1 Wirtschaftsleistung in Deutschland zuletzt wieder gestiegen
Die deutsche Wirtschaftsleistung erhöhte sich im ersten Quartal 2024 etwas. Gemäß der Schnellmeldung des Statistischen Bundesamtes stieg das reale BIP saisonbereinigt um 0,2 % gegenüber dem Vorquartal. Im letzten Vierteljahr 2023 war es noch kräftig gesunken – nach revidierten Angaben um 0,5 %. 1 Insbesondere der Bau, aber auch die Industrie und wohl auch die Dienstleister legten im ersten Vierteljahr 2024 zu. Dazu trug eine für die Bautätigkeit günstige Witterung bei. Im Vorquartal hatten die Wetterverhältnisse den Bau dagegen belastet, sodass es hier nun zu einem kräftigen Umschwung kam. In der energieintensiven Industrie setzte sich der negative Trend nicht fort, und die Produktion stieg kräftig an. Zudem war der Krankenstand nicht mehr ganz so hoch wie im Vorquartal, was die Wirtschaftsleistung ebenfalls gestützt haben dürfte. Daneben ermöglichten im Bau, vor allem aber in der Industrie, die noch verbliebenen Auftragspolster das Produktionsplus. Denn die Nachfrage ist in beiden Sektoren weiterhin schwach. Die neuen Aufträge für die Industrie gingen im ersten Vierteljahr 2024 sowohl aus dem Ausland als auch dem Inland kräftig zurück. Darin schlägt sich nieder, dass der Welthandel noch verhalten blieb und die mit der Zinswende gestiegenen Finanzierungskosten sowie eine erhöhte wirtschaftspolitische Unsicherheit die heimischen Investitionen dämpften. Die gestiegenen Finanzierungskosten drückten auch die Auftragseingänge im Bauhauptgewerbe. Die privaten Verbraucher zeigten sich weiter verunsichert. Daher blieb ihr Konsum noch schwunglos, obwohl sich ihre Einkommenssituation dank eines stabilen Arbeitsmarktes und wieder steigender Reallöhne deutlich verbessert haben dürfte. Dass der Dienstleistungssektor wohl dennoch expandierte, lag an Zuwächsen in den eher industrie- und unternehmensnahen Branchen.
2 Bau, Industrie und Exporte legten zu; privater Konsum blieb schwunglos
Die Industrieproduktion und die Exporte schlugen sich besser, als es die schwache Nachfrage erwarten ließ. Nach drei Quartalen mit Rückgängen in Folge und trotz weiterhin schwacher Auftragseingänge legte die Industrieproduktion im ersten Quartal 2024 saisonbereinigt wieder zu. Das war vor allem den energieintensiven Wirtschaftszweigen zu verdanken, die ein kräftiges Produktionsplus verzeichneten – allen voran die chemische Industrie. Die energieintensive Industrie legte damit im Vorquartalsvergleich zum ersten Mal seit dem Jahr 2021 wieder zu. Es könnte sein, dass damit nach den starken Belastungen durch die Energiekostenschübe im Gefolge des russischen Angriffs auf die Ukraine eine Umkehr hin zu einer moderaten Erholung einsetzt. Denn die Großhandelspreise für Gas und Strom waren schon seit längerem wieder deutlich gesunken, und die Energieversorgung in Deutschland gilt nach dem zweiten erfolgreich ohne russische Gaslieferungen überstandenen Winter als wieder deutlich sicherer. 2 Ohne die energieintensiven Branchen gerechnet, konnte die Industrieproduktion hingegen nur leicht zulegen. Anstiegen in der Pharma- oder Nahrungsmittelindustrie standen Produktionsrückgänge in gewichtigen Branchen wie dem Maschinenbau und vor allem der Automobilindustrie gegenüber. Eine breit angelegte Erholung der Industrie lässt somit noch auf sich warten. Dies liegt vor allem daran, dass die Nachfrage nach deutschen Industrieerzeugnissen insgesamt weiterhin schwach ist. So stieg der Anteil der Betriebe, die unter einem Auftragsmangel leiden, gemäß ifo Umfrage im April erneut an – auf nunmehr fast 40 %. Trotz der weiterhin gedrückten Auslandsnachfrage wuchsen auch die realen Warenexporte im ersten Quartal saisonbereinigt merklich. Auch hier machte sich die Erholung der energieintensiven Branchen bemerkbar. So steigerte etwa die chemische Industrie ihre Ausfuhren den bis Februar verfügbaren Angaben zufolge deutlich. Insgesamt gingen die Produktions- und Exportzuwächse zulasten der Auftragspolster. Die Auftragsbestände nahmen den bis Februar verfügbaren Angaben zufolge weiter ab.
