Solide Staatsfinanzen, gestärkte Investitionen: ein Vorschlag zur Reform der Schuldenbremse Monatsbericht – März 2025
Monatsberichtsaufsatz
Deutschland steht vor großen Herausforderungen. Das internationale Umfeld hat sich gewandelt, Klimawandel und Digitalisierung erfordern Veränderungen. Das ist anspruchsvoll. Aber es bietet auch Chancen. Der Staat und die Finanzpolitik sind vielfältig gefordert, etwa mit Blick auf die demografische Entwicklung oder Nachholbedarf bei der Infrastruktur und der Verteidigung.
Die Finanzpolitik hat eine wichtige Rolle, um gute Standortbedingungen zu sichern und zu stärken. Hierzu zählen solide Staatsfinanzen, denn sie schaffen Vertrauen und sind wichtig, um in Krisen widerstandsfähig zu sein. Darüber hinaus unterstützen sie die Geldpolitik dabei, Preisstabilität zu gewährleisten. Die Schuldenbremse hat sich in der Vergangenheit bewährt: Sie hat geholfen, solide Staatsfinanzen zu sichern und die einschlägigen EU-Vorgaben einzuhalten. Das schließt nicht aus, sie weiterzuentwickeln, um bisher gewonnenen Erfahrungen und geänderten Rahmenbedingungen Rechnung zu tragen, sofern sie ihre grundlegenden Zwecke nach wie vor erfüllt.
Die Bundesbank aktualisiert im Folgenden ihre Reformvorschläge aus dem Jahr 2022. Die neuen Vorschläge berücksichtigen die inzwischen geänderten EU-Fiskalregeln und die größeren Herausforderungen bei der Infrastruktur und der Verteidigung, freilich ohne dabei noch anhaltende Diskussionen auf EU-Ebene einbeziehen zu können. Sie zielen unverändert auf solide Staatsfinanzen: Der 60 %-Referenzwert für die Schuldenquote aus den EU-Verträgen ist zentraler Orientierungspunkt der Vorschläge. Gegenüber den geltenden Regelungen zur Schuldenbremse sehen sie höhere Verschuldungsspielräume vor, die allerdings zum guten Teil für zusätzliche Sachinvestitionen reserviert sind. Die Vorschläge betreffen vor allem die Schuldenbremse des Bundes, tragen dabei aber auch den zusätzlichen Investitionsbedarfen von Ländern und Gemeinden Rechnung. Weitere Elemente der Vorschläge sollen eine stetige Haushaltspolitik erleichtern, ohne die Bindungswirkung der Regeln zu schwächen.
Die vorgeschlagene Reform kann dabei helfen, die aktuellen Herausforderungen zu bewältigen. Entscheidend bleibt aber, dass der Staat seine finanzpolitischen Prioritäten konsequent auf die konkreten aktuellen Herausforderungen ausrichtet. Dazu muss er seine Ausgaben und Einnahmen überprüfen und seine Mittel effizient einsetzen.
Die Bundesbank hatte bereits im Jahr 2022 Vorschläge zur Reform der Schuldenbremse des Bundes vorgelegt. Dieser Aufsatz entwickelt die Vorschläge weiter. Elementar ist weiterhin, dass die Schuldenbremse solide Staatsfinanzen absichert. 2 Gleichzeitig tragen die Vorschläge den reformierten EU-Fiskalregeln Rechnung. Diese vergrößern die Verschuldungsspielräume und fokussieren nunmehr stärker auf den 60 %-Referenzwert für die Schuldenquote, der in den EU-Verträgen verankert ist. Die Vorschläge reservieren zudem gezielt Kreditspielräume für zusätzliche Sachinvestitionen, um so Infrastruktur und Verteidigung zu stärken (vgl. zur Zusätzlichkeit und Abgrenzung Abschnitt 3 „Investitionen stärken“). Weitere Elemente unterstützen eine stetige Haushaltspolitik sowie die Bindungswirkung und Transparenz der Schuldenbremsen auch der Länder. Um die Reformvorschläge umzusetzen, müsste das Grundgesetz geändert werden.
Die neuen Vorschläge sehen in ihrem Kern höhere Obergrenzen für die strukturelle Nettokreditaufnahme vor – vor allem für mehr staatliche Investitionen. Die Obergrenzen variieren danach, ob die Schuldenquote über oder unter 60 % liegt. Zudem reservieren sie einen festen Teil des Kreditspielraums für höhere staatliche Investitionen. Bei einer Schuldenquote über 60 % muss die Obergrenze so gewählt sein, dass sie die Schuldenquote wieder unter 60 % zurückführt. In diesem Fall ist der Verschuldungsspielraum deshalb geringer – aber nicht zulasten des investiven Teils. Die Vorschläge zur Kreditgrenze sollen damit solide Staatsfinanzen und den Kern der EU-Fiskalregeln absichern. 3
Ergänzende Elemente zielen auf transparentere Staatsfinanzen und auf eine stärkere Bindungswirkung der Schuldenbremse sowie auf eine stetigere Haushaltsführung. Die Schuldenbremse muss einerseits wirksam in der Umsetzung sein, wenn sie solide Staatsfinanzen absichern soll. Gleichzeitig sollte sie eine stetige Haushaltspolitik ermöglichen. Bund und Länder sollten einheitliche Ansätze in Anlehnung an die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) nutzen, wenn sie Transaktionen oder Einheiten aus ihren Schuldenbremsen ausklammern. Im Ergebnis sollten nur Erwerbe von werthaltigem Finanzvermögen (finanzielle Transaktionen) und hinreichend staatsferne Einheiten (im Gegensatz zu Extrahaushalten, die zum Staatssektor zählen) außen vor bleiben. Ein enger Bezug zu den VGR würde die Regeln transparenter und wirksamer machen. Eine stetige Haushaltspolitik bedeutet nicht zuletzt, abrupte und prozyklische Konsolidierungserfordernisse möglichst zu vermeiden. Hierzu dienen insbesondere die Vorschläge zur Konjunkturbereinigung und zu den Rücklagen. 4 Solche Elemente sind zwar etwas anspruchsvoller in der Ausgestaltung und Anwendung, sie folgen aber transparenten, nachvollziehbaren Rechenvorschriften. Aus Sicht der Bundesbank würden solche Elemente eine Reform abrunden.
Die bisher im Grundgesetz vorgesehene Tilgungsplanpflicht für Notlagenkredite könnte künftig abgeschwächt werden oder entfallen. Um die Schuldenquote bei 60 % zu verankern, schlägt die Bundesbank eine engere Kreditgrenze bei einer Schuldenquote über 60 % vor (siehe oben). Zusätzliche Regeln zur Tilgung von Notlagenkrediten erscheinen insoweit weniger dringlich, zumal wenn die Schuldenquote noch unter 60 % liegt. Statt ganz zu entfallen, könnten verpflichtende Tilgungspläne auch auf Fälle einer Schuldenquote von über 60 % beschränkt werden.
Für eine stabilitätsorientierte Währungsunion ist wichtig, dass Deutschland als fiskalpolitischer Anker die EU-Regeln zuverlässig einhält. Naheliegend wäre, dafür dem Bund innerstaatlich die Schlüsselrolle zuzuweisen. Voraussetzung dafür wäre freilich, dass die nationalen Vorgaben verhindern, dass die anderen Ebenen neue umfangreiche Verschuldung aufbauen. Für diesen Ansatz spricht erstens, dass der Bund künftig wesentlichen Einfluss darauf haben dürfte, welche konkreten EU-Vorgaben für Deutschland gelten (Ownership). Denn Kernelement der neuen EU-Fiskalregeln sind mehrjährige Fiskalpläne, die jeweils die Regierungen der Mitgliedsländer und die Europäische Kommission aushandeln. Sie stärken insoweit die Rolle des Bundes wesentlich. Soweit die anderen Ebenen ihre relativ engen Haushaltsregeln verlässlich einhalten, kann der Bund verbleibende Handlungsbedarfe hinsichtlich der EU-Vorgaben eigenständig decken. Für den Ansatz spricht zweitens, dass die EU-Regeln sehr komplex und auslegungsfähig sind. Für die nicht an den Verhandlungen beteiligten Einheiten ist es daher schwer, die genauen Handlungsbedarfe zu erkennen. Zu einem schlüssigen Gesamtkonzept gehört zudem, dass die Schuldenbremse künftig neue Schulden der EU-Ebene berücksichtigt.
