ % des BIP klettern. Die staatlichen Zinsausgaben werden auch deswegen wachsen, weil die Durchschnittsverzinsung der Schulden weiter steigt. Sie nimmt bereits seit einigen Jahren wieder zu und betrug im letzten Jahr 1,7 %. Zuvor war sie während der langjährigen Nullzinsphase bis auf außergewöhnlich niedrige 0,9 % gesunken. 

1.2 Fiskalpolitik mit Koalitionsvertrag neu ausgerichtet

Deutschland steht vor großen Herausforderungen, nicht zuletzt angesichts starker internationaler Umbrüche. Die neue Bundesregierung plant vor diesem Hintergrund zahlreiche Maßnahmen. Konkrete Gesetzentwürfe liegen zwar noch nicht vor, aber der Koalitionsvertrag zeigt die Richtung an. Zusätzliche staatliche Finanzmittel sollen in die Verteidigung sowie Infrastruktur fließen. Darüber hinaus setzt der Koalitionsvertrag Schwerpunkte bei der Förderung von Forschung, Innovation und Digitalisierung. Punktuelle Steuerentlastungen und Subventionen sollen Unternehmensinvestitionen und Arbeitsangebot stützen. Zudem soll die Verwaltung künftig schneller, digitaler und weniger bürokratisch werden. 5  

Viele der genannten Vorhaben zielen in die richtige Richtung, um Deutschland zukunftsfähig aufzustellen. Nun ist die Umsetzung entscheidend. Zu begrüßen ist beispielsweise, dass die neue Bundesregierung Verwaltungsprozesse über die staatlichen Ebenen hinweg beschleunigen, bündeln und vereinfachen will. Die Chancen der Digitalisierung will sie dafür besser nutzen (vgl. auch Abschnitt „Ergebnis 2024 und Ausblick“). Was das Beispiel auch verdeutlicht: Verfügbare Finanzmittel allein sind nicht genug. Es geht auch darum, die Strukturen insgesamt besser auf die Herausforderungen auszurichten. Insgesamt wird es darauf ankommen, die Vorhaben zügig und effizient umzusetzen.  

Es bleibt wichtig, das Steuer- und Transfersystem zu überprüfen und die Sozialversicherung an die demografischen Perspektiven anzupassen. Der Ausgabendruck ist auch durch die neu geplanten Maßnahmen erheblich. Und die Sozialbeitragssätze werden ohnehin demografiebedingt steigen. Insofern ist es zu begrüßen, dass die neue Bundesregierung bestehende Subventionen und Sondertatbestände überprüfen möchte. Das Prüfvorhaben bleibt im Koalitionsvertrag aber allgemein, während etliche neue Fördertatbestände dort bereits recht konkret angekündigt sind. Insgesamt wäre zu empfehlen, neue Sonder- und Fördertatbestände gut im Hinblick auf die dringlichen Herausforderungen zu begründen – oder auf sie zu verzichten. Es spricht viel dafür, spezielle Begünstigungen regelmäßig zu überprüfen oder von vorneherein zu befristen. Generell lässt sich das Steuer- und Transfersystem durch Steuern mit breiteren Bemessungsgrundlagen mit niedrigeren Steuersätzen und zielgenauere, konsistente Transfersystemen effizienter aufstellen. Hierdurch würde auch der bürokratische Aufwand sinken. Das Gegenteil ist bei punktuellen Ausnahmen der Fall. Zudem könnte die Bundesregierung vielfach empfohlene Ansätze für beschäftigungsfreundliche Reformen im Steuersystem und bei den Sozialversicherungen aufgreifen (vgl. auch Kapitel „Im zweiten Quartal dürfte die Wirtschaft in etwa stagnieren“ im Artikel „Konjunktur in Deutschland“ sowie unten die Abschnitte „Steuerpolitische Maßnahmen im Koalitionsvertrag“ und „Rentenpolitische Vorhaben der neuen Bundesregierung“).

Mit Blick auf die Dekarbonisierung und eine sichere, kosteneffiziente Energieversorgung bedarf es noch eines konsistenten und zielführenden Rahmens. Aus ökonomischer Sicht sind knappheitsgerechte Energiepreise zu empfehlen, weil sie Angebot und Nachfrage kostengünstig ins Gleichgewicht bringen. 6  Knappheitsbezogene Strompreise müssten neben Engpässen und Überangeboten bei der Stromproduktion auch die Auslastung der Netze widerspiegeln. Dies spricht gegen die angekündigte Subvention der Netzentgelte. Für die Dekarbonisierung lassen sich über Emissionszertifikate knappheitsbezogene Preissignale geben. Um die Dekarbonisierungsziele zu erreichen, darf der Preis dann allerdings nicht systematisch gedeckelt werden (vgl. Kapitel „Im zweiten Quartal dürfte die Wirtschaft in etwa stagnieren“ im Artikel „Konjunktur in Deutschland“). 

1.3 Mit anstehenden Gesetzesänderungen verlässliche Leitplanken für nachhaltige Finanzpolitik vereinbaren

Dauerhaft umfangreiche Defizite und eine entsprechend steigende Schuldenquote wären nicht mit soliden Staatsfinanzen und den EU-Regeln vereinbar. Mittelfristig zeichnen sich erhebliche Defizite ab (siehe oben Abschnitt „Ausblick auf 2025 und die mittlere Frist“). Vorübergehend gefährden sie solide deutsche Staatsfinanzen zwar nicht. Aber als Dauerzustand wären sie anders zu bewerten: Steigende und hohe Zinslasten würden die fiskalischen Handlungsspielräume empfindlich einschränken und hohe Schuldenquoten die Resilienz der Staatsfinanzen beschädigen. Aus gutem Grund zielen die EU-Regeln – einschließlich des EU-Vertrags – darauf, dass Schuldenquoten über 60 % im Regelfall sinken. Bindende EU-Fiskalregeln sind ein wichtiger Anker für solide Staatsfinanzen und eine stabilitätsorientierte Währungsunion. 

Zu verlässlichen Perspektiven für die deutschen Staatsfinanzen gehört auch Klarheit über die konkreten Anforderungen durch die nationalen und die EU-Fiskalregeln. Aktuell fehlt diese Klarheit. Die reformierten nationalen Budgetregeln erlauben es, umfangreich Kredite aufzunehmen, es fehlen aber noch Ausführungsgesetze (vgl. Exkurs „Gelockerte Schuldenbremse stabilitätswahrend ausgestalten“) und aktuelle Budgetplanungen. Nicht im Einzelnen absehbar sind derzeit auch die konkreten EU-Vorgaben für Deutschland: Erstens liegt für den laufenden vier- bis siebenjährigen Anpassungszeitraum noch kein Fiskalplan vor. Zweitens ist noch offen, was die Übergangsphase durch die beantragte Ausweichklausel für die Ausgabenspielräume genau bedeutet (vgl. Exkurs „EU-Fiskalregeln: Nationale Ausweichklauseln sollen aktiviert werden“). Insgesamt sind die neuen deutschen und EU-Fiskalregeln sehr komplex und in der Anwendung schwer nachvollziehbar. Deshalb sind transparente Budgetplanungen umso wichtiger. Aus diesen muss dabei insbesondere hervorgehen, wie die erweiterten nationalen Spielräume genutzt werden sollen und dass dies in Einklang mit den EU-Vorgaben steht. Hierfür sind nicht nur die Planungen bis zum jeweils nächsten Jahr wichtig. Vielmehr bedarf es auch Planungen zu den Anpassungsnotwendigkeiten im weiteren Verlauf.

Es ist zu erwarten, dass Deutschland gemäß EU-Vorgaben nach einer Übergangsphase zunächst eine strukturelle Defizitquote von etwa 1 % anstreben muss, um die Schuldenquote wieder unter 60 % zurückzuführen. 7 Die EU-Regeln werden damit perspektivisch deutlich enger binden als die nationalen Kreditspielräume des Grundgesetzes: Eine Grundposition von 1 % für die strukturelle Defizitquote schöpft den jahresdurchschnittlichen Kreditspielraum des neuen Infrastrukturfonds bereits annähernd aus. Dies bedeutet, dass perspektivisch nur Teile der nationalen Verschuldungsmöglichkeiten genutzt werden können. 

Bund und Länder sollten in ihren anstehenden Planungen bereits berücksichtigen, dass perspektivisch wieder eine solide Grundposition zu erreichen ist.Das voraussichtliche Ziel für die strukturelle gesamtstaatliche Defizitquote von etwa 1 % bedeutet, dass sie anfänglich höhere Defizite im Zeitverlauf wieder zurückführen müssen.Es wäre ratsam, dass sie diesen absehbaren Korrekturbedarf von vornherein begrenzen. Dazu könnten sie die Kreditspielräume der nationalen Regeln für die aktuellen Herausforderungen bei Verteidigung und Infrastrukturinvestitionen (einschließlich Klimaneutralität) reservieren, die über das 2024 Erreichte hinausgehen. Andere zusätzliche Maßnahmen wären dann gegenfinanzieren. 

