Monatsbericht – Mai 2024

Monatsberichtsaufsatz

1 Finanzmarktumfeld

An den internationalen Finanzmärkten herrschte noch zu Jahresbeginn das Bild früher und zügiger Leitzinssenkungen vor. Davon rückten die Marktakteure angesichts verbesserter Konjunkturdaten sowie einer vor allem in den USA stockenden Disinflation sukzessive ab. Zu Jahresbeginn gingen die Marktteilnehmer zunächst davon aus, dass bereits im Frühjahr erstmalig die Leitzinsen gesenkt würden. Aufgrund stockender Disinflation und positiver Konjunktursignale betonten die Notenbanken die Datenabhängigkeit ihres Vorgehens, darunter die Fed und das Eurosystem. Insbesondere für die USA verschoben sich unter diesen Einflüssen die Zinssenkungserwartungen für das laufende Jahr in die Zukunft. Unter den Marktakteuren gilt gegenwärtig eine erste US-Leitzinssenkung erst nach dem Sommer als wahrscheinlich. Diese Impulse aus den USA übertrugen sich auch auf den Euroraum, für den die Marktakteure ihre Erwartungen rascher Zinssenkungen ebenfalls zurücknahmen. So schätzten die Marktakteure eine erste Leitzinssenkung im Juni als weiterhin wahrscheinlich ein. Den weiteren zukünftigen Leitzinsverlauf bewerteten sie aber als unsicherer. In diesem Umfeld stiegen die langfristigen Nominal- und Realzinsen in beiden Währungsräumen an, wobei sich der relative Zinsvorteil der USA ausweitete. 

Risikobehaftete Vermögenswerte profitierten von positiven Konjunkturimpulsen und einem steigenden Risikoappetit der Anleger. So engten sich an den europäischen Märkten für Unternehmensanleihen die Renditeaufschläge gegenüber sicheren Bundesanleihen merklich ein. Den internationalen Aktienmärkten gab zusätzlich eine stabile Ertragsentwicklung der Unternehmen Auftrieb. Auch die Devisenmärkte waren im Berichtszeitraum von der sich festigenden Erwartung einer späteren US-Zinswende geprägt. Die anhaltende Yen-Schwäche dürfte daher rühren, dass die Geldpolitik in Japan nach wie vor deutlich expansiver ausgerichtet ist als in den USA und im Euroraum.

2 Wechselkurse

Der Euro wertete seit Jahresbeginn gegenüber dem US-Dollar per saldo ab, weil sich die ursprünglich bestehenden Zinssenkungserwartungen in den USA immer weiter in die Zukunft verschoben. Die wichtigste Ursache für diese Erwartungskorrektur war die Kombination aus einer stärker als erwartet gestiegenen US-Inflation, insgesamt überraschend starken Zahlen zum amerikanischen Arbeitsmarkt und einer Reihe unerwartet günstiger Daten zur US-Konjunktur. Die im März veröffentlichte Zinsprognose der Federal Reserve, die bis zum Jahresende weiterhin Leitzinssenkungen um kumuliert 75 Basispunkte in Aussicht stellte, beeinflusste die Markteinschätzung zwar vorübergehend. Die Zinssenkungserwartungen am Markt verschoben sich aber nach der Bekanntgabe neuer Zahlen zur US-Inflation, die im März überraschend und zum zweiten Mal in Folge gestiegen war, spürbar in die Zukunft. Im Euroraum ging der Inflationsdruck dagegen weiter zurück, und die Konjunkturdaten fielen relativ schwach aus. Dies hatte zusammengenommen zur Folge, dass sich die Zinssenkungserwartungen in den USA für das laufende Jahr deutlicher abschwächten als im Euroraum. Zuletzt setzte allerdings eine Gegenbewegung ein, nachdem die US-Wirtschaftsdaten im April enttäuscht hatten. Im Ergebnis wertete der Euro gegenüber dem US-Dollar dennoch ab. Bei Abschluss dieses Berichts notierte der Euro bei 1,09 US-$ und damit 1,7 % schwächer als zu Jahresbeginn. 

Die Wechselkursentwicklung des Euro gegenüber dem Pfund Sterling verlief nach leichten Kursverlusten im Januar 2024 angesichts eines nahezu unveränderten relativen Zinsausblicks seither seitwärts. Nachdem zu Jahresbeginn ein überraschend deutlicher Anstieg der Inflationsrate im Vereinigten Königreich Spekulationen auf eine baldige Zinssenkung der Bank of England gedämpft und das britische Pfund sich auf breiter Basis befestigt hatte, bewegte sich der Wechselkurs des Euro gegenüber dem Pfund fast kontinuierlich in einem sehr engen Band zwischen 0,85 Pfund und 0,86 Pfund. In beiden Währungsgebieten bildeten sich die Inflationsraten zurück und lieferten für die relativen Zinserwartungen und damit für die Wechselkursentwicklung keine richtungsweisenden Impulse. Zuletzt stand der Euro bei 0,86 Pfund Sterling, womit er seit Jahresbeginn um 1,6 % an Wert verloren hat. 

Aufgrund des anhaltenden Zinsvorteils des Euroraums wertete der Euro gegenüber dem Yen weiter auf, obwohl die Bank of Japan ihre Leitzinsen geringfügig anhob. Die japanische Zentralbank beendete Mitte März zwar ihre seit 2016 währende Negativzinspolitik. Die Heraufsetzung des Leitzinses auf eine Spanne von 0 % bis 0,1 % fiel aber vergleichsweise gering aus. Außerdem stellte die japanische Notenbank heraus, dass sie vorerst eine Aufrechterhaltung der akkommodierenden finanziellen Bedingungen erwarten würde. So sorgte der nach wie vor hohe Zinsvorsprung des Euroraums gegenüber Japan weiterhin für Aufwertungsdruck auf den Euro. 1 Dazu trug auch bei, dass die Bank of Japan auf ihrer geldpolitischen Sitzung im April die Geldpolitik unverändert ließ. In dieser Zeit wies das japanische Finanzministerium darauf hin, dass es über den schwachen Yen in Sorge sei und keine Maßnahmen zur Begegnung ungeordneter Wechselkursbewegungen ausschließe. Tatsächlich verlor der Euro Anfang Mai vorübergehend spürbar an Wert. Am Devisenmarkt war in diesem Zusammenhang von Interventionen zur Befestigung des Yen die Rede. Dies wurde bislang von offizieller Seite allerdings nicht bestätigt. Die Wertgewinne gab der Yen aber innerhalb weniger Tage wieder ab. Bei Abschluss dieses Berichts lag der Euro somit bei 169 Yen und damit nur 0,3 % unter seinem bisherigen Höchststand vom Juli 2008. Seit Jahresbeginn hat der Euro gegenüber dem Yen per saldo 8,3 % an Wert gewonnen.