Die Reformvorschläge erweitern die Kreditspielräume. Die Spielräume sind aber bei einer Schuldenquote über 60 % für Investitionen reserviert, und daher steigt zunächst für den konsumtiven Teil der Haushalte der Anpassungsbedarf. Die quantitative Darstellung der vorgeschlagenen Schuldenbremse im vorletzten Abschnitt veranschaulicht den veränderten Kreditspielraum in Abhängigkeit von der Schuldenquote. Dort findet sich außerdem ein Vergleich mit der derzeitigen Regel sowie möglichen EU-Vorgaben.
Exkurs
Zur Vorgeschichte der Reformdiskussion
Die derzeitige Schuldenbremse hatte geholfen, die Schuldenquote sukzessiv wieder auf den 60 %-Referenzwert für die Schuldenquote der EU-Verträge zurückzuführen. Beschlossen wurde die Schuldenbremse im Jahr 2009. Sie trat zum Haushaltsjahr 2011 in Kraft mit einer Übergangsperiode, die für den Bund mit dem Jahr 2015 endete; die Länder verankerten komplementäre landesrechtliche Bestimmungen. Die Zustimmung zur Schuldenbremse erfolgte vor dem Hintergrund des angelegten deutlichen Anstiegs der Schuldenquote im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 und 2009. Zugleich reflektierte der Beschluss die Erfahrung, dass die bis dahin geltenden Kreditgrenzen unzureichend waren. Diese beschränkten die Neuverschuldung zwar grundsätzlich auf die Finanzierung von Investitionen. Investitionsbegriff und Ausnahmen waren aber weit gefasst, und eine Kontrolle der Grenzeinhaltung bei Abrechnung eines Haushaltsjahres war nicht vorgeschrieben. Daher hatten die Regeln eine geringe Bindungswirkung. Sie verhinderten nicht, dass die Schuldenquote über die Jahrzehnte sukzessiv anstieg. Seit 2011 aber gingen gesamtstaatliches Defizit und Schuldenquote sowie die Neuverschuldung des Bundes im Trend zurück. Einige Jahre war der Finanzierungssaldo sogar positiv, und im Jahr 2019 unterschritt die Schuldenquote vor Ausbruch der Coronavirus-Pandemie wieder die Schwelle von 60 %. Diese Trendumkehr war von einem günstigen gesamtwirtschaftlichen Umfeld und niedrigen Zinsen begünstigt worden, die Schuldenbremse dürfte aber einen wichtigen Anteil daran gehabt haben.
Die Schuldenbremse ermöglichte Deutschland umfangreiche Reaktionen auf die Coronavirus-Pandemie und die Energiekrise. Dank seiner niedrigen Schuldenquote und der glaubwürdigen Schuldenbremse konnte sich Deutschland auch im internationalen Vergleich sehr günstig Mittel am Kapitalmarkt beschaffen. Die Ausnahmeklausel der Schuldenbremse ermöglichte krisenbezogene Kreditaufnahmen, die weit über die Regelgrenze hinausgingen. 1 Allerdings sehen die bei Inanspruchnahme der Ausnahmeklausel zu beschließenden Tilgungspläne Rückzahlungen vor, die 2028 beziehungsweise 2031 starten und über 31 Jahre gestreckt sind. Die jährlichen Tilgungslasten aus Notlagenkrediten erreichen von 2031 bis 2058 fast 11 Mrd €.
Nach den Krisen erleichterten umfangreiche Rücklagen dem Bund die Rückkehr zur Regelgrenze für die Nettokreditaufnahme, aber nur temporär. Der Bundesgesetzgeber hatte vorgesehen, umfangreiche Notlagenkredite erst in nachfolgenden Haushaltsjahren einzusetzen. Das Bundesverfassungsgericht stoppte dies aber mit seinem Urteil vom November 2023. Der Bundesgesetzgeber buchte daraufhin Rücklagen aus Notlagenkrediten in einer Größenordnung von 250 Mrd € aus. Für das Jahr 2023 zog er nochmals die Ausnahmeklausel. Letzte Restbestände der Rücklagen des Bundes (insbesondere aus Überschüssen der Jahre 2015 bis 2019) sollen nach den bisherigen Planungen im laufenden Jahr verbraucht werden. In den Folgejahren wird es entsprechend anspruchsvoller, den Haushalt im Rahmen der Schuldenbremse auszugleichen. 2
Angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine legte der Bund zudem ein Bundeswehr-Sondervermögen auf, dessen Auslaufen starken Haushaltsdruck bringen wird. Der Kreditrahmen von insgesamt 100 Mrd € wurde im Jahr 2022 über die Grenzen der Schuldenbremse hinaus im Grundgesetz verankert. Nach einer Nettokreditaufnahme von 17 Mrd € im Jahr 2024 beläuft sich der noch verfügbare Kreditrahmen auf 77 Mrd €. Die Bundesregierung erwartet, dass dieser Ende 2027 erschöpft sein wird. Die Verteidigungsausgaben müssten danach wieder vollständig im Rahmen der Schuldenbremse finanziert werden. Die jährliche Mehrbelastung bezifferte die Bundesregierung auf eine Größenordnung von 30 Mrd €. Auch die vorgesehenen Tilgungen der Zusatzkredite (ab 2031 jährlich gut 3 Mrd €) und die Kreditzinsen sind dann im Rahmen der Schuldenbremse zu finanzieren.
2 Höhere Kreditgrenzen, abgestuft nach Höhe der Schuldenquote
Die Reformvorschläge sehen für die Schuldenbremse des Bundes eine abgestufte Grenze für die strukturelle Nettokreditaufnahme vor. Die Grenze hängt davon ab, ob die Schuldenquote über oder unter 60 % liegt. Damit wird der 60 %-Referenzwert aus den EU-Verträgen zum wichtigen Anker der Schuldenbremse. Dies entspricht auch der Zielrichtung der reformierten EU-Regeln, durch stärkeren Bezug auf diesen Referenzwert widerstandsfähige und solide Staatsfinanzen abzusichern.
Konkret könnten folgende Grenzen für die strukturelle Nettokreditaufnahme des Bundes gelten:
1,4 % des BIP, wenn die Schuldenquote unter 60 % liegt. Davon entfallen 0,5 % des BIP auf einen „Niedrigschuldensockel“. Dieser ist nicht zweckgebunden. Weitere 0,9 % des BIP sind eine Investitionskomponente für zusätzliche Investitionsausgaben, das heißt für eine höhere staatliche Investitionsquote als im Status quo (vgl. ausführlicher: Abschnitt 3 „Investitionen stärken“).
0,9 % des BIP, wenn die Schuldenquote über 60 % liegt. Es bleibt die Investitionskomponente, der 0,5 %-Sockel entfällt. Ziel dabei ist, mit der ambitionierteren Obergrenze die Schuldenquote zügig zurückzuführen, ohne dazu den investiven Spielraum einzuschränken.
Einerseits sind diese Grenzen höher als im Status quo mit einer vom Schuldenstand unabhängigen Obergrenze von 0,35 % des BIP. 5 Andererseits sind sie inhaltlich enger, da der Kreditspielraum großteils beziehungsweise vollständig an zusätzliche Investitionen gebunden ist.
Diese Grenzen für die strukturelle Nettokreditaufnahme dürften den 60 %-Referenzwert für die Schuldenquote recht verlässlich absichern. Sozialversicherungen und Länder dürfen gar keine beziehungsweise strukturell keine weiteren Schulden aufbauen, und die Kreditaufnahmen der Gemeinden sind durch haushaltsrechtliche Vorgaben der Länder eng begrenzt. Eine strukturelle gesamtstaatliche Defizitquote in der Größenordnung von knapp 1½ % sollte die Schuldenquote knapp unter 60 % stabilisieren. Die ambitioniertere Kreditgrenze des Bundes bei einer Schuldenquote über 60 % zielt darauf, diese wieder unter 60 % zu senken, selbst wenn das nominale BIP nur vergleichsweise schwach wächst.