Die gewerblichen Ausrüstungsinvestitionen blieben schwach. Derzeit belasten verschiedene Faktoren die private Investitionstätigkeit in Deutschland. 3 Neben einem schwierigen makroökonomischen Umfeld, zu dem die gedämpfte Industriekonjunktur und die gestiegenen Finanzierungskosten beitragen, gehört dazu eine erhöhte wirtschaftspolitische Unsicherheit. Auf schwache Investitionen im ersten Quartal 2024 deuten die preisbereinigten Inlandsumsätze der Investitionsgüterproduzenten hin. Diese gingen saisonbereinigt breitflächig weiter spürbar zurück. Eine Ausnahme bildete der sonstige Fahrzeugbau. Im Gegensatz zu den Inlandsumsätzen stiegen die preisbereinigten Importe von Investitionsgütern den bis Februar verfügbaren Angaben zufolge spürbar. Während mehr Maschinen und Datenverarbeitungsgeräte, elektronische und optische Geräte importiert wurden, blieben die Einfuhren von Kraftfahrzeugen nahezu konstant.
Exkurs
Inländische Investitionshemmnisse für deutsche Unternehmen
Im deutschen Unternehmenssektor besteht unter anderem mit Blick auf die grüne und digitale Transformation großer Investitionsbedarf. Hohe Energiepreise nähren indes die Sorge, dass zunehmend Investitionen aus Deutschland abwandern und es zu einer starken Deindustrialisierung kommt. Inwieweit diese Sorgen berechtigt sind und wie groß die Anpassungsbereitschaft des deutschen Unternehmenssektors ist, hängt von den Bestimmungsfaktoren der aktuellen und zukünftigen Investitionstätigkeit deutscher Unternehmen ab. Herkömmliche Investitionsdaten ermöglichen keinen direkten Einblick in die Investitionsmotive von Unternehmen. 1 Die Auswertung der Unternehmensumfrage der Bundesbank (BOP-F) von circa 7 400 Unternehmen im vierten Quartal 2023 liefert hingegen detailliertere Erkenntnisse über die inländische Investitionstätigkeit deutscher Unternehmen 2023 sowie deren Bestimmungsfaktoren. 2 Um die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Umfrageergebnisse aufzuzeigen, werden Antworten mit den Umsatzanteilen der Unternehmen gewichtet. 3
2023 weiteten laut der Umfrage anteilsmäßig genauso viele Unternehmen ihre Investitionen im Inland aus, wie Unternehmen sie zurückfuhren.Umsatzgewichtet waren es jeweils ein Fünftel. Inländische Investitionsimpulse gingen vor allem von den digitalen und grünen Transformationsprozessen sowie davon aus, neue Standorte zu erschließen oder Kapazitäten auszuweiten. Hingegen gaben mehr als die Hälfte derjenigen Unternehmen, die 2023 ihre Investitionen zurückfuhren, an, dass das schlechte makroökonomische Umfeld ihre Investitionstätigkeit drückte. Die gestiegenen Energiekosten sowie die hohen Lohnkosten waren außerdem für jeweils knapp die Hälfte der Unternehmen wichtige Gründe für den Investitionsrückgang. Ebenso relevant für jeweils circa ein Drittel dieser Unternehmen waren der Arbeits- und Fachkräftemangel, die Unsicherheit über den regulatorischen Rahmen sowie die hohe Steuer- und Abgabenbelastung. Geringe öffentliche Förderung und ineffiziente öffentliche Verwaltung spielten auch eine Rolle; sie schienen aber kein besonderes Hindernis zu sein. Weitere Umfragen deuten darüber hinaus darauf hin, dass die Regulierungsdichte die Investitionstätigkeit im Inland belastet. 4
Knapp die Hälfte der deutschen Unternehmen investierte 2023 immerhin genauso viel wie im Vorjahr.Vor allem der Arbeits- und Fachkräftemangel, aber auch der Druck durch hohe Energie- und Lohnkosten standen mehr Investitionen entgegen. 5 Darüber hinaus waren der unsichere regulatorische Rahmen und die Steuerlast wichtige Gründe, die Investitionen nicht auszuweiten.