Zu empfehlen wäre, den deutschen Staatshaushalten in den anstehenden Gesetzen zur geänderten Schuldenbremse wieder verlässliche Leitplanken zu geben.Die Grundgesetzänderungen vom März 2025 sind durch Ausführungsgesetze noch zu konkretisieren. Dabei ließe sich verankern, die neuen Kreditspielräume wie beschrieben nur für zusätzliche Maßnahmen zum Bewältigen der Herausforderungen bei Verteidigung und Infrastrukturinvestitionen (einschließlich Klimaneutralität) zu nutzen. Es könnten also der Verwendungsbereich und die Zusätzlichkeit konkret abgesichert werden. In diesem Zuge könnten Bund und Länder ihre nationalen Verschuldungsspielräume für die aktuelle Übergangsphase in Einklang mit den (zu vereinbarenden) EU-Vorgaben zu Fiskalplan und Ausweichklausel abstecken. Der Koalitionsvertrag kündigt außerdem eine weitere Reform der Schuldenbremse an. In diesem Kontext lassen sich auch solide Staatsfinanzen und die Ziele der EU-Regeln wieder über bindende Kreditgrenzen im Grundgesetz verankern. Die Vorschläge der Bundesbank für eine grundlegende Reform der Schuldenbremse bieten dazu weiterhin geeignete Ansatzpunkte: Sie zielen darauf, sowohl den staatlichen Investitionen (in Infrastruktur und Verteidigung) Vorrang einzuräumen als auch solide Staatsfinanzen und die EU-Regeln abzusichern. 8

Exkurs

EU-Fiskalregeln: Nationale Ausweichklauseln sollen aktiviert werden

Die EU-Staaten wollen ihre militärische Verteidigungskraft erheblich stärken. Die Europäische Kommission regt dazu an, über vier Jahre bis zu 800 Mrd € zusätzliche Verteidigungsausgaben zu mobilisieren. Ihr Vorschlag unter dem Titel „Bereitschaft 2030“ umfasst drei Säulen: i) über gemeinsame Verschuldung finanzierte Kredite (SAFE), ii) über die Europäische Investitionsbank mobilisiertes privates Kapital, iii) höhere national finanzierte Ausgaben. Die national finanzierten Ausgaben sollen mit vier Fünfteln den größten Anteil ausmachen. Dafür sollen die üblichen Grenzen aus den europäischen Fiskalregeln temporär gelockert werden. 1

Die europäischen Fiskalregeln beinhalten eine nationale Ausweichklausel, die den fiskalischen Handlungsspielraum eines Mitgliedstaates erhöht. Voraussetzung sind außergewöhnliche Umstände, die sich der Kontrolle des Mitgliedstaates entziehen und erhebliche Auswirkungen auf seine öffentlichen Finanzen haben. 2 Ist die Ausweichklausel aktiviert, darf der Mitgliedstaat mehr ausgeben als in seinem Fiskalplan vereinbart. 3 Auch wenn eine Defizitquote damit über 3 % steigt, hat dies im Regelfall kein Defizitverfahren zur Folge. Eine weitere Voraussetzung ist, dass die aufgrund der Ausnahmeklausel höheren Nettoausgaben (und Defizite) die mittelfristige Tragfähigkeit der Staatsfinanzen nicht gefährden.

Rat und Kommission schlagen vor, dass alle Mitgliedstaaten die nationale Ausweichklausel beantragen. 4 Der Angriffskrieg Russlands bedrohe die europäische Sicherheit und sei ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne der Ausweichklausel. Die Klausel ist zwar länderspezifisch. Aber alle Mitgliedstaaten seien bedroht, und die Verteidigungsbereitschaft der EU solle steigen. Daher plädieren Rat und Kommission dafür, dass alle Mitgliedstaaten die Ausnahme beantragen. Die Kommission strebt an, dann dem Rat Anfang Juni zu empfehlen, nationale Ausweichklauseln zu aktivieren. Der Rat könnte im Juli darüber entscheiden. 5

Rat und Kommission empfehlen eine Art „standardisierte Nutzung“ der Ausweichklausel mit drei konkreten Eingrenzungen

  • Die Fiskalpläne sollen ausschließlich wegen zusätzlicher Ausgaben für die Verteidigung überschritten werden. Alle anderen Ausgaben sollen maximal so stark wachsen, wie in den Fiskalplänen vereinbart. 6 Andernfalls drohen Verfahrensschritte. 

  • Der Umfang zusätzlicher kreditfinanzierter Verteidigungsausgaben soll begrenzt sein. So will die Kommission gewährleisten, dass die öffentlichen Finanzen mittelfristig tragfähig bleiben. Sie schlägt dafür eine pauschale Grenze von 1,5 % des BIP pro Jahr vor. Sie will die Zusätzlichkeit am Niveau der Verteidigungsausgaben im Jahr 2021 messen. 7 Einen ungenutzten Spielraum kann ein Mitgliedstaat demnach auch nach Ende der Ausweichklausel nutzen: Dies soll dann möglich sein, wenn die entsprechenden Ausgabenverpflichtungen bereits in einem Ausnahmejahr eingegangen wurden (und einschließlich dieser Verpflichtungen die 1,5 %-Grenze nicht überschritten wurde). 

  • Die Ausweichklausel soll zeitlich begrenzt sein. Sie soll für vier Jahre gelten, von 2025 bis 2028. Die Verteidigungsausgaben sind danach wieder ohne Ausnahmedefizite zu finanzieren. Allerdings könnte der Rat die Ausweichklausel wiederkehrend verlängern. 

Die Umsetzung ist im Detail noch unklar. Dies gilt unter anderem für die Budgetgrenzen der Mitgliedstaaten nach dem Ende der Ausweichklausel.Folgerichtig wäre, dass ihre Nettoausgaben dann auf das Niveau zurückfallen, das sie ohne Ausweichklausel plangemäß erreicht hätten. Die vorübergehend expansivere Ausrichtung der Fiskalpolitik wäre damit wieder zurückgenommen. In diesem Fall und bei ansonsten unveränderten Bedingungen verliefen die erwarteten Schuldenquoten ähnlich wie ursprünglich geplant – wären aber um die schuldenfinanzierten zusätzlichen Verteidigungsausgaben und die daraus resultierenden Zinsausgaben höher. Weniger stringent wäre dagegen, wenn nach der Ausnahmeklausel lediglich die ursprünglich vereinbarten jährlichen Ausgabenzuwachsraten wieder zu erreichen wären. Diese würden dann auf das wegen der zusätzlichen Verteidigungsausgaben höhere Ausgabenniveau aufsetzen. Damit wären die jährlichen Ausgaben und Defizite auch in allen Folgejahren höher als ursprünglich geplant – und entsprechend auch die Schulden (Sprungschanzen-Effekt). Ein solcher Effekt entsteht auch, wenn vor oder mit Ende der Ausnahmezeit ein neuer Fiskalplan vereinbart wird, der auf den temporär erhöhten Defizitquoten der Vorjahre aufsetzt. 8

Grundsätzlich ist es angemessen, in dieser besonderen Situation die Ausweichklausel zu aktivieren, um zusätzliche Verteidigungsausgaben zu ermöglichen. Dass die Kommission vorschlägt, die ausnahmsweise höheren kreditfinanzierten Ausgaben zu begrenzen, ist gut und wichtig. Dass sie für die Ausnahme einen Standardfall entwirft, ist ein pragmatischer Ansatz. Es spricht aber einiges dafür, dass Mitgliedstaaten mit sehr hohen Schulden den im Standard vorgesehenen Spielraum nicht voll ausschöpfen. Da es sich um eine länderspezifische Ausnahmeklausel handelt, sollte umgekehrt aber auch möglich sein, höhere Grenzen als im Standardfall zu vereinbaren – wenn es dafür gute Gründe gibt. In jedem Fall ist es wichtig, dass alle Mitgliedstaaten nach der Ausnahmezeit zu ihrem regulären Netto-Ausgabenpfad zurückkehren.

Die Bundesregierung muss die EU-Vorgaben für Deutschland noch mit den EU-Gremien vereinbaren und in ihrer nationalen gesamtstaatlichen Planung berücksichtigen.

  • Deutschland sollte einen Fiskalplan vereinbaren, der die europäischen Vorgaben strikt umsetzt. Dieser ist ohne den Spielraum der Ausweichklausel aufzustellen. Welche Budgetgrenzen gelten werden, ist derzeit noch unklar. Die europäischen Regeln verlangen, mit dem Fiskalplan eine solide Grundposition am Planende anzusteuern. Diese muss insbesondere gewährleisten, dass die Schuldenquote Richtung 60 % sinkt. Unter plausiblen Annahmen dürfte diese von Deutschland anzustrebende Grundposition bei einem strukturellen Defizit von etwa 1 % des BIP liegen. 9

  • Zudem wäre die Nutzung einer länderspezifischen Ausweichklausel zu vereinbaren. Sie könnte im Prinzip auch höhere zusätzliche Ausgaben als 1,5 % des BIP erlauben. Da es sich um eine länderspezifische Klausel handelt, sollten Mitgliedstaaten in besonderen Fällen vom Standardfall abweichen dürfen (wenn besondere Umstände außerhalb der Kontrolle des Mitgliedstaates mit Einfluss auf die Staatsfinanzen vorliegen). Dies wäre dann von der Bundesregierung nachvollziehbar zu begründen – unter Umständen mit einem besonders hohen Bedarf an zusätzlichen Verteidigungsausgaben. Die Genehmigung obläge den zuständigen EU-Gremien.

Nach der Ausweichklausel-Periode muss Deutschland, wie alle anderen Mitgliedstaaten, wieder zum Netto-Ausgabenpfad des Fiskalplans zurückkehren. Strukturell höhere Ausgaben – etwa bei Verteidigung – muss Deutschland dann wieder gegenfinanzieren (siehe Exkurs „Gelockerte Schuldenbremse stabilitätswahrend ausgestalten“).

2 Gebietskörperschaften

2.1 Steuereinnahmen

2.1.1 Erstes Quartal 2025

Die Steuern wuchsen im ersten Quartal dynamisch (+ 9½ % oder 19 Mrd € gegenüber dem Vorjahrsquartal, siehe Schaubild 5.1 und Tabelle 5.1). Dabei beschleunigten Sondereinflüsse einen ohnehin deutlichen Zuwachs. So trug die Abgeltungsteuer auf Zins- und Veräußerungserträge trotz ihres relativ kleinen Aufkommensanteils rund ein Fünftel zu dem Anstieg bei. Ursächlich dürften nicht zuletzt höhere Veräußerungserträge gewesen sein. Hingegen dürften die Zinserträge auf Einlagen weniger zum Zuwachs beigetragen haben als im Vorjahr. Denn Zinsniveau und Anlagevolumen veränderten sich gegenüber dem Vorjahr kaum. Bei der Lohnsteuer (+ 7½ %) traten wohl steuerpflichtige Lohnelemente an die Stelle steuerfreier Entgeltbestandteile (Inflationsausgleichsprämie) und stützten so die Einnahmen. Dieser Effekt dürfte im weiteren Jahresverlauf nachlassen. Auch die Energiesteuer verzeichnete einen hohen Zuwachs. Grund dafür war ein Sondereffekt, da Beträge für das vierte Quartal 2024 erst Anfang 2025 flossen. Die Körperschaftsteuer verzeichnete im ersten Quartal zwar ebenfalls ein Plus, dies aber ausschließlich aufgrund eines verbesserten Saldos aus Nachzahlungen und Erstattungen für vergangene Zeiträume. Die unterjährig volatile Umsatzsteuer trug ebenfalls erheblich zum Zuwachs bei.