Exkurs
Zu den Werten der abgestuften Grenze für die Nettokreditaufnahme
Die Wahl der Werte für die abgestufte Grenze für die Nettokreditaufnahme des Bundes ist ein wichtiger Teil im Rahmen einer Reformentscheidung. Die höhere Grenze sollte die Schuldenquote in einer gleichgewichtigen Situation etwas unterhalb von 60 % stabilisieren. Die niedrigere Grenze sollte eine Schuldenquote über 60 % in absehbarer Zeit wieder darunter zurückführen. Bei niedrigeren Grenzwerten für die Nettokreditaufnahme liegt die Schuldenquote ceteris paribus häufiger unter 60 %, und die nicht zweckgebundenen Sockelkredite entfallen seltener. 1
Die vorgeschlagenen Werte ziehen eine Schuldenquote über 60 % auch bei vergleichsweise schwachem Wachstum wieder unter 60 % und wirken dann stabilisierend. Die Bundesbank schätzt derzeit das reale Potenzialwachstum mittelfristig auf nur noch 0,4 %. 2 Bei einem Deflator von 2 % stabilisiert eine Grenze für die strukturelle Nettokreditaufnahme-Quote von 1,4 % damit die Schuldenquote knapp unter 60 % (etwaiger Nettoerwerb kreditfinanzierten Finanzvermögens ist hier ausgeblendet). In der Vergangenheit wurde die Kreditgrenze in normalen Zeiten (also ohne Anwendung der Ausnahmeklausel) im Haushaltsvollzug nie voll ausgeschöpft. Hierzu trugen nicht zuletzt vorsichtig aufgestellte Bundeshaushalte bei, die auch weiterhin empfehlenswert sind, um bei Zusatzlasten nicht umgehend einen Nachtragshaushalt zu benötigen. Andererseits könnten zum Beispiel die Kommunen zusätzliche Schulden machen, neue Notlagenkredite könnten hinzukommen, oder das Potenzialwachstum könnte noch niedriger ausfallen. Der merkliche Abschlag von 0,5 % des BIP bei der strukturellen Nettokreditaufnahme-Grenze für Schuldenquoten über 60 % ist daher wichtig.
Die Werte orientieren sich zugleich an den neuen EU-Regeln, deren Vorgaben aber nicht genau abschätzbar sind und damit Nachsteuerungsbedarf erfordern können(vgl. Abschnitt 8.2 „EU-Vorgaben zusätzlich einzuhalten“). Früher galt auch bei einer Schuldenquote unter 60 % und einer Defizitquote unter 3 % durchgehend ein mittelfristiges Haushaltsziel für die gesamtstaatliche strukturelle Defizitquote. Daran hatte sich die Bundesbank mit ihren Vorschlägen im Jahr 2022 orientiert. Die nun vorgeschlagene höhere Nettokreditaufnahme-Grenze von 1,4 % ist unter anderem mit Blick auf das erleichterte Verfahren gewählt, das bei Einhaltung der EU-Referenzwerte greift: Die Grenze liegt dann innerhalb der Bandbreite, die für die strukturelle Ziel-Defizitquote für das Endjahr der Fiskalpläne zu erwarten ist. Bei höheren Schuldenquoten ist mit deutlich niedrigeren Ziel-Defizitquoten zu rechnen. Es ist auch deshalb wichtig zu betonen, dass die EU-Regeln zusätzlich zur Schuldenbremse einzuhalten sind. Wie es bisher im Grunde auch bereits möglich gewesen wäre, können deshalb Konsolidierungsmaßnahmen nötig sein, obwohl die Schuldenbremse auch ohne diese eingehalten ist.
Insgesamt machen die vorgeschlagenen Nettokreditaufnahme-Grenzen den 60 %-Referenzwert zum Anker für die Schuldenquote und sollten mit den neuen EU-Regeln kompatibel sein. Eine noch vorsichtigere Ausgestaltung mit entsprechend niedrigeren Grenzen käme in Betracht, um die Zeiten von Schuldenquoten über 60 % zu verkürzen und die Ankerwirkung noch weiter abzusichern. Höhere Werte erscheinen schon deshalb nicht empfehlenswert, weil bereits die vorgeschlagenen Werte die EU-Vorgaben recht stark ausschöpfen dürften (vgl. Abschnitt 8.2 „EU-Vorgaben zusätzlich einzuhalten“. Letztlich obliegt es dem Gesetzgeber, die Argumente abzuwägen und die Grenzwerte festzulegen. Da die angemessene Höhe der Grenzwerte zudem vom nominalen Trendwachstum des BIP abhängt, liegt es nahe, in Abständen die diesbezüglichen Annahmen und damit die Angemessenheit der Grenzwerte zu überprüfen.
3 Investitionen stärken
Die neue Investitionskomponente der Schuldenbremse soll den Staat dabei unterstützen, seine Investitionen auszuweiten und auf einem höheren Niveau zu stabilisieren. Es besteht breite Einigkeit, dass Deutschland mehr in seinen öffentlichen Kapitalstock, wie die Infrastruktur und Verteidigung 6 , investieren muss.Es hat sich gezeigt, dass die Gebietskörperschaften Investitionen eher zurückstellen als konsumtive Ausgaben. Auch dies spricht dafür, Finanzmittel für Investitionen speziell abzusichern. Mit diesem Ziel knüpfen die Vorschläge einen strukturellen Spielraum für die Nettokreditaufnahmedes Bundes von 0,9 % des BIP an zusätzliche Investitionen. Dies soll einen Beitrag leisten, um die Infrastruktur sowie Verteidigungsausgaben zu stärken und auf dem höheren Niveau abzusichern.
Die Investitionskomponente sollte auch Bundeszuschüsse für zusätzliche Investitionen der Länder und Gemeinden finanzieren. 7 Die Länder und Gemeinden tragen einen Gutteil der Infrastrukturausgaben. 8 Konkret könnte ein Drittel der Investitionskomponente des Bundes für Investitionszuschüsse an die Länder reserviert werden. 9 Die Länder können diese Bundesmittel auch für Investitionszuschüsse an ihre Gemeinden nutzen. Investitionszuschüsse von 0,3 % des BIP entsprechen rund 15 Mrd € oder einem Fünftel der derzeitigen Sachinvestitionen von Ländern und Gemeinden. Einen Teil der Mittel könnten Bund und Länder auch für bundesweit standardisierte Digitalisierungsprojekte einsetzen. Hier besteht offenbar ebenfalls Nachholbedarf.
Es spricht viel dafür, den Investitionsbegriff nicht zu weit abzugrenzen. So könnte die Investitionskomponente sich auf Sachinvestitionen (einschließlich militärischer Beschaffungen) von Bund, Ländern und Gemeinden beschränken. Einbezogen werden sollten dabei allerdings nicht nur die Kernhaushalte. Weil etwa die Schienennetze von ausgelagerten Einheiten bezahlt werden, die zum VGR-Staatssektor zählen, sollten Investitionen in diese Netze noch eingeschlossen sein. Hingegen sollten Investitionszuschüsse an Unternehmen aus der Privatwirtschaft nicht über die Investitionskomponente finanziert werden dürfen. Unter Umständen könnte der Gesetzgeber zusätzlich feste Anteile für einzelne Kategorien vorgeben (zum Beispiel einen bestimmten Prozentsatz des BIP für investive Militärgüter).