Trotz deutlicher Kursbewegungen gegenüber einzelnen Währungen gewann der Euro im gewogenen Durchschnitt gegenüber den Währungen von 18 Handelspartnern per saldo nur leicht an Wert (+ 0,5 %). Neben den Kursverlusten des Euro gegenüber dem US-Dollar und dem britischen Pfund verzeichnete er im Berichtszeitraum zwar auch gegenüber dem Zloty eine spürbare Abwertung (- 2,0 %). Ein Gegengewicht bildeten aber die bereits erwähnten Wertzuwächse gegenüber dem Yen sowie außergewöhnlich hohe Kursgewinne gegenüber dem Schweizer Franken (+ 6,7 %) und der schwedischen Krone (+ 4,7 %). Der Schweizer Franken wertete auf breiter Basis ab, nachdem die Schweizerische Nationalbank Mitte März den Leitzins überraschend gesenkt hatte. Erwartungen einer relativ raschen Zinswende der schwedischen Zentralbank setzten die schwedische Krone unter Abwertungsdruck. 

Exkurs

Aktuelle Schwäche des Yen trägt zur erheblichen Verbesserung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit Japans bei

Der Yen befindet sich aktuell sowohl bilateral gegenüber dem Euro als auch effektiv in einer ausgeprägten Schwächephase (siehe Schaubild 3.2).  Der Euro notierte am 20. Mai 2024 auf einem 15-Jahreshoch bei 169,3 Yen. Dies entspricht einer Aufwertung um 26,6 % seit der Einführung des Euro Anfang 1999, einer Aufwertung um 46,1 % seit Anfang Mai 2020 (als die jüngste trendmäßige Aufwertungsphase begann) 1 und liegt nahe am Allzeithoch von 169,8 Yen aus dem Jahr 2008. Die aktuelle Schwäche des Yen ist im Wesentlichen durch die im internationalen Vergleich außerordentlich niedrigen Leitzinsen in Japan bedingt. Sie ist daher auch nicht eurospezifisch, sondern breit angelegt: Effektiv gegenüber 60 Ländern ist der Yen derzeit so niedrig bewertet wie seit Beginn der Währungsunion noch nicht.

Die merkliche reale effektive Abwertung hat die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der japanischen Wirtschaft seit den neunziger Jahren für sich genommen erheblich verbessert (siehe Schaubild 3.3). Die nominale effektive Abwertung des Yen schlägt sich in einer realen effektiven Abwertung nieder, schon wenn ein unverändertes Preisverhältnis zum Ausland unterstellt wird. Hinzu kommt jedoch, dass der Preisauftrieb in Japan seit den neunziger Jahren fast kontinuierlich geringer war als in Japans wichtigsten Handelspartnerländern. Dadurch verschob sich nach und nach auch das Preisverhältnis zugunsten der japanischen Wettbewerbsfähigkeit. Zusammengenommen hatte dies in den letzten 25 Jahren eine massive reale effektive Abwertung Japans zur Folge. Für sich genommen entspricht das einer erheblich verbesserten preislichen Wettbewerbsfähigkeit Japans, seit Einführung des Euro Anfang 1999 um etwa 50 %.

Ein in der Bundesbank entwickelter Ansatz 2 schätzt die aktuelle preisliche Wettbewerbsfähigkeit Japans als sehr günstig ein (siehe Schaubild 3.4). Um eine Aussage über die aktuelle preisliche Wettbewerbsposition Japans treffen zu können, wird ein aus der Theorie abgeleiteter Referenzmaßstab benötigt. Dieser sollte im vorliegenden Fall berücksichtigen, dass Japan jahrzehntelang ein ausgesprochen hohes relatives Preisniveau aufwies. Der von der Bundesbank verwendete Produktivitätsansatz bietet sich für die Einschätzung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit Japans an, weil er relative Preisniveaus statt der sonst üblichen Indizes ohne Niveaubezug sowie zusätzlich die relativen Produktivitätsniveaus der Länder bei der Einschätzung der Wettbewerbsfähigkeit berücksichtigt. Tatsächlich ist die preisliche Wettbewerbsfähigkeit Japans derzeit um 24 % günstiger als der mithilfe des Produktivitätsansatzes ermittelte Referenzwert. Angesichts der oben erwähnten realen effektiven Abwertung Japans von etwa 50 % im letzten Vierteljahrhundert mag man einen noch vorteilhafteren Wert erwartet haben. Die genannte, lange währende Phase eines ausgesprochen hohen relativen Preisniveaus ging jedoch bis 2021 mit einer eher schwachen preislichen Wettbewerbsposition Japans einher. Die preisliche Wettbewerbsfähigkeit Japans wird zudem dadurch beeinträchtigt, dass die Arbeitsproduktivität pro Stunde in Japan im Vergleich zu seinen westlichen Handelspartnern bis heute recht gering ist.