Steueraufkommen
Steueraufkommen
Tabelle 5.1: Steueraufkommen

Steuerart

1. Vierteljahr

Schätz­ung für
2025 1)

20242025

Mrd €

Ver­än­der­ung
ge­gen­über
Vor­jahr in %

Ver­än­der­ung
ge­gen­über
Vor­jahr in %

Steuereinnahmen

 

insgesamt 2)

203,0

222,3

+ 9,5

+ 3,7

darunter:

 

Lohnsteuer 3)

57,1

61,3

+ 7,4

+ 4,4

Gewinnabhängige Steuern

40,3

45,3

+ 12,2

− 0,7

davon:

 

Veranlagte Einkommensteuer 4)

19,1

20,1

+ 5,1

+ 0,3

Körperschaftsteuer 5)

10,1

10,6

+ 4,9

− 10,0

Nicht veranlagte Steuern vom Ertrag

5,5

5,4

− 2,4

− 4,9

Abgeltungsteuer auf Zins- und Veräußerungserträge

5,6

9,2

+ 64,6

+ 22,0

Steuern vom Umsatz 6)

73,6

79,0

+ 7,3

+ 3,2

Übrige verbrauchsabhängige Steuern 7)

21,9

25,3

+ 15,6

+ 7,8

Quellen: Bundesministerium der Finanzen, Arbeitskreis Steuerschätzungen und eigene Berechnungen. 1 Laut offizieller Steuerschätzung vom Mai 2025. 2 Umfasst die gemeinschaftlichen Steuern sowie die Bundes- und Ländersteuern. Einschließlich EU-Anteilen am deutschen Steueraufkommen, einschließlich Zöllen, ohne Erträge aus Gemeindesteuern. 3 Kindergeld und Altersvorsorgezulage vom Aufkommen abgesetzt. 4 Arbeitnehmererstattungen und Forschungszulage vom Aufkommen abgesetzt. 5 Forschungszulage vom Aufkommen abgesetzt. 6 Umsatzsteuer und Einfuhrumsatzsteuer. 7 Energiesteuer, Tabaksteuer, Versicherungsteuer, Kraftfahrzeugsteuer, Stromsteuer, Alkoholsteuer, Luftverkehrsteuer, Kaffeesteuer, Schaumweinsteuer, Zwischenerzeugnissteuer, Alkopopsteuer sowie Rennwett- und Lotteriesteuer, Biersteuer, Feuerschutzsteuer.

2.1.2 Steuerschätzung erwartet solide Zuwächse bis 2029, Abwärtskorrektur resultiert aus Steuersenkungen und gedämpfter Gewinnentwicklung

Die neue offizielle Steuerschätzung prognostiziert, dass die Steuereinnahmen im laufenden Jahr um 3½ % gegenüber dem Vorjahr steigen. Deutlich gestützt wird der Zuwachs dadurch, dass steuerpflichtige Lohnelemente an die Stelle steuerfreier Inflationsausgleichsprämien treten. Auch steigen die Einnahmen aus der Abgeltungsteuer auf Zins- und Veräußerungserträge sowie der Erbschaftsteuer stark. 

Die Lohnsteuereinnahmen steigen um 4½ % – dies entspricht in etwa dem Anstieg der Bruttolöhne und -gehälter. Der angesprochene Effekt durch die Inflationsausgleichsprämie dürfte den Zuwachs um etwa 3½ Prozentpunkte stützen. Die Kompensation der kalten Progression des Vorjahres und die nachträgliche Anhebung des Grundfreibetrags für das letzte Jahr kompensieren in etwa die Progressionswirkung des Einkommensteuertarifs im laufenden Jahr (preis- und reallohnbedingt). Neben weiteren Belastungen aus Steuerrechtsänderungen schlägt zu Buche, dass höhere Krankenkassenbeiträge (über den Lohnsteuerabzug) das Steueraufkommen senken. 

Die Gewinnsteuern insgesamt stagnieren (- ½ %). Die Körperschaftsteuer geht stark zurück, das kräftige Plus bei der Abgeltungsteuer auf Zins- und Veräußerungserträge kompensiert dies aber (siehe zur Abgeltungsteuer oben Abschnitt „Erstes Quartal 2025“). Die Prognose für die Körperschaftsteuer berücksichtigt, dass die gewichtigen Vorauszahlungen im bisherigen Jahresverlauf stark sanken. Dafür dürfte eine Rolle spielen, dass die Gewinnentwicklung bei großen, exportorientierten Unternehmen zuletzt schwach war. Stabiler entwickelt sich das Aufkommen der veranlagten Einkommensteuer. Dies liegt teils daran, dass Renteneinkünfte im Zuge des Übergangs zur nachgelagerten Besteuerung zunehmend steuerpflichtig werden. Zudem scheinen sich die Gewinne der häufiger inlandsorientierten Personenunternehmen derzeit günstiger zu entwickeln als bei großen, stärker exportorientierten Kapitalgesellschaften. Gedämpft werden die Einnahmen aus der Einkommensteuer per saldo spürbar durch Rechtsänderungen – vor allem durch die angesprochene Kompensation der kalten Progression.

Die Einnahmen aus der Umsatzsteuer steigen um 3 %, und damit grob im Einklang mit den Zuwächsen beim privaten Verbrauch und den steuerbelasteten Staatsausgaben. Unterstellt ist damit, dass sich die Zuwächse im restlichen Jahresverlauf deutlich abschwächen. Dies erscheint plausibel, auch weil sich der positive Basiseffekt aus ausgelaufenen temporären Steuersenkungen auf das erste Quartal konzentriert.

Für 2026 erwartet die Steuerschätzung, dass die Einnahmen um 2½ % steigen. Die nominalen gesamtwirtschaftlichen Annahmen bewirken für sich genommen ein etwas schnelleres Einnahmenwachstum. Rechtsänderungen senken den Zuwachs per saldo aber leicht: Maßgeblich ist, dass die kalte Progression weiter kompensiert wird. Ebenfalls bedeutsam sind kräftige Rückgänge bei der Abgeltungsteuer auf Zins- und Veräußerungserträge und bei der Erbschaftsteuer, bei denen die hohen Niveaus aus dem Jahr 2025 nicht fortgeschrieben werden.

In den Folgejahren 2027 bis 2029 steigen die Einnahmen gemäß der Steuerschätzung um durchschnittlich 3½ %. Die Anstiege folgen im Wesentlichen aus den nominalen gesamtwirtschaftlichen Wachstumsannahmen und der Steuerprogression. 2028 und 2029 steigen die Einnahmen dabei etwas langsamer, weil Erhöhungen des Rentenbeitrags unterstellt sind. Dies mindert das zu versteuernde Einkommen im Lohnsteuerabzug. 

Die Steuerschätzung berücksichtigt in Aussicht stehende, aber noch nicht verabschiedete Steuersenkungen noch nicht. Diese würden ab 2026 deutliche Mindereinnahmen bringen. Im Koalitionsvertrag schon recht konkret angekündigte Maßnahmen und die fortgesetzte Kompensation der kalten Progression könnten die Zuwächse in den Jahren ab 2026 zusammen in einer Größenordnung von jeweils 1½ Prozentpunkte senken. Schon recht konkret angekündigt sind vor allem beschleunigte Abschreibungen, die Stromsteuersenkung, die Umsatzsteuerermäßigung für die Gastronomie und die stufenweise Körperschaftsteuersenkung ab 2028. Ab 2029 wären die jährlichen Zuwachsraten wohl nicht mehr so stark davon belastet.  

Im Vergleich zur Steuerschätzung vom Oktober 2024 ergeben sich kumuliert bis 2029 zwar Mindereinnahmen in Höhe von 81 Mrd €. Dies ist aber nicht überraschend, denn ausschlaggebend sind Steuersenkungen. Maßgeblich dafür ist die Kompensation der kalten Progression. Daneben tragen auch ungünstigere gesamtwirtschaftliche Annahmen zu der Abwärtskorrektur bei – vor allem bei den Unternehmens- und Vermögenseinkommen. Insgesamt ist laut offizieller Schätzung vor allem mit deutlich niedrigeren Einnahmen aus den einkommensabhängigen Steuern zu rechnen. Die Einnahmen aus der Umsatzsteuer korrigierte sie hingegen aufwärts – vor allem aufgrund des besser als damals geschätzten Jahresergebnisses 2024. Im Jahr 2025 kompensieren zudem einige temporäre Sonderentwicklungen die genannten Belastungen weitgehend – vor allem bei der Abgeltung- und der Erbschaftsteuer.

Tabelle 5.2: Ergebnisse der offiziellen Steuerschätzung und gesamtwirtschaftliche Projektionen der Bundesregierung
Position202420252026202720282029
Steuereinnahmen 1) 

 

in Mrd € 

947,7

979,7

1 005,8

1 042,9

1 078,8

1 113,0

in % des BIP

22,0

22,3

22,2

22,4

22,5

22,5

Veränderung gegenüber Vorjahr in %

3,5

3,4

2,7

3,7

3,4

3,2

Revision zur vorherigen Steuerschätzung in Mrd €

6,1

− 2,7

− 19,1

− 20,3

− 18,3

− 20,8

Nachrichtlich: Mindereinnahmen durch in Aussichtstehende Steuerentlastungen in Mrd €

 

Ausgewählte Steuerrechtsänderungen aus dem Koalitionsvertrag 2)

.

.

− 14,3

− 22,7

− 31,1

− 30,5

Mindereinnahmen, wenn kalte Progression ab 2027 wie bisher kompensiert wird 3)

.

.

.

− 5,7

− 11,9

− 18,2

Wachstum des realen BIP in % 

 

Frühjahrsprojektion April 2025

− 0,2

0,0

1,0

1,0

1,0

1,0

Herbstprojektion Oktober 2024

− 0,2

1,1

1,6

0,9

0,9

0,9

Wachstum des nominalen BIP in % 

 

Frühjahrsprojektion April 2025

2,9

2,0

3,0

3,0

3,0

3,0

Herbstprojektion Oktober 2024

3,0

3,0

3,5

2,9

2,9

2,9

Quellen: Arbeitskreis Steuerschätzungen, Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und eigene Schätzungen. 1 Einschließlich EU-Anteilen am deutschen Steueraufkommen, einschließlich Zöllen, einschließlich der Erträge aus Gemeindesteuern. 2 Eigene Schätzungen auf Basis der Angaben im Koalitionsvertrag, vor allem: Abschreibungsbeschleunigung, Stromsteuersenkung, schrittweise Körperschaftsteuersenkung ab 2028, Umsatzsteuerermäßigung für Speisen in der Gastronomie. 3 Seit 2014 verschob der Gesetzgeber den Einkommensteuertarif Jahr für Jahr zumeist um die geschätzte Inflationsrate des Vorjahres. Gezeigt sind hier die Mindereinnahmen, die sich ergeben, wenn er diese Praxis beibehält und jeweils auch den Grundfreibetrag mit der Inflationsrate des Vorjahres verschiebt. Die Effekte sind grob abgeschätzt basierend auf der aktuellen Frühjahrsprojektion der Bundesregierung und den Lohnsteuereinnahmen nach aktueller Steuerschätzung. Sie sind in VGR-Abgrenzung ausgewiesen. 