Der Vorschlag zur Abgrenzung der kreditfinanzierungsfähigen Investitionen zielt nicht mehr auf die staatlichen Nettoinvestitionen, um leichter umsetzbar zu sein. Es wäre eigentlich naheliegend, Kreditfinanzierung an einen Zuwachs des staatlichen Sachvermögens zu binden. Dazu müsste man an den Nettoinvestitionen anknüpfen (also Bruttoinvestitionen abzüglich Abschreibungen); entsprechend hatte die Bundesbank 2022 mit Blick auf den Gesamtstaat argumentiert. Es ist allerdings einzuräumen, dass sich dieser Ansatz nicht gut auf einzelne Länder oder Gemeinden anwenden lässt. 10 Selbst für den Bund lassen sich Nettoinvestitionen bei der Haushaltsaufstellung nur schwer planen. Nicht zuletzt beziehen sich die Abschreibungen in den VGR auf Wiederbeschaffungswerte und sind damit stark von sektoralen Preisentwicklungen abhängig. Daher schlägt die Bundesbank hier als pragmatische Alternative vor, an den Sachinvestitionen des Staates in einer haushaltsnahen Abgrenzung anzusetzen und primär deren Zusätzlichkeit abzusichern.
Die Kreditfinanzierung sollte für Investitionen erlaubt sein, soweit diese die betreffende Investitionsquote gegenüber einem Basiswert erhöhen (Zusätzlichkeitsbedingung). Dazu wäre naheliegend, dass der Bund an ein Investitionsniveau aus der jüngeren Vergangenheit anknüpft; die aus dem Bundeswehrfonds finanzierten Ausgaben könnten dabei außen vor bleiben, da andernfalls das Kriterium der Zusätzlichkeit unnötig schwer zu erfüllen wäre. Dieses Niveau wäre ins Verhältnis zum nominalen Potenzial-BIP zu setzen. Diese Quote, zum Beispiel für 2024 (oder ein Durchschnitt, zum Beispiel der letzten drei Jahre), wäre die Basisquote. 11 Im Rahmen seiner Investitionskomponente dürfte der Bund dann Investitionen kreditfinanzieren, soweit sie die entsprechend abgegrenzte Investitionsquote des jeweiligen Jahres über die Basisquote hinaus anheben. In diesem Sinne müssen die kreditfinanzierten Investitionen also zusätzlich sein und können über den Haushalt finanzierte Investitionen nicht einfach ersetzen. Auch die Länder müssten nachweisen, dass sie mit kreditfinanzierten investiven Bundeszuweisungen eine vergleichbare Quote ihrer und der kommunalen Sachinvestitionen entsprechend steigen lassen. 12 Anfordern würde ein Land die Mittel anhand von Planungen, endgültig abgerechnet würde anhand der Investitionsquoten im Ergebnis. Analog könnten die Länder mit Zuschüssen verfahren, die sie an ihre Gemeinden weiterreichen.
Die Regel schreibt kein bestimmtes staatliches Investitionsniveau fest. Einerseits können Bund und Länder ihre Investitionen auch spürbar stärker ausweiten, wenn sie den Bedarf sehen. Sie könnten sie insoweit aber eben nicht über zusätzliche Verschuldung finanzieren, weil die strukturelle Nettokreditaufnahme des Bundes gekappt bleibt (und die der Länder untersagt ist). Andererseits müssen Bund und Länder die Kredite nicht aufnehmen beziehungsweise Mittel daraus abrufen, wenn sie den Investitionsbedarf aktuell niedriger einschätzen. 13
Damit die Investitionskomponente tatsächlich positiv wirken kann, ist es entscheidend, parallel nichtfinanzielle Investitionshindernisse abzubauen und die Mittel effizient zu investieren. So bestehen etwa bei den Verkehrswegen teils länger anhaltende Engpässe. Es ist elementar, diese zu beheben. Planungs- und Genehmigungsprozesse sowie Umsetzung und Kontrolle von Investitionsprojekten scheinen verbesserungsbedürftig. Das betrifft nicht zuletzt den Rechtsweg, der oftmals langwierige Verzögerungen mit sich bringt. So verfügten die Gebietskörperschaften in den letzten Jahren über Finanzspielräume; sie setzten diese aber nicht ausreichend ein, um den Nachholbedarf bei Sachinvestitionen abzubauen. Insoweit liegt der Nachholbedarf nicht an der Kreditgrenze der bisherigen Schuldenbremse, und ein größerer investiver Haushaltsspielraum allein dürfte zum zügigen Abbau dieses Bedarfs nicht ausreichen.
4 Elemente, die eine stetigere Haushaltspolitik unterstützen
Der Kreditspielraum verengt sich in dem Vorschlag, wenn die Schuldenquote über 60 % liegt. Die Abstufung sollte so ausgestaltet sein, dass die Haushaltsplanung und -durchführung auch an dieser Grenze möglichst stetig ist. Um den weiteren Spielraum (die Sockelkredite) für den kommenden Haushalt nutzen zu dürfen, könnte es reichen, dass die Schuldenquote (1) in dem der Haushaltsaufstellung vorangegangenen Jahr unter 60 % lag oder (2) gemäß einer unabhängig testierten Regierungsprognose im kommenden Jahr unter 60 % liegen wird. Dagegen entfallen die Sockelkredite, wenn die 60 %-Grenze in der Vergangenheit und voraussichtlich in der Zukunft überschritten wird. Dies würde also nicht überraschend geschehen, sondern die Haushaltspolitik kann sich darauf einstellen. Ungeachtet dessen wäre es für die Haushaltspolitik empfehlenswert, einen gewissen Sicherheitsabstand zur 60 %-Grenze einzuhalten. Dann führen Schwankungen der Schuldenquote – etwa aufgrund einer Konjunkturschwäche – nicht umgehend zu einer Grenzüberschreitung. 14
Für eine stetige Haushaltspolitik könnte der Bund außerdem seine Konjunkturbereinigung um eine Fehlerkomponente ergänzen. Das heißt, unerwartete Entwicklungen wären erst zeitverzögert zu korrigieren. Dies hatte die Bundesbank bereits 2022 empfohlen. 15 Durch die Fehlerkomponente müssen überraschende negative Entwicklungen nicht umgehend, sondern erst zeitverzögert korrigiert werden (und überraschende positive Entwicklungen eröffnen erst zeitverzögert Spielräume). Dies erleichtert eine stetige Haushaltsplanung, und das Defizit entwickelt sich damit tendenziell antizyklisch. Die EU-Fiskalregeln exkulpieren unerwartete Entwicklungen der Steuereinnahmen ebenfalls. 16
Auch Rücklagen können eine stetige Haushaltspolitik unterstützen. Eine Reform könnte vorsehen, dass der Bund mit nicht für Zahlungen verbrauchten Kreditermächtigungen (soweit sie im Rahmen der Kreditgrenzen liegen) Rücklagen befüllt. Durch spätere Entnahmen aus diesen Rücklagen kann er die Kreditspielräume dann im Zeitverlauf ausschöpfen, soweit es die ergänzende Absicherung der 60 %-Grenze für die Schuldenquote zulässt (s. dazu die Ausführungen im Folgeabsatz). Solche Rücklagen stehen dem Ziel, Schulden wirksam zu begrenzen, also nicht entgegen. Eine begrenzte überjährige Flexibilität passt auch zu den EU-Regeln, die ein Kontrollkonto für Über- und Unterschreitungen von Grenzen im Planzeitraum vorsehen.
Der Bund sollte die Rücklagen nicht nutzen können, um die beiden Grundprinzipien der Kreditgrenzen zu unterlaufen: erstens die Zweckbindungen der Kreditspielräume und zweitens den Wegfall der Sockelkredite bei einer Schuldenquote über 60 %.
Um die Zweckbindung zu gewährleisten, könnte der Bund Rücklagen ohne Verwendungsbeschränkung aus ungenutzten Sockelkrediten und investitionsgebundene Rücklagen aus ungenutzten Investitionskrediten unterscheiden. Verfehlungen der jeweiligen Kreditgrenzen im Haushaltsvollzug könnte er dann auf separaten Kontrollkonten verbuchen.
Die Rücklagen sind kein Finanzvermögen, sondern am Kreditmarkt noch nicht ausgenutzte Verschuldungsspielräume. Eine Entnahme aus der Rücklage geht deshalb mit einer entsprechend höheren Schuldenquote einher: Dies wäre bei einer Schuldenquote über 60 % nicht im Sinne der abgestuften Grenze. Deshalb ist eine weitere Bedingung zumindest für den Einsatz der Rücklagen aus Sockelkrediten naheliegend: Die Schuldenquote einschließlich des geplanten Einsatzes sollte einer testierten Projektion zufolge unter dem Referenzwert liegen müssen.