Die nominale effektive Abwertung des Yen verteuert die japanischen Importe und wirft damit die Frage nach einer wirtschaftspolitischen Reaktion auf. Die nominale Abwertung des Yen verbessert nicht nur die preisliche Wettbewerbsfähigkeit japanischer Unternehmen, sondern verteuert auch die japanischen Einfuhren und führt dort somit zu steigenden Lebenshaltungskosten, zum Beispiel bei importierten Grundnahrungsmitteln oder Energieträgern. 3 Eine Umkehr der Kursentwicklung in Richtung einer nominalen effektiven Aufwertung des Yen könnte dem entgegenwirken. In der Vergangenheit haben die japanischen Behörden in ähnlichen Situationen immer wieder Devisenmarktinterventionen zur Beeinflussung des Yen eingesetzt, beispielsweise im Oktober 2022. Auch im Frühjahr 2024 berichteten Marktteilnehmer von auffälligen, kurzfristig auftretenden Nachfrageschüben nach Yen, die Anlass zu der Vermutung gaben, dass die Bank of Japan am Devisenmarkt aktiv war. Stützungskäufe des Yen senden einen restriktiven geldpolitischen Impuls aus. Ein solcher steht allerdings im Kontrast zu der nach wie vor – vor allem im internationalen Vergleich – ausgesprochen lockeren Zinspolitik der geldpolitischen Behörden Japans. 

Die unterschiedliche geldpolitische Ausrichtung führt derzeit dazu, dass zwischen anderen großen Währungsräumen, insbesondere den USA, und Japan über das gesamte Laufzeitspektrum ein großes Zinsgefälle besteht. Im Dreimonatsbereich beispielsweise beträgt dieses gegenüber den USA aktuell über 5 Prozentpunkte. Solche Zinsdifferenzen wurden in der Vergangenheit von Investoren für die Anlagestrategie eines Currency-Carry-Trades genutzt. Dabei wurden Geldmittel in einer niedrig verzinsten Währung aufgenommen und in einer höher verzinsten Währung angelegt. Wertete die niedrig verzinste Währung noch während des Anlagezeitraums ab, so wie der Yen seit 2020, erzielten die Investoren neben dem Zinsvorteil noch einen Wechselkursgewinn. Currency-Carry-Trades waren dann besonders lukrativ. 4 Dies legt nahe, dass der Abwertungsdruck auf den Yen zurzeit strukturell bedingt ist.

3 Wertpapiermärkte

3.1 Rentenmarkt

Angesichts sich abschwächender Zinssenkungserwartungen stiegen die Renditen von Staatsanleihen im Euroraum und in den USA seit Jahresbeginn deutlich an. Zum Jahreswechsel gingen die Marktakteure von einer Folge rascher Zinssenkungen der Notenbanken für das Jahr 2024 aus. Vor dem Hintergrund unerwartet und anhaltend günstiger Konjunkturdaten sowie eines sich wieder verstärkenden Preisdrucks in den USA verlagerten sich die Zinssenkungserwartungen sukzessiv nach hinten. Die Marktteilnehmer hielten es für zunehmend wahrscheinlich, dass die Fed die Leitzinsen noch über die Jahresmitte hinaus auf dem aktuellen Niveau halten könnte. Signalisierten zu Beginn des Jahres die Terminmärkte noch Leitzinssenkungen von bis zu 140 Basispunkte bis Ende 2024 für die USA beliefen sich diese zum Ende des Berichtszeitraums auf 46 Basispunkte. Insgesamt legten die nominalen Renditen zehnjähriger US-Treasuries um 57 Basispunkte auf zuletzt 4,5 % zu. Die korrespondierenden realen Renditen von inflationsgeschützten US-Treasuries stiegen um 40 Basispunkte auf 2,1 % an.

Die im Vergleich zu den USA gedämpfte Konjunktur und das etwas günstigere Inflationsbild im Euroraum veranlassten die Marktakteure, ihre Zinssenkungserwartungen für den Euroraum etwas weniger stark als in den USA zurückzunehmen. Hierzu dürften auch die Stimmen mehrerer Mitglieder des EZB-Rats beigetragen haben, die weiterhin eine erste Leitzinssenkung im Sommer für möglich halten, sollte sich das Inflationsbild nicht verschlechtern. Stärkeren Zinssenkungserwartungen standen auch die vom makroökonomischen Umfeld induzierten, restriktiveren geldpolitischen Impulse aus den USA entgegen, die sich einer modellbasierten Analyse zufolge auf den Euroraum übertrugen. Zum Ende des Berichtszeitraums deuteten die €STR-Terminsätze Leitzinssenkungen in Höhe von kumuliert 68 Basispunkten bis zum Ende des Jahres an. Anfang Januar hatten die Terminkontrakte noch Leitzinssenkungen um bis zu 160 Basispunkte für das Jahr 2024 signalisiert. Insgesamt legte die nach dem BIP gewichtete zehnjährige EWU-Rendite um 40 Basispunkte auf 3,0 % zu, während der über Swap-Kontrakte gemessene Realzins um 22 Basispunkte auf 0,4 % anstieg. 2 Der Renditevorsprung der USA weitete sich nominal und real aus.

Die Zinsstrukturkurve von Bundesanleihen verschob sich im Berichtszeitraum nach oben und verflachte etwas. Sie hat damit einen etwas weniger stark inversen Verlauf als noch zu Jahresbeginn. Legt man dieses Verlaufsmuster als empirisches Signal zugrunde, für wie wahrscheinlich Anleger eine Rezession halten, dürften sich diese Sorgen auch vor dem Hintergrund der jüngst etwas positiveren Konjunkturdaten abgeschwächt haben.