2.1.3 Steuerpolitische Maßnahmen im Koalitionsvertrag

Der Koalitionsvertrag sieht steuerliche Erleichterungen für Unternehmen vor, um die Investitionsbedingungen und die Standortattraktivität zu verbessern. Allerdings sind die Maßnahmen teils erst für die nächste Legislaturperiode vorgesehen. Bereits in dieser Legislaturperiode sollen Unternehmen Ausrüstungsinvestitionen, die sie 2025 bis 2027 tätigen, zügiger abschreiben dürfen. Diese Maßnahme verbessert die Investitionsbedingungen. Ab 2028 soll dann der Körperschaftsteuersatz von derzeit 15 % um jährlich 1 Prozentpunkt sinken auf 10 % im Jahr 2032. Deutschland liegt gegenwärtig bei der Unternehmensteuerbelastung in Europa mit an der Spitze. Die geplanten Senkungsschritte sind geeignet, die Attraktivität des Unternehmensstandorts Deutschland zu verbessern. Zugleich setzen sie den Anreiz, Investitionen vorzuziehen, um sie teilweise noch unter den höheren Steuersätzen abzuschreiben.

Die Erleichterungen für Unternehmen sind wohl mit erheblichen Mindereinnahmen verbunden. Bei der Körperschaftsteuer führt eine Senkung des Steuersatzes um 1 Prozentpunkt rechnerisch zu Ausfällen von knapp 5 Mrd € pro Jahr (inklusive Solidaritätszuschlag). Wahlrechte bei der Einkommensteuer könnten die Ausfälle erhöhen. Mit diesen Wahlrechten können Personenunternehmen sich als Kapitalgesellschaften veranlagen lassen. Dies dürfte mit der Senkung der Körperschaftsteuer attraktiver werden. Die beschleunigten Abschreibungen dürften zunächst ab 2026 zu deutlichen Steuermindereinnahmen führen. Mittelfristig dürften diese Ausfälle aber bereits abnehmen, bevor sich Mehreinnahmen ergeben – gegenüber dem Status quo der linearen Abschreibung. Diese Mehreinnahmen gleichen die zuvor aufgelaufenen Mindereinnahmen in der Summe langfristig im Prinzip zwar aus. Aus Sicht von Kapitalgesellschaften könnte sich aus dem Zusammenspiel der beschleunigten Abschreibungen und dem gesenkten Körperschaftsteuersatz ab 2028 aber eine zusätzliche Entlastung ergeben. 

Die Regierung strebt zudem eine Senkung der Einkommensteuersätze zur Mitte der Legislaturperiode an. Allerdings steht das Vorhaben ausdrücklich unter Finanzierungsvorbehalt, und es gibt auch noch keine konkreten Vorschläge. Der Solidaritätszuschlag soll dagegen weiterhin erhoben werden.

Daneben will die neue Regierung verschiedene weitere Steuervergünstigungen einführen oder ausweiten. Darunter ist die geplante Umsatzsteuerermäßigung für Speisen in der Gastronomie finanziell am gewichtigsten. Daneben will die Regierung die Entfernungspauschale anheben und Überstundenzuschläge einkommensteuerfrei stellen. Zudem sollen Arbeitseinkommen von Rentnerinnen und Rentnern bis zu einer Schwelle von 24 000 € pro Jahr steuerfrei sein (sogenannte Aktivrente). Auch will die Bundesregierung Prämien zur Ausweitung der Arbeitszeit steuerlich begünstigen. Für Kinder soll es eine Sparförderung geben. Schließlich ist geplant, Agrardiesel wieder vollumfänglich steuerlich zu begünstigen und die Luftverkehrsteuer zu senken. 

Empfehlenswert ist aber eher, bestehende Steuersubventionen kritisch zu überprüfen und gegebenenfalls zu reduzieren. Denn Einzelregelungen und Ausnahmen machen das Steuerrecht kompliziert und erhöhen den bürokratischen Aufwand. 9  Eine Überprüfung ist zwar geplant, aber bislang gibt es hierfür weder einen Zeitplan noch eine Liste einzubeziehender Regelungen.

Die Bundesregierung sollte zudem das Steuersystem effektiv und effizient gestalten, damit es nicht zu vermeidbaren Steuerlasten kommt.Empfehlenswert sind in dieser Hinsicht eher niedrige Steuersätze und eine breite Bemessungsgrundlage. 10 So könnte die Regierung die Wirtschaft und Haushalte breiter entlasten, wenn sie bestehende Subventionen nach kritischer Prüfung streicht 11 und auf neue Sonderregeln verzichtet. Zum Beispiel könnte sie dann früher und umfassender die Einkommensbesteuerung senken.

2.2 Bundesfinanzen

2.2.1 Erstes Quartal 2025

Das Defizit des Bundes einschließlich Extrahaushalten 12 lag im ersten Quartal 2025 etwas niedriger als ein Jahr zuvor. Es sank um 2½ Mrd € auf gut 11 Mrd €. Der Rückgang betraf vor allem den Kernhaushalt. 

Kernhaushalt des Bundes: Finanzierungssalden
Kernhaushalt des Bundes: Finanzierungssalden

Im Kernhaushalt ging das Defizit dabei um gut 1½ Mrd € auf knapp 7 Mrd € zurück. Die Steuereinnahmen stiegen kräftig um fast 11 % (+ 10 Mrd €) – hier hatten Sondereffekte den Zuwachs gestützt (siehe Steuerteil). Die Ausgaben legten mit knapp 8 ½ % etwas weniger stark zu. Unter den laufenden Ausgaben stiegen besonders die Zuschüsse (+ 3 Mrd €). Neben höheren Zahlungen an die Rentenversicherung schlugen die aus dem Klimafonds übernommenen Subventionen für klimafreundlichen Strom zu Buche. Die Zinsausgaben waren leicht rückläufig (- ½ Mrd €): Mit der Umstellung auf periodengerechte Verbuchung entfielen im Vorjahresvergleich zwar Ausgaben für Disagien von 2 Mrd €. Dem standen aber spürbare Mehrbelastungen bei der Refinanzierung von Bundesschuldtiteln gegenüber. Die Investitionsausgaben wuchsen sogar um 5 Mrd €. Ausschlaggebend war die erste Tranche der diesjährigen Kapitalaufstockung der Deutschen Bahn, die zum Ausbau der Infrastruktur vorgesehen ist. In der Schuldenbremse bucht der Bund die Zahlung als finanzielle Transaktion. Damit entbindet er sie von der Kreditgrenze, obwohl ein Infrastrukturausbau letztlich das Maastricht-Defizit belastet. 

Finanzierungssalden der Extrahaushalte des Bundes
Finanzierungssalden der Extrahaushalte des Bundes

Bei den Extrahaushalten sank das Defizit im ersten Quartal im Vorjahresvergleich leicht auf 4½ Mrd €. 

  • Im Klimafonds sank das Defizit deutlich um 3 Mrd € auf 2½ Mrd €. Zu Buche schlug, dass nun der Kernhaushalt des Bundes die Subventionen für klimafreundlichen Strom übernommen hat. Vor Jahresfrist hatte der Fonds dafür noch 3 Mrd € gezahlt. 

  • Beim Bundeswehrfonds stieg das Defizit mäßig um ½ Mrd € auf knapp 3 Mrd €. 

  • Der Wirtschaftsstabilisierungsfonds meldete ein ausgeglichenes Ergebnis, nach einem Überschuss aus Rückzahlungen von Hilfsdarlehen vor Jahresfrist.  

2.2.2 Aussichten für 2025 und darüber hinaus

Der Bundesgesetzgeber lockerte im März die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse des Bundes erheblich. Verteidigungsbezogene Ausgaben über 1 % des BIP sind nun in der Höhe und über die Zeit unbegrenzt von der Schuldenbremse befreit. Außerdem gibt es für zwölf Jahre einen Kreditspielraum von insgesamt 500 Mrd € für zusätzliche Investitionen in Infrastruktur und Klimaschutz. Wichtige Konkretisierungen stehen noch aus, und letztlich sind auch die EU-Regeln zu beachten (siehe ausführlicher Exkurs „Gelockerte Schuldenbremse stabilitätswahrend ausgestalten“). 

Mit der Änderung des Grundgesetzes zeichnet sich für den Bundeshaushalt 2025 und die Planungen für die Folgejahre ein hoher Kreditspielraum ab. Die finanziellen Belastungen aus dem Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung dürften 2025 noch relativ eng begrenzt sein. 13 So müssen die Vorhaben erst gesetzlich verankert werden und anschließend anlaufen. Der zum Jahresauftakt beobachtete Defizitrückgang dürfte sich im weiteren Verlauf aber deutlich umkehren. Der Bundesfinanzminister kündigte an, einen Entwurf für den Bundeshaushalt 2025 und Eckwerte für die Folgejahre bis Ende Juni vorzulegen.

Exkurs

Gelockerte Schuldenbremse stabilitätswahrend ausgestalten

1 Überblick

Deutschland steht vor großen Herausforderungen bei Verteidigung und Infrastruktur. Es ist wichtig, diese nun entschieden anzugehen. Nach der Lockerung der Schuldenbremse im März sind hierfür umfangreiche Kreditspielräume vorhanden. Entscheidend ist nun, die Mittel zügig, zielgerichtet und wirtschaftlich einzusetzen. Dazu gilt es nicht zuletzt die Planungen, Genehmigungsprozesse und Auftragsvergaben bei staatlichen Investitionen sowie die Beschaffung von Militärausrüstung zu beschleunigen. Es ist zu begrüßen, dass der Koalitionsvertrag auch darauf abzielt. 