5 Weitere Reformelemente
5.1 Tilgungsvorschrift für Notlagenkredite überdenken
Die Pflicht des Bundes, Tilgungspläne für Notlagenkredite (und für die Verschuldung des Bundeswehrfonds) zu beschließen, könnte entfallen oder nur noch eingeschränkt gelten. Derzeit schreibt das Grundgesetz vor, dass für Notlagenkredite ein Tilgungsplan zu beschließen ist. Die Vorgabe soll gewährleisten, dass die Verschuldung im Zeitverlauf auf den Pfad zurückkehrt, den die Regelgrenze zulässt. Die hier vorgestellten Vorschläge folgen einem anderen Ansatz. Sie setzen im Einklang mit den EU-Verträgen auf die 60 %-Grenze als wesentlichen Anker, um eine hinreichend solide Position abzusichern. Sie kalibrieren die Kreditgrenzen deswegen so, dass eine Schuldenquote über 60 % relativ zuverlässig wieder unter 60 % sinkt; eben dazu entfallen die 0,5 % des BIP an Sockelkrediten. Tilgungspläne wären daher nicht nötig, und auch mit Blick auf die EU-Regeln sind sie nicht erforderlich. Die Tilgungsvorschrift für Notlagenkredite könnte allerdings dazu beitragen, zügiger wieder unter die 60 %-Grenze zu gelangen. Eine Zwischenlösung wäre, die Tilgungsvorschrift nur entfallen zu lassen, wenn die Schuldenquote die 60 %-Grenze (wieder) unterschreitet.
Wenn hingegen Mittel aus Krisenmaßnahmen zurückfließen, die der Bund zuvor über Notlagenkredite finanziert hatte, sollte er diese Rückflüsse für Tilgungen verwenden müssen. Dieser Fall trat 2024 ein: Der Bund erhielt Rückzahlungen von Krisenhilfen, die er in Vorjahren gewährt und dabei aus Notlagenkrediten finanziert hatte. Es ist folgerichtig, dass er, wie 2024 geschehen, solche Rückzahlungen für Tilgungen der Notlagenkredite einsetzt. Anderenfalls könnte er Notlagenkredite in nachfolgenden Jahren missbrauchen, um Haushaltslücken zu schließen oder zusätzliche Ausgaben zu finanzieren.
5.2 Finanzielle Transaktionen und einzubeziehende Einheiten VGR-nah abgrenzen
Der Vorschlag weitet die Grenzen für die strukturelle Nettokreditaufnahme deutlich. Auch deshalb ist es empfehlenswert, im Gegenzug Gestaltungsspielräume zu verringern, die der Bindungswirkung der Schuldenbremse entgegenstehen. So war etwa für den Entwurf zum Bundeshaushalt 2025 vorgesehen, Investitionszuschüsse an die Bahn in Eigenkapitalzuführungen (finanzielle Transaktion) umzuwandeln. Dies warf aus ökonomischer Sicht Fragen auf. 17
Vor diesem Hintergrund sollten Bund und Länder finanzielle Transaktionen und zusätzlich zum Kernhaushalt einzubeziehende Einheiten für ihre Schuldenbremsen VGR-nah abgrenzen. Die VGR sind ein guter Anknüpfungspunkt, da sie Transaktionen und Einheiten ökonomisch fundiert erfassen. Sie grenzen defizitneutrale Umschichtungen des staatlichen Finanzvermögens verlässlicher ab, und auch die EU-Fiskalregeln fußen auf dieser Grundlage. Aktuell bereinigen der Bund und die einzelnen Länder ihre Kreditgrenzen teils sehr unterschiedlich bezüglich finanzieller Transaktionen. Zudem grenzen sie auch den Kreis der einbezogenen Einheiten (zum Beispiel zum Staatssektor zählende Betriebe) sehr unterschiedlich ab. Dies schränkt die Transparenz ein, und Lasten werden unter Umständen einfach aus der jeweiligen Schuldenbremse „ausgelagert“. Finanzielle Transaktionen (zum Beispiel Eigenkapitalzuführungen) sollten deshalb nur dann von den Schuldenbremsen ausgeklammert sein, wenn die VGR sie in der Gesamtwirkung defizitneutral erfassen; für Transfers zum Verlustausgleich oder verkappte Investitionszuschüsse trifft dies eben nicht zu. Zudem sollten alle Einheiten, welche die VGR zum Staatssektor zählen, auch den Schuldenbremsen unterliegen. Öffentliche Unternehmen, welche die VGR im Privatsektor verbuchen, müsste die Schuldenbremse dagegen nicht einbeziehen.
Es bleibt elementar, dass Deutschland neben den nationalen Fiskalregeln die EU-Fiskalregeln einhält. Dies unterstützt eine stabile Währungsunion und eine stabilitätsorientierte Geldpolitik. Wenn Deutschland die EU-Regeln für sich selbst stringent anwendet, kann es auch bei anderen glaubwürdig dafür eintreten. Dies ist angesichts der teils sehr hohen Schulden- und Defizitquoten im Euroraum wichtig. So liegt die Schuldenquote im Euroraum insgesamt derzeit mit rund 90 % nur 5 Prozentpunkte niedriger als zum Höhepunkt während der Euroschuldenkrise im Jahr 2014. Ohne Deutschland gerechnet liegt die durchschnittliche Schuldenquote sogar bei 100 %. Zudem ist kurzfristig keine Rückführung in Sicht. Dies gilt insbesondere auch für die besonders hoch verschuldeten Länder Belgien, Frankreich und Italien, deren Defizitquoten noch immer teils deutlich über 3 % liegen.
Zur Einhaltung der EU-Fiskalregeln muss die nationale Haushaltsüberwachung in Deutschland wirksam sein. Dies gilt besonders, wenn die Schuldenbremse des Bundes keinen größeren Sicherheitsabstand mehr zu den EU-Vorgaben für den Gesamtstaat vorsieht (vgl. Abschnitt 8.2 „EU-Vorgaben zusätzlich einzuhalten“).Derzeit ist die Haushaltsüberwachung maßgeblich über den Stabilitätsrat organisiert, wird aber nur lückenhaft umgesetzt. Die Bundesbank und der unabhängige Beirat des Stabilitätsrats haben Vorschläge unterbreitet, wie die Überwachung der gesamtstaatlichen Entwicklung im Zusammenhang mit den Schuldenbremsen verbessert werden könnte. 18
Einiges spricht dafür, dass der Bund innerstaatlich die Verantwortung dafür übernimmt, dass Deutschland die EU-Regeln einhält. Dies bedeutet, dass der Bund bei Bedarf seinen Haushalt anpasst, um die EU-Regeln einzuhalten – und zwar auch dann, wenn er dadurch seine eigene Schuldenbremse übererfüllt. Bei den neuen EU-Regeln sind die jährlichen Vorgaben anhand von gesamtstaatlichen Ausgabenzuwächsen formuliert. Für die zentrale innerstaatliche Verantwortung des Bundes spricht zweierlei: Zum einen trägt er diese Verantwortung im Außenverhältnis, das heißt gegenüber der EU, bereits jetzt. Zum anderen dürfte er künftig selbst wesentlichen Einfluss darauf haben, welche konkreten EU-Vorgaben für Deutschland gelten (Ownership): Er verhandelt die Obergrenzen mit der Europäischen Kommission. Auch sehen es die Gebietskörperschaften als schwierig an, Verfehlungen der Grenzen für das Ausgabenwachstum einzelnen Ebenen zuzuordnen. Diese Schwierigkeit ließe sich mit dem Vorschlag umgehen.