Die Renditeabstände von Staatsanleihen im Euroraum engten sich trotz des allgemeinen Zinsanstiegs im Euroraum ein. Ein Grund hierfür könnte im seit Mitte 2022 zunehmenden Streubesitz von Bundesanleihen in den Händen privater Anleger liegen. Die damit verbundene höhere Verfügbarkeit von Bundesanleihen trug dazu bei, die in der Vergangenheit beobachtete Knappheit und die daraus resultierenden Zinsabschläge auf Bundesanleihen zu verringern. 3 In der Folge näherte sich die Rendite der Bundesanleihen von unten an die Renditen anderer Staatsanleihen des Euroraums an. Außerdem stieg an den Finanzmärkten der Risikoappetit der Marktteilnehmer von hohem Niveau weiter an, sodass Investoren bereit waren, Risiko für geringere Ausgleichszahlungen in ihre Portfolios zu nehmen. Insgesamt verminderten sich damit die Renditeabstände zehnjähriger Staatsanleihen aus dem Euroraum gegenüber laufzeitgleichen Bundesanleihen (BIP-gewichteter Durchschnitt) um 15 Basispunkte. Sehr deutlich fiel seit Jahresbeginn der Spread zehnjähriger italienischer Staatsanleihen (39 Basispunkte). Angesichts ihres hohen Renditeniveaus könnten diese besonders von der Nachfrage von Investoren profitiert haben, die sich bei hoher Risikoneigung vor den erwarteten Leitzinssenkungen im Euroraum noch langfristig hohe Zinsen sichern wollten. 

Exkurs

Streubesitz von Staatsanleihen in Deutschland und im übrigen Euroraum

Bundeswertpapiere bilden aufgrund ihrer hohen Kreditwürdigkeit und Liquidität eine wichtige Bezugsgröße für die Kurse anderer Finanzinstrumente im Euroraum. Eine notwendige Bedingung, um diese Benchmark-Funktion ausfüllen zu können, ist ein ausreichend hoher Streubesitz. Ein Vergleich mit dem Streubesitz der Staatsanleihen im übrigen Euroraum erlaubt dabei eine Einordnung der Entwicklungen auf dem Markt für Bundeswertpapiere. 1

Grundsätzlich bezeichnet der Streubesitz den Anteil einer Wertpapieremission, der frei zum Handel zur Verfügung steht – im Unterschied zu dem Anteil, der bis zur Endfälligkeit gehalten wird. Eine ausreichend gute Handelbarkeit ist die Voraussetzung dafür, dass der Anleihekurs neue relevante Informationen zeitnah widerspiegelt. Mittels der sektoralen Wertpapierhalterstatistik des Eurosystems (Securities Holdings Statistics by Sector, SHSS) 2 lässt sich der Streubesitz aus der Summe der Bestände des gesamten Privatsektors, vermindert um die Bestände, die von Versicherungen und Pensionskassen gehalten werden, berechnen. 3 Diese werden den strategischen Investoren zugerechnet, da sie ihren lang laufenden Verbindlichkeiten bis zur Fälligkeit laufende Vermögenswerte gegenüberstellen und darüber hinaus strengen regulatorischen Vorgaben unterliegen, die nur den Erwerb von Vermögenswerten innerhalb eines engen Mandats erlauben. Auch öffentliche Investoren, wie etwa Zentralbanken, werden den langfristig orientierten Investoren zugeordnet, die die Papiere in der Regel bis zur Endfälligkeit halten. Die Bestände dieser Investorengruppe zählen daher ebenfalls nicht zum Streubesitz.

Der Streubesitz von Staatsanleihen im Euroraum ging in den letzten Jahren insgesamt zurück, verharrte in der ersten Jahreshälfte 2022 auf einem Tiefstand und stieg seitdem wieder an. 4 Für Bundeswertpapiere sank der relative Streubesitz seit 2014 bis 2021 insgesamt deutlich um knapp 25 Prozentpunkte bis auf 26 % und stieg ab Mitte 2022 erstmalig wieder signifikant an. Zuletzt erreichte er 32 %. Der relative Streubesitz im übrigen Euroraum entwickelte sich ähnlich, der Rückgang fiel mit knapp 18 Prozentpunkten seit 2014 jedoch deutlich geringer aus. Auch stieg der Streubesitz im übrigen Euroraum im Jahr 2023 weniger deutlich an. Mit aktuell gut 39 % liegt er über dem von Bundeswertpapieren. 

Der Streubesitz von Staatsanleihen aus dem Euroraum ging vor allem wegen der geldpolitischen Ankaufprogramme Public Sector Purchase Programme (PSPP) und Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) des Eurosystems zurück. Die Ankäufe führten dazu, dass das Eurosystem zum größten Einzelinvestor von Staatsanleihen aus dem Euroraum aufstieg. So befanden sich vor dem Auslaufen der geldpolitischen Nettoankäufe Mitte 2022 36 % des gesamten Umlaufs an Bundeswertpapieren im Bestand der Bundesbank. 5 Seitdem stieg der Streubesitz von Staatsanleihen im Euroraum wieder an. 6

In den letzten Jahren schwankte der Streubesitz von Bundeswertpapieren stärker als der Streubesitz von Staatsanleihen anderer Länder des Euroraums. Das liegt am Zusammenspiel aus geldpolitisch induzierter Nachfrage und fiskalpolitisch bestimmter Verschuldung: Die zusätzliche Nachfrage durch die geldpolitischen Ankaufprogramme des Eurosystems orientierte sich nicht am Umlauf, sondern weitgehend am Kapitalschlüssel der Notenbanken und lehnte sich damit sehr deutlich an das BIP an. Damit war die Nachfrage auf allen Staatsanleihemärkten gemessen an der Wirtschaftsleistung ähnlich stark. Im Unterschied hierzu hängt der Umlauf an Staatsanleihen vom Emissionsverhalten des jeweiligen Nationalstaates und damit von dessen nationaler Fiskalpolitik ab. 7 Der Umlauf an Bundeswertpapieren war beim Start des PSPP und später des PEPP angesichts des hierzulande relativ geringen Schuldenstandes vergleichsweise niedrig. Die geldpolitischen Ankäufe reduzierten deshalb den Streubesitz an Bundesanleihen vergleichsweise schnell. Die zusätzlichen, beträchtlichen Neuemissionen von Bundeswertpapieren mit Beginn der Corona-Pandemie änderten an diesem Muster wenig, weil die Neuverschuldung Deutschlands relativ zum Rest des Euroraums auch in diesem Zeitraum geringer ausfiel.