Eine höhere staatliche Kreditaufnahme ist in der aktuellen Situation nachvollziehbar, die Staatsfinanzen müssen aber solide bleiben, und die EU-Regeln sind einzuhalten. Dies spricht erstens dafür, die stark ausgeweiteten Kreditspielräume zielgerichtet nur für die genannten Zwecke zu nutzen. Andere haushaltsbelastende Maßnahmen wären anderweitig zu finanzieren oder zurückzustellen. Zweitens wären die Defizite im weiteren Verlauf verlässlich auf ein Niveau zurückzuführen, das mit soliden Staatsfinanzen und den EU-Regeln in Einklang steht. Dauerhaft höhere Ausgaben für Verteidigung und Infrastruktur wären daher sukzessive gegenzufinanzieren. Drittens wäre eine grundlegende Reform der Schuldenbremse sinnvoll: Sie sollte nach einer Übergangsphase wieder eine stabilitätskonforme Kreditgrenze vorgeben und damit nicht zuletzt die grundlegenden EU-Anforderungen absichern. Die Bundesbank hat Anfang März Vorschläge gemacht, die Schuldenbremse dahingehend auszugestalten und gleichzeitig die staatlichen Investitionen zu stärken.

2 Die neuen Verschuldungsmöglichkeiten

Die Grundgesetzänderungen erweitern die Kreditspielräume erheblich für Fortschritte bei Verteidigung, Infrastruktur und Dekarbonisierung. Im Folgenden sind die neuen Kreditspielräume genauer dargestellt. Dabei wird deutlich, dass sie zumindest in Teilen noch genauer zu spezifizieren sind. Es ist empfehlenswert, sie darauf zu fokussieren, die genannten Herausforderungen zu bewältigen.

2.1 Verteidigung

Verteidigungsausgaben oberhalb einer Schwelle von 1 % des BIP sind dauerhaft von der Kreditgrenze der Schuldenbremse ausgenommen. Für höhere Verteidigungsausgabenquoten, wie sie etwa im Rahmen der NATO als notwendig gelten, gibt es damit keine nationale Kreditbegrenzung mehr. Im Grundgesetz ist verankert, dass diese Ausnahme insbesondere auch Hilfen für angegriffene Staaten wie die Ukraine und Ausgaben für Bevölkerungsschutz im Inland einbezieht. Die Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses des Bundestages konkretisiert die Verteidigungsausgaben als die Ausgaben im Verteidigungsressort (Einzelplan 14 des Bundeshaushalts). 1 Dabei hat der Bundesgesetzgeber grundsätzlich erhebliche Spielräume, welche Ausgaben er im Verteidigungsressort ansiedelt. Und er kann grundsätzlich die für die Kreditgrenze relevanten Ausgaben noch in einem Ausführungsgesetz genauer eingrenzen. 

Im Haushaltsplan 2024 überschritten die Verteidigungsausgaben in der bislang angelegten Abgrenzung die 1 %-Schwelle bereits deutlich. Insoweit würden die Kreditspielräume nicht nur für zusätzliche Verteidigungsausgaben eingeräumt, sondern es würden Spielräume auch für andere im Haushalt veranschlagte Ausgaben geschaffen. 2 Neben Ausgaben von 53 Mrd € im Einzelplan 14 waren 2024 fast 8 Mrd € für die Ukraine und 2 Mrd € für Bevölkerungsschutz und Ähnliches veranschlagt. Die von der Sonderregel betroffenen Ausgaben erreichten damit fast 63 Mrd €. Bezogen auf das nominale BIP für den Haushaltsplan 2024 lag die 1 %-Schwelle demgegenüber mit gut 41 Mrd € sehr viel niedriger. Wäre die reformierte Schuldenbremse bereits in Kraft gewesen, hätte sich ein zusätzlicher Kreditspielraum von gut 21 Mrd € für andere Zwecke ergeben. Dieser hätte sogar eine Größenordnung von 30 Mrd € erreicht, wenn alle NATO-relevanten Verteidigungsausgaben (ohne die ohnehin kreditfinanzierten Beträge aus dem Sondervermögen Bundeswehr) im Einzelplan 14 erfasst worden wären. 

Darüber hinaus können künftig höhere Verteidigungsausgaben des Kernhaushalts kreditfinanziert werden. Die NATO steht offenbar kurz davor, deutlich höhere Mindestverteidigungsausgaben von ihren Mitgliedsländern einzufordern, um nötige militärische Fähigkeiten abzusichern. Die Rede ist von einer Anhebung der NATO-Verteidigungsausgaben um 1,5 Prozentpunkte auf 3,5 % des BIP. Diese Mehrausgaben könnte Deutschland mit der gelockerten Schuldenbremse kreditfinanzieren. Außerdem betrifft die Neuregelung die Zusatzausgaben, die der Kernhaushalt ab 2028 zu bewältigen hat, wenn der Kreditrahmen des Bundeswehrfonds aufgebraucht ist. Insoweit schließen die neuen Kreditmöglichkeiten auch bisher in der Finanzplanung enthaltene Lücken. 

2.2 Infrastruktur und Klimaneutralität

Für ein Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität steht ein Kreditrahmen von 500 Mrd € außerhalb der Schuldenbremse zur Verfügung. Die Bewilligungszeit ist dabei auf zwölf Jahre begrenzt. Vorgesehen ist, aus diesem Rahmen jeweils 100 Mrd € für Investitionen von Ländern samt Gemeinden sowie für Schritte zur Klimaneutralität zu verwenden. 

Das Sondervermögen ist für zusätzliche Ausgaben vorgesehen. Dies ist bisher aber unzureichend abgesichert. Gemäß Begründung zur Grundgesetzänderung gilt die Zusätzlichkeit als erreicht, wenn der „veranschlagte Anteil an Investitionen 10 vom Hundert der Ausgaben im Bundeshaushalt ohne Sondervermögen und finanzielle Transaktionen übersteigt“. Dies lässt allerdings Interpretationsspielräume. 3 Die Zusätzlichkeit für Projekte von Ländern und Gemeinden sowie für die Klimaneutralität ist überhaupt nicht konkretisiert. Das Ausführungsgesetz zur Errichtung des Sondervermögens sollte diese Lücke noch schließen und auch die Stärkung der Infrastruktur des Bundes noch besser absichern

Die Lücken in der Absicherung der Zusätzlichkeit lassen sich beispielhaft für den Haushaltsplan 2024 zeigen. In diesem lag der so abgegrenzte Ausgabenanteil im Kernhaushalt um gut 1 Prozentpunkt über der Mindestquote von 10 %. 4 Demnach hätten Ausgaben von 6 Mrd € in den Fonds verschoben werden können. In diesem Umfang wären zusätzliche Kreditspielräume im Kernhaushalt für andere Ausgaben entstanden. Der Fonds hätte insoweit nicht nur zusätzliche Investitionen finanziert.

Der Koalitionsvertrag legt nahe, dass bereits zuvor geplante Investitionen und angekündigte Strompreis-Subventionen über die neuen Kreditspielräume finanziert werden sollen. Im Bereich Schiene soll der Infrastrukturfonds offenbar helfen, die Haushaltslücken aus der Planung für 2025 von letztem Sommer zu schließen. 5 Auch aufgelaufene Sanierungs- und Modernisierungsinvestitionen für Krankenhäuser sollen nun mit Krediten finanziert werden – zuvor war dafür eine Finanzierung über die Länderhaushalte und höhere Krankenversicherungsbeiträge vorgesehen. Die im Grundgesetz für den Klimafonds reservierten Mittel könnten für die Senkung von Netzentgelten vorgesehen sein. Der Staat übernimmt damit im Wesentlichen Kosten von bereits erfolgten privaten Investitionen. Er verbilligt kreditfinanziert Stromverbrauch. 

2.3 Länder

Die Länder sollen künftig Kredite von 0,35 % des BIP (derzeit 15 Mrd €) jährlich einplanen dürfen, um strukturelle Defizite zu finanzieren. Die Regel ersetzt das Verbot einer strukturellen Nettokreditaufnahme für die Länder im Grundgesetz. Die landeseigenen Regelungen dazu treten außer Kraft, sobald ein Bundesgesetz den neuen Spielraum auf die einzelnen Länder aufteilt. Offenbar verständigten sich die Finanzministerinnen und Finanzminister der Länder im Mai 2025 auf die Aufteilung der Mittel. 6 Pressemitteilungen zufolge schlagen sie vor, die neuen Schuldenmittel wie auch ihren Anteil von 100 Mrd € aus den Infrastrukturfonds nach dem Königsteiner Schlüssel zu verteilen. Der Königsteiner Schlüssel berücksichtigt zu einem Drittel die Bevölkerungszahl und zu zwei Dritteln das Steueraufkommen der Länder nach Länderfinanzausgleich. Die gesetzliche Umsetzung dazu steht noch aus. Hinsichtlich der neuen Verschuldungsmöglichkeiten wäre es naheliegend, auf die Tragfähigkeit abzustellen. Dies hätte dafür gesprochen, dabei ausschließlich auf das Steueraufkommen nach Länderfinanzausgleich abzustellen.

3 Zielgenauigkeit besser absichern

Es ist empfehlenswert, mit den anstehenden Ausführungsgesetzen dafür zu sorgen, dass Bund, Länder und Kommunen die zweckbezogenen Kreditspielräume nur für die jeweiligen Ziele einsetzen. Im Folgenden wird erörtert, welche Regelungen in den Ausführungsgesetzen dazu beitragen können.

3.1 Verteidigung

Um die Zusätzlichkeit abzusichern, wäre die Kreditfinanzierung im Verteidigungsbereich auf zusätzliche Verteidigungsausgaben zu begrenzen. Dazu wäre erstens zu verhindern, dass der Bund künftig anderweitige Ausgaben in den begünstigten Bereich verlagert. Hierfür wäre naheliegend, sich nicht am letztlich relativ frei abgrenzbaren Einzelplan 14 (Ausgaben Verteidigungsressort) anzulehnen, 7 sondern an eine international abgestimmte Abgrenzung für Verteidigungsausgaben. Dafür scheinen die NATO-Ausgaben weniger geeignet, da diese nicht detailliert öffentlich verfügbar sind und die Abgrenzung international nicht ganz einheitlich erscheint. Geeignet wäre dagegen, die in der EU abgestimmte Abgrenzung von Aufgabenbereichen des Staates (COFOG) zugrunde zu legen. 8 Dies würde voraussichtlich auch zur geplanten verteidigungsbezogenen Ausweichklausel der EU-Regeln passen (vgl. dazu im Exkurs „EU-Fiskalregeln: Nationale Ausweichklauseln sollen aktiviert werden“ die Ausnahmen zur Verteidigung). Hinzu kämen dann noch die explizit zusätzlich im Grundgesetz angeführten Ausgaben in der Bereichsausnahme etwa für Bevölkerungsschutz und Sicherheit der Datenverarbeitung. 