Eine erhöhte Verantwortung des Bundes erfordert wirksame Vorgaben bei den anderen Ebenen. Dem dienen unter anderem die vorstehenden Empfehlungen zu Finanztransaktionen und einbezogenen Einheiten in den Schuldenbremsen und zur Haushaltsüberwachung. Soweit die anderen Ebenen ihre Vorgaben zu verfehlen drohen, sind diese jeweils in der Konsolidierungspflicht. Sehr wünschenswert wäre zudem, dass die Länder ihre Schuldenbremsen vereinheitlichen und darin beispielsweise ein einheitliches Verfahren zur Konjunkturbereinigung verwenden. Diederzeitige Methodenvielfalt beeinträchtigt die Transparenz der Länderfinanzen erheblich.
Der Bund muss unter Umständen recht zügig reagieren, um für den Gesamtstaat die EU-Regeln einzuhalten. Umfangreiche, kurzfristige Ausgabenkürzungen sind dann schwieriger, wenn die Investitionen unverändert hoch bleiben sollen und Ausgaben bereits gut priorisiert sind. In dieser Situation sind Anpassungen der Einnahmenseite das naheliegende Instrument für eine erste kurzfristige Reaktion. Bei den gewichtigen Abgaben besitzen die Länder ein Mitspracherecht und erhalten wie die Gemeinden ihren Teil eines Mehraufkommens. Sofern der Bund die EU-Regeleinhaltung allein absichert, wäre deshalb zu erwägen, ihm ein flexibles Einnahmeninstrument an die Hand zu geben, das Lasten relativ breit verteilt. Dies könnte beispielsweise in einem temporären Zuschlagsrecht auf Gemeinschaftssteuern für diesen konkreten Zweck bestehen. 19 Die Zusatzeinnahmen würden ihm allein zufließen, und die Finanzverteilung der regulären Einnahmen aus den Gemeinschaftssteuern zwischen Bund, Ländern und Gemeinden bliebe unverändert. Um zu verhindern, dass sich der einnahmenseitige Zuschlag verfestigt, könnte er in der Verfassung befristet (zum Beispiel auf zwei Jahre) und der Höhe nach begrenzt werden. Die begrenzte Laufzeit müsste der Bund für eine nachhaltige Konsolidierung nutzen, sofern der Druck dazu fortbesteht. Hierbei kann er dann auch Ausgaben einbeziehen, die kurzfristig nicht disponibel sind.
5.4 Schulden der EU-Ebene berücksichtigen
Es wäre folgerichtig, wenn die Schuldenbremse die Schulden der EU-Ebene berücksichtigt, sofern die EU diese für Transfers und andere defizitwirksame Ausgaben aufnimmt. Die EU-Fiskalregeln fokussieren auf die nationalen Staatsfinanzen. Dies ist nachvollziehbar, wenn auf der EU-Ebene keine umfangreicheren Defizite und Schulden anfallen. Anderenfalls drohen die nationalen Fiskalregeln allerdings zu kurz zu greifen und ihr eigentliches Ziel zu verfehlen. Mit NGEU gibt es bereits ein zwar zeitlich befristetes, aber umfangreiches schuldenfinanziertes EU-Programm, das auch Transfers finanziert. Weitere Schuldenprogramme werden vielfach ins Spiel gebracht. Die Schuldenbremse sollte deshalb künftig europäische und nationale Schulden gleichermaßen berücksichtigen: Sie soll Schuldenlasten der Mitgliedstaaten effektiv begrenzen, und dafür spielt es keine Rolle, auf welcher Ebene die Schulden aufgenommen werden.
Die Änderung sollte für etwaige künftige EU-Schuldenprogramme gelten. Für diese wäre dann der deutsche Finanzierungsanteil an Kreditaufnahmen der EU für defizitwirksame Auszahlungen (wie insbesondere Transfers) im jeweiligen Jahr von der Kreditgrenze der Schuldenbremse abzuziehen. Und im Grundsatz wäre auch die 60 %-Sprungstelle der Schuldenbremse unter Einrechnen solcher künftigen EU-Schulden zu bestimmen.
6 Rechtliche Verankerung
Die vorgeschlagene Reform erfordert eine sehr breite Zustimmung in Bundestag und Bundesrat, weil das Grundgesetz geändert werden müsste. Nötig wäre die Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates. Dies gilt etwa für die neuen Kreditgrenzen, ein Aufheben der Tilgungsplanvorschrift oder die geänderte innerstaatliche Verantwortung für das Einhalten der EU-Vorgaben. Darüber hinaus wären auch nachgeordnete Gesetze betroffen.
Bei einer Reform wäre auch darüber zu entscheiden, wie weitgehend Neuregelungen im Verfassungsrecht verankert sein sollen. Dieses bietet einen hohen Schutz, weil nur breite Mehrheiten es wieder ändern können. Zudem können Antragsberechtigte das Bundesverfassungsgericht einschalten, wenn sie befürchten, dass der Gesetzgeber Regelungen in der praktischen Anwendung aushebelt. Bezogen auf die Reformvorschläge läge es nahe, auch die Zusätzlichkeit der kreditfinanzierten Investitionen im Grundgesetz zu verankern. In Einklang mit einem ausreichenden Schutz der Reformziele wäre gleichzeitig darauf zu achten, künftige Gesetzgeber nicht durch sehr detaillierte, teils technische Elemente der Schuldenbremse in der Verfassung über Gebühr zu binden.
7 Sondervermögen als Alternative zu grundlegender Reform
Ein kreditfinanziertes Sondervermögen könnte eine Alternative zu einer grundlegenden Reform der Schuldenbremse sein, hätte dieser gegenüber aber auch einige Nachteile. Ein – gegebenenfalls befristetes – Sondervermögen könnte als Möglichkeit gesehen werden, den Kern der bestehenden Schuldenbremse weitestgehend unverändert zu lassen und damit leichter umsetzbar erscheinen. Eine grundlegende Reform der Schuldenbremse schafft aber eine langfristige Perspektive und damit mehr Planungssicherheit als ein befristetes Sondervermögen. Ausgaben in Sondervermögen auszulagern ist zudem weniger transparent als alle Ausgaben im Haushalt abzubilden. 20 Es ist umso wichtiger, die Bundesfinanzen umfassend im Blick zu halten, als die Reformvorschläge die reformierten Fiskalregeln auf EU-Ebene zum Gesamtstaat stark ausschöpfen (vgl. Abschnitt 8.2 „EU-Vorgaben zusätzlich einzuhalten“).
Der hier vorgelegte Vorschlag zur Reform der Schuldenbremse lässt sich aus ökonomischer Sicht ähnlich über ein Sondervermögen im Grundgesetz umsetzen. Dieses würde dann die bestehende (oder eine nur leicht veränderte) Schuldenbremse ergänzen und ließe sich zeitlich befristen. Ein guter Teil der vorgestellten Reformelemente könnte dabei berücksichtigt werden.
Deutschland muss die EU-Regeln auch mit dem Sondervermögen einhalten (darf also die nationalen Spielräume bedarfsweise nicht voll ausschöpfen).
Zudem sollte vergleichbar abgesichert werden, dass Bund und Länder ihre anderen Sachinvestitionen beziehungsweise Verteidigungsausgaben (außerhalb des neuen Sondervermögens) mit dem BIP-Trend wachsen lassen: Anders als teils beim Bundeswehrfonds zu beobachten, sollten sie Ausgaben nicht in das Sondervermögen verlagern, um im Haushalt zeitweise Spielräume für anderes zu schaffen.
Um eine Schuldenquote unter 60 % zu verankern, wären auch bei einem Sondervermögen ergänzende Änderungen an der Schuldenbremse zu erwägen: Der derzeitige strukturelle Kreditspielraum des Bundes von 0,35 % des BIP könnte während der Laufzeit des Sondervermögens daran gebunden sein, dass die Schuldenquote den Referenzwert unterschreitet.