Im Verarbeitenden Gewerbe sind die Gründe für sinkende beziehungsweise gleichbleibende Investitionen ähnlich. Dabei war der Umsatzanteil derjenigen Unternehmen, die ihre Investitionen 2023 reduzierten, mit knapp 30 % höher als im Unternehmenssektor insgesamt. Hohe Energie- und Lohnkosten sowie Arbeits- und Fachkräftemangel waren die Hauptgründe für die Investitionszurückhaltung. Dabei investierten vor allem die energieintensiven Unternehmen 2023 nicht mehr als im Vorjahr. 6
Teilweise attraktivere Standortbedingungen im Ausland zogen deutsche Investitionen an. 7 In der Regel investieren nur wenige und eher große Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes im Ausland. Laut der Umfrage investierten 2023 umsatzgewichtet 23 % der Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes mehr im Ausland als im Vorjahr. 8 Dabei gaben knapp mehr als 80 % dieser Unternehmen an, dass Investitionen im Ausland attraktiver seien als in Deutschland. Kostenersparnisse durch niedrigere Lohn- und Energiekosten dort waren für höhere Auslandsinvestitionen ausschlaggebend. Auch die Möglichkeit, mehr Arbeits- und Fachkräfte zur Verfügung zu haben, nannte knapp die Hälfte der Industrieunternehmen als Grund.
Mehr Auslandsinvestitionen bedeuteten für sich genommen nicht weniger Investitionen in Deutschland. Von denjenigen Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes, die 2023 mehr im Ausland investierten, erhöhten circa 30 % auch ihre Investitionen im Inland. Weitere rund 30 % reduzierten sie allerdings. Weniger inländische Investitionen zugunsten von mehr Investitionen im Ausland gab es insbesondere bei energieintensiven Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe. Hierbei spielten laut Umfrage häufig Kostenmotive eine wichtige Rolle. Dies deutet darauf hin, dass der energieintensive Sektor einen Teil seiner Produktionskapazitäten ins Ausland verlagerte. 9 Eine weitreichende Abwanderung von Industrieunternehmen – über den Kreis der energieintensiven Unternehmen hinaus – lässt die Umfrage jedoch nicht erkennen.
Im Ausblick auf 2024 fächerten sich die Investitionspläne der Unternehmen im Vergleich zum vergangenen Jahr etwas auf. Im Verarbeitenden Gewerbe ist die Investitionstendenz eher rückläufig. Bei den Industrieunternehmen, die 2024 mehr Investitionen im Ausland planen, ist die für das laufende Jahr erwartete inländische Investitionstätigkeit deutlich verhaltener als im Vorjahr. Dies betrifft überproportional die energieintensiven Unternehmen. Weitere Produktionsverlagerungen in diesem Bereich sind daher möglich.
In der Gesamtschau liefert diese Analyse Hinweise darauf, welche Stellschrauben sich besonders eignen, um die für den anstehenden Strukturwandel benötigten Unternehmensinvestitionen zu unterstützen. Dazu gehört, vor allem das Arbeitskräfteangebot von Fachkräften zu verbreitern. Dazu würde beitragen, Hindernisse für die erweiterte Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen und Älteren zu beseitigen und die Voraussetzungen für weitere arbeitsmarktorientierte Zuwanderung zu verbessern. Planungssicherheit im Bereich der Energie- und Klimapolitik durch einen konsistenten, vorhersehbaren Rahmen ist entscheidend, um die grüne Transition voranzubringen und mittel- bis langfristig hinreichend günstige Energiepreise zu gewährleisten. Darüber hinaus würden Bürokratieentlastung und einfachere, schnellere Genehmigungsprozesse der Investitionstätigkeit zuträglich sein.
Die Bauproduktion und die Bauinvestitionen erhöhten sich wohl vor allem witterungsbedingt. Nach einem starken Rückgang im Vorquartal erholte sich die Bauproduktion im ersten Quartal und erreichte saisonbereinigt wieder das im dritten Quartal 2023 verzeichnete Niveau. Sowohl der Rückgang als auch der nachfolgende Anstieg waren wohl stark von saisonunüblichen Witterungseinflüssen geprägt. Hierauf deuten die ifo Umfragen zur Behinderung der Bautätigkeit durch Witterungseinflüsse hin. Die wirtschaftliche Dynamik von Hoch- und Tiefbau entkoppelte sich weiter. Der Hochbau litt unter einer fortgesetzt schwachen Nachfrage im Wohnungsbau und konnte die Produktion nur wenig erhöhen. Der Tiefbau profitierte hingegen wohl von Infrastrukturmaßnahmen und legte wesentlich stärker zu. 4 Auch sonstige Bauaktivitäten (wie der Ausbau) wurden deutlich ausgeweitet. Der Auftragseingang im Bauhauptgewerbe insgesamt ging im Mittel von Januar und Februar gegenüber dem Vorquartal nochmals zurück. Er unterschritt damit den Stand vom vierten Quartal 2021 um nunmehr 20 %. Am stärksten war der Rückgang im Wohnungsbau, wo sich der Zinsanstieg wohl besonders deutlich auf die Nachfrage auswirkte. Auch Umfragen des ifo Instituts deuten auf eine anhaltend schwache Nachfragesituation hin. So verharrte der Anteil der Unternehmen im Bauhauptgewerbe mit Auftragsmangel im April weiter nahe der jüngsten Höchstmarken von rund 40 %.