Zweitens wären die neuen Spielräume tatsächlich nur für zusätzliche Verteidigungsausgaben gegenüber dem Vorjahr zu nutzen – und nicht um andere Haushaltslücken schließen. Praktikabel wäre, eine Zusätzlichkeit gegenüber dem Haushaltsergebnis 2024 abzusichern. Das heißt: Die im letzten Jahr im Kernhaushalt erreichte Ausgabenquote ist ein naheliegender Mindestwert für die nicht kreditfinanzierten Ausgaben. Hier könnten die COFOG-Ausgaben für den Kernhaushalt zuzüglich der explizit aufgeführten Bereiche (etwa Bevölkerungsschutz) herangezogen werden. Diese dürften sich etwa auf die Größenordnung von 1 % des BIP belaufen haben. 9 Diese Abgrenzung dürfte somit näherungsweise gewährleisten, dass keine Spielräume für andere Bereiche des Kernhaushalts entstehen. Gleichzeitig könnte jeder weitere Aufwuchs der Verteidigungsausgaben grundsätzlich wie intendiert kreditfinanziert werden. Dies gilt auch für die Fortführung der aus dem Bundeswehrfonds finanzierten Ausgaben im Kernhaushalt.

3.2 Infrastruktur und Klimaneutralität

Beim Infrastrukturfonds wäre es überzeugend, die Mittel für die wichtigsten Modernisierungsbedarfe zu reservieren.Die Politik argumentiert, dass sie die Kreditmittel zügig benötigt, um die Infrastrukturprobleme zu beheben. Entsprechend wäre davon auszugehen, dass sie die Schwachstellen hinreichend genau präzisieren und gezielt beheben kann. Recht offensichtlich scheinen Engpässe im Schienen- oder Straßennetz (insbesondere bei Brücken), in der Bildungsinfrastruktur und bei der Digitalisierung der Verwaltung. Für die Energieversorgung sind in Deutschland im Wesentlichen Unternehmen verantwortlich. Insofern liegt der Investitionsbedarf für die Dekarbonisierung vor allem im Privatsektor. Der Staat kann dabei gezielt unterstützen, etwa um dekarbonisierungsbedingte Mehrkosten für eine Übergangszeit zu begrenzen. Generell ist die Politik gefordert, die aus dem Fonds zu finanzierenden Aufgabenbereiche und Projekte sorgfältig auszuwählen und im Hinblick auf die Bewältigung der Herausforderungen zu begründen. So gesehen erscheint es nicht recht überzeugend, die Kreditfinanzierung dafür vorzusehen, Strompreise in Form von Netzentgelten durch Subventionen allgemein zu senken. 

Um bei der Infrastruktur Fortschritte zu erzielen, wäre es wichtig, dass die Fondsmittel nicht über Umwege in anderweitige Vorhaben in den Haushaltsplänen fließen. Dazu läge nahe, die Mindestinvestitionsquote im Kernhaushalt des Bundes anders abzugrenzen als bisher offenbar vorgesehen (vgl. für die Abgrenzung gemäß Gesetzesbegründung Abschnitt Infrastruktur und Klimaneutralität). Einerseits wären investive Ausgaben ohne Bezug zur deutschen Infrastruktur auszuklammern. Dies betrifft die Investitionszuschüsse an das Ausland (Entwicklungshilfe) und an nichtstaatliche Unternehmen (Soll 2024: zusammen 12 Mrd €) sowie Ausgaben für in Anspruch genommene Gewährleistungen (Soll 2024: 2½ Mrd €). Andererseits wäre es folgerichtig, Kapitaleinlagen bei der Bahn einzubeziehen, die letztlich in das Schienennetz fließen (Soll 2024: gut 5 Mrd €). Der derzeitige Ansatz klammert sie als finanzielle Transaktionen aus. 10 Wird die Investitionsquote um die vorgenannten Positionen korrigiert, hätte sie 2024 nahe, aber unter dem Mindestwert von 10 % gelegen. In dieser Abgrenzung würde die Mindestinvestitionsquote die Zusätzlichkeit der Bundesvorhaben des Fonds relativ gut absichern. 11

Zudem wäre es folgerichtig, die zulässige Kreditaufnahme für Investitionen auf Basis der Ergebnisse im Jahresabschluss abzurechnen. Wenn die Zusätzlichkeit nicht nur für den Haushaltsplan, sondern auch bei Abrechnung auf Sollwerten basiert, entstehen Gestaltungsmöglichkeiten. Tatsächlich blieben bereits in der Vergangenheit die Investitionsausgaben im Ergebnis häufig spürbar unter den Haushaltsansätzen. 

Die zielkonforme Mittelverwendung sollte auch für Länder und Gemeinden sowie für Klimaneutralität abgesichert werden. Damit etwa Länder und Gemeinden nicht bloß die Finanzierung ohnehin geplanter Maßnahmen auf den Fonds verlagern, könnte für sie ebenfalls eine Mindestinvestitionsquote gelten. Naheliegend wäre, dass sie bei der endgültigen Jahresabrechnung nur so viele Fondsmittel erhalten, wie ihre Investitionen eine Referenzquote aus der jüngeren Vergangenheit übersteigen. 12

4 Hinsichtlich Länderfinanzen: Transparenz erhöhen, Schieflagen wirksam verhindern

Mit eigenen strukturellen Kreditspielräumen steigt die Gefahr von Schieflagen. Entsprechend dringlicher ist es, dass die Länderfinanzen transparent sind und effektiv überwacht werden. Der neue Kreditspielraum sollte für die Länder als Anstoß dienen, ihre Schuldenbremsen stärker anzugleichen, ihre Haushaltsplanungen aussagekräftiger zu gestalten und die finanzstatistische Datenbasis zu verbessern. 13 Denn bisher sind die Regelungen vielfältig und Planungen sowie Daten schwer zu durchschauen. Dies erschwert eine unabhängige Überwachung der Länderfinanzen. Transparente Länderfinanzen würden auch dem Stabilitätsrat die Haushaltsüberwachung vereinfachen. 

Die einzelnen Länder sollten die neuen Spielräume verantwortungsbewusst nutzen. Für Länder, die bereits hoch verschuldet sind oder gar Sanierungshilfen vom Bund erhalten, liegt es in ihrem eigenen Interesse, zunächst die Schieflagen zu beheben und die neuen Kreditspielräume erst danach zu nutzen. Um Schieflagen zuverlässig vorzubeugen, ist ein gutes Signalsystem wichtig. Hierfür läge es nahe, das Kennzahlensystem des Stabilitätsrates zu überprüfen, gegebenenfalls auch die kommunale Ebene einzubeziehen (etwa mit Angaben zu Kassenkrediten bis zum aktuellen Rand) und die Alarmschwellen zu senken.

5 Künftige Aufgabe: Defizitanstieg wieder umkehren, EU-Regeln verlässlich einhalten

Die reformierte Schuldenbremse erlaubt umfangreiche Defizite und damit eine Schuldenquote, die sich immer weiter von 60 % entfernt. Eine solche Entwicklung ließe die Zinsausgaben stark steigen – auch, wenn Bund und Länder die neuen Spielräume zweckgemäß nutzen. Dies würde künftige Haushalte stark belasten und Handlungsspielräume einschränken. Zudem stünde diese Entwicklung perspektivisch nicht mit den EU-Regeln in Einklang. Die EU-Regeln für Defizite und Schuldenquote setzen wichtige Anker für solide Staatsfinanzen und eine stabilitätsorientierte Währungsunion. Es ist daher zu begrüßen, dass der Koalitionsvertrag eine stringente Anwendung fordert. All dies spricht dafür, die Ausführungsgesetze und die geplante weitere Änderung der Schuldenbremse zu nutzen, um solide Staatsfinanzen und EU-Regeln wieder über konkrete jährliche Kreditgrenzen im nationalen Recht zu verankern. 

Für Deutschland dürften die EU-Vorgaben im neuen Regelwerk nach einer Ausnahmeperiode vorsehen, eine strukturelle gesamtstaatliche Defizitquote von etwa 1 % anzustreben. 14 Deutschland hat (wie andere EU-Staaten) die nationale Ausweichklausel beantragt. Wird sie aktiviert, sind höhere als unter den normalen Regeln geplante Defizite zulässig (vgl. Exkurs „EU-Fiskalregeln: Nationale Ausweichklauseln sollen aktiviert werden“). Die neue Bundesregierung muss außerdem noch für den vier- bis siebenjährigen Anpassungszeitraum einen Fiskalplan mit den EU-Gremien vereinbaren. Dieser legt die Basislinie unabhängig von den zusätzlichen Defizitmöglichkeiten durch die Ausweichklausel fest. Dieser Fiskalplan dürfte vorgeben, dass Deutschland eine strukturelle gesamtstaatliche Defizitquote von etwa 1 % anstreben muss. Diese Zielquote liegt faktisch in der Nähe der jahresdurchschnittlichen Kreditspielräume des neuen Infrastrukturfonds. Wenn Bund und Länder diesen Fonds-Spielraum nutzen, kommt eine Kreditfinanzierung für andere Ausgaben kaum mehr in Betracht – auch nicht für zusätzliche Verteidigungsausgaben. Das bedeutet: Es gibt zwar aktuell eine Übergangsphase. Aber um die nationale Planung in Übereinstimmung mit den EU-Vorgaben zu bringen, kann perspektivisch nur ein kleiner Teil der neuen nationalen Kreditspielräume genutzt werden. 