Aktuell zeichnet sich ab, dass Deutschland und die anderen EU-Mitgliedstaaten zeitnah ihre Verteidigungsausgaben kräftig erhöhen müssen. Um welche Volumina und Zeiträume es geht, ist noch nicht konkret absehbar. In derDiskussion auf EU-Ebene ist unter anderem, den Mitgliedstaaten zeitlich befristet zusätzliche Defizitspielräume für höhere Verteidigungsausgaben zuzugestehen. Deutschland könnte in diesem Rahmen das Bundeswehr-Sondervermögen aufstocken und verlängern. Dann könnte die reformierte Schuldenbremse mit einem aufgestockten Bundeswehr-Sondervermögen eine Zeit lang parallel laufen. Die grundlegenden Kreditgrenzen müssten nicht temporär angepasst werden. Soweit die Schuldenquote durch zusätzliche Kredite des Sondervermögens länger über 60 % bleibt, entfallen entsprechend länger die Sockelkredite. Bei länger anhaltendem Bedarf an hohen Verteidigungsausgaben wäre zudem auf EU-Ebene darauf zu achten, dass die Schuldenquoten durch die EU-Fiskalregeln verankert bleiben.
8 Was der Vorschlag quantitativ bedeutet und wie er sich zu den EU-Regeln verhält 21
8.1 Reform weitet Spielräume gegenüber dem Status quo perspektivisch deutlich
Ohne Reform ist der Spielraum für Defizite des Bundes zunächst noch recht hoch, sinkt aber insbesondere ab 2028 deutlich. Im laufenden und den kommenden Jahren kann der Bund noch sehr umfangreich Kredite im Bundeswehrfonds aufnehmen. Zudem verfügt er noch über beträchtliche Rücklagen im Kernhaushalt und im Klimafonds. Im Folgenden ist unterstellt, dass der Bund diese Rücklagen bis Ende 2025 und die Kreditermächtigungen des Bundeswehrfonds bis Ende 2028 aufbraucht. 22 2028 setzen zudem Tilgungspflichten für die Notlagenkredite aus der Corona- und der Energiekrise ein, die den Kreditspielraum reduzieren.
Der Gesetzgeber entscheidet, wann und mit welchen Regelungen eine Reform in Kraft tritt. So ist unterstellt, dass die vorgeschlagene Reform 2026 in Kraft tritt. Der Gesetzgeber könnte die Reform auch später in Kraft setzen, unter Umständen verbunden mit Übergangsregeln. Dabei wäre sicherzustellen, dass Deutschland die EU-Vorgaben einhält.
Das nachstehende Schaubild zeigt den Spielraum für das strukturelle Defizit des Bundes, wenn die Reform beispielhaft mit den vorgestellten Parametern 2026 in Kraft tritt. Es ist dabei unterstellt, dass mit der Reform die Rest-Kreditermächtigungen des Bundeswehrfonds und die Tilgungsvorgaben für dessen Kredite sowie für Notlagenkredite gestrichen werden.
Tabelle 2.1: Schuldenbremse mit Reform 2026: Kreditspielraum gegenüber Status quo in Mrd €
Schuldenquote
2026
2027
2028
2029
2030
2026 bis 2030
unter 60 %
24
25
47
61
62
219
über 60 %
1
2
23
36
37
99
Im Beispiel erhöht die Reform den Kreditspielraum des Bundes gegenüber dem Status quo deutlich (siehe Schaubild 2.1).Der Umfang hängt allerdings davon ab, ob die Schuldenquote über oder unter 60 % liegt. Wenn die Schuldenquote unter 60 % liegt, erhöht sich die Verschuldungsmöglichkeit gegenüber dem Status quo bis 2030 um kumuliert rund 220 Mrd €. In diesem Fall erlaubt die reformierte Kreditgrenze eine jährliche strukturelle Nettokreditaufnahme von 1,4 % des BIP. Bei einer Schuldenquote über 60 % beträgt der jährliche Spielraum 0,9 % des BIP. Gegenüber dem Status quo liegt er in diesem Fall bis 2030 um kumuliert rund 100 Mrd € höher. Dabei ist zu beachten, dass in den Vorschlägen Teile der Kreditermächtigungen für Zusatzinvestitionen und dabei teils für Investitionszuschüsse an die Länder reserviert sind. Bei einer Schuldenquote über 60 % verengt sich damit der Kreditspielraum für konsumtive Ausgaben spürbar.
Im Vergleich zum strukturellen Defizit des Bundes und seiner Sondervermögen im Jahr 2024 ändern sich die Spielräume des Bundes für seine Budgets nicht grundlegend. Dies liegt daran, dass der Bund 2024 neben der Nettokreditaufnahme des Kernhaushalts und des Bundeswehrfonds noch umfangreiche Rücklagen nutzen konnte. Zudem zielen die Reformvorschläge auf Umschichtungen im Haushalt zugunsten investiver Ausgaben. Die dargestellten Spielräume sind daher selbst bei einer Schuldenquote unter 60 % weitgehend für Investitionen reserviert (teils als Zuschüsse an die Länder) und dabei an erhöhte Investitionsquoten geknüpft. Um sie nutzen zu können, muss der Bund seine Investitionen im Kernhaushalt verstetigen und die Verteidigungsausgaben dort noch etwas ausweiten. Denn erst dann würde er das oben beschriebe Basisniveau seiner Investitionen überschreiten (vgl. Abschnitt 3 „Investitionen stärken“) und könnte dafür investive Kredite aufnehmen.
Der Kreditspielraum hängt mit der vorgeschlagenen Reform davon ab, ob die Schuldenquote über oder unter 60 % liegt. Die Schuldenquote liegt derzeit über 60 % und nähert sich der Grenze an. Ende des dritten Quartals 2024 lag sie bei 62,4 %. Gemäß der Bundesbank-Prognose geht die Quote bis Ende 2027 auf 61,7 % zurück.Diese Prognose basiert auf dem finanzpolitischen Status quo. Die bislang angelegten EU-Vorgaben (und die aktuelle Schuldenbremse) dürften damit nicht eingehalten sein. Wird die Regeleinhaltung angenommen, würde sich die Quote den 60 % schneller nähern. Grundsätzlich hängt die Entwicklung der Schuldenquote vom Defizit, vom nominalen BIP (im Nenner) und von Umschichtungen im Finanzvermögen (sogenannten Deficit Debt Adjustments) ab.
DieseDeficit Debt Adjustments bedeuten eine erhöhte Prognoseunsicherheit, nicht zuletzt wegen diesbezüglicher Gestaltungsspielräume.So hält etwa der Bund relativ umfangreiche Kassenreserven, für die er Schulden aufnahm. Bei einem engeren Reservemanagement würden die Schulden geringer ausfallen. 23 Zudem hält der Bund umfangreiche Beteiligungen, ohne bestimmenden Einfluss auszuüben. Soweit er diese Beteiligungen privatisiert, erzielt er Einnahmen, mit denen nach den Vorgaben der Schuldenbremse Schulden zu tilgen sind. Beteiligungen, die der Bund ohnehin bei der KfW parkt, sind im Haushalt zwar zu einem guten Teil bereits als verkauft verbucht. Im Maastricht-Schuldenstand schlagen sich die Erlöse von der KfW aber als Kreditaufnahmen bei dieser nieder. Mit einem vollständigen Verkauf der geparkten Beteiligungen könnte der Bund seinen Schuldenstand also um deren Marktwert senken (bei deutlich geringeren Privatisierungserlösen im Haushalt) und damit nicht zuletzt die Transparenz der Staatsfinanzen erhöhen. Die EU hat zudem vorgegeben, dass der Bund den Großteil seiner Beteiligung an dem Energieunternehmen Uniper bis 2028 veräußert.
8.2 EU-Vorgaben zusätzlich einzuhalten
Es ist noch nicht genau absehbar, wie hoch der fiskalische Spielraum für Deutschland auf Basis der EU-Regeln ausfallen wird. Dieser hängt davon ab, welchen mittelfristigen Fiskalplan die neue Bundesregierung mit der Europäischen Kommission und dem Rat vereinbaren wird. Der Plan startet wohl 2025 und läuft für vier bis sieben Jahre. Da die Regeln hinsichtlich der Planlaufzeit und anderer Aspekte Verhandlungsspielraum lassen, kann der fiskalische Spielraum nur unter Unsicherheit geschätzt werden. Zudem ist in der Diskussion, den EU-Staaten temporär zusätzliche Spielräume zur Finanzierung höherer Verteidigungsausgaben zuzugestehen.