Der private Konsum blieb schwunglos, aber die Aktivität im Dienstleistungssektor legte wohl dennoch zu. Wichtige Stützen des privaten Konsums, wie der stabile Arbeitsmarkt und reale Einkommenszuwächse, waren auch im ersten Quartal intakt. Die Verunsicherung der Konsumenten war aber weiterhin hoch, was ihre Anschaffungsneigung dämpfte. 5 Die vom Verband der Automobilindustrie (VDA) erhobenen Zulassungen privater Kraftfahrzeuge signalisieren, dass erheblich weniger Personenkraftwagen angeschafft wurden. Dazu trug wohl bei, dass die Förderung von Elektrofahrzeugen für private Halter Ende 2023 ausgelaufen war. Auch die preisbereinigten Umsätze im Einzelhandel lagen unter dem Vorquartalsniveau. Dagegen stiegen sie im Gastgewerbe den bis Februar verfügbaren Angaben zufolge etwas an. Trotz mangelnder Impulse von den konsumnahen Branchen legte der Dienstleistungssektor wohl deutlich zu. Darauf deutet die Dienstleistungsproduktion hin, die nach den bis Februar verfügbaren Angaben stieg. Die leichte Verbesserung in der Industrie dürfte stützend gewirkt haben. So erhöhten sich etwa die preisbereinigten Umsätze im Großhandel und die Produktion in Verkehr und Lagerei. Auch andere unternehmensnahe Dienstleister legten deutlich zu.
3 Arbeitsmarkt weiter robust
Der deutsche Arbeitsmarkt erwies sich auch im Winter 2024 als sehr stabil. Die Beschäftigungsentwicklung war weiter verhalten positiv. Im Laufe des Jahres 2023 waren die Unternehmensbelegschaften trotz der wirtschaftlichen Schwächephase weitestgehend gehalten und in vielen Dienstleistungsbereichen sogar aufgestockt worden. Der Anstieg im ersten Vierteljahr 2024 war jedoch nicht stark genug, um die insbesondere durch Zuwanderung steigende Zahl an Erwerbspersonen vollständig zu absorbieren. Daher erhöhte sich auch die registrierte Arbeitslosigkeit, wenngleich ebenfalls nur unwesentlich. Gemäß den Frühindikatoren dürfte sich dieses Muster in den nächsten Monaten nicht spürbar ändern. Selbst bei positiverer Wirtschaftsentwicklung dürfte zunächst das bislang gehaltene Personal stärker in Anspruch genommen werden. Dann würde sich die derzeit gedrückte Arbeitszeit erholen.
Die Beschäftigung in Deutschland erhöhte sich im ersten Quartal 2024 geringfügig. Die gesamte Erwerbstätigkeit stieg gegenüber dem Schlussquartal 2023 um 38 000 Personen beziehungsweise 0,1 %, wenn durchschnittliche saisonübliche Schwankungen herausgerechnet werden. Der rückläufige Trend bei der Selbstständigkeit setzte sich fort, und die ausschließlich geringfügig entlohnte Beschäftigung veränderte sich kaum. Die Zahl der besetzten sozialversicherungspflichtigen Stellen nahm hingegen weiter leicht zu.
Die insgesamt leicht positive Belegschaftsentwicklung verbirgt wie schon im abgelaufenen Jahr eine sektorale Zweiteilung. Die ersten Hochrechnungen der Bundesagentur für Arbeit (BA) zur sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach Wirtschaftsbereichen reichen aktuell bis Februar 2024. In der Arbeitnehmerüberlassung, die es vielen Unternehmen ermöglicht, sich zügig an die veränderte Nachfrage anzupassen, wurde das Personal deutlich verringert. Dies geschah besonders im Verarbeitenden Gewerbe. Aber auch in den Stammbelegschaften der Betriebe des Verarbeitenden Gewerbes und des Baugewerbes wurde in geringem Umfang Personal abgebaut. Diese schwache, von konjunkturellen Faktoren getriebene Entwicklung wird jedoch von einer strukturell steigenden Arbeitsnachfrage vor allem in Bereichen der öffentlichen Grundversorgung – dem Gesundheits- und Sozialwesen, dem Öffentlichen Dienst, der Energie- und Wasserversorgung sowie der Bildung und Erziehung – überdeckt. Darüber hinaus stellten auch weitere Dienstleistungsbereiche, vor allem im Bereich der qualifizierten unternehmensnahen Dienstleister und im Gastgewerbe, zusätzliches Personal ein.