Veränderungen der Halterstruktur beim Streubesitz seit dem Ende der Nettoankäufe

Die Gegenseite zu den Käufen des Eurosystems sind die Verkäufe der preissensitiven Anleger, also der Anleger, die die Wertpapiere nicht bis zur Endfälligkeit halten. Im Folgenden werden die Bestandsveränderungen der den Streubesitz zuzurechnenden Sektoren seit Ende der Nettoankäufe in den geldpolitischen Ankaufprogrammen miteinander verglichen. Dabei wird zwischen den im Euroraum ansässigen Anlegergruppen "Banken und sonstige Finanzintermediäre" (im Folgenden: "Banken"), "Investmentfonds" und "Nichtfinanzieller Sektor", zu dem nichtfinanzielle Unternehmen und private Haushalte zählen, unterschieden. Für die Investoren außerhalb des Euroraums sind die Daten nicht mit der gleichen Detailtiefe erfasst, sodass dem Streubesitz nur die große Gruppe der gesamten privaten Anleger zugeordnet wird, bei denen es sich in erster Linie um Anleger aus dem finanziellen Sektor handelt. 

Bis Mitte 2022 waren Banken und Investmentfonds die stärkste Verkäufergruppe im Euroraum. Auffallend ist, dass die Banken ihre Bestände bis Ende 2023 trotz des geänderten Zinsumfelds nicht wieder aufstockten. Das deutet darauf hin, dass neue Regulierungsvorgaben oder sich ändernde Geschäftsmodelle zu einem längerfristig veränderten Investitionsverhalten der Banken geführt haben. 8 Investmentfonds, für die die geänderten Rahmenbedingungen nicht einschlägig waren, kehrten hingegen an die Anleihemärkte zurück. Auch der nichtfinanzielle Sektor (und dort insbesondere die privaten Haushalte) erhöhte seinen Anteil. 

Die Gruppe der privaten Anleger, die außerhalb des Euroraums ansässig sind, und zu denen die großen Finanzinvestoren außerhalb des Euroraums zählen, differenzierten seit Ende der Nettoankäufe stark zwischen Bundeswertpapieren und Staatsanleihen aus dem übrigen Euroraum. Nachdem sie bis Mitte 2022 ihren Bestand deutlich reduziert hatten, kehrten sie nun wieder verstärkt zurück. Sie sehen offenbar Bundeswertpapiere als Benchmark-Investition für den gesamten Euroraum. 

Rückgang der Knappheitsprämie

Der Streubesitz von Bundeswertpapieren weißt einen Gleichlauf mit der Knappheitsprämie auf. 9 Als Knappheitsprämie dient die Zinsdifferenz zwischen den Renditen zehnjähriger Bundesanleihen und dem Overnight-Index-Swaps-Zinssatz mit zehnjähriger Laufzeit (OIS-Zinssatz). 10 Diese Zinsdifferenz engte sich seit Mitte 2022 mit dem Anstieg des Streubesitzes von Bundeswertpapieren unter leichten Schwankungen sukzessive ein. Dies deutet im Einklang mit entspannten Repomärkten auf eine geringere Knappheit von Bundeswertpapieren hin.

Im Einklang mit den Entwicklungen in den USA und im Euroraum stiegen die Renditen auch in anderen Währungsräumen, wie im Vereinigten Königreich und in Japan. Die Bank of England betonte auf ihrer Sitzung im März aufgrund überraschend hoch ausgefallener Inflationsraten, dass einige Indikatoren zur Persistenz der Inflation im Vereinigten Königreich weiter erhöht blieben. Die Marktakteure passten daraufhin auch hier ihren Leitzinsausblick deutlich nach oben an. Die Renditen zehnjährige Gilts stiegen um 64 Basispunkte auf 4,2 %. Auch die Renditen zehnjähriger japanischer Staatsanleihen - die sehr verhalten auf internationale Zinsentwicklungen reagieren - zogen mit 36 Basispunkten auf 1,0 % recht deutlich an. Die Bank of Japan beschloss auf ihrer Sitzung im März, den Leitzins moderat um 10 Basispunkte anzuheben und beendete damit ihre seit 2016 anhaltende Negativzinspolitik. Außerdem beschloss sie den Ankauf von Staatsanleihen in gleichem Umfang fortzusetzen. Sie nannte in diesem Zusammenhang jedoch nicht mehr eine spezifische Obergrenze für die Renditen zehnjähriger japanischer Staatsanleihen.

Die marktbasierten Inflationsindikatoren sind für das laufende Jahr etwas gestiegen, deuten aber weiter darauf hin, dass die Stabilitätsnorm von 2 % im nächsten Jahr erreicht wird. Seit Ende Dezember stieg die Inflationsvergütung, die sich aus Inflationsswaps für den Euroraum ergeben, für das laufende Jahr auf 2,3 % (+ 0,2 Prozentpunkte). Bemerkenswert ist, dass die marktbasierte Inflationsvergütung im Ergebnis kaum von der volatilen Energiekomponente beeinflusst wurde. Die Energiekomponente umfasst auch Öl- und Gaspreise, die zusammengenommen im Berichtszeitraum im Ergebnis nahezu unverändert blieben. 4 Die Inflationsdynamik der Kernrate im Euroraum, für die am Finanzmarkt keine gesonderten Swaps gehandelt werden, entwickelte sich damit aus Sicht der Marktteilnehmer wohl etwas hartnäckiger als erwartet. Zuletzt trugen auch die verbesserten Stimmungsindikatoren für die konjunkturelle Entwicklung im laufenden Jahr dazu bei, dass die Marktteilnehmer mit einem geringfügig langsameren Rückgang der Inflation im Jahr 2024 rechneten. Über das Jahr 2024 hinaus dämpfte neben dem Beitrag der restriktiven Geldpolitik auch der verhaltene Wachstumsausblick den Preisdruck im Euroraum, im Unterschied zu den USA, wo sich die Wirtschaft auch perspektivisch dynamischer entwickelt. Die markbasierte Inflationsvergütung für das Jahr 2025 lag mit 2,1 % im Rahmen der Stabilitätsnorm des Eurosystems. 