Die Ausführungsgesetze zur gelockerten Schuldenbremse bieten die Chance, verlässliche Leitplanken für die Haushaltsplanungen zu setzen. Dazu könnten die Gesetze die Verschuldungsspielräume des Bundes und der Länder einschließlich ihrer Sondervermögen in Einklang mit den gesamtstaatlichen EU-Vorgaben konkretisieren. 15 16  Beim Finanzierungsvorbehalt, der im Koalitionsvertrag verankert ist, wären nicht nur die nationalen Regeln, sondern auch das perspektivisch deutlich engere Defizitkorsett der EU-Regeln im Blick zu behalten. Da die Defizite im weiteren Verlauf wieder deutlich zu reduzieren sind, ist empfehlenswert, die Kreditspielräume für die aktuellen Herausforderungen bei Verteidigung und Infrastrukturinvestitionen (einschließlich Klimaneutralität) zu reservieren und andere zusätzliche Maßnahmen gegenzufinanzieren.

Zu empfehlen wäre darüber hinaus, die grundgesetzlichen Vorgaben zu den Kreditgrenzen nochmals so anzupassen, dass sie mit dem EU-Referenzwert für die Schuldenquote kompatibel sind und solide Staatsfinanzen wieder wirksam absichern. Die Bundesbank hat darauf abzielende Vorschläge zur Reform der Schuldenbremse vorgelegt. Die derzeitigen Kreditgrenzen im Grundgesetz laufen ins Leere, wenn die EU-Vorgaben regelmäßig ambitionierter sind. Geeignete verfassungsrechtliche Leitplanken für die einzelnen Ebenen sind aber wichtige Bestandteile der nationalen Regeln. Sie haben auch den Vorteil, dass Verfassungsgerichte deren Einhaltung überprüfen können, was schon vorab die Bindungswirkung stärkt. Im Koalitionsvertrag ist eine weitere Reform der Schuldenbremse für dieses Jahr angekündigt. Statt nur punktueller Anpassungen etwa zur Verstetigung von Investitionen erscheinen grundlegende Änderungen für die Zeit nach der aktuellen Übergangsphase ratsam. Die Vorschläge der Bundesbank bieten dafür geeignete Ansatzpunkte: Sie zielen darauf, sowohl den staatlichen Investitionen (in Infrastruktur und Verteidigung) Vorrang einzuräumen als auch solide Staatsfinanzen und die EU-Regeln abzusichern.

2.3 Länderfinanzen 14

2.3.1 Ergebnis 2024 und Ausblick

Die Länder einschließlich ihrer Extrahaushalte verzeichneten im Jahr 2024 ein Defizit von 18 Mrd €, nach einem nahezu ausgeglichenen Abschluss im Jahr davor. Die Verschlechterung war auch durch Einmaleffekte und negative Konjunktureinflüsse getrieben. Die schwache Konjunktur bremste die Steuereinnahmen. Gleichzeitig stiegen die Ausgaben kräftig. Bei den Personalausgaben schlugen sich nicht zuletzt Entgeltanpassungen nieder. Bei den Investitionen gab es auch gewichtige Einmaleffekte durch finanzielle Transaktionen wie etwa Beteiligungserwerbe. Bereinigt um diese finanziellen Transaktionen betrug das Defizit 8 Mrd €. Zusätzlich bereinigt um die Konjunkturkomponente aus der Frühjahrsschätzung 2025 der Bundesregierung ergibt sich in der Summe ein mehr oder weniger ausgeglichener Finanzierungssaldo.

Das erste Quartal 2025 schlossen die Kernhaushalte der Länder mit einem Überschuss von 2 Mrd € ab. Die Verbesserung gegenüber dem Defizit von 3 Mrd € im Vorjahr ist dabei durch unterjährige ausgabenseitige Sonderentwicklungen überzeichnet. Die Einnahmen stiegen gegenüber dem Vorjahresquartal kräftig (+ 5 %), insbesondere dank beträchtlich höherer Steuereinnahmen (+ 6 %). Die Ausgaben wuchsen hingegen lediglich um 1 %. Die Personalausgaben nahmen nur schwach zu (ebenfalls + 1 %). Hier war die Vorjahresbasis allerdings durch Einmalzahlungen erhöht. Ausgabendämpfend wirkte ein Sondereffekt in Nordrhein-Westfalen: Das Land hatte im Vorjahr Jahrespauschalen für Hochschulen bereits im Auftaktquartal gezahlt. Im zweiten Quartal wird dieser Effekt dann im Vorjahresvergleich negativ wirken.

Finanzierungssalden der Länder
Finanzierungssalden der Länder

Für das Gesamtjahr 2025 zeichnet sich wie im Vorjahr ein Defizit der Länder ab. Die Einnahmen dürften aufgrund der weiterhin schwachen Konjunktur wohl nur mäßig ansteigen. Die offizielle Steuerschätzung erwartet ein Wachstum der Steuereinnahmen der Länder um 3,2 % und damit eine deutlich langsamere Gangart als zum Jahresauftakt. Die gewichtigen Personalausgaben und der laufende Sachaufwand werden merklich steigen, wenn auch weniger stark als in den Vorjahren. Die Nachwirkungen der hohen Inflationsraten auf diese Ausgaben sollten inzwischen ausgelaufen sein. Entlasten dürfte, dass die Belastungen aus finanziellen Transaktionen signifikant niedriger sein dürften als im Vorjahr.

Das voraussichtliche Defizit deutet nicht auf einen generellen Konsolidierungsbedarf hin. Allerdings dürfte sich die Lage zwischen den einzelnen Ländern deutlich unterscheiden. Grundsätzlich haben die Länder gemäß reformierter Schuldenbremse nunmehr einen strukturellen Kreditspielraum von zusammen 0,35 % des BIP. Unklar ist noch, was das für die strukturellen Spielräume der einzelnen Länder bedeutet: Bislang leiten die Länder die Kreditgrenzen ihrer Schuldenbremsen sehr unterschiedlich ab. 15 Außerdem haben zahlreiche Länder Tilgungspflichten aus Notlagenkrediten. Zudem hat der Bundesgesetzgeber noch nicht festgelegt, wie sich der neue strukturelle Spielraum auf die einzelnen Länder verteilt (vgl. Exkurs „Gelockerte Schuldenbremse stabilitätswahrend ausgestalten“). Abgesehen davon ist die Finanzlage in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich. Daher dürften in manchen Ländern durch den neuen Kreditspielraum zusätzliche finanzielle Spielräume bestehen, während andere Länder ihre Haushalte dennoch konsolidieren müssen.

Die neue Bundesregierung will prüfen, ob die Aufgaben zwischen den föderalen Ebenen angemessen verteilt sind und wo Digitalisierungspotenziale zu heben sind. 16 Dies ist zu begrüßen. Eine Aufgabe und ihre Finanzierung sollten auf derselben staatlichen Ebene liegen. Ressourcen könnten dann besser genutzt werden. Denn es erleichtert der Wahlbevölkerung, Verantwortlichkeiten zu erkennen. Digitalisierung bietet zudem Chancen, um Verwaltungsprozesse im gesamten Bundesgebiet zu vereinheitlichen und zu vereinfachen. Dies könnte nicht zuletzt knappe Personalressourcen schonen.

2.3.2 Rückgriff auf die Notlagen-Klausel

Das Schleswig-Holsteinische Landesverfassungsgericht erklärte Teile des Landeshaushalts 2024 für nichtig, da das Landesparlament Darlegungspflichten nicht erfüllt hatte. 17 Dem Urteil zufolge hatte das Land insbesondere nicht ausreichend begründet, dass die aufgenommenen Notlagenkredite notwendig waren. Das Urteil wirkt sich zwar nicht mehr auf den Landeshaushalt 2024 aus, da die Bücher bereits geschlossen sind. Allerdings sieht auch der Landeshaushalt 2025 einen Notlagenkredit vor (knapp ½ Mrd €). (Anm. der Redaktion, Corrigendum vom 13.06.2025 zu den beiden Vorsätzen: Die Aussage des ersten Satzes, dass sich das Urteil nicht mehr auf den Landeshaushalt 2024 auswirke, da die Bücher bereits geschlossen seien, trifft nicht zu. Dieser Satz wird daher ersatzlos gestrichen, und der zweite Satz wird wie folgt angeschlossen: „Auch der Landeshaushalt 2025 sieht einen … .“). Das Landesparlament sollte nun prüfen, ob der Haushalt für 2025 den diesbezüglichen Vorgaben seines Verfassungsgerichts genügt und ihn andernfalls daran anpassen.

Das Urteil stellt relativ hohe Anforderungen für Notlagenkredite. Aus ökonomischer Sicht ist es richtig, eine strikte Schuldenregel mit einer notlagenbezogenen Ausnahmeklausel zu versehen. Gleichzeitig sind hohe Anforderungen für deren Inanspruchnahme wichtig, damit die Klausel die Intention der Schuldenregel nicht aushebelt. Insofern scheint es naheliegend, dass auch die anderen Länder strenge Maßstäbe anlegen. Aktuell planen neben Schleswig-Holstein auch das Saarland und Sachsen-Anhalt, im laufenden Jahr Notlagenkredite aufzunehmen.

3 Sozialversicherung

3.1 Rentenversicherung

3.1.1 Ausblick auf 2025

Die gesetzliche Rentenversicherung (GRV) verbuchte im ersten Quartal 2025 ein Defizit von fast 3 Mrd €. Damit war der Fehlbetrag etwa doppelt so hoch wie im Vorjahr. Die Einnahmen stiegen mit 5½ % zwar kräftig. Dahinter stand ein starker Zuwachs der beitragspflichtigen Entgelte. Sie legten stärker zu als die Entgelte insgesamt, weil wohl sozialbeitragspflichtige Entgelte abgabenbefreite Inflationsausgleichsprämien ersetzten. Die Ausgaben wuchsen mit 6½ % aber noch stärker als die Einnahmen: Neben der Rentenanpassung von 4½ % zur Jahresmitte 2024 trugen dazu drei Faktoren bei: i) eine steigende Rentenzahl, ii) Zusatzausgaben für die neuen Zuschläge für Erwerbsminderungsrenten und iii) gestiegene Zusatzbeiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung. 18

Finanzen der Deutschen Rentenversicherung
Finanzen der Deutschen Rentenversicherung

Auch im Gesamtjahr 2025 dürfte sich das Defizit deutlich ausweiten. Die Ausgaben dürften zwar im weiteren Jahresverlauf etwas weniger schwungvoll zulegen. Grund ist, dass zur Jahresmitte die Renten etwas schwächer steigen als im Vorjahr (um gut 3½ %). Hinzu kommt, dass nur noch bis zur Jahresmitte die neuen Zuschläge für Erwerbsminderungsrenten die Ausgaben im Vorjahresvergleich erhöhen. Allerdings dürfte sich die Zuwachsrate bei den Einnahmen im weiteren Jahresverlauf demgegenüber noch etwas stärker abschwächen, da die stützenden Effekte im Zusammenhang mit den wegfallenden Inflationsausgleichsprämien auslaufen. 