Wirtschaftlich bedingte Kurzarbeit wurde zu Jahresanfang als weiteres Anpassungsinstrument bei schwacher Nachfrage etwas vermehrt genutzt. Zwar ist der Anstieg moderat, aber die Kurzarbeiterzahl überschritt gemäß der ersten Hochrechnung der BA für Februar erstmals seit Juni 2022 die Marke von 200 000 Personen. Damals liefen die letzten Regelungen zur erleichterten Inanspruchnahme von Kurzarbeit im Rahmen der Pandemie aus. Im Februar 2024 waren etwa 0,6 % der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von konjunktureller Kurzarbeit betroffen. Diese konzentrierten sich entsprechend der konjunkturellen Situation zu 85 % auf Betriebe des Verarbeitenden Gewerbes. 6 In allen anderen Branchen spielte Kurzarbeit bis zuletzt nur eine sehr kleine Rolle. Der langsam steigende Trend könnte kurzfristig andauern, da auch die Zahl der Anzeigen zur wirtschaftlich bedingten Kurzarbeit bis April 2024 auf dem etwas erhöhten Niveau verharrte. Auch hier melden vor allem Betriebe des Verarbeitenden Gewerbes.
Die registrierte Arbeitslosigkeit erhöhte sich bis zuletzt, wenngleich nur sehr langsam. Im Durchschnitt der Wintermonate waren saisonbereinigt 2,71 Millionen Personen arbeitslos registriert, rund 24 000 Personen mehr als im Schlussviertel des Jahres 2023. Die entsprechende Arbeitslosenquote stieg um 0,1 Prozentpunkte auf 5,9 %. Im April kamen weitere 10 000 Arbeitslose hinzu, die zugehörige Quote blieb rundungsbedingt unverändert. Im Vergleich zum Vorjahresquartal waren im ersten Vierteljahr 2024 rund 186 000 Personen mehr arbeitslos. Etwas über die Hälfte dieser Zunahme war dem konjunkturell beeinflussten Versicherungssystem des SGB III zuzurechnen (+ 100 000). Aber auch für einen Teil des Anstiegs im Grundsicherungssystem des SGB II dürfte die inzwischen zwei Jahre anhaltende wirtschaftliche Schwäche verantwortlich sein. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen erhöhte sich, und bei einigen von ihnen wird der Anspruch auf Versicherungsleistungen nach so langer Zeit ausgelaufen sein. Der Anstieg der arbeitslosen Geflüchteten aus der Ukraine und aus den wichtigsten Asylherkunftsländern ist im Vorjahresvergleich aufgrund fortschreitender Arbeitsmarktintegration relativ gering. Er kann den Anstieg der Arbeitslosigkeit im Grundsicherungssystem nicht vollständig erklären.
Die Frühindikatoren lassen für die kommenden Monate keine durchgreifende Änderung am deutschen Arbeitsmarkt erwarten. Die gesamte Erwerbstätigkeit dürfte auch weiterhin nur geringfügig steigen, worauf vor allem das IAB-Beschäftigungsbarometer hinweist. Allerdings deutet in den von der schwachen Wirtschaftsentwicklung besonders betroffenen Branchen des Verarbeitenden Gewerbes, des Baugewerbes sowie des Handels nichts auf eine Verbesserung hin. In diesen Branchen könnte die Beschäftigung weiter etwas sinken. Dies lässt sich der Branchenaufteilung des ifo Beschäftigungsbarometers entnehmen, welches sich auf Befragungen zu den Einstellungsplänen der gewerblichen Wirtschaft stützt. Selbst wenn sich die leichten konjunkturellen Erholungssignale verstärken sollten, dürfte der Bedarf nach Ausweitung der Beschäftigung zunächst noch verhalten bleiben. Denn die Unternehmen hatten bei der geringeren Auslastung der jüngsten Vergangenheit ihre Stammbelegschaft weitgehend gehalten. Außerdem war die durchschnittliche Arbeitszeit im vierten Quartal 2023, bis hierhin liegen Daten vor, sehr niedrig. Sie dürfte ausgeweitet werden, ehe in größerem Umfang zusätzliches Personal eingestellt wird. So ist die Zahl der bei der BA gemeldeten offenen Stellen bis zuletzt gesunken. Auch wenn der Bestand an Vakanzen gleichwohl noch relativ hoch ist, ist die Dynamik an neu hinzukommenden Stellenausschreibungen vergleichsweise schwach. Etwas widersprüchlich wirkt dagegen auf den ersten Blick die anhaltend hohe Vakanzdauer, bis zu der eine offene Stelle besetzt werden konnte. Die Schwierigkeit, das passende Fachpersonal zu finden, deutet auf eine vergleichsweise geringe Passgenauigkeit am Arbeitsmarkt zwischen Anforderungen und Arbeitsangebot hin. Dies kann an qualifikatorischem oder regionalem "Mismatch" liegen, aber auch an den Arbeitsbedingungen beziehungsweise der Vergütung. Bei den Arbeitslosenzahlen könnte sich der geringfügige Anstieg zunächst fortsetzen. Das IAB-Barometer Arbeitslosigkeit hat sich zwar im letzten halben Jahr in kleinen Schritten verbessert, ist aber weiterhin leicht im negativen Bereich.