Auf mittel- bis längerfristige Sicht sehen die Marktteilnehmer ein wieder etwas höheres Risiko, dass die Inflation das Ziel überschreiten könnte. Darauf deuten die aus Inflationsoptionen abgeleiteten präferenzgewichteten Wahrscheinlichkeiten für künftige Inflationsraten hin, die neben den Eintrittswahrscheinlichkeiten auch Risikoabwägungen enthalten. Die Marktteilnehmer vereinbarten zuletzt wieder eine durchschnittliche Inflationskompensation von über 2 % bei gehandelten Inflationsswaps über die nächsten fünf Jahre und damit mehr als Ende Dezember. Auch die längerfristige marktbasierte Inflationsvergütung zog seit Ende Dezember leicht an. Die in fünf Jahren beginnende fünfjährige Termininflationsrate, die ebenfalls aus Inflationsswaps hergeleitet werden kann, lag zuletzt bei 2,3 % und damit um 0,1 Prozentpunkte höher als Ende Dezember. Die längerfristigen umfragebasierten Inflationserwartungen von Consensus Economics für den Euroraum, die vierteljährlich erhoben werden, änderten sich hingegen kaum. Sie lagen auch im April weiterhin nahe am Inflationsziel von 2 %. Die Differenz zwischen marktbasierten und umfragebasierten längerfristigen Inflationserwartungen weitete sich folglich leicht aus. Diese Differenz kann als ein Maß für die Inflationsrisikoprämie interpretiert werden. Investoren sind also weiterhin bereit, eine Prämie zu zahlen, um sich gegen unerwartet hohe Inflationsszenarien abzusichern. Ähnlich entwickelten sich im Berichtszeitraum die markt- und umfragebasierten Indikatoren für den längerfristigen US-Inflationsausblick. In den USA stiegen die marktbasierten fünfjährigen US-Termininflationsraten in fünf Jahren auf 2,6 % (+ 0,1 Prozentpunkte).

Das steigende Zinsniveau und ein zunehmender Risikoappetit prägten das Geschehen an den Märkten für Unternehmensanleihen. Die Renditen europäischer Unternehmensanleihen der Ratingklasse BBB und hochverzinslicher Anleihen mit einer Restlaufzeit zwischen sieben und zehn Jahren lagen zwar zuletzt auch etwas höher. Sie stiegen dabei aber weniger stark als die Renditen von laufzeitgleichen Bundeswertpapieren. Die Spreads engten sich damit im Ergebnis deutlich ein. Ausschlaggebend hierfür waren der oben erwähnte steigende Risikoappetit an den Finanzmärkten und die sinkende Knappheitsprämie bei Bundesanleihen. In besonderem Maße sanken die Spreads finanzieller Unternehmen. Ein Grund hierfür könnte sein, dass deren börsengehandelter Wert im Berichtszeitraum deutlich zulegte. Die Renditen von Anleihen finanzieller Unternehmen reagieren wegen des vergleichsweise geringeren Eigenkapitals der Emittenten stärker auf Kursschwankungen an den Börsen. Die an den Renditeaufschlägen gemessenen Finanzierungskosten europäischer Unternehmen lagen zuletzt für alle Ratingklassen nahe oder unter ihrem jeweiligen Fünfjahresdurchschnitt. Die Finanzierungsbedingungen am Kapitalmarkt beeinflussten in den letzten Jahren auch die Emissionstätigkeit der Unternehmen. 5

Exkurs

Der Wertpapierabsatz am deutschen Kapitalmarkt 2023

Die Bundesbank veröffentlicht monatlich Emissionsstatistiken zum Absatz von Wertpapieren, die Angaben zu Schuldverschreibungen, Aktien sowie Anteilen an offenen und geschlossenen Investmentfonds umfassen. Zudem erhebt die Bundesbank über die Zahlungsbilanzstatistik Zahlen zum grenzüberschreitenden Wertpapiererwerb von In- und Ausländern. 1 Die jeweils neuesten Zahlen zum Absatz- und Erwerb von Wertpapieren in Deutschland werden dabei unmittelbar nach ihrer Erhebung monatlich in einer Pressenotiz veröffentlicht. 2 Im Folgenden wird der Wertpapierabsatz im Jahr 2023 vor dem Hintergrund wichtiger Kapitalmarkttrends der letzten Jahre diskutiert. 3

Der Bruttoabsatz am deutschen Rentenmarkt lag im Jahr 2023 mit 1 686,3 Mrd € auf einem ähnlichen Niveau wie im Vorjahr und damit weiterhin merklich über dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre. Nur im von der Corona-Pandemie geprägten Krisenjahr 2020 wurden brutto noch mehr Schuldverschreibungen begeben. Die Emissionstätigkeit blieb auch netto betrachtet, also unter Berücksichtigung von Tilgungen und Eigenbestandsveränderungen der Emittenten, weitgehend stabil. Demnach erhöhte sich der Umlauf inländischer Rentenpapiere im Jahr 2023 um 158,2 Mrd € und damit ähnlich stark wie im Vorjahr.

Insgesamt beeinflussten insbesondere die abklingenden Folgen der Pandemie, der geldpolitische Straffungskurs des Eurosystems und die sich im Jahresverlauf eintrübenden Konjunkturaussichten den Nettoabsatz von Schuldverschreibungen. In geringerem Ausmaß wirkte sich auch die weiterhin erhöhte Inflation aus, die den nominalen Absatz von Schuldverschreibungen für sich genommen stützt. Dies liegt daran, dass die Schuldner selbst für einen in realer Betrachtung unveränderten Finanzbedarf inflationsbedingt nominal mehr Mittel aufnehmen müssen. Unter den inländischen Emittenten begaben vor allem Kreditinstitute und die öffentliche Hand per saldo neue Schuldverschreibungen (88 Mrd € beziehungsweise 82 Mrd €). Zudem stieg der Umlauf von Schuldverschreibungen ausländischer Emittenten am deutschen Kapitalmarkt deutlich an (131,1 Mrd €). Inländische nichtfinanzielle Unternehmen änderten ihre Fremdfinanzierung über den Kapitalmarkt hingegen kaum. 