Die EU-Vorgaben beziehen sich ex ante 24 auf das gesamtstaatliche VGR-Defizit. Anders als die Schuldenbremse knüpfen sie nicht an der haushaltsmäßigen Nettokreditaufnahme an. Sie betreffen dabei nicht nur den Bund, sondern beziehen auch Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen ein. Die VGR-Regeln bestimmen auch, ob Transaktionen als finanziell und damit defizitneutral zu verbuchen sind. Und sie bestimmen, welche Einheiten als Extrahaushalte zum Staatssektor zählen und damit dessen Defizit beeinflussen. Die nachfolgenden Angaben versuchen, künftige EU-Vorgaben an Deutschland abzuschätzen, ohne dabei mögliche Sonderregeln für Verteidigungsausgaben einzubeziehen. Die Angaben orientieren sich teils an der Bundesbank-Fiskalprognose aus dem Dezember 25 , mit einer EU-nahen Schätzung struktureller Größen(siehe Schaubild 2.2):
Am ambitioniertesten wären die EU-Vorgaben bei einem regulären vierjährigen Plan. Im Endjahr ist dabei wohl eine recht niedrige strukturelle Defizitquote (rund ¾ %) nötig, um im Rahmen der EU-Tragfähigkeitsanalyse hohe alterungsbedingte Ausgabenanstiege im Folgejahrzehnt „abzupuffern“. 26
Längere Pläne mit einer Laufzeit bis zu sieben Jahren sind möglich, sofern Deutschland mit der EU-Ebene Reformen vereinbart. Bei einer längeren Planlaufzeit kann die strukturelle Defizitquote langsamer und insgesamt etwas weniger sinken (wohl auf rund 1 %). Grund für die etwas höhere strukturelle Ziel-Defizitquote ist, dass bei späterem Planende ein größerer Anstieg der alterungsbedingten Ausgaben bereits in den Planzeitraum fällt (und in diesem gegenzufinanzieren ist). Im Folgejahrzehnt steigen die alterungsbedingten Ausgaben dann nicht mehr so stark. Im Rahmen der EU-Tragfähigkeitsanalyse sind also geringere Lasten nach Planende abzupuffern als bei einem vierjährigen Plan. Das ermöglicht im längeren Plan eine etwas höhere strukturelle Defizitquote zum Planende als im kürzeren.
Am weitesten ist der Spielraum, wenn das erleichterte Verfahren gilt: Dieses setzt üblicherweise voraus, dass ein Mitgliedstaat vor Planbeginn die EU-Referenzwerte von 60 % (Schuldenquote) und 3 % (Defizitquote) einhält. Im erleichterten Verfahren müssen die Defizit- und Schuldenquoten die Referenzwerte über die Planlaufzeit einhalten, und am Planende muss die strukturelle Defizitquote auf einem nachhaltigen Niveau liegen. Eine Bandbreite von 1¼ % bis 1¾ % für die Defizitquote erscheint in diesem Fall plausibel (siehe die horizontale Schattierung in Schaubild 2.2).
Jede neue Bundesregierung kann einen überarbeiteten Plan übermitteln, also beispielsweise nach der nächsten Bundestagswahl, die für 2029 zu erwarten ist. Dieser ist wiederum mit den EU-Gremien abzustimmen.
Schaubild 2.2 macht deutlich, dass die reformierten Kreditgrenzen der Schuldenbremse im Grundsatz zu den voraussichtlichen EU-Vorgaben passen, sie aber stark ausschöpfen. Deshalb ist nicht zu empfehlen, sie stärker zu lockern als vorgeschlagen. Sonst bestünde anhaltendes Konfliktpotenzial zwischen den Vorgaben von nationaler und europäischer Ebene.Solches Konfliktpotenzial sollte Deutschland vermeiden. Deutschland muss unabhängig von den nationalen Vorgaben die EU-Vorgaben einhalten. Unter Umständen können daher die Spielräume der Schuldenbremse nicht voll ausgeschöpft werden. Solch ein Fall ist im Schaubild für das Jahr 2028 bei einer Schuldenquote über 60 % und einem vierjährigen Plan für die EU-Regeln dargestellt: Das gesamtstaatliche Defizit, das sich aus der zulässigen Nettokreditaufnahme gemäß reformierter Schuldenbremse ergibt, liegt im Jahr 2028 mit gut 1 % (linkes Schaubild) über der Obergrenze in einem vierjährigen Plan gemäß EU-Regeln (rechtes Schaubild).
Der Reformvorschlag zur Schuldenbremse zielt nicht darauf, die EU-Vorgaben vollständig zu replizieren. Die nationalen Regeln müssen der Haushaltspolitik einen verbindlichen, nachvollziehbaren Kreditrahmen vorgeben. Dies leisten die EU-Regeln nicht: Sie beziehen sich in der Anwendung auf das Wachstum einer gesamtstaatlichen Ausgabengröße. Der Reformvorschlag bindet die Neuverschuldung des Bundes und der einzelnen Länder folglich nicht unmittelbar an die mutmaßlichen EU-Vorgaben. Dies gilt umso mehr, als die Europäische Kommission mit ihren Empfehlungen die Auslegung erheblich beeinflusst und künftige Bundesregierungen die Vorgaben immer wieder neu aushandeln werden. Insgesamt spricht viel für eigenständige nationale Regeln, die solide Staatsfinanzen verlässlich und nachprüfbar absichern, der Haushaltspolitik eine klare Richtschnur geben und dabei Konflikte mit den EU-Vorgaben möglichst vermeiden. Das schafft auch Vertrauen in die deutschen Staatsfinanzen und sichert deren günstige Finanzierung.
9 Fazit: Staat bleibt gefordert, seine Haushalte zukunftsfähig aufzustellen
Die vorgeschlagene Reform entbindet Bund, Länder und Gemeinden nicht davon, ihre Haushalte im konsumtiven Bereich anzupassen. Auch unter Berücksichtigung der Reformvorschläge weisen die Bundesbank-Prognose oder die mittelfristige Planung des Bundes auf Konsolidierungsbedarf hin. Die Defizitmöglichkeiten sind mit den Vorschlägen zwar weiter, allerdings vor allem für zusätzliche Investitionen. Bei einer Schuldenquote über 60 % sinken sogar die Kreditspielräume für konsumtive Zwecke. Die Vorschläge bringen folglich weiterhin die Aufgabe mit sich, die Haushalte anzupassen. Dabei müssen Bund, Länder und Gemeinden auch die Freiräume schaffen, um die ohne Kredite finanzierten Investitionen zu verstetigen.
Die Vorschläge unterstützen einen deutlichen Aufbau von Investitionen. Es benötigt aber wohl einen gewissen Vorlauf, die zusätzlichen Mittel effizient auszugeben. Der Zeitbedarf, um die Investitionen auszuweiten, entsteht dadurch, dass Bund, Länder und Kommunen Projekte vorbereiten, ausschreiben und durchführen müssen. Dabei dürften sie teils auf Kapazitätsengpässe treffen, und zwar sowohl in Verwaltung und Justiz als auch bei den beteiligten Unternehmen. Ziel muss zudem sein, gesamtwirtschaftlich besonders vorteilhafte Projekte vorrangig auszuwählen. Die staatlichen Mehrausgaben sollten auch nicht wegen Kapazitätsengpässen in Preisanstiegen verpuffen, was ebenfalls dafür spricht, das zusätzliche Investitionsvolumen sukzessiv aufzubauen. Entscheidend ist, dass die Reform nachhaltig höhere reale Investitionen unterstützt.
Die Reform kann einen Beitrag leisten, die aktuellen Herausforderungen zu bewältigen, ohne dabei solide Staatsfinanzen zu gefährden. Zusätzliche investive Kreditspielräume reichen allerdings nicht aus. Der Staat ist weit darüber hinaus gefordert. Entscheidend ist, dass er seine Prioritäten auf der Ausgaben- und Einnahmenseite auf die Herausforderungen ausrichtet und die Finanzmittel effizient und zielgerichtet einsetzt.