4 Löhne wachsen weiterhin stark
Die Tarifverdienste legten im Winter 2024 kräftig zu. Die Tarifverdienste einschließlich der Nebenvereinbarungen stiegen im ersten Quartal um 6,2 % gegenüber dem Vorjahr, nach 3,6 % im Jahresschlussquartal 2023. Zu diesem erheblichen Lohnzuwachs trugen sowohl dauerhafte Tarifanhebungen als auch hohe abgabenfreie Inflationsausgleichsprämien bei. 7 Auch ohne Sonderzahlungen erhöhten sich die Tarifverdienste im Winter mit 3,0 % gegenüber dem Vorjahr stärker als im Herbst.
Die Effektivverdienste dürften erneut stark gestiegen sein. Dafür sprechen die bis einschließlich März 2024 vorliegenden kräftig erhöhten Brutto-Monatsverdienste aus der Verdiensterhebung des Statistischen Bundesamtes. Damit setzt sich der seit dem Frühjahr 2021 anhaltende, im langfristigen Vergleich recht hohe Auftrieb der Effektivverdienste fort.
Die jüngsten Tarifabschlüsse weisen auf ein weiterhin hohes Lohnwachstum hin. Das auf zwölf Monate umgerechnete Lohnplus beträgt zwischen 3,0 % in der Zeitarbeit und je nach Tarifbezirk bis zu 10,6 % in der Logistik und Spedition. 8 Der erste regionale Abschluss im Einzelhandel Nord weist bei einer Gesamtlaufzeit von 36 Monaten mit 5,0 % per annum ebenfalls überdurchschnittliche Lohnsteigerungen aus. Allerdings wurde der Schlichterspruch im Bauhauptgewerbe von den Arbeitgebern abgelehnt. Daher bleiben hier die Tarifverdienste zunächst unverändert. Zudem gab es im Groß- und Außenhandel seit dem Auslaufen der Tarifverträge im Frühjahr 2023 keinen Anschlusstarifvertrag. Die damit verbundenen Monate ohne Tariflohnzuwächse im Vorjahresvergleich dämpfen den Anstieg im gesamtwirtschaftlichen Tarifverdienstindex.
In der diesjährigen Lohnrunde sind hohe Neuabschlüsse zu erwarten. Die Lohnforderungen der Gewerkschaften bewegen sich aktuell zwischen 7 % und 15 % für zwölf Monate Laufzeit und liegen damit im historischen Vergleich weiterhin hoch. Die seit Februar neu hinzugekommenen Forderungen zeigen keinen Rückgang der Forderungen an: So fordern die Gewerkschaften beispielsweise für die Beschäftigten privater und öffentlicher Banken ab Juni 2024 12,5 % mehr Lohn für eine Laufzeit von zwölf Monaten. Für die Arbeitskräfte in der Gebäudereinigung verlangen sie einen um 3 € höheren Stundenlohn ab Januar 2025. Das entspricht im Ecklohn einem Plus von 16,7 %. Die von den Gewerkschaften angestrebten Lohnzuwächse sind vor allem in den Dienstleistungen hoch angesetzt. Aber auch in allen anderen Branchen streben die Gewerkschaften einen nachhaltigen Reallohnanstieg an. Die Inflation ist zwar seit dem Hochpunkt im Herbst 2022 erheblich zurückgegangen. Aber den Gewerkschaften sind die kumulierten Reallohnverluste der vergangenen drei Jahre weiterhin bewusst. Zum Jahresende 2024 entfallen zudem die temporären, abgabenfreien Inflationsausgleichsprämien. Daher geraten nun dauerhafte Lohnerhöhungen verstärkt in den Fokus. Für auch zukünftig noch vergleichsweise hohe Lohnsteigerungen sprechen auch die – trotz leichtem Rückgang – immer noch verbreiteten Arbeitskräfteknappheiten und die hohe Streikwilligkeit, die den Gewerkschaften zuletzt überdurchschnittliche Durchsetzungsquoten ermöglichten.