Der Nettoabsatz inländischer Schuldverschreibungen war damit weiterhin deutlich niedriger als in der Anfangsphase der Corona-Pandemie. Damals hatte insbesondere die öffentliche Hand in großem Umfang Mittel an den Kapitalmärkten aufgenommen, um krisenbedingte staatliche Mehrausgaben zu finanzieren. Auch nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften hatten das damals niedrige Zinsniveau am Kapitalmarkt für umfangreiche Mittelaufnahmen genutzt, um ihre Bestände an liquiden Aktiva aufzustocken und mögliche zukünftige Finanzierungsbedürfnisse frühzeitig abdecken zu können. 4 Auf das Emissionsverhalten der Banken hatte sich die Pandemie zu dieser Zeit hingegen nicht wesentlich ausgewirkt. Denn den Kreditinstituten stand mit den gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäften (GLRGs) eine attraktive alternative Refinanzierungsmöglichkeit beim Eurosystem zur Verfügung. Diese expansiven geldpolitischen Maßnahmen trugen damals dazu bei, die pandemiebedingte Straffung der Kreditangebotspolitik durch die Banken abzuschwächen.

Trotz der abgeklungenen Pandemie lag der Nettoabsatz inländischer Schuldverschreibungen im vergangenen Jahr aber noch deutlich über dem Vor-Pandemie-Niveau. Dies geht zum einen auf die im historischen Vergleich starke Emissionstätigkeit der Kreditinstitute zurück. Damit dürften die Banken darauf reagiert haben, dass das Eurosystem mit dem Auslaufen der gezielten GLRGs ihnen weniger Liquidität bereitstellte. Zum anderen nahm die öffentliche Hand zwar deutlich weniger Mittel als zum Pandemiebeginn auf. Gegenüber dem Vorjahr weitete sie ihre Kapitalmarktverschuldung aber merklich aus und trug damit ebenfalls sichtbar zu dem relativ hohen Nettoabsatz inländischer Schuldverschreibungen bei. 

Im Unterschied zu den Banken und zur öffentlichen Hand emittierten nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften 2023 weniger Schuldverschreibungen als im Vorjahr. Per saldo nahmen sie keine neuen Mittel auf. Hierin könnten sich zum einen relativ gute Ertrags- und Finanzierungsverhältnisse der Unternehmen widerspiegeln, die ihnen bereits geholfen haben, die kräftigen Energiepreisanstiege seit 2021 abzufedern. 5 Zum anderen trugen hierzu vermutlich auch die geldpolitische Straffung, die eingetrübten Konjunkturaussichten und die hohe Unsicherheit bei. Denn sie schwächten die Investitionsneigung und damit auch den Finanzbedarf der Unternehmen, wenngleich sich ihre Investitionstätigkeit dank beachtlicher Auftragsbestände bislang als relativ robust erwies. Auch die gestiegenen Unternehmensanleiherenditen wirkten für sich genommen dämpfend. Die temporäre Ausweitung der Renditeaufschläge auf Unternehmensanleihen im Frühjahr 2023, die Sorgen vor Ansteckungseffekten der US-Bankenturbulenzen reflektierte, dürfte zudem die Emissionstätigkeit der Unternehmen zumindest bis zum Abklingen der Unsicherheiten gedämpft haben.

Die Erwerbsseite war deutlich von der restriktiveren Geldpolitik geprägt. Dies gilt insbesondere für die Beendigung der Wiederanlage von Vermögenswerten im Wertpapierankaufprogramm APP. Denn die im Rahmen der geldpolitischen Wertpapierankaufprogramme getätigten Nettoankäufe deutscher Staatsanleihen seitens der EZB und der Bundesbank hatten die von in- und ausländischen Anlegern gehaltenen Bestände deutscher Schuldverschreibungen zuvor merklich zurückgehen lassen. Im vergangenen Jahr stießen deutsche Schuldverschreibungen dann aber vor allem im Ausland wieder auf reges Interesse. 6 So erwarben ausländische Investoren über die Hälfte der 2023 netto in Deutschland begebenen Schuldverschreibungen. 7 Außerdem stellten inländische Nichtbanken eine große Käufergruppe dar. Die Anleihebestände der Bundesbank gingen hingegen im Einklang mit der beabsichtigten geldpolitischen Straffung sichtbar zurück (- 59,8 Mrd €).

Tabelle 3.1: Mittelanlage an den deutschen Wertpapiermärkten
Mrd €
Position202120222023
Schuldverschreibungen
Inländer