3.1.2 Rentenpolitische Vorhaben der neuen Bundesregierung

Die Vereinbarungen des Koalitionsvertrages sehen im Wesentlichen vor, die bisherige Rentenpolitik zu verstetigen. Der demografische Druck auf die Rentenversicherung bleibt daher im Grunde unverändert hoch. Der Koalitionsvertrag enthält zudem keine entscheidenden Impulse für eine höhere Erwerbsbeteiligung Älterer. Der Druck auf die Rentenausgaben erhöht sich zudem durch die geplanten Maßnahmen deutlich: Erstens durch die Verlängerung der Haltelinie beim Versorgungsniveau und zweitens durch eine Ausweitung der angerechneten Erziehungszeiten bei Versicherten mit vor dem Jahr 1992 geborenen Kindern (sogenannte Mütterrenten). Allerdings soll der Bundeshaushalt die Mehrausgaben für diese beiden Posten ausgleichen. Im Laufe der Legislaturperiode beabsichtigt die Regierung, über weitere Reformschritte für die Zeit nach 2031 zu diskutieren. Zuvor soll eine Reformkommission Vorschläge erarbeiten.

Die Bundesregierung plant, die Haltelinie von 48 % für das Versorgungsniveau bis 2031 zu verlängern. Damit steigen die Rentenausgaben deutlich stärker als ohnehin angelegt. Denn gemäß derzeitiger Rechtslage kann der Nachhaltigkeitsfaktor die Rentenanpassungen ab dem nächsten Jahr wieder bremsen. Das Versorgungsniveau sinkt deshalb gemäß aktuellen Vorausschauen. Im Jahr 2031 könnte es bei etwa 46½ % liegen. 19

Beim Rentenalter und Rentenzugang sind keine größeren Veränderungen vorgesehen. Angesichts der steigenden Lebenserwartung wäre es jedoch folgerichtig, das Rentenalter nach 2031 an die Lebenserwartung zu knüpfen. 20 Ebenso naheliegend wäre, die Sonderregel eines abschlagsfreien Rentenzugangs für besonders langjährig Beschäftigte zu beenden. Dies würde positive Impulse für die Erwerbsbeteiligung senden und die Rentenversicherung besser an die demografischen Veränderungen anpassen.

Vorgesehene finanzielle Anreize zur Verlängerung der Erwerbsphase über das gesetzliche Rentenalter hinaus dürften nur begrenzt wirken. 21  Die Bundesregierung beabsichtigt, finanzielle Anreize für Beschäftigte einzuführen, die es attraktiver machen sollen, über das gesetzliche Rentenalter hinaus weiterzuarbeiten (sogenannte Aktivrente). Dazu plant sie, Löhne und Gehälter von Beschäftigten nach der Regelaltersgrenze bis zu 2 000 € im Monat steuerfrei zu stellen. Allerdings diagnostizierte die alte Bundesregierung noch im Alterssicherungsbericht 2024, dass finanzielle Gründe bei der Entscheidung für Erwerbstätigkeit im Alter nur eine untergeordnete Rolle spielen. 22 Außerdem haben spezielle steuerliche Begünstigungen weitere Nachteile: Sie machen die Besteuerung insgesamt komplexer, die Bemessungsgrundlage kleiner und schaffen Anreize zur Steuergestaltung. Daher spricht Einiges dagegen, Erwerbstätigkeit nach Überschreiten der Altersgrenze steuerlich gegenüber anderer Arbeit zu subventionieren. 

3.2 Bundesagentur für Arbeit

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) verzeichnete im ersten Quartal 2025 ein Defizit von 2 Mrd €. Gegenüber dem Vorjahresquartal verschlechterte sich das Ergebnis um gut 1 Mrd €. Die Einnahmen der BA wuchsen zwar mit 8 % kräftig, wozu nicht zuletzt der höhere Umlagesatz für das Insolvenzgeld beitrug (0,15 %, nach 0,06 % im Vorjahr). Die Ausgaben stiegen aber wesentlich stärker (+ 18½ %), etwa das besonders gewichtige Arbeitslosengeld. Ursächlich waren vor allem die deutlich höheren Empfängerzahlen. 

Finanzen der Bundesagentur für Arbeit
Finanzen der Bundesagentur für Arbeit

Im Gesamtjahr dürfte bei der BA ein spürbares Defizit anfallen. Dieses dürfte etwas höher sein als geplant (Plan: 1½ Mrd €). Allerdings sollte der Beitragssatz deshalb nicht angehoben werden müssen. Insgesamt belastet, dass der Arbeitsmarkt sich etwas ungünstiger entwickelt als bei Haushaltsaufstellung erwartet. Das Defizit könnte die verfügbaren Mittel der freien Rücklage übersteigen (Ende 2024: 3 Mrd €). Dann könnte der Bund durch überjährige Liquiditätshilfen verhindern, dass der Beitragssatz steigt. Sobald sich die wirtschaftliche Entwicklung aufhellt, dürfte die BA in der Lage sein, diese Hilfen aus Überschüssen zurückzuzahlen.

(In diesem Beitrag wurden Daten bis zum 21. Mai 2025, 11:00 Uhr berücksichtigt.)

Literaturverzeichnis

Bundesministerium der Finanzen (2024), Bürgernahe Einkommensteuer, Abschlussbericht der Expertenkommission, November 2024. 

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2024), Alterssicherungsbericht 2024 , Ergänzender Bericht der Bundesregierung zum Rentenversicherungsbericht 2024 gemäß § 154 Abs. 2 SGB VI, November 2024.

Bundesrechnungshof (2024), Bericht nach § 88 Absatz 2 BHO an den Rechnungsprüfungsausschuss des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages: 29. Subventionsbericht der Bundesregierung – Steuervergünstigungen , März 2024.

Bundesverfassungsgericht (2025), Urteil des Zweiten Senats vom 26. März 2025 – 2 BvR 1505/20 –, Rn. 1 – 177 , März 2025.

CDU, CSU, SPD (2025), Verantwortung für Deutschland, Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD , 21. Legislaturperiode, April 2025, S. 1 – 144.

Deutsche Bundesbank (2025a), Kurzberichte: Konjunkturlage und Öffentliche Finanzen, Monatsbericht, April 2025.

Deutsche Bundesbank (2025b), Solide Staatsfinanzen, gestärkte Investitionen: ein Vorschlag zur Reform der Schuldenbremse, Monatsbericht, März 2025.

Deutsche Bundesbank (2024a), Länderfinanzen 2023: Lage verschlechtert sich, aber noch struktureller Überschuss, Monatsbericht, Oktober 2024.

Deutsche Bundesbank (2024b), Öffentliche Finanzen, Monatsbericht, August 2024.

Deutsche Bundesbank (2023a), Öffentliche Finanzen , Monatsbericht, Mai 2023, S. 60 – 78. 

Deutsche Bundesbank (2023b), Zur zunehmenden Bedeutung der Extrahaushalte des Bundes , Monatsbericht, Juni 2023, S. 63 – 82.

Deutsche Bundesbank (2023c), Öffentliche Finanzen , Monatsbericht, November 2023, S. 62 – 85.

Deutsche Bundesbank (2019), Langfristige Perspektiven der gesetzlichen Rentenversicherung , Monatsbericht, Oktober 2019, S. 55 – 82.

Deutscher Bundestag (2025), Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses, Drucksache 20/15117 vom 16. März 2025, S. 1 – 24.

Deutsche Presse-Agentur (2025), Länder teilen Infrastrukturmittel und Kreditoptionen auf , t-online, 9. Mai 2025.

Duggan, M., I. Dushi, S. Jeong und G. Li (2023), The Effects of Changes in Social Security’s Delayed Retirement Credit: Evidence from Administrative Data, Journal of Public Economics, Juli 2023.

Europäische Kommission (2025a), Presseerklärung von Präsidentin von der Leyen zum Verteidigungspaket, 4. März 2025.

Europäische Kommission (2025b), Accommodating increased defence expenditure within the Stability and Growth Pact, Communication from the Commission, C(2025) 2000 final, 19. März 2025.

Europäische Zentralbank (2025), Flexibilität im überarbeiteten wirtschaftspolitischen Steuerungsrahmen der EU und Auswirkungen auf die Staatsverschuldung, Wirtschaftsbericht, Ausgabe 3/2025, März 2025, S. 101 – 105.

Lalive, R., A. Magesan und S. Staubli (2023), How Social Security Reform Affects Retirement and Pension Claiming, American Economic Journal: Economic Policy, Vol. 15(3), S. 115 – 150, August 2023.

Manoli, D. und A., Weber (2016), Nonparametric Evidence on the Effects of Financial Incentives on Retirement Decisions , American Economic Journal: Economic Policy Vol. 8(4), S. 160 – 182, November 2016.

OECD (2010), Choosing a Broad Base – Low Rate Approach to Taxation OECD Tax Policy Studies, No. 19, OECD Publishing.

Rat der Europäischen Union (2025), Koordinierte Aktivierung der nationalen Ausweichklausel, Pressemitteilung vom 30. April 2025.

Schleswig-Holsteinisches Landesverfassungsgericht (2025), Urteil vom 14. Februar 2025 – LVerfG 1/24 – Verfassungsmäßigkeit von Notkrediten im Landeshaushalt 2024 , Februar 2025.

Seibold, A. (2021), Reference Points for Retirement Behavior: Evidence from German Pension Discontinuities , American Economic Review, Vol. 111(4), S. 1126 – 1165, April 2021.

Sozialbeirat (2024), Jahresgutachten 2024, Gutachten des Sozialbeirats, November 2024.

Thomas, A. (2020), Reassessing the regressivity of the VAT , OECD Taxation Working Papers, No. 49, OECD Publishing.

VO (EU) 1263/2024, Verordnung (EU) 2024/1263 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2024 über die wirksame Koordinierung der Wirtschaftspolitik und über die multilaterale haushaltspolitische Überwachung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1466/97 des Rates, Amtsblatt der Europäischen Union, April 2024.

 

Hat Ihnen diese Seite geholfen?