5 Inflationsrate dürfte zunächst wieder etwas steigen
Der Preisauftrieb nahm im Winter wieder etwas zu. Die Verbraucherpreise (HVPI) stiegen im ersten Vierteljahr 2024 saisonbereinigt um 0,8 % gegenüber dem Vorquartal, nach 0,2 % im Schlussquartal 2023. Grund hierfür war vor allem der starke und breit basierte Preisanstieg bei Dienstleistungen. Dieser zeigte sich sowohl bei administrierten Diensten, bei denen zum Beispiel Gebühren häufig zum Jahreswechsel angehoben werden, als auch bei nicht administrierten Diensten. Zudem verteuerten sich Industriegüter ohne Energie wieder etwas stärker als im Herbst 2023. Dagegen blieben die Preise für Nahrungsmittel nahezu konstant, nachdem sie im Vorquartal noch kräftig gestiegen waren. Die Preise für Energie fielen erneut, wenn auch weniger als im Herbst 2023. In der Vorjahresbetrachtung setzte sich der Disinflationsprozess im ersten Quartal 2024 zwar fort, allerdings in deutlich gemäßigterem Tempo als zuvor. So fiel die Inflationsrate nur noch vergleichsweise wenig von 3,0 % im Vorquartal auf 2,7 %. Die Kerninflationsrate (HVPI ohne Energie und Nahrungsmittel) lag weiterhin merklich oberhalb der Gesamtrate. Sie ermäßigte sich von 3,7 % auf 3,4 %.
Auch im April zogen die Preise etwas stärker an. Saisonbereinigt erhöhte sich die HVPI-Rate um 0,4 %, nach + 0,2 % im März. Ausschlaggebend hierfür war ein kräftiger Anstieg der Energiepreise, die im Monat zuvor noch gesunken waren. Hier spielte eine Rolle, dass die vorübergehende Senkung des Mehrwertsteuersatzes für Gas und Fernwärme im April ausgelaufen war. Aber auch bei Nahrungsmitteln stiegen die Preise wieder stärker als im März. Die Preise für Dienstleistungen, die seit Beginn des Jahres deutlich gestiegen waren, verloren im April zwar insgesamt etwas an Aufwärtsdynamik. Dabei wurden aber, wie bereits in den Vormonaten, die Mieten etwas stärker angehoben. Industriegüter ohne Energie vergünstigten sich – der Preisentwicklung auf den vorgelagerten Stufen folgend – erneut etwas. In der Vorjahresbetrachtung stieg die Inflationsrate per saldo leicht an, von 2,3 % auf 2,4 %. 9 Die Kernrate ging dagegen merklich von 3,2 % auf 2,9 % zurück. Sie lag dennoch weiterhin deutlich oberhalb der Gesamtrate. Überraschend war hier der trotz des relativ frühen Ostertermins kräftige Preisanstieg für Pauschalreisen. 10
Im Mai dürfte die Inflationsrate wieder steigen und könnte in den nächsten Monaten um ein etwas höheres Niveau schwanken. Grund hierfür sind zunächst Basiseffekte beim öffentlichen Personennahverkehr. Hier waren die durchschnittlichen Ticketpreise mit der Einführung des Deutschlandtickets im Mai 2023 sprunghaft gesenkt worden. Außerdem dürften die Energiepreise in der Vorjahresbetrachtung im Mai und im späteren Verlauf des Jahres aufgrund von Basiseffekten wieder zulegen. Insgesamt bestehen weiterhin Risiken für den grundlegenden Disinflationsprozess. So fiel das Lohnwachstum zuletzt kräftiger als erwartet aus. Dadurch könnte insbesondere der immer noch hohe Preisdruck bei Dienstleistungen länger anhalten.
6 Konjunkturaussichten hellen sich allmählich auf
Im zweiten Quartal 2024 dürfte die Wirtschaftsleistung erneut etwas ansteigen. Die Dienstleister dürften ihre Erholung fortsetzen. Diese könnte sich sogar noch verbreitern und verstärken, wenn auch vom privaten Konsum wieder erste Impulse kommen. Darauf deuten die Umfrageergebnisse des ifo Instituts für die konsumnahen Dienstleistungsbranchen hin. Damit dürften die steigenden realen verfügbaren Haushaltseinkommen gegenüber der Verunsicherung der Konsumentinnen und Konsumenten die Oberhand gewinnen. Weitere Kaufkraftgewinne sind zu erwarten, da der Arbeitsmarkt voraussichtlich robust bleibt und die Löhne weiter kräftig steigen. In der Industrie könnten sich die energieintensiven Branchen moderat erholen. Für eine nachhaltige Belebung der Industrie müssten jedoch auch die Neuaufträge wieder breit angelegt anziehen. Dies steht bislang noch aus. Die aufgehellten Geschäftserwartungen im Verarbeitenden Gewerbe werden sich daher wohl erst ab der zweiten Jahreshälfte in spürbar mehr Schwung in der Produktion niederschlagen. Auch im Bau ist die Nachfrage noch sehr schwach, und eine größere Belebung zeichnet sich noch nicht ab. Im zweiten Quartal dürfte zudem die Normalisierung nach den Witterungseffekten in den Vorquartalen dämpfend wirken. Ein weiter rückläufiger Krankenstand könnte hingegen die Wirtschaftsleistung erneut stützen. Insgesamt nimmt die Konjunktur in der Grundtendenz wohl allmählich etwas Fahrt auf.