243,5

143,5

126,2

 Kreditinstitute

-41,9

2,9

32,2

 Deutsche Bundesbank

245,2

49,8

-59,8

 Übrige Sektoren

40,2

90,8

153,9

Ausländer

-12,6

7,4

163,1

Aktien
Inländer

102,9

3,0

52,9

 Kreditinstitute

10,9

-8,3

14,7

 Nichtbanken

92,1

11,3

38,3

Ausländer

13,0

-9,3

-10,9

Investmentzertifikate
Anlage in Spezialfonds

116,8

73,0

38,5

Anlage in Publikumsfonds

41,0

6,1

6,0

 darunter: Aktienfonds

13,7

5,4

8,1

Die Aktienemissionsstatistik gibt Auskunft über den Absatz von Aktien inländischer Emittenten, die Marktkapitalisierung nach Emittentengruppen sowie die Veränderungen des Kapitals inländischer Aktiengesellschaften. Der Umlauf von Aktien in Deutschland ist geringer als der von Schuldverschreibungen. Größere Börsengänge oder größere Emissionen einzelner Unternehmen können einen merklichen Anteil am gesamten Aktienabsatz haben. Besonders hoch fielen die Emissionen im Jahr 2021 aus (116 Mrd €), wozu Technologiewerte wesentlich beitrugen. Unternehmen des Technologiesektors erzielten damals pandemiebedingt teils hohe Gewinne und verzeichneten steigende Aktienkurse. Dies schlug sich zusammen mit niedrigen Zinsen, einer anhaltenden Digitalisierung und Nachholeffekten aus dem Vorjahr in mehreren Börsengängen nieder. Im vergangenen Jahr wurden hingegen angesichts höherer Zinsen und einer gestiegenen Konjunkturskepsis in einem merklich geringeren Umfang Dividendentitel an den Markt gebracht (42 Mrd €). Erworben wurden deutsche Aktien im Ergebnis ausschließlich von inländischen Anlegern. Ausländische Investoren nahmen deutsche Aktien hingegen per saldo aus ihren Depots. Hierin spiegeln sich Umschichtungen zugunsten von Rentenwerten wider, die angesichts des Zinsanstiegs an Attraktivität gewannen.

Die Bundesbank erhebt außerdem in der Investmentfondsstatistik Daten zu den Emissionen in- und ausländischer Investmentfondsanteile. Der Absatz von Investmentfondsanteilen, der 2021 – ähnlich wie der Aktienabsatz – außergewöhnlich hoch ausgefallen war, setzte im vergangenen Jahr seinen Rückgang fort. Die Anleger könnten dabei auf das seitdem gestiegene Zinsniveau reagiert haben, durch das alternative Anlagemöglichkeiten attraktiver geworden sind. Unter den Investmentfondsklassen konnten vor allem reine Rentenfonds ihren Absatz von Anteilscheinen steigern. Erworben wurden deutsche Investmentzertifikate ähnlich wie Aktien per saldo nur von inländischen Anlegern, während sich gebietsfremde Investoren im Ergebnis von ihnen trennten.

3.2 Aktienmarkt

Die internationalen Aktienmärkte profitierten von positiven Konjunkturimpulsen, einer stabilen Ertragslage und einem steigenden Risikoappetit der Anleger. Zu Jahresbeginn kletterten einige Aktienmarktindizes wie der S&P 500-Index und der CDAX auf einen neuen Höchststand. Dazu beigetragen haben insgesamt positive Konjunktursignale und sich aufhellende Stimmungsindikatoren, die sich auch in einem steigenden Risikoappetit der Anleger niedergeschlagen haben dürften. Geopolitische Spannungen insbesondere im Nahen Osten hatten nur einen zeitlich begrenzten Einfluss auf die Aktienmärkte und trübten die Stimmung nicht nachhaltig. Den Aktienmärkten gab zusätzlich eine stabile Ertragsentwicklung der Unternehmen Auftrieb. Im April gaben die großen Aktienindizes etwas nach, konnten aber zum Ende des Berichtszeitraums erneut Höchststände erreichen. Dabei dürften der seitdem beobachtete Anstieg der langfristigen Zinsen und die für das laufende Jahr weiter zurückgehenden Zinssenkungserwartungen dämpfend auf die Aktienkursentwicklung gewirkt haben. 

Insgesamt entwickelten sich die wichtigen weltweiten Indizes im Gleichtakt nach oben. So legten der S&P 500 um 11,3 %, der Euro Stoxx um 10,8 % und – leicht darunter – der CDAX mit 7,9 % sowie der FTSE 100 um 8,9 % zu. Anders als im letzten Quartal, welches von der Hausse weniger Technologiewerte geprägt war, wirkten seit Beginn des Jahres die oben genannten Faktoren gleichermaßen auf die Kurswerte ein. Das zeigte sich auch darin, dass die Kurse auf breiter Basis stiegen und auch viele kleinere Titel an Wert gewannen. Deutlich legte vor allem auch der japanische Nikkei-Index mit einem Plus von 16,8 % zu. Als Gründe hierfür führen Analysten insbesondere den schwachen Yen-Wechselkurs an, der sich positiv auf Exporte von japanischen Unternehmen auswirken dürfte. Zudem wird der Nikkei auf Yen-Basis angegeben. Für einen auf US-Dollar-Basis kalkulierenden Anleger fiele deshalb der Anstieg entsprechend geringer aus. 

Europäische und US-amerikanische Bankaktien entwickelten sich seit Jahresbeginn nochmals deutlich besser als die allgemeinen Aktienindizes. Zur besseren Entwicklung im Vergleich zu den Gesamtindizes dürften zum einen sehr gute Quartalsergebnisse einiger Großbanken beigetragen haben. Zum anderen dürften Banken von einem Szenario weiter anhaltend hoher Zinsen tendenziell eher profitieren. Auch die gesunkene Sorge vor einer Rezession könnte Bankaktien beiderseits des Atlantiks gestützt haben, da dies Kreditausfälle weniger wahrscheinlich macht. Im Ergebnis stiegen die Notierungen europäischer und US-amerikanischer Banken seit Jahresbeginn um 25,6 % beziehungsweise 14,0 %.

Die Bewertungsniveaus europäischer Aktien stiegen seit Ende des Jahres nochmals an. US-amerikanische Aktien sind weiterhin relativ hoch bewertet. Für den Euro Stoxx sind die Gewinnrendite und die impliziten Eigenkapitalkosten nochmals gesunken. Die impliziten Eigenkapitalkosten ergeben sich dabei aus einem Dividendenbarwertmodell, das auch die mittelfristigen Gewinnaussichten der Unternehmen und die risikofreie Zinsentwicklung berücksichtigt. Sowohl für den Euro Stoxx als auch für den S&P 500 konnten die mittelfristigen Gewinnaussichten im Berichtszeitraum zulegen. Dies steht im Einklang mit den insgesamt positiveren Konjunkturaussichten und dürfte ebenfalls zu den Kursgewinnen seit Jahresbeginn beigetragen haben. Im langfristigen Vergleich deuten die impliziten Eigenkapitalkosten und Aktienrisikoprämien insgesamt weiterhin unverändert auf eine relativ hohe Bewertung europäischer und US-amerikanischer Aktien hin.

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