Positive Impulse sind von den Dienstleistern und wohl auch vom privaten Konsum zu erwarten. Der Dienstleistungssektor dürfte im zweiten Quartal merklich zulegen. So verbesserte sich die Geschäftslage der Dienstleister im April den dritten Monat in Folge, und auch die Geschäftserwartungen hellten sich weiter auf. Die Erholung verstärkt sich, weil auch von den konsumnahen Branchen wieder Impulse kommen dürften. Dies signalisiert die ifo Geschäftslage in den konsumnahen Dienstleistungsbereichen Einzelhandel und Gastgewerbe, die sich kräftig verbesserte. Die Ausweitung der Ausgabenspielräume der privaten Haushalte könnte sich also zunehmend auch in den Konsumausgaben niederschlagen. Allerdings ist eine kräftige Aufhellung der Konsumfreude noch nicht erkennbar. Das GfK-Konsumklima legte im April zwar das dritte Mal in Folge zu. Insbesondere die Einkommenserwartung stieg deutlich, und die Anschaffungsneigung nahm leicht zu. Allerdings erhöhte sich auch die Sparneigung. Zumindest bei Käufen von Kraftfahrzeugen hielten sich die Verbraucher im April noch zurück. Die Zulassungen privater Kraftfahrzeuge legten gemäß Angaben des VDA zwar im Vormonatsvergleich zu, unterschritten das Mittel des Vorquartals aber noch deutlich.
Die Industriekonjunktur bleibt dagegen wohl vorerst noch gedämpft. Im April verschlechterte sich gemäß Umfragen des ifo Instituts die Geschäftslage im Verarbeitenden Gewerbe. Außerdem verringerte sich der industrielle Auftragseingang im März saisonbereinigt weiter. Ohne volatile Großaufträge blieb der Auftragseingang zwar nahezu auf dem Vormonatsniveau. Im Mittel des ersten Quartals ging er jedoch weiter deutlich zurück. Dabei sank die Nachfrage sowohl aus dem In- als auch aus dem Ausland. Es gibt aber auch Anzeichen dafür, dass ein Wendepunkt der Industriekonjunktur in Reichweite rückt. So könnte sich die Erholung der energieintensiven Industrie fortsetzen. Dafür spricht, dass die Hersteller chemischer Erzeugnisse im Vorquartalsvergleich das dritte Nachfrageplus in Folge verzeichneten. Zudem stieg die Anzahl produzierter Personenkraftwagen gemäß Angaben des VDA im April den dritten Monat in Folge deutlich. Und schließlich erhöhte sich in der Industrie insgesamt der Auftragseingang ohne Großaufträge aus dem Ausland im März gegenüber dem Vormonat kräftig. Dies könnte ein Vorbote für eine breitere Belebung der Nachfrage sein. Die kurzfristigen Exporterwartungen und Produktionspläne sowie die Geschäftserwartungen für die kommenden sechs Monate deuten laut ifo Umfragen in die gleiche Richtung. Sie lagen im April deutlich über dem Vorquartal. Alles in allem erscheint eine durchgreifende Belebung der Industrie aber erst für die zweite Jahreshälfte wahrscheinlich.
Literaturverzeichnis
Bundesnetzagentur (2024), Aktuelle Lage der Gasversorgung in Deutschland, www.bundesnetzagentur.de.
Bundesverband der Deutschen Industrie e. V. (2023), Lagebild im industriellen Mittelstand, BDI-Blitzumfrage im Frühsommer 2023, https://bdi.eu.
Deutsche Industrie- und Handelskammer (2024), Auslandsinvestitionen: Motiv der Kostenersparnis steigt erneut, www.dihk.de.
Europäische Investitionsbank (2024), EIB Investment Survey Country Overview 2023: Germany.
GfK (2024), Konsumklima: Erholung kommt nur mühsam voran, Pressemitteilung vom 26. März 2024, www.gfk.com.
Grömling, M., R. Wiechers und O. Wortmann (2024), Bedeutung von Standortfaktoren und Megatrends für die Investitionen in Deutschland, IW-Report, 10/2024.
Schnorrenberger, R., P. Schwind und E. Wieland (2024), Forecasting HICP Package Holidays with Forward-Looking Booking Data, Bundesbank Technical Paper, im Erscheinen.
von Maltzan, A. und L. Zarges (2024), Der Investitionsstandort Deutschland aus Unternehmenssicht, ifo Schnelldienst, 2024, 77, Nr. 03, S. 52 – 58.